Zivil- und Zivilprozessrecht

Haftungsquote bei Unfall einer Pferdekutsche wegen Erschreckens der Pferde durch Hunde

Aktenzeichen  9 O 139/20

Datum:
21.7.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 38595
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Traunstein
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 254, § 833 S. 1

 

Leitsatz

Bei Pferden kann sich die für einen geschädigten Tierhalter im Rahmen seines Mitverschuldens wegen seiner Tierhalterhaftung anzurechnende Tiergefahr aus der Unberechenbarkeit des tierischen Verhaltens der Pferde ergeben, da sie aufgrund eines Schreckmoments scheuen und dadurch Verletzungen und Schäden verursachen können. (Rn. 38 und 39) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.070 € nebst Zinsen hieraus in Hohe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.11.2019 zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 600 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 29.01.2020 zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die Hälfte der an den Pferden …, durch den Unfall vom 20.10.2019 entstandenen Schäden zu ersetzen.
4. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 413,64 € zu befreien
5. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
6. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 6.140,00 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet
I.
Die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts Traunstein ergibt sich aus § 1 ZPO in Verbindung mit §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG. Die örtliche Zuständigkeit folgt aus §§ 12, 13 ZPO.
II.
Die Klage ist teilweise begründet.
Dem Kläger steht gemäß § 833 S. 1 BGB ein Anspruch auf 50 % des ihm bei dem Vorfall am 20.10.2019 entstandenen Schadens zu (600 € Schmerzensgeld, 1.070 € Reparaturkosten).
1. Rechtsgutsverletzung des Klägers
a) Das Gericht ist aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger die von ihm geschilderten Verletzungen, nämlich eine HWS – Distorsion mit Schulter – Arm – Syndrom rechts sowie eine Thoraxprellung erlitten hat. Nicht bestätigt hat sich, dass der Kläger weiterhin an einer Bewegungseinschränkung und an Schmerzen leidet.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung führte der Kläger überzeugend aus, dass es ihn bei dem Vorfall einige Male überschlagen habe und es ihm beim letzten Überschlag wie ein Blitz durch den Kopf gefahren sei. Der Überschlag sei sehr schmerzhaft gewesen Mit dieser Schilderung steht das vorgelegte Attest der Gemeinschaftspraxis … vom 09.12.2019 im Einklang, dass diese Verletzungen benennt. Es bestätigt zudem, dass sich der Kläger noch zu diesem Zeitpunkt, somit mehrere Wochen nach dem Unfall weiterhin in hausärztlicher Behandlung befand. Auch hat der Kläger zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen, dass sechs Physiotherapiebehandlungen erforderlich waren Ein entsprechender Nachweis wurde als Anlage K 3 vorgelegt.
Nicht bestätigt hat sich die Behauptung, es bestünden weiterhin Beschwerden. Der Kläger gab im Rahmen der informatorischen Anhörung an, dass zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung wieder alles in Ordnung sei.
Das Gericht hält für die nachgewiesenen Verletzungen und Beschwerden ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.200 € für angemessen.
b) Das Gericht hat keinen Zweifel daran, dass der Schaden an der Kutsche so, wie vom Kläger geschildert, eingetreten ist. Die zur Schadensbehebung erforderlichen Reparaturkosten hat der Kläger durch Vorlage eines Kostenvoranschlags (Anlage K 4) nachgewiesen. Es besteht kein Anlass daran zu zweifeln, dass dieser Betrag nicht ortsüblich und angemessen ist.
