Medizinrecht

Versammlung unter Auflagen zum Infektionsschutz

Aktenzeichen  10 CS 20.999

Datum:
30.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9460
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 5 Abs. 3, Art. 8
BayIfSMV § 1 Abs. 1 S. 1, S. 3
VwGO § 123

 

Leitsatz

1. Eine Ausnahmegenehmigung nach § 1 Abs. 1 Satz 3 2. BayIfSMV für die Durchführung einer Versammlung im Sinne von Art. 8 Abs. 1 GG kommt schon dann in Betracht, wenn die Versammlung infektionsschutzrechtlich „vertretbar“ ist. Eine völlige Risikofreiheit im Sinne einer absoluten infektionsschutzrechtlichen „Unbedenklichkeit“ ist nicht erforderlich. (Rn. 24)
2. Auch Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht der Versammlung aus Gründen des Infektionsschutzes unterliegen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Sie sind nur zulässig, wenn sich anders nicht erreichen lässt, dass die Versammlung im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 3 2. BayIfSMV infektionsschutzrechtlich vertretbar bleibt. (Rn. 25)
3. Ist die Durchführung der Versammlung bei Beachtung erforderlicher Auflagen vertretbar, hat die zuständige Behörde kein Versagungsermessen mehr, vielmehr besteht in diesem Fall ein Anspruch auf eine entsprechende Ausnahmegenehmigung. (Rn. 25)

