Aktenzeichen L 19 R 694/15
SGB X § 102 Abs. 1, Abs. 2, § 104 Abs. 1 S. 1, S. 2, § 107 Abs. 1
Leitsatz
1. Erforderlich für einen Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X ist das Vorliegen einer zeitlichen Kongruenz, dh. eine zeitliche Deckung des Leistungszeitraums. (Rn. 20)
2. Im Rahmen eines Erstattungsanspruches nach § 40a SGB II iVm § 104 SGB X ist eine kalendertägliche Gegenüberstellung der Leistungen vorzunehmen und in Ausgleich zu bringen, so dass es nicht darauf ankommt, ob das zu erstattene Arbeitslosengeld II für einen Kalendermonat bewilligt wurde. (Rn. 29)
3 Übergangsgeld nach dem SGB VI und Arbeitslosengeld II dienen der Absicherung des Lebensunterhaltes, einmal während der Dauer einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben und einmal der Sicherung des Lebensunterhaltes während der Zeit der Arbeitslosigkeit ohne Anspruch auf Leistungen nach dem SGB III. Es sind sachlich kongruente Leistungen. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
S 16 R 224/14 2015-07-28 Urt SGBAYREUTH SG Bayreuth
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 28.07.2015 aufgehoben und die Klage auf weitere Erstattungszahlungen in Sachen A. in Höhe von 152,83 Euro wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert wird auf 152,83 Euro festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Berufung (§§ 143, 144 Abs. 2 und 3, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG -) ist begründet.
Das Sozialgericht hat zu Unrecht einen weiteren Erstattungsanspruch des Klägers angenommen. Die für einen Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X erforderliche zeitliche Kongruenz beider Leistungen liegt erst ab dem 08.04.2013 vor.
Gemäß § 40 a SGB II in der ab dem 01.01.2009 geltenden Fassung steht dem Träger der Grundsicherung – hier dem Kläger – unter den Voraussetzungen des § 104 SGB X ein Erstattungsanspruch gegen den anderen Sozialleistungsträger – hier die Beklagte – zu, wenn einer leistungsberechtigten Person – hier dem Versicherten – für denselben Zeitraum, für den ein Träger der Grundsicherung Leistungen nach dem SGB II erbracht hat, eine andere Sozialleistung bewilligt. § 40 a SGB II ist als Rechtsgrundverweisung zu sehen.
Gemäß § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger einen Erstattungsanspruch gegen den vorrangig verpflichteten Leistungsträger, soweit dieser nicht bereits mit befreiender Wirkung an den Leistungsberechtigten geleistet hatte, also ohne Kenntnis vom Leistungsbezug. Gemäß § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X ist nachrangig verpflichtet ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Nach § 104 Abs. 1 Satz 3 SGB X besteht ein Erstattungsanspruch nicht, soweit der nachrangige Leistungsträger seine Leistungen auch bei Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers hätte erbringen müssen.
Der Versicherte stand beim Kläger durchgehend im Leistungsbezug von Arbeitslosengeld II; zuletzt wurde ihm mit Bescheid vom 24.11.2012 bis einschließlich 30.04.2013 Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 655,00 Euro und auf entsprechenden Weiterbewilligungsantrag vom 15.03.2013 mit Bescheid vom 18.03.2013 vom 01.05.2013 bis einschließlich 31.10.2013 Leistungen in gleicher Höhe weiterbewilligt. Die Bewilligung von Arbeitslosengeld II durch den Kläger erfolgte ohne Vorbehalt und auch nicht vorläufig.
Mit Zuerkennung der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben durch die Beklagte mit Bescheid vom 06.03.2013 für die Zeit ab dem 08.04.2013 entstand für den Versicherten ein Leistungsanspruch gegen die Beklagte, der im Ergebnis zu einem Wegfall von Anspruchsvoraussetzungen nach § 7 SGB II führte, weil im Zusammenhang mit der Bewilligung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auch ein Anspruch auf Gewährung von Übergangsgeld nach §§ 20 f SGB VI entstanden war und das Übergangsgeld so hoch war, dass damit eine weitere Bedürftigkeit für die Dauer der Maßnahme nicht mehr gegeben war.
