IT- und Medienrecht

Ansprüche nach einem Pkw-Kauf im Zusammenhang mit dem sogenannten „Abgasskandal“.

Aktenzeichen  71 O 1041/19

Datum:
22.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 52865
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Ingolstadt
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 195, § 199 Abs. 1 Nr. 2,§ 249,§ 823 Abs.2, § 826
ZPO § 756 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 35.135,01 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem … Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung Fahrzeuges … mit der Fahrgestellnummer … zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem … mit der Rücknahme des in Ziffer 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung des Klägers in Höhe von 1.590,01 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem … zu zahlen. 
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 
5. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 23% und die Beklagte 77% zu tragen.
6. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. 

Gründe

I.
Die Klage ist zulässig.
Der Antrag auf Feststellung, dass sich die Beklagte in Annahmeverzug befinde, ist zulässig, das Feststellungsinteresse ergibt sich aus § 756 Abs. 1 ZPO.
II.
Die Klage ist teilweise begründet.
1. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises seines Fahrzeugs Zugum-Zug gegen Herausgabe dieses Pkw. Allerdings muss er sich die gezogenen Gebrauchsvorteile für die mit dem Pkw zurückgelegte Fahrtstrecke anrechnen lassen.
a) Der klägerische Anspruch ergibt sich aus § 826 BGB. Die Beklagte hat der Klägerpartei in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zugefügt.
(1) Die Handlung, durch die die Beklagte die Klagepartei geschädigt hat, war das Inverkehrbringen von Dieselmotoren zum Zweck des Weiterverkaufs, deren Motorsteuerung so programmiert war, dass sie den Betrieb des Fahrzeugs auf einem Prüfstand im NEFZ erkannte und die Abgasbehandlung in den sogenannten Modus 1 versetzte, wobei die Beklagte das Vorhandensein der gesetzeswidrigen Softwareprogrammierung verschwieg. An der Unzulässigkeit der installierten Einrichtungen ist spätestens seit der vom KBA angeordneten Rückrufaktion nicht mehr zu zweifeln.
(2) Die schädigende Handlung ist der Beklagten zuzurechnen.
(a) Im Rahmen der Repräsentantenhaftung wird auch denjenigen Personen das deliktische Handeln der Mitarbeiter nach § 31 BGB zugerechnet, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame Funktionen zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren, wobei es nicht notwendigerweise auf die satzungsgemäße Vertretung der juristischen Person ankommt.
(b) Es bedarf keiner konkreten Feststellung, welcher Repräsentant der Beklagten vorsätzlich handelte. Dies festzustellen ist der Klagepartei, die keine Einblicke in die betriebsinterne Aufgabenverteilung der Beklagten hat, nicht dezidiert möglich. Sie hat jedoch – im Rahmen ihrer Möglichkeiten – substantiiert vorgetragen, so dass es der Beklagten im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast oblegen hätte, den Vortrag zu entkräften oder die Repräsentanten zu benennen. Beides ist nicht erfolgt.
Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob die jeweiligen Repräsentanten Kenntnis zur Zeit der Software-Entwicklung hatten. Abzustellen ist vielmehr auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens der betroffenen Fahrzeuge. Eine Kenntnis der entsprechenden Repräsentanten zu diesem Zeitpunkt liegt jedoch unzweifelhaft vor. Ein eigenmächtiges Handeln von Mitarbeitern, die nicht als Repräsentanten im obigen Sinne zu sehen sind, ist zur Überzeugung des Gerichts nicht vorstellbar.
Der Kläger hat substantiiert dazu vorgetragen, dass es sich bei den Modellen der Beklagten um Gemeinschaftsentwicklungen mit der … handele, bei der die Technik der Fahrzeuge in konzernübergreifender Plattformbauweise neben der Konzernmutter auch den Töchtern zur Verfügung stünden und im Wesentlichen durch unterschiedliche Karosserien markenspezifisches Design erreicht werde. Damit widerspricht er der Darstellung der Beklagten, dass der streitgegenständliche Motor allein von der … entwickelt worden sei und die Beklagte sich daher keine mangelhafte Organisation vorwerfen lassen müsse. Weiterhin hat der Kläger dargestellt, dass durch die Überkreuzregelungen der Vorstände der einzelnen mit der … verbundenen Unternehmen die wesentlichen Entscheidungen von denselben Entscheidungsträgern getroffen worden seien und dementsprechend auch die Kenntnis von den Manipulationen konzernübergreifend vorhanden war, wobei er Namen und Funktionen beteiligter Funktionsträger benennt. Ein darüber hinaus gehender Vortrag des Klägers ist nicht erforderlich.
