Familienrecht

Keine Sachverständigenablehnung wegen mangelhaftem Gutachten oder fehlender Sachkunde

Aktenzeichen  20 W 1420/20

Datum:
27.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 28138
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 406 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Nach § 406 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Ein Mangel an Sachkunde, Lücken, Unzulänglichkeiten oder Fehler im Gutachten entwerten dieses gegebenenfalls, rechtfertigen jedoch für sich allein regelmäßig nicht die Ablehnung des Sachverständigen wegen Befangenheit, denn derartige Mängel betreffen grundsätzlich nicht seine Unabhängigkeit. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

55 OH 42/20 2020-09-23 Bes LGLANDSHUT LG Landshut

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin zu 1) gegen den Beschluss des Landgerichts Landshut vom 23.09.2020, Az. 55 OH 42/20, wird zurückgewiesen.
2. Die Antragsgegnerin zu 1) trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.
Die Antragsgegnerin zu 1) wendet sich mit der sofortigen Beschwerde gegen die Zurückweisung ihres Befangenheitsgesuchs gegen den Sachverständigen im selbständigen Beweisverfahren.
Die Antragstellerin behauptet Mängel an einem von der Antragsgegnerin erworbenen Schwimmbecken (Wölbungen, Risse). Die Antragsgegnerin zu 1) stellt Mängel, die sie zu verantworten habe, in Abrede und behauptet, es habe sich das Baugrundrisiko verwirklicht, welches aber der Antragsteller trage.
Mit Beweisbeschluss vom 21.02.2020 wurde der Sachverständige Dipl.-Ing. H. H. mit der Erstellung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens beauftragt. Nach Durchführung eines Ortstermins, an dem für die Antragsgegnerin zu 1) niemand teilnahm, erstellte der Sachverständige unter dem 09.07.2020 sein Gutachten (Bl. 108/121 d.A.). Darin führte er auf Seite 10 u.a. aus „Da im Bereich des Beckens der Boden nach Auskunft des Antragstellers lehmig ist und deswegen das eingedrungene Wasser nicht versickern kann, füllt sich im Laufe der Zeit die ehemalige Baugrube mit Wasser“.
Die Antragsgegnerin zu 1) nahm dazu mit Schriftsatz vom 22.07.2020 Stellung, rügte die Mangelhaftigkeit des Gutachtens und lehnte den Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit ab (Bl. 127/129 d.A.). Das Ablehnungsgesuch wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Sachverständige ungeprüft Angaben des Antragstellers zur Bodenbeschaffenheit übernommen habe. Die Art der Tatsachenermittlung und -auswertung im Gutachten verursache „einen starken Eindruck der Befangenheit des Sachverständigen“.
Der Sachverständige nahm zu den Einwendungen mit Schreiben vom 17.08.2020 Stellung sowie zum Befangenheitsantrag mit Schreiben vom 22.08.2020. In letzterem führte er u.a. aus, dass sich die Bodenbeschaffenheit aus den Gerichtsakten ergebe, nicht aber aus den Auskünften des Antragstellers.
Mit Beschluss vom 23.09.2020 wies das Landgericht den Befangenheitsantrag der Antragstellerin zurück. Ob die Bodenbeschaffenheit streitig gewesen sei oder nicht, sei vom Sachverständigen nicht zweifelsfrei zu beantworten gewesen; der Beweisbeschluss enthalte dazu keine Angaben. Die Frage, ob hinsichtlich der Bodenbeschaffenheit weiterer Klärungsbedarf bestehe, sei kein Fall der Befangenheit des Sachverständigen. Soweit die Antragsgegnerin im Übrigen das Gutachten für fachlich mangelhaft halte, begründe das nicht die Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen. Einer mangelnden Sorgfalt des Sachverständigen seien im Übrigen beide Parteien in gleicher Weise ausgesetzt.
Gegen den am 25.09.2020 zugestellten Beschluss legte die Antragsgegnerin zu 1) mit Schriftsatz vom 05.10.2020, eingegangen per beA am selben Tage, sofortige Beschwerde ein. Die Entscheidung des Landgerichts sei falsch, denn dem Sachverständigen habe die Streitigkeit der Bodenbeschaffenheit bewusst sein müssen. Dass der Sachverständige in seiner Stellungnahme behaupte, die Bodenbeschaffenheit ergebe sich aus den Akten, nicht aber aus der Auskunft des Antragstellers, verstärke den Eindruck der Voreingenommenheit. Das Gutachten sei hastig und ohne vertiefte Sachbefassung erstellt. Die offensichtlichen Unzulänglichkeiten des Gutachtens könnten nicht im normalen Verfahrensweg aufgefangen werden.
Das Landgericht half der Beschwerde mit Beschluss vom 06.10.2020 nicht ab und verfügte die Vorlage der Akten an das Oberlandesgericht München zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde.
II.
1. Die sofortige Beschwerde ist statthaft, §§ 406 Abs. 5, 567 Abs. 1 Nr.1 ZPO, und auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist sie innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 569 Abs. 1 S.1 ZPO erhoben worden.
2. Zur Entscheidung über die Beschwerde ist gem. § 568 S.1 ZPO der Einzelrichter berufen, da die angefochtene Entscheidung durch die Einzelrichterin erlassen wurde.
3. In der Sache erweist sich die Beschwerde jedoch als unbegründet und die angefochtene Entscheidung des Landgerichts als richtig.
