Medizinrecht

Dauer der Heilungsbewährungszeit

Aktenzeichen  L 3 SB 20/16

Datum:
28.4.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 71345
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IX SGB IX § 2 Abs. 2, § 69 Abs. 1
SGB X SGB X § 48
SGG § 183, § 193

 

Leitsatz

1. Auch eine insgesamt ungünstige Prognose einer bösartigen Erkrankung kann regelmäßig nicht zu einer Verlängerung der Heilungsbewährungszeit führen. (amtlicher Leitsatz)
2. Bei Krebserkrankungen beträgt die Heilungsbewährung in der Regel fünf Jahre. Der Wortlaut in der Regel betrifft hierbei die Abkürzung des Zeitraums bei bestimmten Erkrankungsbildern, nicht aber die Eröffnung der Möglichkeit einer jeweiligen Einzelfallentscheidung in Bezug auf eine Bestimmung des individuell angemessenen Zeitraums der Heilungsbewährung. (amtlicher Leitsatz)
3 Nach rückfallfreiem Ablauf der Zeit der Heilungsbewährung tritt insoweit eine wesentliche Änderung im Sinne von § 48 SGB X ein, als dann nach medizinischer Erfahrung regelmäßig die Krebserkrankung in dem Sinne überwunden ist, dass eine unmittelbare Lebensbedrohung nicht mehr besteht, und außerdem die vielfältigen Auswirkungen der Krankheit auf die gesamte Lebensführung in aller Regel entfallen oder wenigstens gemindert sind, so dass eine von den konkreten Verhältnissen unabhängige abstrakte Einschätzung des GdB nicht mehr gerechtfertigt ist. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 16 SB 238/15 2015-11-16 Urt SGAUGSBURG SG Augsburg

Tenor

I.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 16. November 2015 wird zurückgewiesen.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 und 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, jedoch unbegründet. Der Senat konnte durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind hierzu mit Nachricht vom 21.03.2016 gehört worden.
Das SG hat die Klage gegen den Bescheid vom 12.02.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.2015 zutreffend mit Urteil vom 16.11.2015 abgewiesen. Der Kläger ist durch die vorgesehene Nachprüfung im Jahr 2019 wegen möglicher Heilungsbewährung nicht in seinen Rechten beschwert.
In der Sache sieht das BayLSG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, weil es die Berufung bereits aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung (wie vorstehend wiedergegeben) als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei der „Heilungsbewährung“ um ein sozialrechtliches Institut handelt, welches nach Maßgabe der früheren „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit“ (AHP) wie auch der nachfolgend seit dem 01.01.2009 in Kraft getretenen „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ (VMG) Folgendes beinhaltet: Im Rahmen bestimmter Erkrankungen, wie zum Beispiel bösartiger Tumorerkrankungen, ist nach der Tumorentfernung im Sinne einer Primärtherapie für eine bestimmte Zeit pauschal ein höherer GdB anzunehmen, als in der Regel aufgrund des infolge des Organschadens bzw. der Therapiefolgen tatsächlich bedingten Funktionsbeeinträchtigungen gerechtfertigt wäre. Dabei sollen neben der Rezidivgefahr insbesondere auch die weiteren vielfältigen Auswirkungen, die mit der Feststellung, Beseitigung und Nachbehandlung eines Tumors in allen Lebensbereichen verbunden sind, berücksichtigt werden (Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 09.08.1995 – 9 RVs 14/94 – juris Rdnr. 13), und zwar unabhängig davon, ob diese Folgewirkungen im konkreten Fall tatsächlich eingetreten sind oder nicht.
Nach rückfallfreiem Ablauf der Zeit der Heilungsbewährung tritt insoweit eine wesentliche Änderung im Sinne von § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ein, als dann nach medizinischer Erfahrung regelmäßig die Krebserkrankung in dem Sinne überwunden ist, dass eine unmittelbare Lebensbedrohung nicht mehr besteht, und außerdem die vielfältigen Auswirkungen der Krankheit auf die gesamte Lebensführung in aller Regel entfallen oder wenigstens gemindert sind, so dass eine von den konkreten Verhältnissen unabhängige abstrakte Einschätzung des GdB nicht mehr gerechtfertigt ist. Dies bedeutet, dass dann die bisherige abstrakte Bewertung der unterstellten körperlichen und seelischen Auswirkungen der Erkrankung als nicht mehr angemessen angesehen und daher zu gegebener Zeit die Neufeststellung des GdB notwendig wird. Hintergrund und Zweck der Heilungsbewährung ist nämlich eine pauschalierende Besserstellung der durch eine Tumorerkrankung Betroffenen für einen bestimmten, aufgrund allgemeiner statistischer Erkenntnisse festgelegten Zeitraum nach der Diagnose ohne eine individuelle Betrachtung des Einzelfalles mit seinen jeweils tatsächlich bestehenden Beeinträchtigungen. Die hieraus resultierenden Nachteilsausgleiche werden jedoch nur für einen begrenzten Zeitraum gewährt (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 21.07.2015 – L 3 SB 122/14 -, juris Rdnr. 20 und 21).
Auch eine insgesamt ungünstige Prognose einer bösartigen Erkrankung kann regelmäßig nicht zu einer Verlängerung der Heilungsbewährungszeit führen (Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 26.11.2013 – L 3 SB 13/10 -, juris Rdnr. 26). Denn nach Teil B Ziffer 1c VMG beträgt die Zeit der Heilungsbewährung bei Krebserkrankung „in der Regel“ 5 Jahre. Kürzere Zeiträume werden in den Tabellen vermerkt. Der Wortlaut „in der Regel“ betrifft hierbei diese Abkürzung des Zeitraums bei bestimmten Erkrankungsbildern, nicht aber die Eröffnung der Möglichkeit einer jeweiligen Einzelfallentscheidung in Bezug auf eine Bestimmung des individuell angemessenen Zeitraums der Heilungsbewährung im konkreten Einzelfall. Bei der Anhebung des GdB unter dem Gesichtspunkt der Heilungsbewährung handelt es sich vielmehr um ein mehr oder weniger pauschales Verfahren, in welchem auch der psychischen Ausnahmesituation (Rezidivangst) umfassend Rechnung getragen werden soll (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 21.07.2015 – L 13 SB 122/14 -, juris Rdnr. 23).
Somit ist hier nicht berücksichtigungsfähig, dass der Onkologe Dr. K. mit Befundbericht vom 07.04.2015 aufgrund der hier langsamen Proliferationsrate von einer Heilungsbewährungszeit von 5 – 7 Jahren ausgeht.
Ob und ggf. wann bei dem Kläger eine Heilungsbewährung eintritt, bzw. eingetreten sein wird, hat der Beklagte zu gegebener Zeit (hier im Jahr 2019) zu prüfen. Erst eine dann möglicherweise ergehende Entscheidung mit Inhalt Herabsetzung des GdB würde für den Kläger eine rechtliche Beschwer enthalten. Hier fehlt es jedoch an einem Rechtsschutzbedürfnis, wie das SG mit Urteil vom 16.11.2015 bereits zutreffend ausgeführt hat.
Nach alledem ist die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 16.11.2015 zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

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