Verwaltungsrecht

Konversion zum Christentum im Iran – Flüchtlingseigenschaft

Aktenzeichen  AN 19 K 20.30061

Datum:
14.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 22197
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 25, § 77 Abs. 2 S. 1, § 83b
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
GG Art. 16a

 

Leitsatz

Bei der Glaubhaftmachung im Asylverfahren und im anschließenden Verwaltungsgerichtsverfahren kommt dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden hinsichtlich der vor Ausreise entstandenen Fluchtgründe naturgemäß eine besondere Bedeutung zu. Hinsichtlich der objektiven Nachprüfbarkeit dürfen keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Das Gleiche gilt für Fluchtgründe, welche im Wesentlichen auf einer inneren Überzeugung beruhen und daher objektiv ebenfalls nur schwer nachprüfbar sind. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. Januar 2020 (Az. …) wird in den Ziffern 1 sowie 3 bis 6 aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Das Bundesamt wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
4. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am 24. April 2020 ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten – schriftsätzlich bzw. durch Generalverzicht – auf weitere mündliche Verhandlung verzichtet haben, § 101 Abs. 2 VwGO.
Die Klage ist vollumfänglich zulässig und überwiegend begründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 10. Januar 2020 ist insoweit rechtswidrig, als der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG hat, § 113 Abs. 5 VwGO. Der in der Folge auch in den Ziffern 3 bis 6 zu Unrecht ergangene Bescheid war dementsprechend aufzuheben. Hinsichtlich des geltend gemachten Asylanspruches gemäß Art. 16a GG (Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides) erweist sich die Klage jedoch als unbegründet, weil der Kläger keinen Anspruch auf Asylanerkennung hat, § 113 Abs. 5 VwGO.
1. Dem Kläger steht in dem hier gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1, 2. Hs. AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der heutigen gerichtlichen Entscheidung ein Anspruch dahingehend zu, ihm unter Aufhebung des angefochtenen Bescheids in den Ziffern 1 und 3 bis 6 die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Denn der Kläger ist Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, ohne dass Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 und 3 AsylG bzw. des § 60 Abs. 8 AufenthG bestehen.
Über das Vorliegen der Zuerkennungsvoraussetzungen hat das Gericht selbst zu befinden. Eine Aufhebung des angefochtenen Bescheids und Zurückverweisung des Verfahrens zur erneuten Entscheidung durch das Bundesamt – etwa unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts – kommt nicht in Betracht, da es sich bei der Flüchtlingsanerkennung nicht um eine Ermessensentscheidung handelt. Vielmehr hat das erkennende Gericht die Spruchreife herzustellen und über den etwaigen Anspruch des Klägers zu entscheiden, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO (vgl. für die vorliegende Konstellation im Asylverfahren z.B. BVerwG, B.v. 9.3.1982, 9 B 360/82, juris).
2. Der Kläger ist Flüchtling im Sinne von § 3 AsylG. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II, S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Die für § 3 Abs. 1 AsylG maßgebliche Gefährdung des Klägers ergibt sich aus seiner – zur Überzeugungsgewissheit des Gerichts feststehenden – auf einer ernsthaften inneren Glaubensüberzeugung beruhenden Konversion zum Christentum und der daraus folgenden, nachhaltig geprägten religiösen Identität des Klägers, die bei Rückkehr in den Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer Verfolgung führen würde.
2.1 Nach den Erkenntnissen über die aktuelle Situation von Konvertiten im Iran, die das Gericht unter anderem dem „Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran (Stand: Februar 2020)“ des Auswärtigen Amtes vom 26. Februar 2020 (Gz.: 508-516.80/3 IRN) entnimmt und welche den Prozessbeteiligten zur Verfügung gestellt wurden, stellt sich die Lage muslimischer Konvertiten (Lagebericht, aaO, 1.1.4.) wie folgt dar: „Muslimen ist es ebenso verboten zu konvertieren (‚Abfall vom Glauben‘) wie an Gottesdiensten anderer Religionen teilzunehmen. Die Konversion eines schiitischen Iraners zum sunnitischen Islam oder einer anderen Religion sowie Missionstätigkeit unter Muslimen können eine Anklage wegen Apostasie und schwerste Sanktionen bis hin zur Todesstrafe nach sich ziehen. Oftmals lautet die Anklage jedoch auf ‚Gefährdung der nationalen Sicherheit‘, ‚Organisation von Hauskirchen‘ und Beleidigung des Heiligen‘, wohl um die Anwendung des Scharia-Rechts und damit die Todesstrafe wegen Apostasie zu vermeiden.“