a) Nach § 406 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Für die Besorgnis der Befangenheit kommt es nicht darauf an, ob der vom Gericht beauftragte Sachverständige parteiisch ist oder ob das Gericht Zweifel an seiner Unparteilichkeit hat. Vielmehr rechtfertigt bereits der bei der ablehnenden Partei erweckte Anschein der Parteilichkeit die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, wenn vom Standpunkt der ablehnenden Partei aus genügend Gründe vorhanden sind, die in den Augen einer verständigen Partei geeignet sind, Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen zu erregen. Dieser Anschein muss sich auf Tatsachen oder Umstände gründen, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (vgl. BGH, Beschluss vom 11.6.2008, X ZR 124/06 = DS 2008, 266, beck-online). Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Sachverständige in näherer Beziehung zu einer der Parteien steht. Ein Mangel an Sachkunde, Lücken, Unzulänglichkeiten oder Fehler im Gutachten entwerten dieses gegebenenfalls, rechtfertigen jedoch für sich allein regelmäßig nicht die Ablehnung des Sachverständigen wegen Befangenheit (vgl. BGH Beschluss vom 5.11.2002, X ZR 178/01, BeckRS 2003, 94, beck-online). Denn derartige Mängel betreffen grundsätzlich nicht seine Unabhängigkeit (vgl. BGH, Beschluss v. 27. 9. 2011, X ZR 142/08 = NJW-RR 2011, 1555, beck-online).
b) Gemessen an diesen Maßstäben, liegen hier noch keine ausreichenden Umstände vor, die die Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen begründen.
aa) Zutreffend hat das Erstgericht ausgeführt, dass fachliche Mängel im Gutachten grundsätzlich nicht die Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen begründen. Zwar ist zweifelhaft, ob auch die Argumentation des Erstgerichts zutreffend ist, mangelnde Sorgfalt treffe ohnehin beide Parteien gleichermaßen, denn im vorliegenden Fall – fachliche Mängel des Gutachtens unterstellt – ist es nach dem Ergebnis des Gutachtens bzw. der ergänzenden Stellungnahme nicht fernliegend, dass sich die mangelnde Sorgfalt jedenfalls nicht zu Lasten des Antragstellers auswirken würde. Allerdings ist nicht erkennbar, dass diesem Gutachten Voreingenommenheit des Sachverständigen zugrunde liegt. So wurde im Gutachten deutlich gemacht, dass es hinsichtlich der Bodenbeschaffenheit auf Angaben des Antragstellers beruht und nicht auf eigenen Untersuchungen. Überdies ist in diesem Zusammenhang der Hinweis des Antragstellers zutreffend, dass bei dem Ortstermin kein Vertreter der Antragsgegnerin zu 1) anwesend war und die entsprechende Behauptung des Antragstellers vom Antragsgegner zu 2) nicht bestritten wurde. Hinzu kommt, dass dem Sachverständigen zum einen nicht vorgegeben wurde, von welchem Sachverhalt er insoweit auszugehen habe (vgl. § 404a Abs. 1 und 3 ZPO). Das betrifft sowohl die Frage des vertraglich geschuldeten Soll-Zustands, als auch die Frage der Bodenbeschaffenheit. Zum anderen hatte er auch nicht den Auftrag, die Bodenbeschaffenheit selbst zu untersuchen. Unter diesen Umständen ist eine Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen zu verneinen.
bb) Der Beschwerdeführerin ist allerdings zuzugeben, dass die Stellungnahme des Sachverständigen, er habe die Angaben zur Bodenbeschaffenheit den Gerichtsakten entnommen, im Widerspruch zu seinen diesbezüglichen Ausführungen im Gutachten steht. Tatsächlich lässt sich eine entsprechende Behauptung in den vor Erstellung des Gutachtens eingegangenen Schriftsätzen der Antragstellerin nicht finden. Dies mag aus Sicht der Antragsgegnerin zu 1) den Eindruck mangelnder Sorgfalt des Sachverständigen verstärken, stellt aber – nach den oben darlegten Maßstäben – ebenfalls keinen ausreichenden Grund für Zweifel an der Unvoreingenommenheit dar. Insbesondere ist eine gleichsam systematische, auf Willkür beruhende Benachteiligung der Antragsgegnerin zu 1) aus der Sicht einer verständigen Partei nicht zu erkennen.
4. Es sei ausdrücklich klargestellt, dass mit dieser Beschwerdeentscheidung nicht festgestellt wird, ob die Gutachten des Sachverständigen fachlich ohne Fehler oder ob sie mangelhaft sind und deshalb gem. § 412 Abs. 1 ZPO ein neues Gutachten erholt werden muss. Dies ist im selbständigen Beweisverfahren zu klären, ebenso die Frage, ob und inwieweit dem Sachverständigen vor der Erstellung des Gutachtens Vorgaben gem. § 404a Abs. 1 bzw. Abs. 3 ZPO zu machen sind oder die Frage, ob nicht die Mängelbehauptungen gegebenenfalls zu präzisieren sind und der Beweisbeschluss auf Tatsachenfragen zu beschränken ist. Soweit die Antragsgegnerin zu 1) meint, die behaupteten Fehler könnten nicht im „normalen Verfahren“ aufgefangen werden, folgt das Beschwerdegericht dem nicht. Das Verfahren der Beschwerde gegen ein zurückgewiesenes Befangenheitsgesuch dient nicht dazu, derartige (behauptete) fachliche Unzulänglichkeiten zu korrigieren und auf diese Weise steuernd in die Beweiserhebung einzugreifen.
III.
Die Pflicht zur Tragung der Gerichtsgebühren ergibt sich bereits aus dem Gesetz (Nr. 1812 KV-GKG, Festgebühr), im Übrigen beruht die Kostenentscheidung auf § 97 Abs. 1 ZPO (vgl. ZöllerG. Vollkommer, 32. Aufl., § 46 Rn. 20).
Eine Festsetzung des Gegenstandswerts für das Beschwerdeverfahren gem. § 33 Abs. 1 RVG hatte mangels entsprechenden Antrags zu unterbleiben.


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