Baurecht

Baugenehmigung für Werbeanlage

Aktenzeichen  1 ZB 16.1981

Datum:
9.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 46043
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 4, § 124a Abs. 4 S. 4
BauGB § 35 Abs. 2, Abs. 3

 

Leitsatz

1. Festsetzungen eines Bebauungsplans werden funktionslos und damit unwirksam, wenn die Verhältnisse im Plangebiet in ihrer tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt und diese Entwicklung so offenkundig ist, dass sie einem dennoch in die Fortgeltung der Festsetzung gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Voraussetzungen für eine Funktionslosigkeit sind für jede Festsetzung des Bebauungsplans getrennt zu prüfen. Sie ist nicht schon dann anzunehmen, wenn eine Festsetzung nicht mehr überall im Plangebiet umgesetzt werden kann. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für eine den Anforderungen des § 124a Abs. 4 S. 4 VwGO genügende Darlegung eines Berufungszulassungsgrundes ist es kein Hindernis, wenn der Antragsteller sein Vorbringen unter dem falschen Zulassungsgrund erörtert oder verschiedene Gesichtspunkte, die bei unterschiedlichen Zulassungsgründen iSv § 124 Abs. 2 VwGO relevant sein können, miteinander vermengt. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
4. Bei der Frage, ob ein Vorhaben nach § 35 Abs. 2 und 3 BauGB bauplanungsrechtlich unzulässig ist, genügt schon der Verstoß gegen einen der in § 35 Abs. 3 S. 1 BauGB beispielhaft genannten öffentlichen Belange. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

