Baurecht

Befreiung von Festsetzungen, insbesondere von Abstandsflächen

Aktenzeichen  M 11 SN 19.1137

Datum:
4.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 27426
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 42 Abs. 2, § 80 Abs. 5, § 113 Abs. 1
WEG § 1 Abs. 2, § 13 Abs. 1
BauGB § 30, § 31 Abs. 2
BayBO Art. 6 Abs. 2 S. 2
BayStrWG Art. 53 Nr. 3
BGB § 242

 

Leitsatz

1. Im Regelfall ist es unbillig, einem Bauwilligen die Nutzung seines Eigentums durch Gebrauch der ihm erteilten Baugenehmigung zu verwehren, wenn eine dem summarischen Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO entsprechende vorläufige Prüfung des Rechtsbehelfs ergibt, dass dieser letztlich erfolglos bleiben wird. Ist demgegenüber der Rechtsbehelf offensichtlich begründet, so überwiegt das Interesse des Antragstellers. Sind die Erfolgsaussichten offen, so kommt es darauf an, ob das Interesse eines Beteiligten es verlangt, dass die Betroffenen sich so behandeln lassen müssen, als ob der Verwaltungsakt bereits unanfechtbar sei. (Rn. 20) (red. LS Alexander Tauchert)
2. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt im Falle einer Nachbaranfechtungsklage (hier: Befreiung von den Abstandsflächen) ist die letzte behördliche Entscheidung.  Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Vorschriften über Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO durch die BayBO-Novelle vom 10. Juli 2018 (GVBl. S. 523) mit Wirkung vom 1. September 2018 wieder in das Prüfprogramm des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens nach Art. 59 BayBO einbezogen worden sind. Die angefochtene Baugenehmigung beurteilt sich nicht deswegen nach dem neuen Recht, weil dem Antragsteller eine Abschrift der Baugenehmigung vom 20. Februar 2018 erst am 17. Oktober 2018 zugestellt worden ist. (Rn. 24) (red. LS Alexander Tauchert)
3. Bei einer Befreiung von einer Festsetzung, die nicht zumindest auch den Zweck hat, die Rechte der Nachbarn zu schützen, sondern nur dem Interesse der Allgemeinheit an einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung dient, richtet sich der Nachbarschutz nach den Grundsätzen des im Tatbestandsmerkmal „unter Würdigung nachbarlicher Interessen“ enthaltenen Rücksichtnahmegebots. (Rn. 30) (red. LS Alexander Tauchert)
4. Eine festgestellte Abstandsflächenüberschreitung führt nicht automatisch zu einer Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme. Der Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften kommt lediglich indizielle Wirkung zu. (Rn. 43) (red. LS Alexander Tauchert)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit Carport und Garagen.
Das streitgegenständliche Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung … grenzt im Süden an die … Straße. Östlich, jedoch nicht unmittelbar angrenzend, befindet sich das Grundstück Fl.Nr. … Die beiden Grundstücke werden auf der ganzen Länge durch das Grundstück Fl.Nr. …, einen etwa 3,80 m bis 4 m breiten gewidmeten Anliegerweg, der im Eigentum der Antragsgegnerin steht, getrennt. Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Instruktionsgebiet 20“ vom 16. Februar 1970, der für das Grundstück Fl.Nr. …, nicht jedoch für das Grundstück Fl.Nr. … einen Bauraum vorsieht. Das Grundstück Fl.Nr. … ist im Süden mit einem Einfamilienhaus zur Straße hin und im Norden mit einem rückwärtigen Doppelhaus bebaut. Es ist nach dem Wohnungseigentumsgesetz (WEG) geteilt. Der Antragsteller bewohnt die südliche Hälfte des Zweifamilienhauses im rückwärtigen Teil des Grundstücks (* … Straße 12a). Er ist zusammen mit seiner Ehefrau zu je 1/2 Miteigentümer zu 375/1000 des Grundstücks Fl.Nr. … verbunden mit dem Sondereigentum an sämtlichen Räumen des von ihm bewohnten Hauses.
Der Beigeladene beantragte unter dem 28. Dezember 2017 eine Baugenehmigung für den Neubau eines Mehrfamilienhauses mit sechs Wohnungen, Carport und Garagen auf dem streitgegenständlichen Grundstück. Die Antragsunterlagen beinhalteten auch eine Abstandsflächenübernahme des Eigentümers des westlich an das Vorhabengrundstück angrenzenden Grundstücks Fl.Nr. 1. Dieser Nachbar sowie der Eigentümer des nördlich angrenzenden Grundstücks Fl.Nr. … waren beteiligt worden und hatten dem Vorhaben zugestimmt.
Mit Bescheid vom 20. Februar 2018, erteilte die Antragsgegnerin dem Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung unter Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans bezüglich der Baugrenzen, der GFZ, des Bauraums für Garagen, Carports und Stellplätze sowie der Dachneigung. Das Vorhaben widerspreche nicht den im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften, weswegen die Genehmigung nach pflichtgemäßem Ermessen zu erteilen gewesen sei. Die Voraussetzungen für die Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans lägen vor, da sich das Gebäude nach den Gebäudeausmaßen und der Höhe in die Umgebung einfüge. Nachbarrechtlich schützenswerte Belange würden aus den dargelegten Gründen nicht verletzt werden. Das planungsrechtliche Rücksichtnahmegebot werde durch das Bauvorhaben ebenfalls nicht tangiert.
