Zivil- und Zivilprozessrecht

Tatsachenermittlung durch Sachverständigen

Aktenzeichen  1 U 80/18

Datum:
8.11.2018
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 52381
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 404a Abs. 4
BGB § 280 Abs. 1

 

Leitsatz

Fehlt dem Gericht die Sachkunde, so kann es gemäß § 404a Abs. 4 ZPO ausnahmsweise dem Sachverständigen, aufgrund der, bei ihm vorliegenden, besonderen Sachkunde, die Tatsachenfeststellung im Beweisbeschluss übertragen. Dabei ist anzugeben, in welchem Umfang der Sachverständige zur Aufklärung der Beweisfrage befugt ist.  (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

1 U 80/18 2018-09-20 Hinweisbeschluss OLGBAMBERG OLG Bamberg

Tenor

1. Die Berufungen der Klägerin und der Beklagten zu 1) gegen das Grund- und Teilurteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 19.03.2018 (Az.: 14 O 145/14) werden zurückgewiesen.
2. Die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin und die Beklagte zu 1) je zur Hälfte. Die Klägerin trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1); im Übrigen trägt die Beklagte zu 1) ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2) trägt die Klägerin. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen die Klägerin und die Beklagte zu 1) je zur Hälfte.
3. Das in Ziffer 1) genannte Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 19.03.2018 ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung seitens des Beklagten zu 2) durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zu 2) vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 1.620.540,16 € festgesetzt.