Der Kläger ist nachrangig verpflichteter Leistungsträger im Sinne des § 104 SGB X. Ein Anwendungsfall des § 103 SGB X ist nicht gegeben, weil der Kläger dem Versicherten gegenüber dem Grunde nach leistungspflichtig bleibt. Bei Eintritt von Bedürftigkeit hätte der Versicherte auch während der Gewährung der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben durch die Beklagte Anspruch auf Grundsicherungsleistungen für Arbeitssuchende (vgl. Urteil des Senats vom 04.05.2016 – L 19 R 817/14).
Die notwendige sachliche Kongruenz beider Leistungen ist unzweifelhaft gegeben. Der Zweck beider Leistungen, die Sicherung des notwendigen Lebensunterhaltes zu gewährleisten, ist ausreichend, um von einer Gleichartigkeit beider Leistungen ausgehen zu können (vgl. Roos, in: v. Wulffen, Kommentar zum SGB X, 8. Aufl. 2014, § 104 SGB X, Rn. 11 mwN). Übergangsgeld nach § 20 SGB VI und Arbeitslosengeld II nach §§ 20 ff. SGB II dienen der Absicherung des Lebensunterhaltes, einmal während der Dauer einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben und einmal der Sicherung des Lebensunterhaltes während der Zeit der Arbeitslosigkeit ohne Anspruch auf Leistungen nach dem SGB III.
Erforderlich für einen Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X ist aber auch das Vorliegen einer zeitlichen Kongruenz, d. h. eine zeitliche Deckung des Leistungszeitraums. Eine zeitliche Deckung der Leistungszeiträume ist ab Bewilligung der Leistung zur Teilhabe und dem damit einhergehenden, ab dem 08.04.2013 bestehenden Anspruch auf Übergangsgeld gegeben. Ohne diese Leistung ist der Kläger bis einschließlich 07.04.2013 der allein zuständige Leistungsträger, ein Wegfall der Bedürftigkeit kann frühestens ab dem 08.04.2013 durch den Leistungsanspruch gegen die Beklagte eintreten.
Die vom Kläger bereits erbrachten Leistungen ab dem 08.04.2013 gelten gemäß § 107 SGB X dann als Erfüllung des Leistungsanspruchs des Versicherten gegen die Beklagte auf Gewährung von Übergangsgeld, so dass diese – auf den Zeitraum vom 08.04.2013 bis 30.04.2013 entfallenden – Geldleistungen, die die Beklagte zu erbringen hat, in Höhe der bereits erfüllten Zahlung nicht mehr an den Versicherten ausbezahlt werden dürfen, sondern für den Erstattungsanspruch des Klägers nach § 104 SGB X vorbehalten sind. Diese anteiligen Leistungen hat die Beklagte dem Kläger bereits erstattet. Ein darüber hinausgehender Anspruch besteht nicht.
Es kommt hierbei nicht darauf an, dass – wie das Sozialgericht und der Kläger meinen – in § 41 SGB II ein sog. Monatsprinzip gesetzlich verankert ist. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB II besteht Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für jeden Kalendertag. Deshalb ist im Rahmen eines Erstattungsanspruchs nach § 104 SGB X auch eine kalendertägliche Gegenüberstellung der Leistungen vorzunehmen und in Ausgleich zu bringen. Das in § 41 Abs. 1 Satz 2 SGB II enthaltene Monatsprinzip dient lediglich der Verwaltungserleichterung, wenn Zahlungen nach dem SGB II für einen vollen Kalendermonat zu erbringen sind, der dann mit 30 Kalendertagen anzusetzen ist. Ausdrücklich sieht aber § 41 Abs. 1 Satz 3 SGB II vor, dass Leistungen anteilig erbracht werden müssen, wenn die Leistungen nicht für einen vollen Monat zustehen. Für die Zeit vom 01.04.2013 bis 07.04.2013 bestand Bedürftigkeit des Versicherten mit Leistungsanspruch gegen den Kläger; eine Erfüllungsfiktion nach § 107 SGB X mit dem nachfolgenden Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X tritt rechtlich und tatsächlich erst ab dem 08.04.2013 ein.
Es ist dabei nicht relevant, ob eventuell aufgrund der Zuerkennung einer deutlich höheren vorrangigen Sozialleistung für die Folgezeit die Situation eintritt, dass damit bei rückwirkender Betrachtung für diesen Monat keine Bedürftigkeit vorgelegen hätte. Entscheidend ist jeweils der Beginn des zeitlichen Deckungszeitraums mit Beginn der Leistungen des vorrangig zuständigen Leistungsträgers.