Mit Schreiben vom 8. Oktober 2018 wandte sich der Bevollmächtigte des Antragstellers an die Antragsgegnerin und bat um eine Ausfertigung der Baugenehmigung. Daraufhin wurde der Baugenehmigungsbescheid dem Antragsteller am 17. Oktober 2018 zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 16. November 2018, eingegangen bei Gericht am selben Tag, ließ der Antragsteller Klage gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung erheben. Zur Begründung trug sein Bevollmächtigter mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2018 vor, dass die Baugenehmigung nachbarschützenden Festsetzungen des Bebauungsplans widerspreche. Der Bebauungsplan treffe Festsetzungen zu den Abstandsflächen in der Geltung der BayBO 1962, die verletzt seien. Die Antragsgegnerin habe ferner verkannt, dass hier drei Vollgeschosse statt zwei Vollgeschosse verwirklicht würden, weil das Dachgeschoss nach den maßgeblichen Vorschriften der BauNVO 1962 in Verbindung mit der BayBO 1962 ein Vollgeschoss sei. Schließlich komme auch den Baugrenzen und den übrigen Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung nachbarschützende Wirkung zu. Dies gelte nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. August 2018 insbesondere bei alten Bebauungsplänen auch dann, wenn der Plangeber die nachbarschützende Wirkung im Zeitpunkt der Planaufstellung nicht in seinen Willen aufgenommen habe. Durch die Befreiung von der Dachneigung werde dem Beigeladenen ermöglicht, Aufenthaltsräume im Dachgeschoss zu schaffen, die ein Vollgeschoss darstellen würden. Über die Abweichung von den Abstandsflächen habe die Antragsgegnerin nicht entschieden, weil sie verkannt habe, dass deren Geltung in den Bebauungsplan als örtliche Bauvorschrift aufgenommen worden sei, so dass diese auch vom Prüfprogramm des Art. 59 Abs. 1 Nr. 1 BayBO erfasst würden.
Die Antragsgegnerin trat der Klage entgegen. Hierzu führte ihre Bevollmächtigte mit Schriftsatz vom 19. Februar 2019 aus, dass bereits erhebliche Zweifel an der Nachbareigenschaft des Antragstellers und somit an der Zulässigkeit der Klage bestünden. Die Klage sei aber jedenfalls unbegründet. Hinsichtlich der im Bebauungsplan festgesetzten Baugrenzen und des Maßes der baulichen Nutzung gehe aus dem Bebauungsplan nicht hervor, dass diese Regelungen dem Nachbarschutz dienen sollten. Soweit die erteilten Befreiungen Festsetzungen des Bauraums für Garagen betreffen würden, so seien diese auf der vom Grundstück des Antragstellers abgewandten Seite angebracht, so dass diese den Antragsteller nicht betreffen würden. Ebenso verhalte es sich bei den Befreiungen von den Abstandsflächen. Das Bauvorhaben sei auch nicht rücksichtslos. Eine Befreiung hinsichtlich der Zahl der Vollgeschosse sei nicht nötig gewesen bzw. die gerügte fehlende Befreiung führe nicht zu einer Rechtsverletzung, da entgegen der Auffassung des Antragstellers die BayBO in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. August 2007, zuletzt geändert am 24. Juli 2015, und nicht die BayBO vom 1. August 1962 maßgeblich sei. Schließlich sei es rechtsmissbräuchlich, wenn sich der Antragsteller auf die Festsetzungen des Bebauungsplans berufe, da das von ihm bewohnte Haus unter Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans genehmigt worden sei. Das Haus des Antragstellers weise eine Dachneigung von 41,8° auf, befinde sich außerhalb der Baugrenzen, habe im Dachgeschoss ebenfalls Aufenthaltsräume und sei, würde man die Abstandsflächen nach der BayBO 1962 zugrunde legen, ebenfalls unzulässig.
Mit Schriftsatz vom 8. März 2019, eingegangen bei Gericht am 11. März 2019, lässt der Antragsteller beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung vom 20. Februar 2018 anzuordnen.
Zur Begründung trägt sein Bevollmächtigter vor, dass der Beigeladene mit der Errichtung des Bauvorhabens begonnen habe. Zudem weist der Bevollmächtigte nochmals darauf hin, dass der Bebauungsplan eine statische Verweisung auf die BayBO enthalte. Die Festsetzungen zum Maß der Bebauung und des Bauraums seien ersichtlich nachbarschützend. Diese Festsetzungen würden zu den Grundzügen des Bebauungsplans gehören, von denen keine Befreiung gewährt werden könne. Der Antragsteller habe demnach einen Gebietsbewahrungsanspruch, der durch die Baugenehmigung verletzt werde.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird vorgetragen, dass aufgrund der fehlenden Nachbareigenschaft bereits Zweifel an der Zulässigkeit des Antrags bestünden. Der Antrag sei aber jedenfalls unbegründet, da die Klage mangels Begründetheit keine Aussicht auf Erfolg habe. Hierzu werden im Wesentlichen die Ausführungen aus der Klageerwiderung vom 19. Februar 2019 wiederholt.
Der Beigeladene trägt mit Schreiben vom 27. März 2019 vor, dass der Baustopp seiner Familie erheblichen finanziellen Schaden zufüge. Der Antragsteller profitiere von Befreiungen, die er dem Beigeladenen verwehre. Dem Antragsteller gehe es um Befreiungen, die ihn nicht unmittelbar beträfen und die sich auf der von ihm abgewandten Seite des Grundstücks befänden. Das Grundstück des Antragstellers sei beinahe bis zum Grundstücksrand bebaut, wohingegen das Grundstück des Beigeladenen mehr Grünfläche vorweise. Zudem weist der Beigeladene darauf hin, dass das geplante Bauvorhaben nicht höher werde als das alte Bestandsgebäude.