c) Das Gericht ist zudem zu der Überzeugung gelangt, dass die Pferde nunmehr unter einem Trauma leiden, so dass sie – zumindest derzeit – zum Ziehen eines Pferdegespanns nicht geeignet sind Der Kläger gibt glaubhaft an, er habe 30 Jahre Erfahrung mit Pferden und gehe sehr regelmäßig mit den Tieren um. Anschaulich schilderte er, dass die Pferde nach dem Unfall ängstlich und schreckhaft vor allem auf „bodennahe“ Gegenstände reagieren würden. Es sei nicht möglich, sie vor eine Kutsche zu spannen, vielmehr betreibe er mit ihnen Bodenarbeit. Hierunter ist zu verstehen, dass die Pferde geführt werden, um das Vertrauen wieder aufzubauen.
2. Schadenszufügung durch ein Tier
Aufgrund der informatorischen Anhörung der Parteien und der Vernehmung des Zeugen … in der mündlichen Verhandlung ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass der Unfall kausal auf das Verhalten des Hundes … der Beklagten zurückzuführen ist. Es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Hund unvermittelt rechts neben der Kutsche auf der Kuppe auftauchte und durch seine plötzliche Bremsung die beiden Pferde erschreckte. In der Folge scheuten diese und brachten dadurch die Kutsche zum Umfallen.
Der Kläger schilderte ausführlich, dass das Pferdegespann in gemäßigtem Tempo am Ende der Ausfahrt auf die Kuppe zufuhr. Von rechts sei dann der Hund der Klägerin gekommen Aggressives Verhalten gegenüber den Pferden habe er nicht gezeigt, jedoch habe allein das geschilderte Verhalten ausgereicht, um die Pferde zu erschrecken. Die Pferde seien Hunde gewöhnt, jedoch habe das plötzliche Auftauchen zu dem Erschrecken geführt.
Glaubhaft war auch seine Schilderung, dass die Kutsche aufgrund des Vorfalls gekippt ist und sich mehrmals überschlagen hat. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden 8 von der Klägerseite übergebene Lichtbilder in Augenschein genommen. Anhand dieser Bilder erläuterte der Kläger sowohl die Position der Kutsche, als auch die des Hundes. Auf dem Lichtbild Nr. 1 ist ein Hufabdruck zu sehen, der die Position der Kutsche angibt. Der Kläger erläutert, dass der Hund in unmittelbarer Nähe plötzlich erschien.
Bestätigt wird die Schilderung des Klägers durch den vernommenen Zeugen …. Auch dieser gab an, dass der Hund plötzlich rechts an der Naturkante war und die Pferde nach links ausgewichen sind. Soweit er im Gegensatz zum Kläger auch noch von einem zweiten Hund spricht, steht dies nicht im Widerspruchs zur Aussage des Klägers Der Kläger gab überzeugend an, dass er nachdem er den Hund gesehen habe, nicht weiter auf den Hund achten konnte, weil er dann aus der Kutsche geflogen ist.
Auch der Zeuge … schildert, dass der Kläger aus der Kutsche hinauskatapultiert wurde und er selbst unter der Kutsche eingeklemmt wurde.
Die Schilderungen des Zeugen und des Klägers im Hinblick auf das Geschehen nach dem Vorfall weichen teilweise voneinander ab. Beispielsweise gibt der Kläger an, die Beklagte sei dann zur Unfallstelle gekommen, der Zeuge hingegen erinnert sich daran, dass der Kläger mit einem der Pferde die in einiger Entfernung stehende Beklagte aufsuchte.
Die abweichenden Schilderungen sind jedoch zwanglos damit zu erklären, dass der Kläger und der Zeuge ein emotional aufwühlendes Geschehen erlebt hatten. Die Abweichungen zwischen ihren Schilderungen halten sich im Rahmen dessen, was man in dieser Situation als nachvollziehbar ansehen kann. Die Tatsache, dass sie ihre Aussagen offensichtlich vor der Verhandlung nicht abgesprochen hatten, spricht vielmehr für die Glaubwürdigkeit des Klägers und des Zeugen ….
Die Angaben der Beklagten überzeugen das Gericht hingehen nicht. Sie trug im Rahmen der informatorischen Anhörung vor, ihr Hund … sei während des Vorfalls nicht mehr als 3-4 Meter von ihr entfernt gewesen. In Richtung der Kuppe sei ihr Hund nicht gelaufen. Von der Unfallstelle sei sie und damit auch ihr Hund sehr weit entfernt gewesen. Auf den Vorfall sei sie erst durch ein Scheppern hinter ihrem Rücken aufmerksam geworden, sie sei dann sofort zur Unfallstelle gegangen, um Hilfe anzubieten. Sie habe ihren Hund während des ganzen Vorgangs nicht aus den Augen verloren. Die Beklagte veranschaulichte ihre Schilderungen durch das Lichtbild Nr. 5, das ihre Entfernung zu der Unfallstelle zeigt
