Aktenzeichen M 10 K 16.3952
VwZG § 7 Abs. 1
VwGO § 60, § 74 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
1 Es liegt kein Ermessensfehler im Unterlassen einer Nachfrage, ob ein Steuerberater noch bevollmächtigt ist, auch wenn das Widerspruchsverfahren unverhältnismäßig lange angedauert hat. Die Behörde hat insoweit keine Nachforschungspflicht. Vielmehr besteht nach § 80 AO die Obliegenheit des Klägers, der Behörde einen Widerruf der Vollmacht mitzuteilen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2 Das Gesetz sieht nicht vor, dass eine Zustellung in Geschäftsräumen nur innerhalb der Öffnungszeiten möglich ist. Eine Abrede mit der Post hat nur interne Wirkung und steht einer wirksamen Zustellung nicht entgegen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die Klage ist unzulässig, da sie nicht innerhalb der Monatsfrist des § 74 VwGO erhoben wurde.
Die Klagefrist begann am 30. Juli 2016 und endete am 30. August 2016. Die am 1. September 2016 erhobene Klage ist somit verspätet.
Nach § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO muss die Anfechtungsklage innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids erhoben werden.
Laut Postzustellungsurkunde wurde der Widerspruchsbescheid dem ehemaligen Steuerberater des Klägers am 30. Juli 2016, einem Samstag, in seinen Büroräumlichkeiten zugestellt. Diese Zustellung ist rechtlich für den Fristbeginn maßgeblich (dazu unter 1.). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden (dazu unter 2.).
1. Der Widerspruchsbescheid wurde ordnungsgemäß an den ehemaligen Steuerberater des Klägers am 30. Juli 2016 zugestellt.
a. Der Steuerberater H. war richtiger Zustellungsadressat. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwZG können Zustellungen an den allgemeinen oder für bestimmte Angelegenheiten bestellten Bevollmächtigten gerichtet werden und sind an ihn zu richten, wenn er schriftliche Vollmacht vorgelegt hat. Die Norm findet auf das Widerspruchsverfahren Anwendung, § 73 Abs. 3 Satz 2 VwGO.
Hierfür ist unerheblich, ob die mit Schreiben vom 9. März 2000 vom Steuerberater H. der Beklagten vorgelegte Vollmacht im Wege der Auslegung oder auf Grund widersprüchlichen Verhaltens als eine schriftliche Vollmacht im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 2 VwZG zu werten ist. Jedenfalls konnte die Regierung … als Widerspruchsbehörde den Widerspruchsbescheid an den Steuerberater H. nach § 7 Abs. 1 Satz 1 VwZG zustellen und hat dies rechtsfehlerfrei getan. Es liegt kein Ermessensfehler im Unterlassen einer Nachfrage, ob der Steuerberater H. noch bevollmächtigt ist, auch wenn das Widerspruchsverfahren unverhältnismäßig lange angedauert hat. Entgegen der Ansicht der Klägerseite hat die Beklagte keine Nachforschungspflicht. Ist, etwa auf Grund langen Zeitablaufs, unklar, ob eine Bevollmächtigung weiterhin besteht, weist das Gesetz das Risiko klar dem Bevollmächtigten zu. Denn § 80 AO, welcher nach § 1 Abs. 2, § 3 Abs. 2 AO auf Gewerbesteuern Anwendung findet, statuiert die Obliegenheit des Klägers, der Beklagten einen Widerruf der Vollmacht mitzuteilen. Nach § 80 Abs. 1 Satz 3 AO wird ein Widerruf gegenüber der Finanzbehörde erst wirksam, wenn er ihr zugeht. Die Vorschrift gilt für alle steuerrechtlichen Verfahren im Anwendungsbereich der AO einschließlich des Rechtsbehelfsverfahrens (vgl. Wünsch in Koenig, AO, 3. Auflage 2014 § 80 Rn. 4; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Stand: August 2002, § 80 Rn. 25), also auch im Widerspruchsverfahren. Die