Mit ergänzendem Schriftsatz vom 4. Juni 2019 trägt der Bevollmächtigte des Antragstellers zur Frage der Klage- bzw. Antragsbefugnis vor. Alle Sondereigentumseinheiten lägen dem Baugrundstück gegenüber, seien also gleichermaßen betroffen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakte in diesem sowie im zugehörigen Klageverfahren Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg. Er ist zwar zulässig, aber unbegründet.
1. Der Antragsteller ist entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt, da er Nachbar im baurechtlichen Sinne ist.
a) Zwar grenzt das Grundstück nicht unmittelbar an dasjenige des Beigeladenen an. Der Begriff des Nachbarn darf aber nicht ausschließlich nach dem äußeren Merkmal des „Angrenzens“ bestimmt werden. Dies gilt in dieser Allgemeinheit nicht einmal bei Wohnbauvorhaben. Nachbarn sind vielmehr die Eigentümer der Grundstücke, die in nachbarrechtlich relevanter Weise im Einwirkungsbereich des Bauvorhabens liegen (BayVGH, B.v. 3.2.1997 – 2 CS 96.3563 – NVwZ-RR 1998, 487/488 = juris Rn. 2). Dies können demnach auch Grundstücke sein, die jenseits einer schmalen Straße oder eines Weges, eines schmalen Wasserlaufs oder eines sonst schmalen Geländestreifens liegen (Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Stand: 132. EL Dezember 2018, Art. 66 Rn. 66 m.w.N.). Vorliegend ist das Vorhabengrundstück nur durch eine schmale Anlieger straße von etwa 3,80 m bis 4 m Breite vom Grundstück des Antragstellers getrennt. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Hauseingang auf der Ostseite des Bauvorhabens, also zum Antragsteller hin, geplant ist. Es ist demnach zumindest nicht von vornherein ausgeschlossen, dass das Grundstück des Antragstellers durch das Bauvorhaben des Beigeladenen in öffentlich-rechtlichen Belangen beeinträchtigt wird.
b) Grundsätzlich kann der einzelne Wohnungseigentümer (§ 1 Abs. 2 WEG) baurechtliche Nachbarrechte aus eigenem Recht nach § 13 Abs. 1 Halbs. 2 WEG geltend machen, wenn eine konkrete Beeinträchtigung seines Sondereigentums im Raum steht (vgl. BVerwG, B.v. 20.8.1992 – 4 B 92/92 – Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 110 = juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 2.10.2003 – 1 CS 03.1785 – NVwZ-RR 2004, 248 = BayVBl 2004, 664 = juris Rn. 18; B.v. 8.7.2013 – 2 CS 13.807 – NVwZ 2013, 1622/1623 = juris Rn. 5 m.w.N.; B.v. 24.11.2016 – 1 CS 16.2011 – ZMR 2017, 857 = juris Rn. 4; König in Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 66 Rn. 12; offen lassend BayVGH, B.v. 12.9.2005 – 1 ZB 05.42 – NVwZ-RR 2006, 430 = juris Rn. 16). Ob die Verletzung von Bauplanungsrecht eine Beeinträchtigung des Sondereigentums darstellen kann oder ob dies ausschließlich das gesamte Grundstück und damit die Wohnungseigentümergemeinschaft als solche betrifft, ist zwar fraglich (vgl. BayVGH, B.v. 8.7.2013 – 2 CS 13.807 – NVwZ 2013, 1622/1623). Dies kann vorliegend aber offen bleiben, da der Antragsteller jedenfalls auch die Verletzung der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften rügt. Diese betreffen ersichtlich gerade und in erster Linie das Sondereigentum (BVerwG, B.v. 20.8.1992 – 4 B 92/92 – Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 110 = juris Rn. 6). Das Sondereigentum des Antragstellers liegt an der dem Baugrundstück zugewandten Grundstücksgrenze und dem streitgegenständlichen Bauvorhaben direkt gegenüber. Die Abstandsflächenvorschriften entfalten hier nicht nur Schutzwirkung zugunsten des im Miteigentum stehenden Grundstücks, sondern auch zugunsten der im Sondereigentum stehenden Wohnungen und deren Nutzung (vgl. BayVGH, B.v. 21.1.2009 – 9 CS 08.1330 – ZMR 2009, 722 = juris Rn. 2). Es ist auch davon auszugehen, dass der Antragsteller geltend machen möchte, durch eine etwaige Abstandsflächenüberschreitung gerade in seinem Sondernutzungsrecht beeinträchtigt zu sein. Nach der Teilungserklärung vom 20. Mai 1992 (S. 3 f. = Bl. 47 f. der Gerichtsakte) und dem Nachtrag vom 1. August 1997 (S. 4 f. = Bl. 52 f. der Gerichtsakte) ist das Grundstück wirtschaftlich und flächenmäßig vollständig in drei Sondernutzungseinheiten aufgeteilt. Auf die bislang ungeklärte Frage, ob der einzelne Wohnungseigentümer befugt ist, öffentlich-rechtliche Nachbarrechte betreffend das Gemeinschaftseigentum im eigenen Namen geltend zu machen (hierfür etwa jüngst VGH Mannheim, U.v. 27.7.2017 – 5 S 2602/15 – ZWE 2017, 469 = DVBl 2017, 1506 = BauR 2018, 77; im Anschluss hieran VG Koblenz, U.v. 5.2.2019 – 1 K 870/18.KO – juris; vgl. ausf. zum Streitstand Müller in BeckOK WEG, Stand: 01.05.2019, § 10 Rn. 516) kommt es daher nicht an. Auch das BVerwG hat den Meinungsstreit nicht entschieden. Im Beschluss vom 17. Mai 2018 (4 B 75/17 – ZWE 2018, 334 = juris Rn. 3) wurde die Klagebefugnis für eine Nachbarklage mit dem Hinweis bestätigt, dass nach den Vorinstanzen eine Verletzung der Nachbarrechte auch aus der Betroffenheit des Sondereigentums hergeleitet wurde. Ob eine Klagebefugnis auch alleine aus dem Miteigentumsanteil am Gemeinschaftseigentum herzuleiten ist, wurde offengelassen und kann auch hier offen bleiben.