(3) Die Beklagte hat der Klagepartei den Schaden vorsätzlich zugefügt. Die Programmierung der hier in Rede stehenden Software setzt eine aktive und ergebnisorientierte präzise Programmierung der Motorsteuersoftware voraus. Die Annahme einer fahrlässigen Herbeiführung dieses Zustandes ist daher ausgeschlossen, so dass es keiner weiteren Beweisaufnahme hierzu bedurfte. Dasselbe gilt für die Verwendung des Motors, in dem die Software implementiert war.
Mangels jeglicher entgegenstehender Anhaltspunkte muss ebenso davon ausgegangen werden, dass den Organen der Beklagten völlig klar war, dass die Beklagte Dieselmotoren in den von ihr hergestellten Fahrzeugen verkaufte, die hinsichtlich der Abgaswerte nicht den einschlägigen Vorschriften entsprachen, und dass somit die Kunden der Beklagten selbst und ihrer Tochterunternehmen sowie die Käufer von betroffenen Gebrauchtwagen wirtschaftlich nachteilige Kaufverträge abschlossen.
(4) Das Verhalten der Beklagten verstieß auch gegen die guten Sitten. Die Täuschung durch die Beklagte diente – andere Motive sind weder von der Beklagten dargelegt noch sonst ersichtlich – dem Zweck, zur Kostensenkung (und möglicherweise zur Umgehung technischer Probleme) rechtlich und technisch einwandfreie, aber teurere Lösungen der Abgasreinigung zu vermeiden und mit Hilfe der scheinbar umweltfreundlichen Prüfstandwerte Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Schon dieses Gewinnstreben um den Preis der bewussten Täuschung und Benachteiligung von Kunden gibt dem Handeln der Beklagten das Gepräge der Sittenwidrigkeit (siehe zum Ganzen statt vieler LG Hildesheim, Urt. v. 17.01.2017, Az. 3 O 139/16, VuR 2017, 111).
(5) Der Klagepartei ist durch die Bindung an einen nicht erwartungsgerechten Vertrag ein Schaden entstanden, der einen Anspruch auf Schadensersatz in Gestalt der Rückabwicklung des Fahrzeugerwerbs auslöst gemäß §§ 249 ff. BGB.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist auch bei objektiver Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung eine Verpflichtung zum Schadensersatz in Form der Naturalrestitution gemäß § 249 Abs. 1 BGB gegeben, wenn ein getäuschter Vertragspartner den Vertrag ohne das haftungsauslösende Verhalten, also die Ausstellung der unrichtigen Bescheinigung, nicht eingegangen wäre (BGH NJW 1998, 302; BGH NJW-RR 2005, 611; BGH NJW 2005, 1579; BGH NJW 2010, 2506; VersR 2012, 1237). Voraussetzung ist lediglich, dass der Geschädigte die erfolgte Vertragsbindung nicht willkürlich als Schaden ansieht, sondern dass sie sich auch nach der Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls als unvernünftig erweist (BGH NJW 1998, 302; BGH NJW 2005, 1579). Hierfür genügt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs, dass die Leistung des anderen Vertragspartners, obwohl objektiv werthaltig, für die Zwecke des geschädigten Kontrahenten nicht vollumfänglich brauchbar ist (BGH NJW-RR 2005, 611; BGH NJW 2005, 1579; VersR 2012, 1237; NJW-RR 2014, 277). Der Schaden besteht dann allein in dem durch das haftungsauslösende Verhalten bewirkten Eingriff in das Recht, über die Verwendung des eigenen Vermögens selbst zu bestimmen (BGH NJW 2010, 2506) und in der Entstehung einer ungewollten Verpflichtung aus diesem Vertragsverhältnis (BGH NJW-RR 2005, 611).