Tenor

I. In Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 30. April 2020 wird die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die der Antragstellerin bereits erteilte Ausnahmegenehmigung für die stationäre Versammlung in der S1. Straße auf die Durchführung eines Aufzugs in Form der künstlerische Formation von der S1. Straße über die S2.straße bis zum S.T.-Platz zu erstrecken.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen trägt die Antragstellerin zwei Drittel, die Antragsgegnerin ein Drittel.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Antragstellerin (noch) ihre in erster Instanz erfolglosen Hilfsanträge weiter, die Antragsgegnerin zu verpflichten, dafür Sorge zu tragen, dass die künstlerische Formation „Grün sind die Flure, die Fahne ist rot“ nicht polizeilich aufgelöst wird, bzw. ihr eine Ausnahmegenehmigung nach § 1 Abs. 1 Satz 3 Zweite Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (2. BayIfSMV) vom 16. April 2020 in der Fassung der Verordnung zur Änderung der Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (2. BayIfSMV) vom 28. April 2020 für ihre für den 1. Mai 2020 geplante Versammlung zu erteilen.
Die Antragstellerin hatte mit Anzeige vom 28. März 2020, geändert und um einen Hilfsantrag ergänzt am 28. April 2020, eine Versammlung unter dem Thema „Am 1. Mai wird demonstriert“ für den 1. Mai von 10:00 Uhr bis 12:00 Uhr in München angezeigt. Die Versammlung mit 200 Teilnehmern sollte am DGB-Haus in der S1.straße beginnen, im weiteren Verlauf zum M.platz ziehen und dort mit einer Abschlusskundgebung enden. Hilfsweise wurde mitgeteilt, es sei beabsichtigt, beginnend nach der Kundgebung an der S1.straße in einer „künstlerischen Formation“ in Anlehnung an den „Anachronistischen Zug“ zum M.platz zu ziehen.
Mit Bescheid vom 29. April 2020 bestätigte die Antragsgegnerin die Anzeige und erteilte die Ausnahmegenehmigung nach § 1 Abs. 1 Satz 3 2. BayIfSMV. Gleichzeitig verfügte sie jedoch unter II. mehrere infektionsschutzrechtliche Auflagen. So dürfe die Versammlung lediglich als stationäre Kundgebung stattfinden (II.1), es seien nur 50 Teilnehmer erlaubt (II.2), die Versammlungsdauer werde auf 90 Minuten begrenzt (II.3) und eine öffentliche Bewerbung sei untersagt (II.4). Weiter sei der Einsatz von elektronischen Schallverstärkern (außer zu Ordnungsrufen, II.8) und der Einsatz bestimmter, vornehmlich auf Außenkommunikation gerichteter Kundgabemittel untersagt (II.9).
Am 30. April 2020 beantragte die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht München, die aufschiebende Wirkung einer noch zu erhebenden Klage gegen die genannten Auflagen anzuordnen.
Mit Beschluss vom 20. April 2020 ordnete das Verwaltungsgericht München die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Auflage unter II.9 an und lehnte den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung im Übrigen ab. Die Auflage zur Untersagung bestimmter Kundgabemittel sei nicht ausreichend bestimmt, im Übrigen seien die Auflagen geeignet, erforderlich und angemessen, um von der Versammlung ausgehende Infektionsgefahren zu verhüten.
Die Antragstellerin beantragt im Beschwerdeverfahren,
unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 30. April 2020 die Antragsgegnerin zu verpflichten, dafür Sorge zu tragen, dass die künstlerische Formation „Grün sind die Flure, die Fahne ist rot“ (Bertold Brecht) von 10 bis 12 Uhr startend S1.straße 64 bis zum M.platz nicht polizeilich aufgelöst wird,
hilfsweise,
für diese künstlerische Formation die Ausnahmegenehmigung nach § 1 Abs. 1 Satz 3 2. BIfSMV zu erteilen.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts verkenne die Kunstfreiheit und deren Reichweite. Statt einer völligen Untersagung des Aufzugs hätte es mildere Mittel wie die räumliche und zeitliche Verlegung gegeben.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die verfügten Auflagen seien rechtmäßig. Insbesondere sei bei sich fortbewegenden Versammlungen, etwa beim Anlaufen und Anhalten des Versammlungszuges oder bei beengten und unübersichtlichen Straßenverhältnissen, konkret damit zu rechnen, dass Teilnehmer dicht gedrängt stehen werden. Dies gelte auch bei nur 50 Teilnehmern, denn es erscheine unmöglich, zu verhindern, dass sich weitere Personen dem Umzug anschließen. Die Kunstfreiheit führe zu keiner anderen Beurteilung.
Die Landesanwaltschaft beteiligt sich als Vertreter des öffentlichen Interesses am Verfahren. Sie verzichtet auf einen Antrag, hält die Entscheidung des Verwaltungsgerichts aber für rechtmäßig. Die Beschränkung auf eine stationäre Versammlung sei erforderlich, um die infektionsschutzrechtliche Vertretbarkeit zu gewährleisten. Insofern könne auf eine sich fortbewegende Versammlung in Stuttgart verwiesen werden, die von den ursprünglichen 50 Teilnehmern auf 150 Teilnehmer angewachsen sei.
Ergänzend wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist teilweise begründet. Die von der Antragstellerin in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, die der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigen die Abänderung des angefochtenen Beschlusses im tenorierten Umfang.
1. Der mit der Beschwerde verfolgte Hauptantrag ist auf etwas rechtlich Unmögliches gerichtet und damit offensichtlich unbegründet. Die Antragsgegnerin ist rechtlich nicht in der Lage, dafür zu sorgen, dass die Versammlung – hier die betreffende künstlerische Formation – der Antragstellerin nicht von der Polizei aufgelöst wird, denn die Polizei entscheidet nach Beginn der Versammlung in eigener Zuständigkeit (Art. 24 Abs. 2 Satz 2 BayVersG). Abgesehen davon besteht ein unbedingter Anspruch auf Unterlassung einer Versammlungsauflösung schon deswegen nicht, weil der Polizei nicht unabhängig von den konkreten Umständen untersagt sein kann, eine Versammlung (etwa wegen eines unfriedlichen Verlaufes) aufzulösen.
