Zivil- und Zivilprozessrecht

Nichtzulassungsbeschwerde: Berücksichtigung einer Klageerweiterung im Berufungsverfahren

Aktenzeichen  III ZR 242/20

Datum:
3.2.2022
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2022:030222BIIIZR242.20.0
Normen:
Art 103 Abs 1 GG
§ 524 Abs 2 S 2 ZPO
§ 524 Abs 2 S 3 ZPO
Spruchkörper:
3. Zivilsenat

Verfahrensgang

vorgehend BGH, 15. Juli 2021, Az: III ZR 242/20, Beschlussvorgehend OLG Köln, 27. August 2020, Az: 12 U 174/19, Urteilvorgehend LG Bonn, 4. November 2019, Az: 17 O 76/19

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird die Revision gegen das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 27. August 2020 zugelassen, soweit über die Hilfsanträge zu 2 a und b nicht entschieden worden ist.
Das Urteil wird insoweit gemäß § 544 Abs. 9 ZPO aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen.
Die Entscheidung über die Kosten des dritten Rechtszugs bleibt dem Berufungsgericht vorbehalten.
Streitwert: bis 80.000 €.

Gründe

I.
1
Der Kläger beansprucht – in dritter Instanz nur noch – von der Beklagten zu 2 Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Porsche Macan Diesel V6 EU6 (3,0 l).
2
Der Kläger kaufte am 16. Dezember 2013 bei der früheren Beklagten zu 1 das vorstehend bezeichnete von der Beklagten zu 2 hergestellte Fahrzeug zum Preis von 81.397,14 €. Der Wagen wurde am 24. April 2014 an ihn ausgeliefert. Den darin eingebauten Motor hatte die Beklagte zu 2 nicht selbst entwickelt, sondern von ihrem Schwesterunternehmen, der Audi AG, dazu gekauft. Die Parteien streiten darüber, ob das Fahrzeug vom sogenannten “Dieselskandal” betroffen ist.
3
Das Landgericht hat der Klage, soweit sie auf Feststellung einer Schadensersatzpflicht der Beklagten zu 2 gerichtet war, teilweise stattgegeben und sie im Übrigen – in Bezug auf einen beide damalige Beklagte betreffenden Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten sowie wegen der weiteren gegenüber der Beklagten zu 1 geltend gemachten Ansprüche – abgewiesen. Gegen dieses Urteil haben sowohl der Kläger als auch die Beklagte zu 2 im Umfang ihrer jeweiligen Beschwer Berufung eingelegt. Innerhalb der ihm nach Eingang der Rechtsmittelbegründung des Gegners gesetzten Frist zur schriftlichen Berufungserwiderung hat der Kläger keine Anschlussberufung eingelegt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung über die Berufungen hat der Berufungssenat unter anderem auf Bedenken gegen die Zulässigkeit des gegen die Beklagte zu 2 gerichteten Feststellungsantrags hingewiesen, eine Korrektur aber wegen der mittlerweile verstrichenen Frist zur Anschließung an die Berufung der Beklagten zu 2 für nicht mehr möglich erachtet. Mit auf diesen Hinweis nachgelassenem Schriftsatz vom 23. Juli 2020 hat der Kläger hilfsweise einen auf Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs gerichteten Hilfsantrag angekündigt und – weiter hilfsweise – ergänzend die Feststellung der Schadensersatzpflicht für darüber hinausgehende Schäden begehrt.
4
Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen sowie auf die Berufung der Beklagten zu 2 das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es – soweit von Interesse – ausgeführt, der Feststellungsantrag des Klägers gegen die Beklagte zu 2 sei aus verschiedenen Gründen unzulässig. Über seine Hilfsanträge sei nicht zu entscheiden, weil sie nicht innerhalb der Anschlussberufungsfrist eingegangen seien. Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß § 156 ZPO sei nicht geboten.
II.
5
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg, soweit das Berufungsgericht über die Hilfsanträge des Klägers nicht entschieden hat. In diesem Umfang ist das angegriffene Urteil gemäß § 544 Abs. 9 ZPO aufzuheben und der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Im Übrigen ist die Nichtzulassungsbeschwerde unbegründet.
6
1. Das Oberlandesgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, indem es nach dessen Ankündigung in dem nachgelassenen Schriftsatz vom 23. Juli 2020, zwei weitere auf Leistung und ergänzende Feststellung gerichtete Hilfsanträge stellen zu wollen, die mündliche Verhandlung nicht gemäß § 156 Abs. 2 ZPO wiedereröffnet hat oder gemäß § 128 Abs. 2 ZPO ins schriftliche Verfahren übergegangen ist und deswegen die Hilfsanträge nicht mehr berücksichtigt hat. Zu Unrecht hat es die Hilfsanträge wegen Versäumung der Frist zur Anschlussberufung (§ 524 Abs. 2 Sätze 2 und 3 ZPO) für unzulässig gehalten.
7
2. Das Berufungsurteil beruht auf dieser Gehörsverletzung. Denn es ist nicht auszuschließen, dass der Kläger mit den hilfsweise angekündigten Anträgen zumindest teilweise Erfolg gehabt hätte.
8