Wendet man diese Grundsätze auf den hier vorliegenden Fall an, führt dies zu dem Ergebnis, dass ein Fahrzeugerwerber wie der Kläger infolge des dem Hersteller zur Last fallenden Fehlverhaltens eine zweckwidrige Vertragsbindung eingegangen ist, die zur Rückabwicklung des Kaufvertrags führt. Hätte der Hersteller keine unrichtige Übereinstimmungsbescheinigung erteilt und stattdessen offengelegt, dass die in Verkehr gebrachten Fahrzeuge gerade keinem genehmigten Typ entsprechen, hätten deren Erwerber davon abgesehen, diese Fahrzeuge zu kaufen.
Der Kläger hat ausgeführt, dass er das streitgegenständliche Fahrzeug gekauft habe, weil ihm und seiner Ehefrau das Fahrzeug gefallen habe, insbesondere die erhöhte Sitzposition und die Größe des Fahrzeugs, die ihnen für ihre Bedürfnisse passend erschienen sei, habe sie angesprochen. Weiter hätten sie ein Automatikfahrzeug erwerben wollen, was die Auswahl an zur Verfügung stehenden Fahrzeugen eingeschränkt habe. Nachdem er immer Benziner gefahren sei, hätte er sich von der Verwandtschaft davon überzeugen lassen, dass ein Diesel wegen des geringeren Verbrauchs und höherer Umweltfreundlichkeit besser sei.
Letzlich kommt es auf das konkrete Motiv des Klägers nicht an. Aus Sicht des Gerichts ist jeder Erwerber interessiert daran, ein Fahrzeug zu erwerben, dessen Produktion und Inverkehrgabe keinen rechtlichen Bedenken unterliegt. Jedenfalls lässt sich keinem Erwerber unterstellen, ihm wäre gleichgültig, ob das Fahrzeug ordnungsgemäß produziert und in den Verkehr gebracht worden ist oder nicht. Die Investition in ein neues Fahrzeug, das diese Eigenschaft nicht aufweist, ist aus Sicht des jeweiligen Erwerbers dann zweckwidrig, selbst wenn man unterstellt, dass das haftungsträchtige Verhalten zu keinerlei in Geld zu bemessender Einbuße geführt hat.
Hierin liegt auch kein allgemeiner Vermögensschutz, der im Deliktsrecht ja gerade nicht gelten soll, sondern es wird konkret auf den Vertragsschluss als Schaden abgestellt.
f) Damit kann auch das durchgeführte Softwareupdate den einmal eingetretenen Schaden, nämlich die Bindung an den so nicht gewollten Vertrag, nicht beseitigen.
Die technische Eignung des Softwareupdates, die Regelkonformität der betroffenen Fahrzeuge ohne negative Auswirkungen auf die Motoren der Fahrzeuge, ihre Leistung und ihre Lebensdauer herzustellen, ist sehr umstritten. Der Kläger hat für das streitgegenständliche Fahrzeug dargelegt, dass aus seiner Sicht seit dem Aufspielen des Updates das Fahrzeug vermehrt technische Probleme habe.
Letztlich kommt es aber hierauf gar nicht an. Maßgeblich für die Frage des Schadens ist der Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs. Der Schadenseintritt war zu diesem Zeitpunkt erfolgt. Dem Deliktsrecht ist eine Nacherfüllungsverpflichtung und eine damit korrespondierende Pflicht zur Hinnahme der Nacherfüllung, wie sie das Kaufrecht vorsieht, fremd.
Hinzu kommt, dass der Kläger das Softwareupdate nicht aus Gründen der Schadensbeseitigung hat durchführen lassen, sondern weil das Fahrzeug von der vom KBA angeordneten Rückrufaktion betroffen war und anderenfalls eine Betriebsuntersagung gedroht hätte. In der Durchführung des Updates kann daher kein Verzicht auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gesehen werden.
g) Da es hier nicht um den Schutz des Vermögens geht, sondern der Vertrag als solcher den zu beseitigenden Schaden darstellt, hat der Kläger zwar Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs, muss sich aber die erlangten Gebrauchsvorteile im Sinne des § 249 Abs. 1 BGB in Abzug bringen lassen.
