Aktenzeichen M 11 E 19.50096
VwVfG § 51
AsylG § 34a, § 71
Dublin III-VO § 29 Abs. 2
Leitsatz
Statthafter Eilrechtsschutz zur Sicherung eines Anspruchs auf Wiederaufgreifen des Verfahrens bzgl. einer bestandskräftigen Abschiebungsanordnung ist eine einstweilige Anordnung mit dem Ziel, der BRD als Rechtsträgerin des BAMF aufzugeben, der für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass vorläufig nicht aufgrund der früheren Mitteilung und der bestandskräftigen Abschiebungsanordnung abgeschoben werden darf. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Der Antragsteller, nach eigenen Angaben pakistanischer Staatsangehöriger, hat bereits unter dem Az. … einen Asylerstantrag gestellt. Nachdem der Antragsteller ab dem 23. November 2016 unbekannt verzog, wurde das Asylverfahren mit bestandskräftigem Bescheid vom 22. Juli 2017 eingestellt.
Am 5. Juli 2018 stellte der Antragsteller unter dem Az. … einen weiteren Asylantrag. Zur Begründung gab er an, er habe sich die ganze Zeit in Deutschland aufgehalten. Im November 2016 habe er in Ludwigshafen bei einem Freund gewohnt und sei am Bein operiert worden. Der Antragsteller wurde aufgefordert, bis zum 26. Juli 2018 entsprechende Nachweise über die Operation vorzulegen.
Eine Eurodac-Abfrage am 5. Juli 2018 ergab für den Antragsteller einen Eurodac-Treffer der „Kategorie 1“, wonach der Antragsteller am 5. Juli 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz in Italien gestellt hat. Das Bundesamt richtete daraufhin am 11. Juli 2018 ein Wiederaufnahmegesuch an Italien, dem die italienischen Behörden mit Schreiben vom 23. Juli 2018 unter Bezugnahme auf Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) der VO (EU) Nr. 604/2013 zustimmten.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 1. August 2018, zugestellt am 9. August 2018, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Nr. 2), ordnete die Abschiebung nach Italien an (Nr. 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 4). Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
Ein am 14. Januar 2019 geplanter Überstellungstermin scheiterte, da der Antragsteller nicht angetroffen wurde. Nach Mitteilung der Unterkunftsleitung gegenüber der Polizei vom gleichen Tag, soll sich der Antragsteller ab Dezember 2018 nicht mehr in der Unterkunft aufgehalten haben. Mit Schreiben vom 14. Januar 2019 teilte das Bundesamt den italienischen Behörden mit, dass eine Überstellung derzeit nicht möglich sei, weil der Antragsteller flüchtig sei. Es gelte die 18-monatige Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO, die am 23. Januar 2020 ende.
Am 31. Januar 2019 stellte der Antragsteller erneut einen Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland. Bei seiner Anhörung am gleichen Tag bestätigte er, in Italien einen Asylantrag gestellt zu haben; entsprechende Dokumente habe er verloren. Weiter gab der Antragsteller an, eine Verletzung am Bein zu haben. Die medizinische Versorgung in Italien sei nicht für Flüchtlinge, sondern für Italiener. Die Beschwerden habe er seit einem Unfall in Pakistan, dort sei er bereits am Rücken operiert worden. Jetzt funktioniere sein Bein nicht mehr richtig. In Ludwigshafen sei er untersucht worden, es habe aber keine Operation gegeben. Atteste könne er nicht vorlegen, Medikamente nehme er derzeit nicht. Der Antragsteller erklärte, in Deutschland bleiben zu wollen. Er habe in Ludwigshafen gelebt und in einer Pizzeria gearbeitet.