a) Die Anträge waren nicht aus prozessualen Gründen unbeachtlich. Der Einlegung einer Anschlussberufung bedurfte es für die vom Kläger mit dem Hilfsantrag vorgenommene Klageerweiterung nicht. Es kommt daher nicht darauf an, dass die Frist zur Einlegung und Begründung der Anschlussberufung bei Eingang des Schriftsatzes vom 23. Juli 2020 bereits verstrichen war. Der Kläger hatte vielmehr eine selbständige Berufung eingelegt. Dies ermöglichte es ihm, ohne Anschlussberufung und Einhaltung der für diese geltenden Frist (§ 524 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 ZPO) seine ursprünglichen Anträge durch den hilfsweisen Übergang von der (positiven) Feststellungsklage zur Leistungsklage (nebst ergänzender Feststellung) zu erweitern (§ 264 Nr. 2 ZPO; vgl. zB BGH, Urteil vom 3. Juli 2018 – XI ZR 572/16, BKR 2018, 470 Rn. 17).
9
Eine solche Klageerweiterung setzt voraus, dass die in erster Instanz teilweise erfolgreiche – aber anderweitig beschwerte – Partei entweder selbst Berufung eingelegt hat und ihren Rechtsmittelangriff noch erweitern oder noch zulässig Anschlussberufung einlegen kann (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 2018 aaO).
10
Der Kläger hatte in erster Instanz mit seinem gegen die Beklagte zu 2 gerichteten positiven Feststellungsbegehren zwar Erfolg, war aber mit dem weiteren Antrag auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten unterlegen und daher insoweit durch das landgerichtliche Urteil auch in Bezug auf die Beklagte zu 2 beschwert. Im Umfang dieser Beschwer hat er zulässig Berufung eingelegt. Der Kläger hat sich daher – was das Berufungsgericht übersehen hat – nicht darauf beschränkt, das erstinstanzliche Urteil gegen den Berufungsangriff der Beklagten zu 2 zu verteidigen, was dann, wenn er die Grenzen des Rechtsstreits neu bestimmen und zum Beispiel die Klage erweitern will, die (rechtzeitige) Einlegung einer Anschlussberufung erfordert (vgl. dazu BGH aaO sowie Urteil vom 7. Mai 2015 – VII ZR 145/12, NJW 2015, 2812 Rn. 27 ff). Er hat vielmehr ein eigenes (selbständiges) Rechtsmittel gegen die Beklagte zu 2 erhoben. Nach allgemeinen Grundsätzen darf der Rechtsmittelführer, wenn er beschwert ist, das danach zulässige Rechtsmittel zur Erweiterung der Klage benutzen. Einem Kläger, der mit einem von zwei Sachanträgen voll obsiegt hat und mit dem anderen unterlegen ist, ist wegen der in der Abweichung liegenden Beschwer die Berufungsinstanz eröffnet, dies zwar nur zu dem Zweck, um sich gegen die Abweisung zu wehren, aber mit der Folge, dass er auch den zuerkannten Anspruch erweitern kann (BGH, Urteil vom 20. Oktober 1982 – IVb ZR 318/81, BGHZ 85, 140, 143). Für die Klageerweiterung in zweiter Instanz gilt § 520 ZPO nicht, weshalb sie nicht an die Begründungsfrist gebunden ist (vgl. BGH, Urteile vom 25. November 1993 – IX ZR 51/93, NJW 1994, 944, 945 und vom 24. Februar 1988 – IVb ZR 45/87, NJW-RR 1988, 1465, 1466; MüKoZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl., § 520 Rn. 40; Zöller/Heßler, ZPO, 34. Aufl., § 520 Rn. 17).
11
b) Dementsprechend hätte der Kläger die Hilfsanträge bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung einführen können (vgl. zB BGH, Beschluss vom 19. März 2009 – IX ZB 152/08, NJW-RR 2009, 853 Rn. 8). Dass er dies nicht getan, sondern sie erst mit dem nachgelassenen Schriftsatz vom 23. Juli 2020 angekündigt hat, ist in der vorliegenden Konstellation unschädlich.
12
Das Oberlandesgericht hat erstmals in der mündlichen Verhandlung gemäß § 139 Abs. 3 ZPO darauf hingewiesen, dass es die Feststellungsklage entgegen der Auffassung des Erstgerichts für unzulässig halte. Zu diesem Zeitpunkt wäre es dem Kläger noch möglich gewesen, die Berufung durch den später gestellten Hilfsantrag zu erweitern (vgl. o.). Der Berufungssenat hat jedoch gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, dass eine vor dem Hintergrund seiner Hinweise denkbare Umstellung des Klageantrags von einem Feststellungs- in einen Leistungsantrag wegen der versäumten Frist zur Anschlussberufung nach seiner (vorläufigen) Einschätzung der Rechtslage zwecklos sei. Es ist nicht auszuschließen, dass dieser – insoweit unzutreffende – Hinweis den Kläger davon abgehalten hat, rechtzeitig zu reagieren und seinen ursprünglichen Antrag (zumindest hilfsweise) noch vor Schluss der mündlichen Verhandlung zu erweitern.
13
Nach Eingang des dem Kläger zu den erteilten Hinweisen nachgelassenen Schriftsatzes vom 23. Juli 2020 hätte das Berufungsgericht seinen Fehler daher ausräumen und ihm Gelegenheit geben müssen, die darin enthaltenen nicht mehr rechtzeitigen (vgl. § 256 Abs. 2, § 261 Abs. 2, § 297 ZPO sowie BGH, Beschluss vom 19. März 2009 aaO) Hilfsanträge zur Wahrung seines rechtlichen Gehörs wirksam zu stellen. Dazu hätte es die Verhandlung wiedereröffnen oder ins schriftliche Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO übergehen müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Januar 2020 – VI ZR 346/18, NJW-RR 2020, 574 Rn. 9).
14
3. Im Übrigen ist die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.
Herrmann     
        
     Reiter     
        
Arend 
        
Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Böttcherhat an der dem Beschluss zugrundeliegendenBeratung per Videokonferenz teilgenommen.Sie ist infolge Ortsabwesenheit gehindert zuunterschreiben.
        
        
        
        
Herrmann
        
Herr     
        


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