Die Nutzungsentschädigung, die die Klagepartei an die Beklagte im Wege der Zug-um-Zug-Rückabwicklung zu entrichten hat, ist im vorliegenden Fall auf 10.714,99 € € festzusetzen. Die Berechnung nimmt das Gericht dabei nach folgender Formel vor (vgl. BGH, Entscheidung vom 09.12.2014, VIII ZR 196/14):
Bruttokaufpreis (€) x gefahrene Strecke (km)
————————————-
Restleistung bei Vertragsschluss (km)
Das Gericht geht im Rahmen der Berechnung weiter aufgrund einer Schätzung gemäß § 287 ZPO von einer Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs in Höhe von 300.000 km aus (so auch LG München I, Az. 23 O 23033/15).
Die Nutzungsentschädigung beläuft sich daher auf 45.850,00 € (Kaufpreis) x 70.109 (gefahrene km) : 300.000 = 10.714,99 €.
Es verbleibt daher ein Rückzahlungsbetrag an die Klagepartei in Höhe von 35.135,01 €.
b) Der klägerische Anspruch ergibt sich vorliegend außerdem auch aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, §§ 249 ff. BGB (vgl. beispielsweise LG Ingolstadt, Urteil vom 08.04.2019, Az. 53 O 1520/17; a.A. OLG München, Beschluss vom 03.09.2019, Az. 21 U 1896/19).
c) Der Anspruch ist auch nicht verjährt.
Es gilt die regelmäßige Drei-Jahres-Frist nach § 195 BGB. Diese beginnt nach § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Als diejenige, der die Einrede der Verjährung zugute käme, ist die Beklagte für die dafür maßgeblichen Tatsachen darlegungs- und beweispflichtig. Der streitgegenständliche Anspruch ist bereits mit Kaufvertragsschluss, spätestens jedoch mit Verjährung der kaufvertraglichen Mängelrechte entstanden. Allerdings hat die Klagepartei zur Überzeugung des Gerichts bis Ende des Jahres 2015 weder von allen anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt, noch ist dem Kläger insofern grob fahrlässige Unkenntnis vorzuwerfen.
(1) Die Klagepartei hatte von den anspruchsbegründenden Umständen, insbesondere von der Betroffenheit seines Fahrzeugs vom Abgasskandal, im Jahr 2015 noch keine positive Kenntnis erlangt.
(a) Die nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erforderliche Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen liegt im Allgemeinen vor, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist (BGH, Urteil vom 15.3.2016 – XI ZR 122/14, NJW-RR 2016, 1187).
(b) Zunächst beruht die Behauptung der Beklagten, die Klagepartei habe bereits im Jahr … positive Kenntnis von der im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Umschaltlogik und allen anderen anspruchsbegründenden Tatsachen gehabt, lediglich auf der Mutmaßung der Beklagten, dass durch öffentliche Bekanntmachungen, öffentliche Berichterstattung und die Schaffung einer eine Website zur Ermittlung der individuellen Betroffenheit durch die Beklagte im Jahr … der Abgasskandal allgemein bekannt gewesen sei und deshalb auch der Klagepartei nicht verborgen geblieben sein könne.
Dieser Sachvortrag lässt jedoch jeden individuellen Bezug zur Klagepartei vermissen. Insbesondere hat die Beklagte nicht einmal vorgetragen, dass die Fahrzeugidentifikationsnummer des klägerischen Fahrzeugs im Jahr … in die Suchmaske der zur Ermittlung der individuellen Betroffenheit vom Abgasskandal geschalteten Website eingetragen und eine Abfrage gestartet worden sei. Nicht einmal allgemein trägt die Beklagte vor, wie viel Prozent der betroffenen Fahrzeugidentifikationsnummern im Jahr … überhaupt tatsächlich bereits auf der Homepage überprüft wurden, wie stark die Homepage also zu diesem frühen Zeitpunkt des Skandals von den getäuschten Fahrzeugeigentümern angenommen wurde. Eine andere Erkenntnismöglichkeit der Klagepartei von der individuellen Betroffenheit des streitgegenständlichen Fahrzeugs im Jahr 2015 trägt die Beklagte auch nicht vor. Ihre Behauptung, der Kläger habe Kenntnis von der im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Umschaltlogik gehabt, dürfte bereits vor diesem Hintergrund als Äußerung „ins Blaue hinein“ unbeachtlich sein.