Im Übrigen würde, soweit der Kläger eine monatsweise Gegenüberstellung als geboten ansieht, eine vollständige zeitliche Kongruenz nur insoweit vorliegen, als die Leistungen jeweils über den gesamten Monat erbracht werden. Bei einer derartigen Sichtweise würde also ein Erstattungsanspruch des Klägers für den gesamten Monat April 2013 nicht in Frage kommen, denn bei monatsweiser Betrachtung wäre erst im Monat Mai in vollem Umfang eine Situation gegeben, dass eine nachrangige Leistungsverpflichtung für den gesamten Monat bestanden hätte. Dies wäre allerdings weder sachgerecht, noch würde es der gesetzlichen Neuregelung des § 40 a SGB II entsprechen, der mit Rückwirkung auch für den hier streitigen Zeitraum eingeführt worden ist.
Zu beachten ist auch, dass in anderen Fällen – selbst bei tatsächlichen Monatsleistungen wie etwa Renten – das Prinzip der zeitlichen Kongruenz gerade zu Berechnungen pro rata temporis führt. Für den Senat ergibt sich somit im vorliegenden Rechtsstreit, dass die tageweise Betrachtung und Abrechnung gesetzeskonform (§ 40 a iVm § 41 SGB II) und sachgerecht ist.
Dabei könnte weiter zu beachten sein, dass der Wegfall einer Bedürftigkeit im Sinne des § 7 SGB II nicht bereits bei Entstehen eines Anspruchs anzunehmen ist, sondern erst mit dem tatsächlichen Zufluss dieser Leistungen. Das für das SGB II geltende Zuflussprinzip führt oftmals zu einer Verschiebung zwischen dem Zeitraum des rechtlichen Anspruchs und dem Zeitraum der Berücksichtigung des Einkommens. Dies ist vorliegend aber nicht streitgegenständlich. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten einen Erstattungsanspruch nicht erst ab dem Zeitpunkt des Zuflusses des Übergangsgelds – offensichtlich Mai 2013 – geltend gemacht, sondern auch Forderungen für den Zeitraum davor erhoben und die Beklagte hat die Forderungen für die Zeit ab 08.04.2013 anerkannt und erfüllt.
Für die Entscheidung unerheblich ist der vorgebrachte Hinweis auf die untergesetzliche Verfahrensabsprache vom 02.12.2004, zum einen weil die Übergangsgeldzahlung höher war als die Leistungen des Klägers – und zwar sowohl bei anteiliger als auch bei absoluter Betrachtung – und zum anderen dürfte diese Regelung mit Einführung der gesetzlichen Vorschrift des § 40 a SGB II überholt sein.
Nicht überzeugen kann aus Sicht des Senates auch die Argumentation, dass der Kläger nicht auf eine Rückforderung gegenüber dem Sozialleistungsbezieher verwiesen werden könne, weil diesem die Leistungen rechtmäßig zugeflossen seien, und darin eine Benachteiligung des Klägers liegen würde, die im Rahmen des Erstattungsverfahrens ausgeglichen werden müsse. Zum einen führt das Berücksichtigen des tatsächlichen Zuflusses von Geldleistungen oftmals dazu, dass noch nach Ablauf des Anspruchszeitraums nachrangige Leistungen nicht zu erbringen sind. Zum anderen stellt der Senat in Frage, ob selbst bei – fiktiv angenommenem – Zufluss des Übergangsgelds für April 2013 im April 2013 der Kläger einen Rückforderungsanspruch gegenüber dem Leistungsbezieher gehabt hätte und der Leistungsbezieher ungerechtfertigt bevorteilt sei, wenn ihm von seiner höheren Übergangsgeldleistung nur der Betrag in Abzug gebracht würde, der für eine Erstattung der anteiligen Leistungen des Klägers für die Zeit vom 08.04.2013 bis 30.04.2013 aufzuwenden gewesen ist. Die vom Kläger vorgebrachte Argumentation, dass dem Leistungsbezieher wegen des hohen Einkommens aus Übergangsgeld für den gesamten Monat April keine Leistungen aus dem SGB II zugestanden hätten, wird mit der BSG-Entscheidung vom 30.07.2008 (B 14 AS 26/07 R) in Verbindung gebracht. Dies kann aber nicht überzeugen, zumal im vorliegenden