2. Der mit der Beschwerde weiterverfolgte Hilfsantrag ist dagegen zulässig und im tenorierten Umfang begründet.
a) Nachdem die Antragstellerin ihren in erster Instanz noch gestellten Hauptantrag hinsichtlich der infektionsschutzrechtlichen Auflagen in Nr. II. 2 bis 4 und 8 des Bescheids vom 29. April 2020 mit der Beschwerde nicht mehr weiterverfolgt und sich zu den entsprechenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts auch sonst nicht verhält, muss der Senat – nicht zuletzt aufgrund der Beschränkung des Prüfungsumfangs durch § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO – davon ausgehen, dass es der Antragstellerin nur noch darum geht, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Ausnahmegenehmigung nach § 1 Abs. 1 Satz 3 2. BayIfSMV auch auf den sich an die bereits erlaubte stationäre Kundgebung anschließenden Aufzug in Form einer künstlerischen Formation zu erstrecken, und sie sich im Übrigen mit den genannten Auflagen abgefunden hat. Die auf Seite 2 des Schriftsatzes der Antragsgegnerin vom 30. April 2020 erwähnte Änderung der Aufzugsroute ist nicht Gegenstand des Ausgangsbescheides und der Entscheidung des Verwaltungsgerichts und kann daher auch nicht Streitgegenstand der Beschwerdeentscheidung sein.
b) Der Verwaltungsgerichtshof geht aufgrund der konkreten Ausgestaltung des Bescheids der Antragsgegnerin vom 29. April 2020 davon aus, dass es sich bei der verfügten Auflage unter Nr. II.1 um eine sog. modifizierende Auflage handelt, da der Antragstellerin mit der stationären Kundgebung etwas anderes erlaubt wurde, als die ursprünglich geplante stationäre Versammlung mit Aufzug. Insofern wäre das statthafte Begehren in der Hauptsache eine Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 1 Abs. 1 Satz 3 2. BayIfSMV ohne die Beschränkung auf eine stationäre Versammlung. Der Antrag im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes richtet sich demnach nach § 123 Abs. 1 VwGO, der Senat hat den Antrag der Antragstellerin in diesem Sinne ausgelegt (§ 122 Abs. 1 i.V.m. § 88 VwGO).
c) Der erforderliche Anordnungsgrund besteht im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung, da ohne eine entsprechende Anordnung die Durchführung des Aufzugs am 1. Mai 2020 in der von der Antragstellerin beantragten Form unmöglich würde.
d) Auch das Bestehen eines Anordnungsanspruchs ist glaubhaft gemacht. Der Anspruch auf Erstreckung der bereits erteilten Ausnahmegenehmigung unter Auflagen ergibt sich nach Maßgabe des Tenors aus § 1 Abs. 1 Satz 3 2. BayIfSMV i.V.m. Art. 8 Abs. 1 GG.
Dabei geht das Gericht aufgrund der mit Blick auf die besondere Eilbedürftigkeit nur möglichen summarischen Prüfung davon aus, dass die Versammlung der Antragstellerin einer Ausnahmegenehmigung im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 3 2. BayIfSMV bedarf. Dem Wortlaut nach erfasst das generelle Verbot mit Erlaubnisvorbehalt in § 1 Abs. 1 Satz 1 und 3 2. BayIfSMV Versammlungen im Sinne des Art. 8 GG ohne Zweifel. Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass die Versammlung (teilweise) in Form einer künstlerischen Formation stattfinden soll und damit (auch) der Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG unterfällt. Denn Beschränkungen einer künstlerisch geprägten Versammlung sind unter Beachtung der Voraussetzungen, unter denen in das nicht unter einem Gesetzesvorbehalt stehende Grundrecht der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG eingegriffen werden kann, nicht ausgeschlossen. Da die Kunstfreiheit dabei ihre Grenzen in anderen Bestimmungen des Grundgesetzes findet, die ein anderes in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes ebenfalls wesentliches Rechtsgut schützen (vgl. BVerfG, U.v. 17.6.1984 – 1 BvR 816/12 – juris Rn. 39), kommen Beschränkungen der Kunstfreiheit insbesondere zum Schutz des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Betracht (BayVGH, B.v. 24.2.2015 – 10 CS 15.431 – juris Rn. 28). Entsprechendes gilt wenn – wie hier – die Ausübung der Versammlungsfreiheit bzw. Kunstfreiheit einem Verbot mit Zulassungsvorbehalt unterworfen ist. Ob dieses Verbot mit Zulassungsvorbehalt verfassungskonform ist, kann der Senat im Eilverfahren nicht abschließend entscheiden (so auch BVerfG, B.v. 17.4.2020 – 1 BvQ 37/20 – juris Rn. 25).
Nach § 1 Abs. 1 Satz 3 2. BayIfSMV können die zuständigen Kreisverwaltungsbehörden Ausnahmen vom generellen Versammlungsverbot nach § 1 Abs. 1 Satz 1 2. BayIfSMV erlauben, wenn dies infektionsschutzrechtlich vertretbar ist. Aufgrund der Formulierung des Verordnungsgebers kommt eine solche Ausnahme schon dann in Betracht, wenn die Versammlung infektionsschutzrechtlich „vertretbar“ ist. Eine völlige Risikofreiheit im Sinne einer absoluten infektionsschutzrechtlichen „Unbedenklichkeit“ ist nicht erforderlich. Bei der nach § 1 Abs. 1 Satz 3 2. BayIfSMV erforderlichen Prüfung, ob für Versammlungen im Sinne von Art. 8 Abs. 1 GG Ausnahmegenehmigungen erteilt werden können, muss die Behörde eigene Überlegungen zur Minimierung von Infektionsrisiken anstellen (hierzu und zum Folgenden BVerfG, B.v. 17.4.2020 – 1 BvQ 37/20 – juris Rn. 25). Die Verantwortung dafür trifft nicht allein die Antragstellerin. Vor dem Erlass einer Beschränkung der Versammlungsfreiheit muss sich die zuständige Behörde zunächst um eine kooperative, einvernehmliche Lösung mit dem Versammlungsveranstalter bemühen. Dies entspricht für Auflagen und Verbote ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Nichts Anderes gilt für die Verweigerung einer Zulassung, wenn – wie hier – die Ausübung der Versammlungsfreiheit einem Verbot mit Zulassungsvorbehalt unterworfen ist.