Der Kläger darf indes nicht darauf verwiesen werden, von etwaigen religiösen Betätigungen Abstand zu nehmen, um einer Verfolgung zu entgehen. (EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11 und C-99/11 – ABl. EU 2012, Nr. C 331 S. 5 – NVwZ 2012, 1612 zur bis dahin praktizierten Unterscheidung zwischen „forum internum“ und „forum externum“). Allerdings „ist geklärt, dass es für die Frage einer Verfolgungsgefahr im Iran wegen Konversion maßgeblich darauf ankommt, ob im Fall einer Rückkehr einer konvertierten Person in den Iran davon auszugehen ist, dass diese ihren neu aufgenommenen Glauben – und die damit verbundene Abkehr vom Islam – aktiv im Iran ausüben (BayVGH, B.v. 16.11.2015 – 14 ZB 13.30207 – juris Rn. 6 m.w.N.; B.v. 7.11.2016 – 14 ZB 16.30380 – juris Rn. 7) oder nur erzwungener Maßen, unter dem Druck drohender Verfolgung, auf eine Glaubensbetätigung verzichten wird (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – BayVBl 2016, 104 Rn. 11 m.w.N.).“ (BayVGH, B.v. 9.7.2018 – 14 ZB 17.30670 -, Rn. 21, juris)
2.2 Das Gericht ist davon überzeugt, dass die bereits im Iran vollzogene Hinwendung des Klägers zum Christentum auf einer ernsthaften inneren Glaubensüberzeugung beruht, welche seine religiöse Identität nachhaltig prägt und nicht lediglich aus Opportunität oder aus asyltaktischen Gründen erfolgt ist. Der Kläger hat seine Konversion während seines bisherigen Aufenthalts in Deutschland weiter vorangetrieben und sich vor kurzem taufen lassen. Der Kläger hat seinen neuen Glauben zudem derart in seine Gesamtpersönlichkeit integriert, dass von einer Religionsausübung im Iran auszugehen ist, welche mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung durch iranische Behörden nach sich ziehen wird.
Die ernsthafte und nachhaltige Hinwendung zum Christentum hat der Kläger zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft gemacht.
Allgemein ist zur Glaubhaftmachung folgendes auszuführen: Bei der Glaubhaftmachung im Asylverfahren und im anschließenden Verwaltungsgerichtsverfahren kommt dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden hinsichtlich der vor Ausreise entstandenen Fluchtgründe naturgemäß eine besondere Bedeutung zu. Hinsichtlich der objektiven Nachprüfbarkeit dürfen keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Das Gleiche gilt für Fluchtgründe, welche im Wesentlichen auf einer inneren Überzeugung beruhen und daher objektiv ebenfalls nur schwer nachprüfbar sind. Gleichwohl müssen die Verwaltungsgerichte „selbst zu der vollen Überzeugung gelangen“, „dass einem Asylbewerber wegen Konversion zum Christentum in seinem Heimatland eine Verfolgung wegen seiner Religion droht und dass die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für die religiöse Identität des Betroffenen zentrale Bedeutung hat“ (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 3.4.2020, 2 BVR 1838/15, juris).
Von zentraler Bedeutung sind daher die aus der ausführlichen Befragung des Gerichts in der mündlichen Verhandlung am 24. April 2020 gewonnenen Erkenntnisse über den glaubhaft gemachten Religionswechsel des Klägers und die daraus folgende identitätsprägende Wirkung.
Anders als das Bundesamt geht das Gericht davon aus, dass der Kläger bereits in seinem Heimatland nachhaltig und in identitätsprägender Weise mit dem Christentum in Berührung gekommen ist. So hat der Kläger sowohl gegenüber dem Bundesamt als auch gegenüber dem Gericht ausführlich und schlüssig über seine innere Abkehr von seiner Herkunftsreligion, dem schiitischen Islam, berichtet. Aufgrund seiner körperlichen Beeinträchtigung durch die angeborene Schwerhörigkeit und der damit einhergehenden Schwierigkeiten hat sich der Kläger nach seiner Darstellung besonders durch die christlichen Glaubensinhalte, was die Seligmachung durch Vergebung und Glaube an Jesus Christus angeht, angesprochen gefühlt. Während er sich von seiner Herkunftsreligion vor allem durch die damit einhergehenden Rituale (z.B. Bestrafungspraxis) bereits vor seinem Kontakt mit dem Christentum innerlich distanziert hatte, fühlte er sich nach seiner Darstellung umso mehr von den neutestamentarischen Grundsätzen angesprochen, die er nachvollziehbar mit seiner eigenen – vor allem durch die Schwerhörigkeit geprägten – Situation verknüpft hat.