Die informatorische Anhörung des Klägers hat keine Anhaltspunkte dafür erbracht, dass dieser im Jahr … positive Kenntnis davon hatte, dass das streitgegenständliche Fahrzeug überhaupt vom Abgasskandal betroffen ist. Er hat – für das Gericht absolut nachvollziehbar und überzeugend – dargestellt, dass er nach und nach von einer allgemeinen Problematik betreffend Dieselfahrzeuge des … und erst in der Folge die Kenntnis gewonnen habe, dass auch sein Fahrzeug betroffen sei. Dies genügt jedenfalls nicht für den der Beklagten obliegenden Beweis der Kenntnis im Jahr … .
Es gibt keinen Anlass, am grundsätzlichen Wahrheitsgehalt der Aussage des Klägers zu zweifeln. Der Kläger hat sich im Termin als durchschnittlich an Nachrichten interessiert gezeigt; er liest eine regionale Tageszeitung und sieht die „Tagesschau“. Das Internet nutzt er nach seinen Angaben sehr sporadisch und auch erst seit zwei bis drei Jahren, was für seine Altersgruppe und beruflichen Hintergrund aus dem handwerklichen Bereich als typisch gelten darf. Beruflich hatte er auch keine Berührungspunkte mit der Automobilbranche. Aus Sicht des Gerichts bedurfte es aber jedenfalls im Jahr … schon einer überdurchschnittlichen Aufmerksamkeit für Automobilthemen, um aus den damaligen ersten Meldungen bereits positive Kenntnis der Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs zu erlangen. Der Kläger war bei Jahresende … gerade zweieinhalb Jahre lang Halter des streitgegenständlichen Fahrzeugs, er hatte kein Interesse an einem erneuten Pkw-Kauf oder sonst Anlass, Themen aus der Automobilbranche mit erhöhtem Interesse zu verfolgen.
(2) Die Klagepartei muss sich auch nicht entgegen halten lassen, dass eine fehlende Kenntnis der anspruchsbegründenden Umständen im Jahr … zumindest grob fahrlässig war.
Grob fahrlässige Unkenntnis liegt vor, wenn die oben genannten Umstände dem Gläubiger nur deshalb nicht bekannt sind, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße verletzt und auch ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt hat oder das nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen, wie etwa dann, wenn sich dem Gläubiger die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben und er leicht zugängliche Informationsquellen nicht genutzt hat (BGH, Urteil vom 15.3.2016 – XI ZR 122/14, NJW-RR 2016, 1187).
Der Gläubiger ist zwar nicht gehalten, umfängliche Nachforschungen über die anspruchsbegründenden Tatsachen und die Person seines Schuldners anzustellen, aber es besteht die Obliegenheit, sich zumindest über diejenigen Umstände zu informieren, bei denen dies mühelos und ohne erheblichen Kostenaufwand möglich ist, so dass das Unterlassen von Ermittlungen geradezu unverständlich erscheint. Dabei sind jedoch die konkreten Umstände des Einzelfalls zu beachten: Im Vertragsrecht können von einem Vertragspartner regelmäßig weitergehende Nachforschungen erwartet werden als von dem Geschädigten im Deliktsrecht, auch ist die Nachforschungsobliegenheit eines Unternehmers weitergehender als jene eines Verbauchers. Eine generelle Obliegenheit des Gläubigers, Presseveröffentlichungen zu verfolgen, besteht dabei nicht (MüKoBGB/Grothe, 8. Aufl. 2018, BGB § 199 Rn. 31 m.w.N.).
Vorliegend hätte die Klagepartei also, um noch im Jahr … eine schlüssige Klage erheben zu können, zwischen dem … und dem … die Presseberichterstattung so umfassend verfolgen müssen, dass er zumindest die folgenden Punkte erfahren hätte:
– Es gibt einen Abgasskandal.
– Der streitgegenständliche Fahrzeughersteller ist betroffen.
– Der streitgegenständliche Motortyp ist betroffen.
– Die individuelle Betroffenheit kann (ausschließlich) über eine Homepage des Herstellers abgeprüft werden.
– Laut Hersteller ist das streitgegenständliche Fahrzeug betroffen.
– Mitarbeiter des Herstellers haben die Software absichtlich programmiert.
– Dies ist dem Hersteller zuzurechnen.
– Zweck der Software war eine Kostensenkung zulasten eines erhöhten Schadstoffausstoßes (sittenwidriges Gepräge).
