Zivil- und Zivilprozessrecht

Eingang fristwahrendes Fax ohne Ausdruck

Aktenzeichen  20 U 2297/17

Datum:
6.6.2018
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 10570
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 538 Abs. 2 Nr. 2

 

Leitsatz

1 Ein fristwahrender Schriftsatz, der per Fax übermittelt wird, ist grundsätzlich erst in dem Zeitpunkt eingegangen, in dem er vom Empfangsgerät des Gerichts ausgedruckt wird. (redaktioneller Leitsatz)
2 Wenn jedoch Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die abgesandten Signale im Empfangsgerät des Gerichts vollständig eingegangen sind und ihr Ausdruck nur infolge eines Fehlers oder fehlerhafter Handhabung des Empfangsgeräts nicht zu einem Ausdruck geführt haben, ist der Zugang zu fingieren (vgl. BVerfG BeckRS 9998, 22764).  (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
3 Der Senat hält die vorgelegten Unterlagen – Sendebericht, Auszüge aus den Journalen des Sendegeräts und des Empfangsgeräts beim Landgericht – für den hinreichenden Nachweis dafür, dass der Schriftsatz rechtzeitig beim Landgericht eingegangen ist. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

29 O 9296/15 2017-06-02 LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das End- und Schlussurteil des Landgerichts München I vom 02.06.2017, Az. 29 O 9296/15, samt dem zugrunde liegenden Verfahren aufgehoben, soweit der Einspruch des Klägers gegen das Versäumnisurteil vom 23.03.2017 verworfen wurde. Die Aufhebung umfasst auch die Kostenentscheidung, soweit sie den Beklagten zu 3) betrifft.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das Landgericht zurückverwiesen.
2. Das Urteil des Landgerichts München I vom 06.12.2017, Az. 29 O 9296/15, wird aufgehoben.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 48.800 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit seiner Beteiligung an der NCI N. C. I. USA 19 GmbH & Co. KG geltend. Er hat sich mit Beitrittserklärungen vom 26.07.2012 und 25.03.2013 über eine Treuhänderin mit 20.000 € und 30.000 € beteiligt und die Beteiligungssummen einbezahlt. Er hat Ausschüttungen in Höhe von 1.200 € erhalten und den entgangenen Gewinn aus einer Alternativanlage mit 2.084,93 € beziffert.
Das Landgericht hat mit Teil-Versäumnisurteil vom 03.06.2016 die Beklagten zu 1) und 2) antragsgemäß verurteilt. Mit Versäumnisurteil vom 23.03.2017 hat das Landgericht die Klage gegen den Beklagten zu 3) abgewiesen. Dieses Versäumnisurteil ist den Klägervertretern am 31.03.2017 zugestellt worden. Den Einspruch des Klägers gegen das Versäumnisurteil hat das Landgericht mit End- und Schlussurteil vom 02.06.2017 als unzulässig verworfen mit der Begründung, der auf den 18.04.2017 datierte Schriftsatz sei im Original erst am 20.04.2017 eingegangen. Ein Fax sei entgegen der Angabe „Vorab per Telefax“ nicht bei Gericht eingegangen.
Mit Schriftsatz vom 06.07.2017 hat der Kläger gegen das End- und Schlussurteil vom 02.06.2017 Berufung eingelegt. Der Einspruchsschriftsatz sei am 18.04.2017 um 11.42 Uhr per Telefax fristwahrend an den amtlichen Telefaxanschluss des Landgerichts München I versandt worden; der erfolgreiche Versand sei zwei Minuten später durch den Sendebericht des Sendegeräts bestätigt worden. Der erfolgreiche Eingang sei auch im Journal des Empfangsgeräts verzeichnet worden. Auf den Schriftsatz vom 11.09.2017 (Bl. 390 ff. d.A.) wird Bezug genommen.
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 19.06.2017 (Bl. 370 d.A.) hinsichtlich der Einspruchsfrist, mit weiterem Schriftsatz vom selben Tag (Bl. 373 d.A.) hinsichtlich der Wiedereinsetzungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Das Landgericht hat die Anträge mit Urteil vom 06.12.2017 verworfen bzw. zurückgewiesen. Gegen dieses Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 12.01.2018 Berufung eingelegt. Der Senat hat dieses Verfahren (20 U 125/18) mit Beschluss vom 17.01.2018 (Bl. 418 ff. d.A.) zum hiesigen Verfahren verbunden.
Der Kläger beantragt im Berufungsverfahren:
1. Unter Abänderung des am 02.06.2017 verkündeten Urteils des Landgerichts München I, Az.: 29 O 9296/15 wird der Beklage als Gesamtschuldner verurteilt, Zug um Zug gegen die Übertragung der Anteile an der sogenannten „NCI N. C. I. USA 19 GmbH & Co KG in Höhe von nominal 50.000,00 Euro (Beteiligungsnummer …346 und …881), an den Kläger 50.884,93 Euro nebst jährlichen Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über Basiszinssatz seit dem 27.05.2015 zu bezahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich der Beklagte mit der Annahme der Rechte aus den Anteilen des Klägers an der so genannten „NCI N. C. I. USA 19 GmbH & Co KG in Höhe von nominal 50.000,00 Euro (Beteiligungsnummer …346 und …881) in (Annahme-)Verzug befindet.
3. Der Beklagte wird als Gesamtschuldner verurteilt, den Kläger von den Rechtsanwaltsgebühren der Rechtsanwälte Wilhelm L. & Kollegen, M, in Höhe von 3.483,72 Euro (inkl. 19% USt.), die für die vorgerichtliche Beratung und Vertretung in der Angelegenheit entstanden sind, freizustellen.