2. Der Antrag ist unbegründet.
Gemäß § 212a Abs. 1 BauGB hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Jedoch kann das Gericht der Hauptsache gemäß § 80a Abs. 3 Satz 1, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die Aussetzung der Vollziehung anordnen. Hierbei kommt es auf eine Abwägung der Interessen des Bauherrn an der sofortigen Ausnutzung der Baugenehmigung mit den Interessen des Dritten, keine vollendeten, nur schwer wieder rückgängig zu machenden Tatsachen entstehen zu lassen, an. Im Regelfall ist es unbillig, einem Bauwilligen die Nutzung seines Eigentums durch Gebrauch der ihm erteilten Baugenehmigung zu verwehren, wenn eine dem summarischen Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO entsprechende vorläufige Prüfung des Rechtsbehelfs ergibt, dass dieser letztlich erfolglos bleiben wird. Ist demgegenüber der Rechtsbehelf offensichtlich begründet, so überwiegt das Interesse des Antragstellers. Sind die Erfolgsaussichten offen, so kommt es darauf an, ob das Interesse eines Beteiligten es verlangt, dass die Betroffenen sich so behandeln lassen müssen, als ob der Verwaltungsakt bereits unanfechtbar sei. Bei der Abwägung ist den Belangen der Betroffenen umso mehr Gewicht beizumessen, je stärker und je irreparabler der Eingriff in ihre Rechte wäre.
Die im Eilverfahren auch ohne Durchführung eines Augenscheins mögliche Überprüfung der Angelegenheit anhand der Gerichtssowie der vorliegenden Behördenakte ergibt, dass die Klage des Antragstellers aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben wird. Die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung ist voraussichtlich rechtmäßig und verletzt den Antragsteller dadurch nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
Zu berücksichtigen ist dabei, dass Nachbarn eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten können, wenn sie hierdurch in einem ihnen zustehenden subjektiv-öffentlichen Recht verletzt werden. Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind (zur sog. Schutznormtheorie vgl. z.B. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 42 Rn. 89 ff. m.w.N.). Eine baurechtliche Nachbarklage kann allerdings auch dann Erfolg haben, wenn ein Vorhaben es an der gebotenen Rücksichtnahme auf seine Umgebung fehlen lässt und dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt. Dem eigentlich objektivrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist (BVerwG, U.v. 25.02.1977 – 4 C 22.75B – BVerwGE 52, 122).
a) Die angefochtene Baugenehmigung verletzt die Rechte des Antragstellers nicht wegen eines Verstoßes gegen Abstandsflächenvorschriften.
aa) Hinsichtlich einer etwaigen Verletzung von Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO kann die Klage bereits deshalb keinen Erfolg haben, da die angefochtene Baugenehmigung im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren erteilt wurde. Die Feststellungswirkung der Genehmigung ist deshalb auf die in Art. 59 Satz 1 BayBO genannten Kriterien beschränkt (vgl. BVerwG, B.v. 16.1.1997 – 4 B 244/96 – NVwZ 1998, 58 = juris Rn. 3). Die Prüfung der Abstandsflächenvorschriften war darin zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht vorgesehen. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt im Falle einer Nachbaranfechtungsklage ist die letzte behördliche Entscheidung. Es kommt auf die Sach- und Rechtslage an, die bei Erteilung der Baugenehmigung gegeben war (Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Stand: 132. EL Dezember 2018, Art. 66 Rn. 590 m.w.N.). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Vorschriften über Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO durch die BayBO-Novelle vom 10. Juli 2018 (GVBl. S. 523) mit Wirkung vom 1. September 2018 wieder in das Prüfprogramm des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens nach Art. 59 BayBO einbezogen worden sind. Die angefochtene Baugenehmigung beurteilt sich nicht deswegen nach dem neuen Recht, weil dem Antragsteller eine Abschrift der Baugenehmigung vom 20. Februar 2018 erst am 17. Oktober 2018 zugestellt worden ist. Die Baugenehmigung wird nämlich nicht erst mit der Bekanntgabe an jeden Betroffenen, sondern bereits mit der Bekanntgabe an den Bauherrn wirksam (BVerwG, U.v. 19.9.1969 – IV C 18.67 – NJW 1970, 263/264 = DVBl 1970, 62/64 = juris Rn. 24 m.w.N.). Ein einheitlicher Verwaltungsakt darf hinsichtlich der Frage des anzuwendenden Rechts nicht auseinandergerissen werden mit der nicht zu praktizierenden Folge, dass für die Antragsgegnerin und den Beigeladenen das Recht vor dem 1. September 2018, für den Antragsteller hingegen das Recht seit diesem Tag maßgeblich wäre (vgl. BVerwG, a.a.O.). Bei einer Anfechtungsklage gegen eine Baugenehmigung muss die für die Beurteilung des Vorhabens maßgebliche Sach- und Rechtslage für alle entscheidungserheblichen Genehmigungsvoraussetzungen nach demselben Zeitpunkt bestimmt werden (BayVGH, U.v. 03.12.2007 – 1 B 05.3080 – BayVBl 2008, 728 = juris Rn. 28).
bb) Die Abstandsflächen wären auch nicht nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c BayBO als örtliche Bauvorschriften zu prüfen gewesen.