Dazu, dass auch die zuletzt genannten Punkte durch sorgfältiges Verfolgen der Presseberichterstattung bereits im Jahr … für die Klagepartei erkennbar gewesen wären, hat die Beklagte schon nicht hinreichend substanziiert vorgetragen.
Während mit Blick auf die Zurechnung nach § 31 BGB analog mittlerweile eine Vielzahl von Anknüpfungstatsachen durch Parallelverfahren bekannt ist, war dies im Jahr … noch nicht so, so dass damals für eine schlüssige Klage ein weitergehender Sachvortrag zu fordern war, als dies heute der Fall ist. Dies wäre allenfalls durch Kombination verschiedenster Pressequellen im Jahr … möglich gewesen. Ein derart sorgfältiges Verfolgen der Presseberichterstattung stellte aber jedenfalls keine Obliegenheit der Klagepartei dar. Die Klagepartei ist Verbraucher, die Beklagte vorsätzlich handelnder deliktischer Schädiger. Einem Verbraucher ist schlicht nicht zuzumuten, Skandale eines jeden Herstellers zu verfolgen, dessen Produkte er jemals erworben hat. Auch muss ein Verbraucher schlicht aufgrund des öffentlich bekannten Bestehens eines solchen Skandals noch nicht davon ausgehen, dass ihn der Hersteller absichtlich geschädigt hat, folglich muss er die Berichterstattung auch nicht mit Blick hierauf gezielt verfolgen. Diese Situation ist auch nicht vergleichbar mit Fällen, in denen das Fahrzeug erst in den Jahren nach dem Bekanntwerden des Abgasskandals erworben wurde, da man sich beim Neuerwerb eines Pkws üblicherweise deutlich umfassender informiert, als bei Skandalen zu Herstellern, deren Produkt man bereits erworben hat.
Mit Blick auf den Fahrlässigkeitsvorwurf ist auch äußerst fraglich, ob von der Klagepartei überhaupt erwartet werden konnte, die Homepage der Beklagten als Informationsquelle zu nutzten. Zu beachten ist dabei, dass hier nicht etwa eine Information von einem (selbst gewählten) Vertragspartner abzufragen war, sondern vielmehr dem Geschädigten zugemutet wurde, sich an den Hersteller, der sie getäuscht und vorsätzlich sittenwidrig geschädigt hat, zu wenden und sich auf dessen Angaben zu verlassen. Eine dahingehende Obliegenheit scheint unbillig. Des weiteren hat der Kläger plausibel erläutert, dass er von dieser Möglichkeit der Informationserlangung nichts wusste, weil er seinerseits im Jahr … das Internet gar nicht nutzte.
Eine andere Quelle zur individuellen Betroffenheit gab es aber nicht, insbesondere hatte das KBA im Jahr … die Fahrzeughalter noch nicht angeschrieben. Vor diesem Hintergrund erscheint es keinesfalls unverständlich, dass die Klagepartei im Jahr … die Berichterstattung noch nicht hinreichend verfolgt hat, um alle anspruchsbegründenen Umstände zur Kenntnis zu nehmen, sofern dies im Jahr … überhaupt schon möglich war.
d) Der Anspruch auf Verzinsung des Anspruchs nach fruchtloser Mahnung ergibt sich aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.
2. Auch der Feststellungsantrag ist begründet.
Die Voraussetzungen des Annahmeverzugs nach §§ 293 ff. BGB liegen vor. Insbesondere hat der anwaltliche Vertreter des Klägers in dem Schreiben vom … darauf hingewiesen, dass der Kläger sich den Nutzungsersatz in Abzug bringen lasse. Dass er diesen nicht beziffert hat, ist unschädlich, da er dargelegt hat, dass er die auch vom Gericht herangezogene Berechnungsmethode akzeptiert. Dies hat sich auch in der Hauptverhandlung bestätigt, in der der Kläger den Nutzungsersatz exakt in der Höhe beziffert hat, den das Gericht für angemessen erachtet.
3. Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten sind als Teil des deliktischen Schadens, § 249 BGB, (nur) in der tenorierten Höhe aus dem zusprechenden Klageantrag zu 1) samt Verzugszinsen zu ersetzen.
