Kosten- und Gebührenrecht

Einstellung aufgrund übereinstimmender Erledigungserklärungen

Aktenzeichen  19 CE 20.2626

Datum:
22.3.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 5689
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 92 Abs. 3, § 155 Abs. 2

 

Leitsatz

Wer die Bereitschaft zur freiwilligen Rückkehr in sein Heimatland erklärt, gibt zu erkennen, dass er sein (ursprüngliches) Verfahrensinteresse nicht weiter verfolgt, was eine Kostentragungspflicht der gesetzlichen Wertung in § 155 Abs. 2 VwGO entsprechend rechtfertigen kann. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 5 E 20.2231 2020-10-26 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt.
II. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 26. Oktober 2020 wird in den Nrn. 1. und 2. für unwirksam erklärt.
III. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen hat die Antragstellerin zu tragen.
IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Aufgrund der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten (nach Eheschließung der Antragstellerin und erklärter Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise zum Zwecke der Nachholung des Visumverfahrens mit Vorabzustimmung des Antragsgegners zur Visumerteilung) ist das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen und der Beschluss des Verwaltungsgerichts für wirkungslos zu erklären (§ 173 VwGO, § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO).
Über die Kosten des Verfahrens ist gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands zu entscheiden. In der Regel entspricht es billigem Ermessen, gemäß dem Grundsatz des § 154 Abs. 1 VwGO dem Beteiligten die Verfahrenskosten aufzuerlegen, der ohne die Erledigung in dem Rechtsstreit voraussichtlich unterlegen wäre. Der in § 161 Abs. 2 VwGO zum Ausdruck kommende Grundsatz der Prozesswirtschaftlichkeit befreit jedoch nach Erledigung des Verfahrens in der Hauptsache das Gericht von dem Gebot, anhand eingehender Erwägungen abschließend über den Streitstoff zu entscheiden (vgl. BVerwG, B.v. 24.6.2008 – 3 C 5/07 -, juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 24.6.2016 – 20 B 16.1178 – juris Rn. 2). Denn die zu treffende Kostenentscheidung gemäß § 161 Abs. 2 VwGO ist nicht dazu bestimmt, trotz eingetretener Erledigung Fragen von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung „durchzuentscheiden“ (vgl. BVerwG, B.v. 16.10.2012 – 2 B 7/12 – juris Rn. 5).
Bisheriger Sach- und Streitstand meint den Sachverhalt und die Rechtslage, die im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses bestanden. Der Rechtsschutzsuchende, der aus dem nachträglich eingetretenen Ereignis die prozessuale Konsequenz der Erledigungserklärung gezogen hat, soll die Verfahrenskosten nicht tragen müssen, wenn er nur durch das erledigende Ereignis um den Erfolg seiner Klage bzw. seines Eilantrags gebracht worden ist. Andererseits widerspräche es der Billigkeit, dem Antragsgegner die Verfahrenskosten aufzuerlegen, wenn die Behörde mit einer Abhilfeentscheidung auf eine später eingetretene Tatsachen- oder Rechtsänderung reagiert. Nur wenn die Behörde trotz im Wesentlichen unveränderter Sach- und Rechtslage erkennbar ihren Rechtsstandpunkt aufgibt und dem Rechtsschutzbegehren abhilft, veranlasst dies eine entsprechende Kostentragungspflicht (vgl. Clausing in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand 7/2020, § 161 Rn. 24 m.w.N.). Hat jedoch ein Verfahrensbeteiligter die Erledigung durch eigenen Willensentschluss veranlasst und sich in die Rolle des Unterlegenen begeben, so rechtfertigt dies regelmäßig die Belastung mit den Verfahrenskosten (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.1991 – 7 C 16/89 – NVwZ 1992, 787/788). Wer die Bereitschaft zur freiwilligen Rückkehr in sein Heimatland erklärt, gibt zu erkennen, dass er sein (ursprüngliches) Verfahrensinteresse nicht weiter verfolgt, was eine Kostentragungspflicht der gesetzlichen Wertung in § 155 Abs. 2 VwGO entsprechend rechtfertigen kann (vgl. BayVGH, B.v. 25.9.2017 – 21 ZB 16.30420 – juris Rn. 2).
Nach diesen Grundsätzen entspricht es vorliegend billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens der Antragstellerin aufzuerlegen. Durch ihre nunmehr erklärte Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise und Nachholung des Visumverfahrens gegen Vorabzustimmung des Antragsgegners hierzu hat die Antragstellerin deutlich gemacht, ihr Rechtsschutzbegehren nach einem geduldeten Aufenthalt nicht weiterzuverfolgen. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist mit einer Vorabzustimmung des Antragsgegners zur Visumerteilung nach § 31 Abs. 3 AufenthV keine Klaglosstellung der Antragstellerin unter Aufgabe des bisherigen Rechtsstandpunktes der Behörde verbunden. Die Vorabzustimmung resultiert vielmehr aus der geänderten Sach- und Rechtslage im Hinblick auf die zwischenzeitlich erfolgte Eheschließung der Antragstellerin mit einem deutschen Staatsangehörigen. Aus der Vorabzustimmung zur Visumerteilung ergibt sich auch kein Duldungsanspruch der Antragstellerin nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Wegen der Zumutbarkeit der Nachholung eines Visumverfahrens und der damit verbundenen kurzzeitigen Trennung der ehelichen Lebensgemeinschaft hat sich die Abschiebung der Antragstellerin zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses nicht aus rechtlichen Gründen (Art. 6 Abs. 1 GG) als unmöglich erwiesen. Es entspricht daher billigem Ermessen, der Antragstellerin die Kosten aufzuerlegen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 1 GKG, wobei im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Hälfte des Streitwerts im Hauptsacheverfahren anzusetzen ist (vgl. Nrn. 1.5, 8.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§§ 152 Abs. 1, 158 Abs. 1 VwGO; §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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