9 K 15.4853 2016-07-06 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung einer großflächigen Werbeanlage im nördlichen Bereich ihres Baugrundstücks, das im Geltungsbereich des Bebauungsplans … * vom 24. Mai 1975 („Bahndreieck“) liegt. Dieser setzt im Bereich des geplanten Vorhabens eine Fläche für Bahnanlagen fest. Im übrigen Gebiet sieht der Bebauungsplan als Art der baulichen Nutzung ein Gewerbegebiet vor. Das Verwaltungsgericht hat die gegen den Ablehnungsbescheid der Beklagten gerichtete Klage abgewiesen. Die Festsetzungen zu den Bauräumen und den Verkehrsflächen in dem Bebauungsplan seien funktionslos geworden, weil aufgrund einer von den Festsetzungen des Bebauungsplans ganz erheblich abweichenden tatsächlichen Verkehrsführung die im Bebauungsplan vorgesehene tragende Plankonzeption offenkundig nicht mehr zu verwirklichen sei und auch die im übrigen Bereich bereits realisierte Bebauung sich aufgrund der realisierten Verkehrsführung in weitem Umfang nicht an die geplanten Bauräume halte. Daraus ergebe sich die Funktionslosigkeit des Bebauungsplans im Gesamten, da nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Festsetzung hinsichtlich der Art der Nutzung als Gewerbegebiet isoliert von der tragenden Planungskonzeption der Erschließung und der Bauräume Bestand haben solle, da eine isolierte Festsetzung zur Art der Nutzung keinen sinnvollen Beitrag zur städtebaulichen Entwicklung habe. Das Baugrundstück und der Bereich, in dem die Werbeanlage errichtet werden solle, sei dem Außenbereich zuzuordnen. Das Vorhaben widerspreche Bauplanungsrecht, weil es öffentliche Belange beeinträchtige.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) sind nicht dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) oder liegen nicht vor.
1. Die Darlegungen der Klägerin sind nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils zu wecken (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ernstliche Zweifel im Sinn dieser Vorschrift, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – juris) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – juris). Das ist nicht der Fall.
Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass die Festsetzungen zur Verkehrsführung und zu den Baugrenzen funktionslos geworden sind, weil sowohl die tatsächliche Verkehrsführung von den Festsetzungen des Bebauungsplans ganz erheblich abweicht als auch die bereits realisierte Bebauung sich in weitem Umfang nicht an die geplanten Bauräume hält mit der Folge, dass die im Bebauungsplan vorgesehene tragende Plankonzeption offenkundig nicht mehr zu verwirklichen ist. Festsetzungen eines Bebauungsplans werden funktionslos und damit unwirksam, wenn die Verhältnisse im Plangebiet in ihrer tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt und diese Entwicklung so offenkundig ist, dass sie einem dennoch in die Fortgeltung der Festsetzung gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.2004 – 4 C 10.03 – BauR 2004, 1567; BayVGH, U.v. 13.2.2015 – 1 B 13.646 – juris Rn. 30 m.w.N.). Die Voraussetzungen für eine Funktionslosigkeit sind für jede Festsetzung des Bebauungsplans getrennt zu prüfen. Sie ist nicht schon dann anzunehmen, wenn eine Festsetzung nicht mehr überall im Plangebiet umgesetzt werden kann. Die Unwirksamkeit der Festsetzung der Baugrenzen stellt die Klägerin nicht in Frage. Das Verwaltungsgericht hat die Unwirksamkeit der Festsetzung der Verkehrsführung daraus abgeleitet, dass eine Anpassung der Verkehrsführung an die ursprüngliche Bebauungsplankonzeption auf unabsehbare Zeit nicht zu erwarten sei und daher die Verkehrsführung (sowie die anschließende Bebauung) in absehbarer Zeit nicht entsprechend der ursprünglichen Festsetzung verwirklicht werde. Der Bebauungsplan habe angesichts der durch die Verkehrsführung vorgegebenen äußeren und inneren Begrenzung seine Fähigkeit verloren, die städtebauliche Entwicklung noch in eine bestimmte Richtung zu steuern. Dies sei auch offenkundig, da eine (erneute) Verlegung sehr aufwändig wäre. Demgegenüber beschränkt die Klägerin ihren Vortrag darauf, dass die tatsächliche Verkehrsführung sich – bis auf die Nordverschiebung – nicht in erheblichem Maße von der Festsetzung des Bebauungsplans unterscheide, trotzdem noch genügend Bauraum auf dem Baugrundstück bestehen bleibe und es nicht anzunehmen sei, dass der Bebauungsplan durch die geänderte Verkehrsführung die Fähigkeit verloren habe, die städtebauliche Entwicklung in eine bestimmte Richtung zu steuern. Ungeachtet einer ausreichenden Darlegung ist dieser Vortrag nicht geeignet, die Feststellungen des Verwaltungsgerichts zu erschüttern. Dies gilt auch insoweit als sie beanstandet, das Verwaltungsgericht habe entgegen den Vorgaben der Rechtsprechung die Festsetzung des Gebiets nicht auf dessen Funktionslosigkeit geprüft. Dabei verkennt sie, dass auch das Verwaltungsgericht von der Wirksamkeit dieser Feststellung ausgeht, ihr jedoch bei der Frage der Funktionslosigkeit des Bebauungsplans im Gesamten aufgrund der tragenden Planungskonzeption einen isolierten Bestand abspricht, insbesondere weil sie (allein) nicht mehr sinnvoll zur städtebaulichen Entwicklung beitragen kann. In diesem Zusammenhang kommt es nicht auf den dem Baugrundstück nach der Veränderung der Verkehrsführung verbleibenden Bauraum an, zumal nach der vorgesehen Plankonzeption ein Bauraum in dem Bereich, der für die Errichtung der Werbeanlage vorgesehen ist, nicht festgesetzt wurde.