Bei der Berechnung ist lediglich eine 1,3 Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV, § 13 RVG (eine Gebühr: 1013,00 €) anzusetzen. Dass beide anwaltlichen Vertreter viel schreiben, macht aus dem Rechtsstreit keine Angelegenheit großen Umfangs, andernfalls hätten Rechtsanwälte es in der Hand, durch exzessiven Umgang mit der „copy and paste“-Technik hohe Gebühren zu generieren.
Weiter handelt es sich auch nicht um eine Angelegenheit hoher Schwierigkeit. Vielmehr ist das Verfahren ein Massenverfahren, bei dem die Schriftsätze zu mehr als 95% aus Textbausteinen bestehen, was allenfalls den Ansatz der Mittelgebühr rechtfertigt.
Hinzuzurechnen ist die Pauschale Nr. 7002 VV in Höhe von 20,00 €. Unter Berücksichtigung der Mehrwertsteuer ergibt sich der tenorierte Betrag von 1.590,91 €.
Die Verzinsung auch dieses Anspruchs ergibt sich ebenfalls aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.
4. Im Übrigen ist die Klage abzuweisen.
a) Zinsen nach § 849 BGB ab Kaufvertragsschluss bzw. Bezahlung des Kaufpreises schuldet die Beklagte nicht.
§ 849 BGB ist bereits dem Wortlaut nach nicht anwendbar. Die Beklagte hat weder eine Sache der Klagepartei entzogen noch beschädigt. Der Kaufpreis ging vielmehr an den Verkäufer.
Außerdem ist § 849 BGB zwar über den bloßen Wortlaut hinaus auch auf die Entziehung von Geldmitteln anzuwenden (BGH, Versäumnisurteil vom 26. 11. 2007 – II ZR 167/06, NJW 2008, 1084), allerdings ist der Anwendungsbereich auf die Überlassung von Geldern ohne gleichzeitig nutzbare Gegenleistung zu beschränken. Der Zinsanspruch nach § 849 BGB soll nämlich mit einem pauschalierten Mindestbetrag den Verlust der Nutzbarkeit einer Sache ausgleichen, der durch den späteren Gebrauch derselben oder einer anderen Sache nicht nachgeholt werden kann. Dies ist aber dann nicht der Fall, wenn der Geschädigte eine nutzbare Gegenleistung erhalten hat, auch wenn diese später im Rahmen eines Schadensersatzanspruches an den Schädiger übereignet wird. Denn durch einen Fahrzeugkauf, den die Klagepartei in jedem Fall beabsichtigte und nach dem sie das Fahrzeug auch nutzte, hätte sie auch ohne die Täuschung der Beklagten den Kaufpreis nicht gewinnbringend anlegen können. Ein allgemeiner Rechtsgedanke dahingehend, dass Schadensersatzansprüche ab dem Zeitpunkt der Entstehung zu verzinsen seien, ist dem deutschen Recht fremd (Wagner, in: MüKo, § 849 Rn. 4).
b) Bezüglich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten war die Klage abzuweisen, soweit mehr als der tenorierte Betrag beantragt war.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 92 Abs. 1 ZPO.
Angesichts der Höhe der beantragten, aber nicht ausgeurteilten Deliktszinsen von 10.581,93 € sowie der weiteren Nebenforderungen war ein fiktiver Streitwert zu bilden und anhand dessen die Obsiegens- und Unterliegensquote zu ermitteln (vgl. hierzu MüKo-Schulz, ZPO, 5. Aufl. 2016, § 92 Rn. 4). Dieser fiktive Streitwert (35.135,01 € zuzüglich der Deliktszinsen und eingeklagten Rechtsanwaltskosten) beträgt 47.816,70 €. Hiervon obsiegt der Kläger in Höhe von 36.725,02 € (35.135,01 € in der Hauptsache zuzüglich 1.590,01 € außergerichtliche Rechtsanwaltskosten), mithin von etwa 77%.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.
IV.
Der Gebührenstreitwert bemisst sich nach dem Wert der Hauptsache, Nebenforderungen und Zugum-Zug-Leistungen sind nicht zu berücksichtigen. Zu berücksichtigen war die bereits in der Klageschrift angekündigte und im Termin bezifferte Nutzungsentschädigung, und zwar in der Form, dass sie den Wert der Hauptsache von vorneherein auf den darum geminderten Kaufpreis reduziert.

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