Die Antragsgegnerin hat den Bebauungsplan zwar ausweislich der Erlassformel auch aufgrund des „Art. 107 der Bayerischen Bauordnung (BayBO) vom 1.8.1962 (GVBl. S. 179)“ als Satzung erlassen. Die gebotene Auslegung des Bebauungsplans im Sinne seiner Vereinbarkeit mit den gesetzlich eingeräumten Möglichkeiten zum Erlass örtlicher Bauvorschriften ergibt jedoch, dass dieser Formel nur der Charakter eines bloßen Hinweises auf die zum Zeitpunkt des Erlasses des Bebauungsplanes geltende Regelung in der BayBO 1962 zukommt (vgl. hierzu auch BayVGH, B.v. 7.3.1991 – 2 CS 91.94 – BeckRS 1991, 09054). Dadurch werden aber nicht die Abstandsflächenmaße des Art. 6 BayBO 1962 generell und statisch festgeschrieben. Denn Art. 107 Abs. 4 Satz 3 BayBO 1962 bot nach seinem Wortlaut lediglich die Ermächtigung dafür, in Form einer Verringerung oder Erweiterung der gesetzlichen Abstandsflächen von den damals geltenden Abstandsflächen des Art. 6 Abs. 3 und 4 BayBO 1962 abzuweichen. Die Norm gab dagegen keine Befugnis, durch Bebauungsplan eine etwa gewollte „Festschreibung“ der geltenden gesetzlichen Abstandsflächenregelung gegenüber künftigen Gesetzesänderungen vorzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 7.3.1991 – 2 CS 91.94 – BeckRS 1991, 09054). Dass eine solche auch gar nicht gewollt war, ergibt sich aus den Festsetzungen und der Begründung des Bebauungsplans. Ziffer C. 6. der Festsetzungen lautet: „Die Abstandsflächen der aufgeführten Flurstücksnummern dürfen (…) nicht unterschritten werden. (…) Für diese Grundstücke sind die im Bebauungsplan angegebenen (…) Abstandsflächen zulässig.“ Das Grundstück des Antragstellers wie auch das Grundstück des Beigeladenen sind nicht aufgeführt. Sinn und Zweck dieser Regelung war nach Ziffer V der Begründung des Bebauungsplans (S. 5 unten) für diese bereits dicht bebauten Grundstücke Mindestabstandsflächen festzulegen, die nicht unterschritten werden sollten. Durch die größtenteils schon vorhandene Bebauung oder zumindest nicht mehr zu verändernde Parzellierung sei eine generelle Einhaltung der Abstandsflächenbestimmungen des Art. 6 BayBO 1962 teilweise nicht mehr möglich gewesen. Um ein Überhandnehmen der bei Erweiterung- oder Neubauten auf verschiedenen Grundstücken durch die Baugenehmigungsbehörde erforderlich werdende Erteilung von Ausnahmen von vornherein zu beschränken und zu unterbinden, habe die Gemeinde beabsichtigt, in Anwendung des Art. 107 Abs. 4 BayBO 1962 für die in Ziffer 2 (richtig wäre Ziffer 6) der weiteren Festsetzungen auf den im Bebauungsplan genannten Grundstücken von Art. 6 Abs. 3 und 4 BayBO 1962 abweichende Abstandsflächen festzusetzen. Die Maße der abweichenden Abstandsflächen würden im Bebauungsplan bei den einzelnen Grundstücken eingetragen (S. 6 oben). Aus alledem ergibt sich, dass die Gemeinde lediglich für die ausdrücklich genannten Grundstücke, zu denen das Vorhabengrundstück und das Grundstück des Antragstellers nicht zählen, von ihrer Abweichungsbefugnis Gebrauch machen wollte. Hinsichtlich aller anderen Grundstücke im Plangebiet wurde keine Festsetzung von Abstandsflächen getroffen, so dass für diese die gesetzlichen Abstandsflächen gelten inklusive der jederzeit möglichen zukünftigen Rechtsänderung.
b) Das Vorhaben fügt sich nach der Art der baulichen Nutzung in die nähere Umgebung ein und verletzt folglich nicht den Gebietserhaltungsanspruch des Antragstellers.
Der Gebietserhaltungsanspruch gibt den Eigentümern von Grundstücken in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiet das Recht, sich gegen hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nicht zulässige Vorhaben zur Wehr zu setzen (BayVGH, B.v. 27.12.2017 – 15 CS 17.2061 – juris Rn. 16). Vorliegend setzt der Bebauungsplan ein allgemeines Wohngebiet fest (Festsetzung C. 2.). Zulässig sind Wohngebäude (Festsetzung C. 2. a. 1.). Bei dem streitgegenständlichen Bauvorhaben handelt es sich um ein Mehrfamilienhaus mit sechs Wohneinheiten und folglich um ein im Plangebiet allgemein zulässiges Wohngebäude. Selbst wenn man davon ausginge, dass ausnahmsweise „Quantität in Qualität“ umschlagen könnte, mithin die Größe einer baulichen Anlage die Art der baulichen Nutzung erfassen kann (vgl. BVerwG, U.v. 16.3.1995 – 4 C 3.94 – NVwZ 1995, 899 = juris Rn. 17), weist ein Wohngebäude mit sechs Wohneinheiten keine Größe auf, die es erlauben würde, von einer gegenüber den übrigen Wohngebäuden im Plangebiet andersartigen Nutzungsart zu sprechen (vgl. BayVGH, B.v. 8.1.2019 – 9 CS 17.2482 – BayVBl. 2019, 349 = juris Rn. 16, der ein Fünffamilienhaus in einem reinen Wohngebiet als zulässig erachtet hat), da nach dem Bebauungsplan und seiner Begründung auch andere Mehrfamilienhäuser im Plangebiet vorhanden und auch ausdrücklich städtebaulich erwünscht sind (vgl. Ziffer IV. der Begründung zum Bebauungsplan, S. 4 unten).
c) Die angefochtene Baugenehmigung verletzt den Antragsteller voraussichtlich nicht wegen der erteilten Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans.