Damit die Bürger selbst entscheiden können, wann, wo und unter welchen Modalitäten sie ihr Anliegen am wirksamsten zur Geltung bringen können, gewährleistet Art. 8 Abs. 1 GG nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern umfasst zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung (stRspr, vgl. etwa BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 16). Insofern unterliegen auch Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht der Versammlung aus Gründen des Infektionsschutzes dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Sie sind nur zulässig, wenn sich anders nicht erreichen lässt, dass die Versammlung im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 3 2. BayIfSMV infektionsschutzrechtlich vertretbar bleibt. Ist die Durchführung der Versammlung bei Beachtung erforderlicher Auflagen vertretbar, hat die zuständige Behörde kein Versagungsermessen mehr, vielmehr besteht in diesem Fall ein Anspruch auf eine entsprechende Ausnahmegenehmigung. Aufgrund der wertsetzenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit für die freiheitlich demokratische Grundordnung umfasst die staatliche Schutzpflicht für die Versammlungsfreiheit – abgesehen von hier nicht geltend gemachten Fällen des polizeilichen Notstandes und unbeschadet der Anforderungen, die das versammlungsrechtliche Kooperationsgebot an die Veranstalter von Versammlungen stellt – auch die Verpflichtung, Versammlungen erst möglich zu machen.
Ausgehend hiervon ist nach Auffassung des Senats nicht erkennbar, dass der von der Antragstellerin (hilfsweise) zur Erlaubnis gestellte Aufzug in Form der von der Antragstellerin im Einzelnen dargelegten künstlichen Formation – unter Zugrundlegung der sonstigen, von der Antragstellerin nicht mehr angegriffenen Auflagen und der im Tenor beschrieben Verkürzung der Route – infektionsschutzrechtlich nicht vertretbar wäre.
Konkrete Hinweise, dass ein Aufzug von 50 Personen auf der vorgesehenen Route, die nach Recherchen des Senats bis zum S3.-Platz auf mindestens über 11 Meter breiten Straßen stattfinden soll, infektionsschutzrechtlich unvertretbare Zustände entstehen lassen würde, lassen sich den im Verwaltungsverfahren abgegeben Stellungnahmen von Polizei und Gesundheitsbehörden nicht entnehmen. Die Antragstellerin hat angegeben, dass der Mindestabstand von 1,5 Metern eingehalten werden soll und dass Ordner dies auch durchsetzen werden. Entsprechend wurde im Internet dazu aufgerufen, sich und andere bei der Versammlung zu schützen, Abstand zu halten und entsprechende Masken zu tragen. Der Senat geht davon aus, dass bei einem Aufzug z.B. in 3er-Reihen eine Gesamtlänge des Aufzuges von ca. 50 bis 60 Metern entstehen wird. Angesichts des sonst üblichen Ausmaßes von Aufzügen am 1. Mai sind insbesondere auch anhand der abgegebenen Stellungnahmen der Polizei keine konkreten Umstände erkennbar, die erwarten lassen würden, dass die Polizei einem Überschreiten der zulässigen Teilnehmerzahl nicht effektiv entgegenwirken könnte.
Der von der Antragsgegnerin angeführten Gefahr eines Zusammenschlusses des Aufzugs mit einer anderen Versammlung hat der Senat durch die Verkürzung der Route Rechnung getragen. Der Abstand zwischen den beiden Orten der Versammlungen (S3.-Platz einerseits, M.platz andererseits) bietet Gewähr dafür, dass sich eine dynamische Situation beim Treffen eines Aufzugs auf eine stationäre Versammlung durch die Polizei wirksam verhindern lässt.
Soweit die Antragsgegnerin aufgrund der Entscheidung des Verwaltungsgerichts erneut über die mit Nr. II.9 untersagte Nutzung von auf Außenkommunikation gerichteten Kundgabemitteln entscheiden sollte, weist der Senat im Übrigen auf Folgendes hin: Der besondere Schutz der Versammlungsfreiheit beruht auf ihrer Bedeutung für den Prozess öffentlicher Meinungsbildung in der freiheitlichen demokratischen Ordnung des Grundgesetzes (stRspr., vgl. etwa BVerfG, B.v. 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90 – BVerfGE 104, 92 – juris Rn. 40) und ist daher von vorneherein auch auf Außenkommunikation und das Erzeugen von Aufmerksamkeit angelegt. Auflagen zu Ausnahmegenehmigungen im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 3 2. BayIfSMV, die es einer Versammlung untersagen, Kundgabemittel zur Außenkommunikation einzusetzen und damit Aufmerksamkeit zu erzeugen, stellen daher einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff dar, der einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung zu unterliegen hat. Auch insoweit gilt die Regel, dass kollektive Meinungsäußerungen in Form einer Versammlung umso schutzwürdiger sind, je mehr es sich bei ihnen um einen Beitrag zum Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt (stRspr, vgl. BVerfG, U.v. 11.11.1986 – 1 BvR 713/83 – BVerfGE 73, 206 – juris Rn. 102).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Streitwert war nach §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Nr. 2 GKG zu bestimmen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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