Was den Besuch der Hauskreise angeht, kommt es darauf nicht entscheidungserheblich an. Allerdings teilt das Gericht die Einschätzung des Bundesamtes, der Kläger habe seinen Sachvortrag insoweit nicht hinreichend substantiiert, nicht. Das Bundesamt kritisiert insoweit beispielsweise, dem Vortrag des Klägers fehle es an „spezifischen Einzelheiten“, „wie etwa detaillierte Aussagen über Räumlichkeiten, über die anderen anwesenden Personen, die Umgebung oder aber auch spezielle Sinneseindrücke“ (S. 5 des angefochtenen Bescheids). Dem Bundesamt ist insoweit entgegenzuhalten, dass der Kläger ausweislich des Protokolls seiner Anhörung gar nicht nach derartigen „spezifischen Einzelheiten“ gefragt worden ist, weder zu Räumlichkeiten oder zur Umgebung. Hinzu kommt, dass „spezielle Sinneseindrücke“ bei einem stark hörgeschädigten Menschen möglicherweise nur eingeschränkt erwartet werden können. Der anhörende Mitarbeiter des Bundesamts hat sich insoweit auf einen Disput mit dem Kläger konzentriert, wie oft der Kläger den Hauskreis besucht hat. Zu den Inhalten und dem Ablauf der Sitzungen hat der Kläger indes Auskunft gegeben und dies in der mündlichen Verhandlung noch einmal präzisiert.
Maßgeblich und hier entscheidungserheblich ist jedoch, dass der Kläger jedenfalls in Deutschland eine ernsthafte und nachhaltige Hinwendung zum Christentum vollzogen hat. Dabei ist zum einen der formale Akt der Taufe am 12. Juli 2020 zu berücksichtigen, vor allem aber seine gelebte Religiosität.
So hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung noch einmal nachvollziehbar geschildert, welche Glaubenssätze des Christentums für ihn von zentraler Bedeutung sind und warum sie sein Denken und Leben nachhaltig beeinflusst haben und prägen Außerdem hat der Kläger glaubhaft dargelegt, dass er bereits kurz nach seiner Ankunft aktiv nach einem Raum und einer Gemeinschaft für seine Glaubensfindung bzw. -überzeugung gesucht hat, so dass das Gericht nicht von einer asyltaktischen Motivation ausgeht. Zu berücksichtigen ist dabei insbesondere, dass der Kläger im Laufe seines Verfahrens mehrmals umverteilt worden ist und unmittelbar nach Bezug seiner neuen Unterkunft jeweils auch eine neue Kirchengemeinde gesucht und gefunden hat (…, …, … und …).
Im angefochtenen Bescheid wird dem Kläger vorgehalten, er besuche „nur“ die Gottesdienste und betätige sich darüber hinaus in religiöser Hinsicht nicht (S. 8). Zum einen ist insoweit zu Gunsten des Klägers die im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 24 April 2020 bestehende Situation im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie zu berücksichtigen. Aufgrund der Ausgangsbeschränkungen war es dem Kläger schlichtweg nicht möglich, weitergehende Aktivitäten zu entfalten. Dennoch hat er per Videokonferenz an den Osterfeierlichkeiten teilgenommen. Zum anderen ist dem Bundesamt insoweit entgegenzuhalten, dass ein im ländlichen Raum untergebrachter Asylantragsteller, nämlich in …, bestenfalls nur eingeschränkte Möglichkeiten hat, den Sitz seiner Kirchengemeinde, hier in …, zu erreichen. Die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten hat der Kläger indes genutzt.
Nach den Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung über die Bedeutung und den Stellenwert des Christentums in seinem Leben ist das Gericht zu der Überzeugungsgewissheit gelangt, dass eine Rückkehr des Klägers in den Iran eine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung mit hier beachtlicher Wahrscheinlichkeit nach sich ziehen würde, weil eine christliche Glaubensbetätigung für ihn aufgrund seiner religiösen Identität nunmehr unentbehrlich ist.
Nach alledem ist dem Kläger unter Aufhebung des angefochtenen Bescheids in dessen Ziffer 1 und in der Folge die Ziffern 3 bis 6 die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen.
3. Ein Anspruch auf Asylanerkennung gemäß Art. 16a GG besteht indes nicht, weil der Kläger nach eigenen Angaben auf dem Landweg und somit aus einem Staat im Sinne von Art. 16a Abs. 2 GG in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Insoweit war die Klage abzuweisen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, da der Kläger nur zu einem geringen Teil unterlegen ist. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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