Bei Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans hängt der Umfang des Rechtsschutzes des Nachbarn davon ab, ob die Festsetzungen, von deren Einhaltung dispensiert wird, dem Nachbarschutz dienen oder nicht. Bei einer Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung ist der Nachbar schon dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Befreiung rechtswidrig ist, weil eine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB nicht erfüllt ist (vgl. BVerwG, B.v. 27.8.2013 – 4 B 39/13 – juris Rn. 3 m.w.N.). Bei einer Befreiung von einer Festsetzung, die nicht zumindest auch den Zweck hat, die Rechte der Nachbarn zu schützen, sondern nur dem Interesse der Allgemeinheit an einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung dient, richtet sich der Nachbarschutz hingegen nach den Grundsätzen des im Tatbestandsmerkmal „unter Würdigung nachbarlicher Interessen“ enthaltenen Rücksichtnahmegebots. Nachbarrechte werden in diesem Fall nicht schon dann verletzt, wenn die Befreiung aus irgendeinem Grund rechtswidrig ist, sondern nur, wenn der Nachbar durch das Vorhaben infolge der zu Unrecht erteilten Befreiung unzumutbar beeinträchtigt wird (BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64/98 – NVwZ-RR 1999, 8 = juris Rn. 5; vgl. auch BayVGH, B.v. 20.2.2013 – 1 ZB 11.2893 – juris Rn. 6 m.w.N.).
aa) Die Festsetzungen des einschlägigen Bebauungsplans, von denen Befreiungen erteilt wurden, sind nicht nachbarschützend.
Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung durch Bebauungspläne haben grundsätzlich keine nachbarschützende Funktion (vgl. BVerwG, B.v. 23.6.1995 – 4 B 52/95 – NVwZ 1996, 170 = juris Rn. 3). Ob und in welchem Umfang Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung ausnahmsweise auch darauf gerichtet sind, dem Schutz des Nachbarn zu dienen, hängt allein vom Willen der Gemeinde als Trägerin der Planungshoheit ab (BVerwG, B.v. 19.10.1995 – 4 B 215/95 – NVwZ 1996, 888 = juris Rn. 3). Dieser ist im Einzelfall durch Auslegung zu ermitteln. Er muss sich mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Bebauungsplan, seiner Begründung oder aus sonstigen Unterlagen der Gemeinde (Sitzungsprotokolle etc.) ergeben (BayVGH, B.v. 30.6.2009 – 1 ZB 07.3058 – juris Rn. 29).
Vorliegend ergeben sich weder aus dem Bebauungsplan noch aus dessen Begründung Anhaltspunkte dafür, dass den Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung nachbarschützende Funktion zukommen soll. Daher ist vom Regelfall auszugehen, dass rein städtebauliche Gründe die Festsetzungen getragen haben. So ergibt sich etwa aus Ziffer IV der Begründung, dass die Festsetzung über die zulässige Anzahl der Geschosse aus städtebaulichen Gründen erfolgte (S. 5 am Ende des ersten Absatzes).
Hinsichtlich der nachbarschützenden Wirkung von seitlichen Baulinien oder -grenzen kommt eine solche allenfalls für diejenigen Nachbarn in Frage, zu deren Grundstücksseite hin die in Rede stehende Festsetzung erfolgt ist, wenn sich aus dem Bebauungsplan selbst oder seiner Begründung Anhaltspunkte dafür finden lassen, dass der Plangeber im konkreten Fall insoweit Nachbarschutz vermitteln wollte (BayVGH, B.v. 22.11.1999 – 1 ZS 99.2884 – juris Rn. 7; Siegmund in Spannowsky/Uechtritz, BeckOK BauGB, 44. Edition, Stand: 01.02.2019, § 31 Rn. 93). Dies gilt aber nicht für eine vordere, straßenseitige Baugrenze. Dieser kommt lediglich die Funktion zu, die Anordnung der Gebäude zur Straße aus städtebaulichen Gründen zu gestalten. Einer vorderen, straßenseitigen Baugrenze kommt daher regelmäßig keine nachbarschützende Wirkung zu (VGH Mannheim, B.v. 20.1.2005 – 8 S 3003/04 – NVwZ-RR 2005, 397/398). Vorliegend ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine nachbarschützende Wirkung der seitlichen Baugrenzen. Im Übrigen ist die festgesetzte Baugrenze ohnehin nicht nach Osten zum Antragsteller hin, sondern nach Süden zur Straße überschritten.
Festsetzungen über die Dachneigung sind im Allgemeinen rein städtebaulicher Natur (vgl. Art. 91 Abs. 1 Nr. 1 BayBO) und haben deshalb regelmäßig keine nachbarschützende Wirkung (BayVGH, B.v. 10.1.2000 – 27 ZB 97.1931 – juris Rn. 3).