wirksam erteilte und nicht erloschene oder widerrufene Vollmacht berechtigt den Bevollmächtigten zu allen aktiven und passiven Verfahrenshandlungen in dem betreffenden Verwaltungsverfahren, sofern der Inhalt der Vollmacht dem nicht entgegen steht (Wünsch a.a.O. Rn. 32). Der Vollmacht ist nicht – auch nicht durch Auslegung – zu entnehmen, dass der Steuerberater in Gewerbesteuerverfahren nicht zur Abgabe und zum Empfang von Willenserklärungen bevollmächtigt sein soll. Zwar ließe sich die Vollmacht so auslegen, dass der Steuerberater zum Einlegen des Widerspruchs gegen eine Gewerbesteuer überhaupt nicht bevollmächtigt war. Doch musste die Widerspruchsbehörde davon ausgehen, dass der Steuerberater wenigstens mündlich hierzu bevollmächtigt war. Der vorgelegten Vollmacht lässt sich nicht entnehmen, dass nur eine aktive, nicht auch eine passive Bevollmächtigung vorliegen soll; in jedem Fall ergibt sich aus Sicht des objektiven Empfängers eine Kongruenz von aktiver und passiver Bevollmächtigung. Ein Widerruf ist weder gegenüber der Beklagten noch gegenüber der Widerspruchsbehörde erfolgt. Nachdem das Gesetz das im vorliegenden Fall eingetretene Risiko dem Kläger zuweist, nämlich dass eine Vollmacht ohne Kenntnis der Steuerbehörde widerrufen wurde, war die Widerspruchsbehörde nicht gehalten, sich nach dem Stand der Bevollmächtigung zu erkundigen (vgl. sogar zum Fall einer Rechtscheinsvollmacht BFH, B.v. 26.6.1997, XI B 174/96 – juris, m.w.N.; vgl. auch FG Köln, U.v. 15.6.2011 – 7 K 1798/10 – juris). Sie durfte vielmehr nach § 80 Abs. 1 AO bis zur gegenteiligen Information davon ausgehen, dass die Vollmacht weiter bestand.
b. Die Zustellung an einem Samstag erfolgte wirksam nach § 3 Abs. 2 VwZG i.V.m. §§ 178, 180 Satz 1 ZPO durch Niederlegung in den Briefkasten der Steuerberaterkanzlei, welche durch die Postzustellungsurkunde nachgewiesen ist. Das Gesetz sieht nicht vor, dass eine Zustellung in Geschäftsräumen nur innerhalb der Öffnungszeiten möglich ist. Eine Abrede zwischen der Post und dem Büro des Steuerberaters hat nur interne Wirkung und steht einer wirksamen Zustellung nicht entgegen.
2. Gründe für die Wiedereinsetzung nach § 60 VwGO sind nicht glaubhaft gemacht. Denn die Unkenntnis des Klägers über den Beginn der Klagefrist ist ein Rechtsirrtum, den er durch Recherche oder anwaltliche Beratung hätte vermeiden können. Der Kläger kannte die tatsächlichen Umstände, insbesondere hat er den Widerspruchsbescheid von seinem ehemaligen Steuerberater alsbald erhalten. Dass er dachte, die Frist beginne erst mit seiner Kenntnisnahme zu laufen und die letzten Tage dieser selbst errechneten Frist abwartete, um einen Rechtsanwalt aufzusuchen, beruht auf einem rechtlichen Irrtum des Klägers, der nicht unverschuldet im Sinne des § 60 VwGO ist. Mangelnde Rechtskenntnisse, etwa eine unrichtige Beurteilung der Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs, entschuldigen ein Fristversäumnis nicht (BeckOK VwGO/Brink VwGO § 60 Rn. 9-11, m.w.N.). Berechnet ein Rechtsunkundiger den Beginn oder den Ablauf einer Rechtsbehelfsfrist selbst, muss er die Folgen einer unrichtigen Berechnung auf sich nehmen. Mangelnde Rechtskenntnis vermag eine Fristversäumnis grundsätzlich nicht zu entschuldigen; eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 Abs. 1 VwGO) wegen unverschuldeter Fristversäumnis kommt nicht in Betracht (BVerwG, B.v. 15.08.2017 – 4 B 38.17 – juris).
3. Die Klage ist daher unzulässig erhoben und abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.