Gründe

Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 19.03.2018 Bezug genommen.
Im Berufungsverfahren beantragt die Klägerin:
Unter Abänderung des am 19.12.2018 verkündeten Grund- und Teilurteils des Landgerichts Aschaffenburg, Az.: 14 O 145/14, den Beklagten zu 2) neben der Beklagten zu 1) als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 1.620.540,16 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Hilfsweise:
den Beklagten zu 2) neben der Beklagten zu 1) als Gesamtschuldner zu verurteilen, der Klägerin dem Grunde nach den Schaden vollständig zu ersetzen, den diese als Ertragsausfall- und Inhaltsversicherer der Firma X. GmbH und als Gebäudeversicherer der Z. GmbH & Co. KG diesen beiden Gesellschaften aufgrund des Schadensereignisses vom 23.12.2012 zahlen musste, soweit die entsprechenden Schadensersatzansprüche nach § 86 VVG auf die Klägerin übergegangen sind;
die Sache auch zur Entscheidung über den Betrag an das Landgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte zu 1) beantragt,
die Klage abzuweisen, hilfsweise: die Sache zur erforderlichen weiteren Beweisaufnahme an das LG Aschaffenburg zurückzuverweisen.
Hinsichtlich der Angriffe der Klägerin im Berufungsverfahren wird vollumfänglich Bezug genommen auf die Berufungsbegründung vom 27.06.2018 (Blatt 733-737 d.A.)
Hinsichtlich der Angriffe der Beklagten zu 1) im Berufungsverfahren wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründungen vom 28.06.2018 (Blatt 743-747 d.A.) und vom 12.07.2018 (787-789 d.A.).
Die Berufungen der Klägerin und der Beklagten zu 1) gegen das Grund- und Teilurteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 19.03.2018 (Az.: 14 O 145/14) waren gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats die Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg haben, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 20.09.2018 (Blatt 822-834 d.A.) Bezug genommen.
Die Ausführungen im Schriftsatz der Klägervertreter vom 26.10.2018 (Blatt 843-845 d.A.) und der Rechtsanwälte der Beklagten zu 1) im Schriftsatz vom 01.11.2018 (Blatt 852-857 d.A.) geben keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung.
Die Klägerin bittet um Prüfung und Mitteilung, ob der Senat auch die weiteren Pflichtverletzungen des Beklagten zu 2) bei seinen Überlegungen berücksichtigt habe, die für den Schadenseintritt ebenfalls mitursächlich gewesen seien:
– der Beklagte zu 2) habe die mechanischen Ventile an den Wandhydranten verschließen müssen;
– die Wartung der elektrischen Entleerungsventile sei von dem Beklagten zu 2) unterlassen worden, was nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. S. nach den anerkannten Regeln der Technik notwendig gewesen sei;
– Die Kausalität dieser mitursächlichen Pflichtverletzungen des Beklagten zu 2) sei nicht dadurch unterbrochen worden, dass von einem anderen Mitarbeiter der Beklagten zu 1) am 18.05.2018 die Notakkus nachgeliefert und fehlerhaft angeschlossen worden seien.
Dem kann nicht gefolgt werden. Ein etwaiges Fehlverhalten des Beklagten zu 2) war nicht schadensursächlich. Es ist zwar richtig, dass der Sachverständige Dr. S. bei seiner Anhörung im Termin vom 09.10.2018 ausgeführt hat:
„Wenn die Akkus für eine längere Zeit entfernt worden wären, weil sie etwa nicht in Ordnung sind und derjenige, der sie wartet, keine dabei hätte, dann hätte er die mechanischen Ventile schließen sollen. Wenn er die Akkus dann wieder angeklemmt hätte, hätte er das mechanische Ventil öffnen müssen, allerdings wäre es dann auch erforderlich gewesen, an diesem Punkt nochmals alle Ventile zu überprüfen“ (Seite 4 des Protokolls vom 09.10.2017).
Pflichtverletzungen des Beklagten zu 2), der die Wartung am 13.04.2012 durchgeführt hat, sind für den Schaden nicht ursächlich geworden. Ursächlich für den Schaden war nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. die unterlassene Funktionsprüfung der neu eingesetzten Akkus durch den Zeugen N. bei dem zweiten Wartungstermin am 18.05.2012. Der Umstand, dass der Beklagte zu 2) die mechanischen Ventile am 13.04.2012 nicht verschlossen hat und am 13.04.2012 darüber hinaus die Wartung der elektrischen Ventile unterlassen hat, wäre dann schadensursächlich geworden, wenn der Schaden im Zeitraum nach dem 13.04.2012 und vor der Wartung durch den Zeugen N. am 18.05.2012 eingetreten wäre. Der Schaden ist hier jedoch erst nach dem zweiten Wartungstermin vom 18.05.2012 am 23.12.2012 eingetreten und zwar deshalb, weil der Zeuge N. die am 18.05.2012 neu eingesetzten Akkus nicht auf ihre Funktionsfähigkeit hin überprüft hat und diese am Schadenstag demzufolge außer Funktion waren. Dass eine Wartung der mechanischen Ventile am 13.04.2012 nicht stattgefunden hat, mag einen Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Technik darstellen; dieser war aber im konkreten Fall nicht schadensursächlich. Der Sachverständige Dr. S. hat bei seiner Vernehmung im Termin vom 09.10.2017 ausgeführt, dass die Ventile, wenn die Akkus ausgetauscht wurden und wieder eingefügt wurden, erneut hätten überprüft werden müssen (Seite 7 des Protokolls vom 09.10.2017). Somit hat sich auch insoweit eine Pflichtverletzung des Beklagten zu 2) am 13.04.2012 nicht ausgewirkt, denn die Ventile hätten am 18.05.2012 nach dem Austausch der Akkus durch den Zeugen N. erneut überprüft werden müssen. Schadensursächlich war die unterlassene Funktionsprüfung der neu eingesetzten Akkus am 18.05.2012 durch den Zeugen N., was dazu führte, dass am Schadenstag die Akkus funktionsunfähig waren und die Magnetventile nicht geschlossen wurden. Pflichtverletzungen des Beklagten zu 2) am 13.04.2012 sind für den Schaden hingegen nicht ursächlich geworden.
Das Vorbringen der Beklagten zu 1) im Schriftsatz vom 02.11.2018 führt ebenfalls nicht zu einer anderen Beurteilung. Die Beklagte zu 1) wendet sich insoweit gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts. Die Ausführungen im Schriftsatz vom 02.11.2018 begründen jedoch keine Zweifel an der Richtigkeit der vom Landgericht festgestellten Tatsachen. Insbesondere hat das Landgericht nicht gegen die Gesetze der Denklogik verstoßen.