Aus Sicht des Gerichts sind die Angaben der Beklagten nicht überzeugend. Die Schilderung, dass sowohl sie, als auch ihr Hund im Zeitpunkt des Vorfalls sehr weit von der Unfallstelle entfernt gewesen seien, ist nicht glaubhaft. Insbesondere schilderten der Kläger und der Zeuge übereinstimmend, dass sie den Hund in unmittelbarer Nähe zu der Kutsche sahen Zudem erklärt die Beklagte selbst, dass sie im Spiel mit ihrem Hund war. Dies ist stets ein dynamisches Geschehen, so dass es aus Sicht des Gerichts ohne weiteres möglich ist, dass der Hund – möglicherweise kurz unbeachtet von der Beklagten – auf die Kuppe zugelaufen ist.
3. Tierhalter
Unstreitig war die Beklagte im Zeitpunkt des Vorfalls die Halterin des Hundes ….
4. Mitverursachung des Schadens durch die Pferde des Klägers
Der Kläger muss sich gemäß § 254 BGB ein hälftiges Mitverschulden an dem Vorfall haftungsmindernd zurechnen lassen. Bei der Bestimmung der Haftungsquoten kommt es auf die Gefahrenpotentiale der beteiligten Tiere sowie darauf an, in welchem Umfang sich diese Potentiale jeweils in dem Schadensereignis verwirklicht haben. Der Grundsatz, dass die auf Seiten des Geschädigten mitwirkende Sach- und Betriebsgefahr den Ersatzanspruch beschränkt, gilt auch für die Tierhalterhaftung. Die Tiergefahr des Pferdes wiegt mindestens gleich hoch, wie die des Hundes. Bei Pferden ergibt sich die Gefahr aus der Unberechenbarkeit ihres tierischen Verhaltens.
Diese Tiergefahr der Pferde hat sich in dem streitgegenständlichen Vorfall auch verwirklicht Ausfluss des unberechenbaren tierischen Verhaltens ist es, dass sie aufgrund eines Schreckmoments scheuen und dadurch Verletzungen und Schäden verursachen. Diese Gefahr muss sich der Kläger anrechnen lassen (vgl. OLG Rostock NJW-RR 2011, 820). Eine hälftige Haftungsverteilung erscheint vorliegend angemessen. Somit sind waren die Ansprüche des Klägers jeweils hälftig zu kürzen.
5. Der Kläger hat auch Anspruch auf Feststellung, dass die Beklagte ersatzpflichtig für die Hälfte des Schadens ist, der an den Pferden durch den Vorfall entstanden ist. Es ist ohne weiteres nachvollziehbar, dass die Schadensentwicklung bei den Pferden bislang nicht abgeschlossen ist Ein Feststellungsinteresse gemäß § 256 ZPO besteht.
6. Der Ersatzanspruch bezüglich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten beläuft sich auf 413,46 €.
Der Geschädigte hat einen Anspruch auf Ersatz der Kosten für den mit der Schadensregulierung beauftragten Rechtsanwalt. Es handelt sich hierbei um adäquate Folgekosten des Sachschadens. Erforderlich sind die nach dem Urteil begründeten Forderungen.
Demzufolge beläuft sich der anzusetzende Streitwert auf 3.070 €. Der Kläger hat einen Anspruch auf Ersatz der Kosten für den mit der Geltendmachung des Anspruchs beauftragten Rechtsanwalt. Ersatzfähig sind die erforderlichen Kosten der Rechtsverfolgung, somit die Kosten, die zur Durchsetzung der nach dem Urteil begründeten Forderungen erforderlich sind.
Eine 1,3 Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV) aus einem Streitwert von 3.070 € beträgt danach 327,60 €. Zuzüglich Auslagenpauschale in Höhe von 20 € (Nr. 7002 VV) und Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV, 19 %) ergibt sich ein erstattungsfähiger Betrag von 413,64 €.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO und folgt dem Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen der Parteien hinsichtlich der Hauptsache. Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

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