Fall der Sachverhalt anders gelagert ist. Zwar ist es rechnerisch richtig, dass der Geldbetrag, der sich aus der Übergangsgeldzahlung für die Zeit vom 08.04.2013 bis 30.04.2013 ergibt, der Höhe nach ausgereicht hätte, um beim Leistungsbezieher die Bedürftigkeit im Sinne des SGB II für einen ganzen Monat entfallen zu lassen. Das tatsächliche Wegfallen eines solchen Anspruches für den gesamten Monat – und nicht nur anteilig im Sinne des § 41 Abs. 1 Satz 3 SGB II – würde aber voraussetzen, dass der Eingang eines Einkommens schon zu Beginn des Zeitraumes festgestanden hätte. Im vorliegenden Fall ist aber erst zum 08.04.2013 eine wesentliche Änderung der Lebensverhältnisse des Leistungsbeziehers eingetreten, weil er erst ab diesem Zeitpunkt eine Maßnahme begonnen hatte, die mit einem Anspruch auf Übergangsgeld verbunden war. Eine Abänderung des Bescheids vom 24.11.2012 gegenüber dem Leistungsempfänger wäre wegen Änderung der Verhältnisse erst ab dem Zeitpunkt der Änderung begründbar. Die Rückforderung wäre damit auch auf den Folgezeitraum begrenzt (Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB, Stand 12/2011, § 41 SGB II Rn. 73). Es ist nicht einsichtig, warum der Kläger im Wege des Erstattungsanspruchs besser gestellt werden sollte, als wenn die Leistungen von vornherein sich aneinander angeschlossen hätten.
Nicht abgestellt werden kann dabei auf die bereits früher erfolgte Bewilligung der Teilhabeleistung, weil der Anspruch auf Übergangsgeld erst mit der tatsächlichen Beteiligung an der Teilhabemaßnahme entsteht. Im Übrigen wäre es bei Vertreten einer anderen Sichtweise Aufgabe des Klägers gewesen, seinen Bewilligungsbescheid vorab aufzuheben und nur vorschussweise ein Darlehen zu gewähren.
Der vom Kläger geltend gemachte weitere Zahlungsanspruch ist daher unabhängig davon, ob man eine monatsweise oder – zutreffend – eine tageweise Betrachtung zu Grunde legt, nicht begründet. Dementsprechend hat der Kläger keinen Anspruch auf weitere Erstattung von 152,83 Euro, also dem in der Höhe unstrittigen Betrag, der an Leistungen nach dem SGB II an den Leistungsempfänger für die Zeit vom 01.04.2013 bis 07.04.2013 erbracht worden ist.
Die gegenläufige Entscheidung des Sozialgerichts Bayreuth vom 28.07.2015 ist daher aufzuheben und die Klage ist abzuweisen.
Da weder Kläger noch Beklagte zu dem in § 183 SGG erfassten Personenkreis gehören ist über die Kosten gemäß § 197a SGG eine Entscheidung nach den §§ 154 – 162 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) herbeizuführen. Der Kläger hat als der unterliegende Teil die Kosten zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO). Der Streitwert bestimmt sich in Höhe der bezifferten Forderung (§ 52 Abs. 3 Satz 1 Gerichtskostengesetz – GKG). Die Entscheidung über den Streitwert ergeht gebührenfrei; Kosten werden insoweit nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG).
Die Revision war nicht zuzulassen, da keine entsprechenden Gründe vorliegen (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG). Die von der Klägerseite aufgeworfene Frage, ob die Erstattung von SGB II-Leistungen monatsweise oder tageweise zu erfolgen hat, ist aus Sicht des Senates aus der von Gesetz und Rechtsprechung geforderten Kongruenz der Leistungen bereits beantwortet. Außerdem ist sie nicht entscheidungserheblich, da der vom Kläger gegenüber der Beklagten geltend gemachte Zahlungsanspruch auch bei der Annahme, dass monatliche Kongruenz gefordert wäre, nicht begründet wäre. Der Senat weicht auch nicht von Grundsätzen des BSG-Urteils vom 30.07.2008 (B 14 AS 26/07 R) ab, soweit sie nach Einführung der Neuregelung des § 40 a SGB II noch Fortwirkung haben.