Die Beklagte zu 1) rügt, das Landgericht gehe in der Urteilsbegründung fälschlich davon aus, dass das Magnetventil laut Darstellung in der Klageschrift so konstruiert sei, dass es bei Stromlosstellung geöffnet sei. Dies sei unrichtig. Das Magnetventil sei nach Aussage des Zeugen L. ohne Spannung geschlossen, weil dies bei diesen Anlagen immer so sei. Anderenfalls hätte bei Beendigung des Stromausfalles kein Wasser mehr austreten dürfen. Nach der Beendigung des Stromausfalles sei aber weiter Wasser ausgetreten, was sich aus den Angaben des Zeugen E. ergebe.
Dem kann nicht gefolgt werden. Das Landgericht hat seiner Entscheidung nicht die in der Klageschrift (Seite 4) dargestellte Funktionsweise der Anlage zugrunde gelegt. Das Landgericht hat auf Seite 8 der Entscheidungsgründe zu der Darstellung in der Klageschrift und der anschließenden Änderung des Klagevortrages zum Schadenshergang Ausführungen gemacht.
Das Landgericht kam hierbei zu dem Ergebnis, dass die Frage, ob die Magnetventile stromlos geöffnet oder geschlossen sind, einen technischen Nebenaspekt betreffe, der den Kern des Sachverhalts nicht treffe (Seite 8 der Entscheidungsgründe unter 2.). Die Angaben des Zeugen L. zur Frage, ob die Ventile stromlos offen oder geschlossen sind, ist für die Entscheidung daher irrelevant, denn für den Schadenshergang kam es darauf nicht entscheidend an.
Das Landgericht hat seiner Entscheidung vielmehr die vom Sachverständigen Dr. S. geschilderte Funktionsweise der Anlage und den vom Sachverständigen ermittelten Schadenshergang zugrunde gelegt (Seite 9 der Entscheidungsgründe). Der Schadenshergang wurde vom Sachverständigen Dr. S. nachvollziehbar dargestellt. Danach kam es nach dem Stromausfall zu einer Überspannung der Steuerungsplatine, was zu einem Kurzschluss führte, so dass die Druckerhöhungspumpe gestartet wurde. Dadurch wurde Wasser gegen die Magnetventile gedrückt, die jedoch wegen der nicht vorhandenen Akkus nicht geschlossen gehalten wurden. Wenn die Magnetventile geschlossen gewesen wären, wäre die Pumpe zwar angesprungen, es hätte jedoch kein Wasser austreten können.
Die Möglichkeit, dass die Steuerung der gesamten Anlage versagt hat, hat der Sachverständige als äußerst gering eingeschätzt (Seite 6 des Protokolls vom 09.10.2017).
Aus den Angaben des Zeugen F., der verschmorte Kabel und deine defekte Batterie gesehen hat, ergibt sich nicht die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Hergangs. Der Sachverständige Dr. S. war bei den Zeugenvernehmungen dabei und hat die Angaben der Zeugen bei der Erstattung seines Gutachtens berücksichtigt.
Die Rüge, das Gericht habe dem Sachverständigen entgegen § 404 a ZPO nicht die Anknüpfungstatsachen für sein Gutachten vorgegeben, kann nicht gefolgt werden. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 27.07.2015 (Seite 10 ff. des Protokolls vom 27.07.2015 = Blatt 317 ff. d.A.) die Erholung des Gutachtens und zugleich Zeugenvernehmungen angeordnet. Der Sachverständige hat gemäß den Vorgaben des Landgerichts im Beweisbeschluss an den Zeugenvernehmungen teilgenommen; ihm wurde im Beweisbeschluss gestattet, eigene Fragen an die Zeugen zu stellen. Der Sachverständige hat seinem Gutachten, wie vom Gericht im Beweisbeschluss vorgegeben, das Ergebnis der Zeugenvernehmungen zugrunde gelegt.
Diese Form der Tatsachenermittlung genügt den Anforderungen des § 404 a ZPO. Die Beklagte zu 1) führt auf Seite 4 des Schriftsatzes vom 02.11.2018 zu Recht aus, dass eine Übertragung der Tatsachenfeststellungen auf den Sachverständigen ausnahmsweise zulässig ist, wenn aufgrund fehlender Sachkunde des Gerichts hierzu die besondere Sachkunde des Sachverständigen in Anspruch genommen werden muss. Dieser Fall liegt hier vor, denn es war hier ein technischer Sachverhalt zu beurteilen, für den eine besondere Sachkunde erforderlich war. Die Übertragung der Tatsachenfeststellungen auf den Sachverständigen kann im Beweisbeschluss geschehen (Zöller, ZPO, 32. Aufl., § 404 a Rdnr. 5). Die Anknüpfungstatsachen wurden dem Sachverständigen insoweit im Beweisbeschluss vorgegeben, als er die in Gegenwart des Sachverständigen vorzunehmenden Zeugenvernehmungen seinem Gutachten zugrunde legen sollte. Dieses Vorgehen ist nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat in dem Beweisbeschluss vom 27.07.2015 (Seite 10 ff. des Protokolls vom 27.07.2015 = Blatt 317 ff. d.A.) von seiner Befugnis nach § 404 a Abs. 4 ZPO Gebrauch gemacht, zu bestimmen, in welchem Umfang der Sachverständige zur Aufklärung der Beweisfrage befugt ist. Dies war in Anbetracht des zur Aufklärung des Schadenshergangs erforderlichen technischen Sachverstands sachgerecht.
Die Beklagte zu 1) weist in ihrem Schriftsatz vom 02.11.2018 zu Recht darauf hin, dass der Sachverständige bei seinen Feststellungen nach § 404 a Abs. 4 ZPO die Beweislast beachten muss (Zöller, ZPO, 32. Aufl. § 404 a ZPO Rdnr. 5 am Ende). Der Sachverständige hat jedoch nicht verkannt, dass die Klägerin die Beweislast trägt. Die Ursache des Schadens konnte durch das schriftliche Gutachten vom 25.01.2017 (Blatt 552 ff. d.A.) und die mündliche Anhörung des Sachverständigen im Termin vor dem Landgericht Aschaffenburg vom 09.10.2017 positiv geklärt werden, es verblieben keine Zweifel, die zu Lasten der beweispflichtigen Klägerin gegangen wären. Auch das Landgericht ist in seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass die Beweislast bei der Klägerin liegt. Nach der umfassenden Beweisaufnahme und der Beweiswürdigung des Landgerichts hat die Klägerin den ihr obliegenden Beweis einer schuldhaften Pflichtverletzung im Sinne des § 280 Abs. 1 BGB geführt.
Aus diesen Gründen waren die beiderseitigen Berufungen als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO.
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens war gemäß §§ 47 Abs. 1 GKG, 3 ZPO auf 1.620.540,16 € festzusetzen.


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