Mit Bescheid vom 1. Februar 2019, zugestellt am 11. Februar 2019, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 1. August 2018 ab. Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, es lägen keine Gründe für eine Rücknahme des Bescheids vom 1. August 2018 gemäß § 48 VwVfG vor. Die weitere Unzulässigkeit des Asylantrags könne auch auf dem erfolglosen Abschluss des früheren Asylverfahrens beruhen, wenn die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht vorliegen würden (§ 29 Abs. 1 Nr. 5 AylG). Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz lägen nach den Erkenntnissen des Bundesamts nicht vor. In Bezug auf die behaupteten gesundheitlichen Beschwerden am Bein habe der Antragsteller keine Nachweise erbracht. Im Bedarfsfall sei die medizinische Versorgung in Italien sichergestellt. Einer erneuten Abschiebungsanordnung bedürfe es nicht, da mit Bescheid vom 1. August 2018 bereits eine vollziehbare Abschiebungsanordnung vorliege, aus der weiterhin vollzogen werden könne. Auf die Begründung des Bescheids wird im Übrigen Bezug genommen.
Am 12. Februar 2019 hat der Antragsteller zur Niederschrift beim Verwaltungsgericht München Klage gegen den Bescheid erhoben (M 11 K 19.50095) und zugleich beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, von einer Mitteilung an die Ausländerbehörde gemäß § 71 Abs. 5 AsylG abzusehen bzw. eine solche zu widerrufen.
Zur Begründung nahm der Antragsteller auf seine Angaben gegenüber dem Bundesamt Bezug.
Das Bundesamt hat sich im Gerichtsverfahren bislang nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die Behördenakten des Bundesamts (Az. …, … und …) Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig. Zwar ist vorläufiger Rechtsschutz gegen eine kraft Gesetzes sofort vollziehbare Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zu gewähren (vgl. § 34 a Abs. 2 Satz 1, § 75 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 Satz 1 VwGO), sodass ein Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht statthaft und damit unzulässig wäre (vgl. § 123 Abs. 5 VwGO). Ist die Abschiebungsanordnung aber bestandskräftig geworden und sieht das Bundesamt – wie vorliegend – von einer erneuten Abschiebungsanordnung ab, muss der Betroffene in unmittelbarer Anwendung des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG einen Antrag beim Bundesamt auf Wiederaufgreifen des Verfahrens stellen, wenn er eine nachträgliche Änderung der Sach- und/ oder Rechtslage geltend machen will. Die Sicherung dieses Anspruchs auf Wiederaufgreifen des Verfahrens kann der Antragsteller im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO beantragen, dass der Bundesrepublik als Rechtsträgerin des Bundesamts aufgegeben wird, der für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass vorläufig nicht aufgrund der früheren Mitteilung und der bestandskräftigen Abschiebungsanordnung abgeschoben werden darf (vgl. BayVGH, B.v. 21.4.2015 – 10 CE 15.810 – juris Rn. 5 m.w.N.; VG Gelsenkirchen, B.v. 13.12.2017 – 12 a L 3499/17.A – juris Rn 4).
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Der Antragsteller hat demnach sowohl die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund), als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch), glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO).
Vorliegend fehlt es jedenfalls an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs.
Nach § 51 Abs. 1 VwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsakts zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (Nr. 1), neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (Nr. 3).
Ungeachtet dessen, ob die Regelungen des § 51 VwVfG in Bezug auf die Geltendmachung von Abschiebungsverboten unmittelbar zur Anwendung kommen (vgl. BayVGH, B.v. 21.4.2015 – 10 CE 15.810 – juris Rn. 5 m.w.N.; VG Gelsenkirchen, B.v. 13.12.2017 – 12 a L 3499/17.A – juris Rn 4; VG Greifswald, B.v. 29.6.2017 – 4 B 734/17 As HGW – juris Rn. 17) oder hinsichtlich eines weiteren Asylantrags über den Verweis des § 71 Abs. 1 AsylG Anwendung finden (vgl. VG Magdeburg, B.v. 23.6.2017 – 2 B 603/17 – juris), hat der Antragsteller keinen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen seines Asylverfahrens gemäß § 51 VwVfG glaubhaft gemacht.