An diesem Ergebnis ändert auch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. August 2018 nichts. Sofern darin postuliert wird, dass Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung nachbarschützend sind, wenn der Plangeber die Planbetroffenen mit den Festsetzungen in ein wechselseitiges nachbarliches Austauschverhältnis einbinden wollte (BVerwG, U.v. 9.8.2018 – 4 C 7/17 – NVwZ 2018, 1808 = juris Rn. 15), kann offen bleiben, in welchem Fall diese Voraussetzungen erfüllt sind. Es ist jedenfalls nicht davon auszugehen, dass der Plangeber im vorliegenden Fall den Eigentümer eines Grundstücks, für das kein Baurecht vorgesehen ist, mit den Eigentümern der übrigen Grundstücke im Plangebiet derart in ein wechselseitiges, die Planbetroffenen zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbindendendes Austauschverhältnis einbinden wollte, dass den Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung Nachbarschutz zugunsten des Eigentümers des unbebaubaren Grundstücks zukommen soll. Dahinstehen kann, ob es sinnvoll und rechtswirksam ist, für ein mit einem Bestandsgebäude bebautes Grundstück kein Baurecht vorzusehen. Legt man dieses planerische Konzept zugrunde, ergibt sich aus der Sicht des Plangebers jedenfalls keine Notwendigkeit, den Eigentümer des unbebaubaren Grundstücks mit Abwehrrechten gegen die umliegende Bebauung auszustatten, weil ein Interessenkonflikt zwischen den benachbarten Grundstücken nach der Vorstellung des Plangebers in einem solchen Fall von vornherein ausscheidet.
bb) Das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme wird durch die erteilten Befreiungen voraussichtlich nicht verletzt.
Das in § 31 Abs. 2 BauGB enthaltene Rücksichtnahmegebot erfordert eine Interessenabwägung. Die Schutzwürdigkeit des betroffenen Nachbarn, sein Interesse an der Einhaltung der Festsetzungen des Bebauungsplans und damit an einer Verhinderung von Beeinträchtigungen und Nachteilen sowie die Intensität der Beeinträchtigung sind mit den Interessen des Bauherrn abzuwägen. Der Nachbar kann umso mehr an Rücksichtnahme verlangen, je empfindlicher seine Stellung durch eine an die Stelle der im Bebauungsplan festgesetzten Nutzung tretende andersartige Nutzung berührt werden kann. Umgekehrt braucht derjenige, der die Befreiung in Anspruch nehmen will, umso weniger Rücksicht zu nehmen, je verständlicher und unabweisbarer die von ihm verfolgten Interessen sind. Unter welchen Voraussetzungen eine Befreiung Rechte des Nachbarn verletzt, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab. Maßgeblich kommt es darauf an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. zum Ganzen BVerwG, U.v. 23.8.1996 – 4 C 13/94 – BVerwGE 101, 364 = NVwZ 1997, 384 = juris Rn. 66 m.w.N.). Eine erdrückende oder unzumutbar einengende Wirkung ist nur anzunehmen, wenn eine bauliche Anlage wegen ihrer Ausmaße, ihrer Baumasse oder ihrer massiven Gestaltung ein benachbartes Grundstück unangemessen benachteiligt, indem es diesem förmlich „die Luft nimmt“, wenn für den Nachbarn das Gefühl des „Eingemauertseins“ entsteht, oder wenn die Größe des „erdrückenden“ Gebäudes aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls derart übermächtig ist, dass das „erdrückte“ Gebäude oder Grundstück nur noch oder überwiegend wie eine von einem „herrschenden Gebäude“ dominierte Fläche ohne eigene Charakteristik wahrgenommen wird. Hauptkriterien bei der Beurteilung einer erdrückenden oder abriegelnden Wirkung sind die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung (vgl. BayVGH, B.v. 2.10.2018 – 2 ZB 16.2168 – juris Rn. 4 m.w.N.). Eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme hinsichtlich Belichtung, Belüftung und Besonnung scheidet in aller Regel aus, wenn die gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsflächen eingehalten werden (BayVGH, B.v. 03.6.2016 – 1 CS 16.747 – juris Rn. 7 m.w.N.).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist das Vorhaben gegenüber dem Antragsteller nicht rücksichtslos. Dies ergibt eine Gesamtwürdigung, auch wenn das Vorhaben die erforderlichen Abstandsflächen nicht gänzlich einhält.
Nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayBO dürfen Abstandsflächen auf öffentlichen Verkehrs-, Grün- und Wasserflächen liegen, allerdings nur bis zu deren Mitte. Die andere Hälfte muss dem gegenüberliegenden Grundstückseigentümer für die von ihm einzuhaltenden Abstandsflächen zur Verfügung stehen (Dhom/Franz/Rauscher in Simon/Busse, BayBO, Stand: 132. EL Dezember 2018, Art. 6 Rn. 72; König in Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 6 Rn. 60; Schönfeld in BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, Stand: 1.3.2019, Art. 6 Rn. 102). Hierauf hat der Nachbar einen Rechtsanspruch (Dhom/Franz/Rauscher, a.a.O., Rn. 72). Die Regelung des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayBO ist insoweit nachbarschützend (Dhom/Franz/Rauscher, a.a.O., Rn. 608).
Zu den öffentlichen Verkehrsflächen gehören auch Eigentümerwege im Sinne des Art. 53 Nr. 3 BayStrWG. Aber selbst eine fehlende Widmung wäre unschädlich, wenn die Gemeinde Eigentümerin der Wegeparzelle ist und trotz fehlender Widmung Baugenehmigungen für an dem Weg liegende Grundstückseigentümer erteilt hat (vgl. OVG Münster, B.v. 8.2.2005 – 10 B 1876/04 – BauR 2005, 1457 = juris Rn. 5). Vorliegend handelt es sich nach übereinstimmendem Vortrag der Beteiligten bei dem Grundstück Fl.Nr. … um eine gewidmete Anlieger straße, die im Eigentum der Antragsgegnerin steht. Auch in dem vorgelegten Grundbuchauszug ist das Grundstück als „Verkehrsfläche“ vermerkt. Es ist daher von einer öffentlichen Verkehrsfläche im Sinne des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayBO auszugehen.