4. Es wird festgestellt, dass der Beklagte als Gesamtschuldner verpflichtet ist, den Kläger von allen steuerlichen und wirtschaftlichen Nachteilen frei zu stellen, die mittelbar oder unmittelbar aus den von dem Kläger gezeichneten Beteiligungen an der so genannten „NCI N. C. I. USA 19 GmbH & Co KG in Höhe von nominal 50.000,00 Euro (Beteiligungsnummer …346 und …881) resultieren, insbesondere von etwaigen Nachschuss- und Nachhaftungspflichten.
5. Es wird festgestellt, dass der Beklagte die Leistung gem. Antrag Ziffer 1), Ziffer 3) und Ziffer 4) aufgrund vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung zu erbringen hat.
Hilfsweise wird beantragt,
die Angelegenheit zur Sachaufklärung an die erste Instanz zurückzuverweisen.
Hilfsweise wird beantragt,
das Verfahren gemäß § 149 I ZPO wegen des Verdachts einer Straftat des Beklagten Christian K. im Zusammenhang mit der NCI N. C. I. USA 19 GmbH & Co KG und den Ermittlungen gegen den Beklagten Christian K., M. H. und andere Beteiligte der Staatsanwaltschaft München I Az. 316 Js 211330/13 auszusetzen.
Die Parteien haben sich mit Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt (vgl. Bl. 438 und 439 d.A.). Der Senat hat mit Beschluss vom 24.04.2018 (Bl. 440 ff. d.A.) als Zeitpunkt, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht, den 22.05.2018 bestimmt.
II.
Die zulässige Berufung ist begründet und führt gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
1. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Einspruch des Klägers gegen das Versäumnisurteil vom 23.03.2017 innerhalb der am 18.04.2017 ablaufenden Frist per Telefax beim Landgericht München I eingegangen und folglich rechtzeitig eingelegt worden ist.
a) Ein fristwahrender Schriftsatz, der per Fax übermittelt wird, ist grundsätzlich erst in dem Zeitpunkt eingegangen, in dem er vom Empfangsgerät des Gerichts ausgedruckt wird. Wenn jedoch Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die abgesandten Signale im Empfangsgerät des Gerichts vollständig eingegangen sind und ihr Ausdruck nur infolge eines Fehlers oder fehlerhafter Handhabung des Empfangsgeräts nicht zu einem Ausdruck geführt haben, ist der Zugang zu fingieren (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 01.08.1996 – 1 BvR 121/95 – NJW 1996, 2857; BGH, Beschluss vom 28.03.2001 – XII ZB 100/00 – juris Rn. 11; BGH, Beschluss vom 23.06.1988 – X ZB 3/87 – BGHZ 105, 40/44 f.; OLG München, Beschluss vom 11.02.2014 – 31 Wx 468/13 – NJW-RR 2014, 1405).
b) Der Senat hält die vorgelegten Unterlagen – Sendebericht (K 40/B 1), Auszüge aus den Journalen des Sendegeräts (B 2) und des Empfangsgeräts beim Landgerichts München I (B 3) – für den hinreichenden Nachweis dafür, dass der Schriftsatz vom 18.04.2017, der im Original am 20.04.2017 beim Landgericht München I eingegangen ist, am 18.04.2017 per Telefax vom Gerät des Prozessbevollmächtigten des Klägers versandt, beim Empfangsgerät vollständig empfangen und ausgedruckt worden ist.
Das Sendeprotokoll allein beweist zwar noch nicht den Zugang des Telefaxschreibens (vgl. BGH, Beschluss vom 08.10.2013 – VIII ZB 13/13, NJW-RR 2014, 179 Rn. 12). Hier liegt aber auch ein korrespondierender Nachweis für den zeitgleichen Eingang eines Telefaxes vom Gerät der Klägervertreter auf dem Empfangsgerät des Landgerichts München I vor. Dass sich die eingegangenen sechs Seiten aus dem vierseitigen Schriftsatz im hiesigen Verfahren und dem zweiseitigen Schriftsatz im Verfahren 3 O 1695/17 zusammensetzen, ergibt sich aus den Sendeberichten (Anlagen B 1 und B 4). Angesichts des vom Klägervertreter geschilderten Umstandes, dass der Schriftsatz im Verfahren 3 O 1695/17 dort ausgedruckt zu den Akten gelangt ist, hält es der Senat für ausgeschlossen, dass der gleichzeitig auf dem Empfangsgerät eingegangene Schriftsatz im hiesigen Verfahren nicht ausgedruckt worden ist. Naheliegend ist vielmehr, dass er zwar ausgedruckt, aber versehentlich einem anderen Verfahren zugeordnet worden oder auf andere Weise im Bereich des Landgerichts verloren gegangen ist.
c) Selbst wenn der Schriftsatz entgegen aller Wahrscheinlichkeit nicht ausgedruckt worden wäre, wäre der Kläger so zu behandeln, als sei dies geschehen.
2. Auf die Frage der Wiedereinsetzung kommt es demzufolge nicht an; das Urteil des Landgerichts vom 06.12.2017 ist folglich gegenstandslos und zur Klarstellung aufzuheben.
III.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO (Zöller/Heßler, ZPO 32. Aufl. § 538 Rn. 59).
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.
Die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren beruht auf § 3 ZPO. Nebenforderungen – wie entgangener Gewinn – erhöhen den Streitwert nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 08.05.2012 – 11 ZR 261/10, juris Rn. 14).


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