Vorliegend kommt keiner der in § 51 Abs. 1 VwVfG genannten Wiederaufgreifensgründe in Betracht. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass sich die dem Bescheid vom 1. August 2018 zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Antragstellers geändert hätte.
Das Gericht hat keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des bestandskräftigen DublinBescheids vom 1. August 2018. Insbesondere ist die Überstellungsfrist des § 29 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist – Dublin III-VO – noch nicht abgelaufen, weil das Bundesamt den Antragsteller zu Recht als flüchtig im Sinne von Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin IIIVO behandelt und die italienischen Behörden zudem rechtzeitig von der Verlängerung der Überstellungsfrist auf 18 Monate informiert hat. Es ist daher zutreffend, dass Italien auch weiterhin für die Entscheidung über das Asylbegehren des Antragstellers zuständig ist.
Die Abschiebung nach Italien kann weiterhin im Sinne des § 34a AsylG durchgeführt werden. Abschiebungshindernisse ergeben sich insbesondere nicht in Hinblick auf die vorgetragenen gesundheitlichen Beschwerden des Antragstellers.
Abgesehen davon, dass der Antragsteller seine Beschwerden bereits in den vorangegangen Asylverfahren hätte geltend machen müssen und insofern insbesondere die ihm eingeräumte Frist zur Nachreichung von Nachweisen ungenutzt ließ (§ 51 Abs. 2 und 3 VwVfG), wurde auch im gerichtlichen Verfahren kein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis in Form einer Reiseunfähigkeit im engeren Sinne – Transportunfähigkeit – oder in Form einer Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne – erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustands als unmittelbare Folge der Abschiebung – (BVerfG, B.v. 17.09.2014 – 2 BvR 1795/14 – BeckRS 2014, 56447) belegt. Die nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AsylG gesetzlich vermutete Reisefähigkeit wurde durch den Vortrag des Antragstellers nicht widerlegt (vgl. auch BayVGH, B.v. 9.5.2017 – 10 CE 17.750 – juris). Hinsichtlich der medizinischen Versorgung in Italien wird auf die ausführliche Begründung des Bescheids vom 1. Februar 2019 Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Der Antragsteller hat damit vorliegend nicht glaubhaft gemacht, dass er einen Anspruch auf Änderung des bestandskräftigen Dublin-Bescheids vom 1. August 2018 bzw. auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im Hinblick auf zielstaats- oder inlandsbezogene Abschiebungsverbote hat und in der Folge auf eine entsprechende Mitteilung des Bundesamts an die vollziehende Ausländerbehörde, inhaltlich gerichtet auf Nichtdurchführung der Abschiebung des Antragstellers.
Andere nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheids vom 1. August 2018 entstandene Gründe, welche die Annahme einer Änderung der Sach- oder Rechtslage zu Gunsten des Antragstellers im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG oder eine Aufhebung des Bescheids nach §§ 48, 49 VwVfG zu tragen vermögen und daher einer Überstellung nach Italien entgegenstehen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Zwar ist die in der Begründung des Bescheids vom 1. Februar 2019 genannte Rechtsgrundlage des § 48 VwVfG vorliegend nicht einschlägig, da sie einen rechtswidrigen Verwaltungsakt voraussetzen würde. Das Bundesamt hat jedoch auch die Möglichkeit eines Wiederaufgreifens des Verfahrens benannt und sich in der Bescheidsbegründung inhaltlich ausführlich mit dem Vorbringen des Antragstellers auseinandergesetzt. Den Anspruch des Antragstellers, seinen Antrag ermessensfehlerfrei zu bescheiden, hat das Bundesamt daher erfüllt. Ermessensfehler (§ 114 VwGO) sind insoweit nicht ersichtlich und werden vom Antragsteller auch nicht behauptet.
3. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.