Es ist auch nicht ernstlich zweifelhaft, dass das Verwaltungsgericht das Baugrundstück dem Außenbereich im Sinne von § 35 BauGB zugeordnet hat, weil es schon nicht an einem Bebauungszusammenhang teilnimmt. Der Zulassungsgrund ist ungeachtet dessen, dass er unter dem Zulassungsgrund einer Divergenz geltend gemacht wurde, hinreichend dargelegt. Denn für eine den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Darlegung eines Berufungszulassungsgrundes ist es kein Hindernis, wenn der Antragsteller sein Vorbringen unter dem falschen Zulassungsgrund erörtert oder verschiedene Gesichtspunkte, die bei unterschiedlichen Zulassungsgründen im Sinn von § 124 Abs. 2 VwGO relevant sein können, miteinander vermengt (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 20011/10 – NVwZ 2011, 546).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hängt die Frage, ob ein Grundstück Teil eines Bebauungszusammenhangs ist, davon ab, inwieweit eine aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsanschauung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt. Die Abgrenzung zwischen Innen- und Außenbereich lässt sich dabei nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern nur aufgrund einer umfassenden Würdigung der gesamten örtlichen Gegebenheiten, insbesondere der optisch wahrnehmbaren topographischen Situation und der Umgebungsbebauung bestimmen (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2012 – 4 C 10.11 – NVwZ 2012, 1631; B.v. 8.10.2015 – 4 B 28.15 – ZfBR 2016, 67; BayVGH, B.v. 9.12.2017 – 1 ZB 16.1301 – juris Rn. 5).
Das Verwaltungsgericht begründet unter Zugrundelegung seiner beim Augenschein getroffenen Feststellungen und einer Bewertung der konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls, warum das Baugrundstück nicht Teil eines Bebauungszusammenhangs im Sinn des § 34 BauGB ist, es somit nicht mehr von der im Osten und Süden vorhandenen (gewerblichen) Bebauung geprägt wird. Die Zulassungsbegründung legt nicht dar, dass sich das Verwaltungsgericht bei der anzustellenden Gesamtbetrachtung von unzutreffenden Erwägungen hat leiten lassen. Denn das Verwaltungsgericht hat dabei nicht allein auf die Größe der Freifläche abgestellt, sondern auch auf ihre natürliche Beschaffenheit (mit einem Bewuchs mit Büschen und Bäumen sowie auf FlNr. … * der Gemarkung U* … auch mit einer Wasserfläche) als eigenständige Freifläche. Im Übrigen kommt es auf die (ähnlichen) Ausmaße der einzubeziehenden Grundstücke nicht an, sondern auf die optisch wahrnehmbare topografische Situation (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2012, a.a.O.). Dass die Freifläche, die geprägt ist durch die Situierung an einer Bahnstrecke, einen von der Umgebung sich deutlich abhebenden eigenständigen städtebaulichen Charakter aufweist, ist nicht ernstlich zweifelhaft. Soweit die Klägerin dem U* …weg eine trennende Wirkung abspricht und behauptet, es handle sich hier nicht um Verkehrswege, die das Grundstück in der Gesamtbetrachtung des Gebiets von der übrigen Bebauung abgrenzen, stellt sie lediglich ihre eigene Bewertung der tatsächlichen Umstände derjenigen des Verwaltungsgerichts gegenüber, ohne zugleich substantiierte Zweifel an den tatsächlichen Feststellungen oder der rechtlichen Bewertung des Verwaltungsgerichts aufzuzeigen.
Aufgrund der Lage im Außenbereich ist das geplante Vorhaben gemäß § 35 Abs. 2 und 3 BauGB unzulässig. Die Richtigkeit der Beurteilung des Verwaltungsgerichts, dass die geplante Errichtung der Werbeanlage den Darstellungen des Flächennutzungsplans der Beklagte widerspricht (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB), wird von der Klägerin nicht angegriffen. Es kommt nicht darauf an, ob darüber hinaus noch ein weiterer öffentlicher Belang in Form der Belange des Naturschutzes beeinträchtigt wird. Bei der Frage, ob ein Vorhaben nach § 35 Abs. 2 und 3 BauGB bauplanungsrechtlich unzulässig ist, genügt schon der Verstoß gegen einen der in § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB beispielhaft genannten öffentlichen Belange (BVerwG, B.v. 8.11.1999 – 4 B 85.99 – BauR 2000, 1171).
2. Die Berufung ist auch nicht wegen einer Divergenz nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzulassen. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass das angefochtene Urteil mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem eben solchen Rechtssatz eines in der Vorschrift genannten Gerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Im Zulassungsantrag muss ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet werden und einem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenüber gestellt werden (vgl. BVerwG, B.v. 11.8.1998 – 2 B 74.98 – NVwZ 1999, 406; B.v. 28.1.2004 – 6 PB 15.03 – NVwZ 2004, 889; B.v. 26.6.1995 – 8 B 44.95 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO Nr. 2).
Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen im Zulassungsantrag nicht. Das Verwaltungsgericht hat vorliegend bereits keinen Obersatz aufgestellt, der im Widerspruch zu der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 6.11.1968 (IV C 2.66) steht. Insoweit kleidet der Zulassungsantrag seine Kritik an dem angefochtenen Urteil lediglich in das Gewand einer Divergenzrüge. Im Übrigen widerspricht das angefochtene Urteil nicht der angeführten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Ausweislich der vorstehenden Erwägungen unter Nummer 1 ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin durch die Ablehnung des Antrags auf Errichtung der großflächigen Werbeanlage in subjektiven Rechten verletzt wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 3 und Abs. 1 Satz 1 sowie § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nummer 9.1.2.3.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. Beilage 2/2013 zu NVwZ Heft 23/2013).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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