Im Bereich des östlichen Zwerchgiebels des streitgegenständlichen Bauvorhabens beträgt die Breite der Anlieger straße nach den vorgelegten Planunterlagen 3,80 m. Die Straßenmitte läge demnach bei 1,90 m. Die östliche Außenwand des streitgegenständlichen Bauvorhabens ist 16 m lang, so dass auf dieser Seite nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO eine Abstandsflächentiefe von H/2 ausreichend ist. Allerdings ist der östliche Zwerchgiebel bei der Berechnung der Wandhöhe zu berücksichtigen. Die Wand eines Zwerchhauses bildet zusammen mit dem unter ihr liegenden Teil der Außenwand einen Wandteil, für den das Maß H in unmittelbarer Anwendung der Art. 6 Abs. 4 Sätze 1 bis 4 BayBO gesondert zu ermitteln ist (König in Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 6 Rn. 74). In diesem Bereich ergibt sich eine Wandhöhe von 8,48 m. Die Abstandsfläche von H/2 ist dementsprechend mit 4,24 m angegeben. Davon liegen augenscheinlich 2,05 m auf der Anlieger straße. Demnach würde die Abstandsfläche die Straßenmitte um 0,15 m überschreiten.
Die festgestellte Abstandsflächenüberschreitung führt aber dennoch nicht automatisch zu einer Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme. Zum einen kommt der Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften lediglich indizielle Wirkung zu. Zum anderen ist bei der gebotenen Gesamtwürdigung zu berücksichtigen, dass die Abstandsflächenüberschreitung lediglich 15 cm beträgt, nicht auf der gesamten Länge, sondern nur im Bereich des Zwerchgiebels gegeben ist und zudem vollständig auf öffentlichem Grund und nicht auf dem Grundstück des Antragstellers liegt. Eine erdrückende Wirkung dürfte zudem ausscheiden, da das Vorhaben nach dem Vortrag des Beigeladenen nicht höher werden soll, als das Bestandsgebäude. Es ist mit einer Firsthöhe von knapp unter 10 m nicht übermäßig hoch. Auch ist es nicht übermäßig lang. Zwar weist das Vorhaben zum Grundstück des Antragstellers hin eine 16 m lange Wand auf. Eine solche Länge stellt sich aber nicht als unzumutbar dar, da sie der Privilegierung des Art. 6 Abs. 6 S. 1 BayBO entspricht. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass von einer Gebäudewand dieser Länge keine solche Störung ausgeht, die einen größeren Gebäude- oder Grenzabstand erfordert (LT-Drs. 9/7854, S. 30). Damit hat der Gesetzgeber eine typisierte Interessenabwägung (Dhom/Franz/Rauscher in Simon/Busse, BayBO, Stand: 132. EL Dezember 2018, Art. 6 Rn. 370) zwischen der besseren Ausnutzung der Baugrundstücke und Nachbarbelangen vorgenommen. Anhaltspunkte, im konkreten Fall hiervon abzuweichen, sind nicht ersichtlich. Die Terrasse des Antragstellers ist nach Südosten hin ausgerichtet, das Bauvorhaben entsteht dagegen im Südwesten. Zum Bauvorhaben hin befinden sich im Erdgeschoss des Antragstellers nach dem vorgelegten Grundriss (Rückseite Bl. 56 der Gerichtsakte) lediglich der Hauseingang und das Küchenfenster. Auch die Garagen liegen auf der vom Antragsteller abgewandten Seite des Grundstücks.
d) Selbst wenn man einen drittschützenden Charakter der entsprechenden Festsetzungen annehmen würde, könnte sich der Antragsteller jedenfalls nach dem derzeitigen Sachstand voraussichtlich entsprechend § 242 BGB nicht darauf berufen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss eine Nachbarklage zum Schutze einer planwidrigen Nutzung erfolglos bleiben, weil rechtsmissbräuchlich handelt, wer unter Berufung auf das nachbarliche Austauschverhältnis eine eigene Nutzung schützen möchte, die ihrerseits das nachbarliche Austauschverhältnis stört (BVerwG, U.v. 24.2.2000 – 4 C 23/98 – NVwZ 2000, 1054 = juris Rn. 15). Ein Nachbar ist unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung gehindert, einen Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften geltend zu machen, wenn er in vergleichbarer Weise, das heißt etwa im selben Umfang, gegen diese Vorschriften verstoßen hat (BVerwG, U.v. 9.8.2018 – 4 C 7/17 – NVwZ 2018, 1808 = juris Rn. 26; BayVGH, U.v. 4.2.2011 – 1 BV 08.131 – juris Rn. 37). Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, dass das Gebäude des Antragstellers ersichtlich vollständig außerhalb von Baugrenzen liegt, da für das Grundstück Fl.Nr. … kein Bauraum vorgesehen ist. Nach dem Vortrag der Antragsgegnerin und des Beigeladenen, der vom Antragsteller nicht substantiiert bestritten worden ist und der deswegen im Rahmen der summarischen Prüfung der Sachlage zugrunde gelegt werden kann, ist das Gebäude des Antragsgegners zudem ebenfalls unter Befreiungen von Festsetzungen des Bebauungsplans genehmigt worden, etwa der Dachneigung. Wenn dem so ist, kann der Antragsteller nicht die Einhaltung derjenigen Festsetzungen fordern, die er selbst nicht einhält.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass der Beigeladene seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da er keine Anträge gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 162 Abs. 3 und § 154 Abs. 3 VwGO).
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und Abs. 8 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 und Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs. Der Streitwert beträgt die Hälfte des im Hauptsacheverfahren voraussichtlich anzusetzenden Streitwerts.

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