Verwaltungsrecht

Drittstaatenverfahren: Der Eilantrag gegen die Abschiebung nach Rumänien, wo internationaler Schutz gewährt wurde, ist erfolgreich, weil für die Eltern der minderjährigen Antragstellerin ein Abschiebungshindernis vorliegt

Aktenzeichen  AN 17 S 21.50186

Datum:
11.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 22573
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 34a Abs. 1 S. 1
VwGO § 80 Abs. 5
GG Art. 6 Abs. 1
EMRK Art. 8 Abs. 1

 

Leitsatz

Da die Eltern der Antragstellerin derzeit nicht nach Rumänien abgeschoben werden können, sondern für diese ein Abschiebungshindernis vorliegt, ergibt sich ein solches in der Folge auch für die Antragstellerin und steht der gegen sie ergangenen Abschiebungsanordnung entgegen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Antragstellerin ist syrische Staatsangehörige. Sie ist laut Geburtsurkunde die Tochter der 1988 bzw. 1983 geborenen syrischen Staatsangehörigen … und … Diesen, wie auch den 2014 und 2016 geborenen Brüdern der Antragstellerin, wurden in Rumänien am 21. September 2017 internationaler Schutz gewährt.
Die Eltern und Brüder der Antragstellerin reisten am 4. November 2017 in die Bundesrepublik Deutschland weiter und stellten hier erneut Asylanträge, die mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 10. Januar 2018 als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG abgelehnt worden sind. Die hiergegen gerichteten Eilanträge (AN 17 S 18.50054) und Klagen (AN 17 K 18.50055) zum Verwaltungsgericht Ansbach blieben erfolglos (Beschluss vom 26.1.2018, Urteil vom 26.3.2018).
Am 23. Mai 2019 wurde die Schwester der Antragstellerin … in Deutschland geboren. Den sie betreffenden, ohne Durchführung eines Übernahmeverfahrens mit Rumänien auf §§ 29 Abs. 1 Nr. 1a i.V.m. Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO gestützten und als unzulässig abgelehnten Asylantrag (Bescheid vom 24.10.2019) hob das Bundesamt infolge der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, Urteil vom 23. Juni 2020 (1 C 37/19 – juris) am 5. Februar 2021 auf. Das insoweit anhängige Klageverfahren (AN 17 K 19.51110) wurde nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen mit Beschluss vom 3. August 2021 eingestellt.
Am 17. Februar 2020 stellten die Eltern für sich und die Brüder der Antragstellerin weitere Asylanträge in Deutschland, die vom Bundesamt als Folgeanträge behandelt wurden. Mit Bescheid vom 24. März 2020 lehnte das Bundesamt die Anträge – gestützt auf § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG – als unzulässig ab (Ziffer 1) und lehnte die Anträge auf Abänderung des Bescheides vom 10. Januar 2018 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG ab (Ziffer 2). Über die hiergegen gerichteten Klagen (AN 17 K 20.50151) ist noch nicht entschieden.
Für die am 8. Oktober 2020 in Nürnberg geborene Antragstellerin wurde Asylantrag am 15. Februar 2021 gestellt. Am 11. März 2021 richtete das Bundesamt für sie ein auf Art. 9 Dublin III-VO gestütztes Übernahmegesuch an Rumänien mit der Begründung, dass die Eltern der Antragstellerin in Rumänien den Status als international Anerkannte hätten. Rumänien akzeptierte die Übernahme am 5. Mai 2021. Mit Bescheid vom 15. Juli 2021 lehnte das Bundesamt daraufhin den Antrag als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AsylG nicht vorlägen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung nach Rumänien (Ziffer 3) und ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristete dieses auf neun Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4). In den Gründen ist ausgeführt, dass der Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. Art. 9 Dublin III-VO unzulässig sei und eine weitere Unzulässigkeit auch auf dem erfolglosen Abschluss des früheren Asylverfahrens beruhen könne, wenn die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht vorlägen, § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG. Die Abschiebungsanordnung ist auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützt. Dem Bescheid ist eine Rechtsmittelbelehrungmit Hinweis auf Klageerhebung und Stellung eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO innerhalb Wochenfrist beigefügt.
Ein Zustellungsnachweis befindet sich nicht in der Akte.
Mit beim Verwaltungsgericht Ansbach am 28. Juli 2021 eingegangenem Schriftsatz erhob die Antragstellerin durch ihren Prozessbevollmächtigten Klage und beantragte gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 15. Juli 2021, zugestellt am 21. Juli 2021, anzuordnen.
Zur Begründung wurde geltend gemacht, dass die Antragstellerin nicht ohne ihre Eltern abgeschoben werden dürfe und ihre Geburt in Deutschland ein Abschiebeverbot begründe.
Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 30. Juli 2021, den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Behördenakten (auch auf diejenigen der Familienangehörigen der Antragstellerin) und die Gerichtakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag, der sich bei sachgerechter Auslegung allein gegen die kraft Gesetzes sofort vollziehbare Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG richtet (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG), ist zulässig, insbesondere muss davon ausgegangen werden, dass er fristgerecht innerhalb der Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG gestellt wurde und begründet, weil die gerichtliche Interessensabwägung ein Überwiegen des Aussetzungsinteresses der Antragstellerin gegenüber dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin ergibt.
Das Gericht trifft im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene, originäre Ermessensentscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung auf Grund der sich ihm im Zeitpunkt seiner Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) darbietenden Sach- und Rechtslage. Das Gericht hat dabei das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin und das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gegeneinander abzuwägen (Eyermann/Hoppe, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 85 ff.). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist in der Regel abzulehnen, wenn der Rechtsbehelf in der Hauptsache nach summarischer Prüfung voraussichtlich erfolglos bleiben wird; ergibt eine vorläufige Überprüfung der Hauptsacheklage dagegen, dass diese offensichtlich erfolgreich sein wird, so überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Sind die Erfolgsaussichten offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen (Eyermann/Hoppe, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 93).
Die Klage gegen die verfügte Abschiebungsanordnung wird hier voraussichtlich erfolgreich sein, weil der Abschiebungsanordnung ein inlandsbezogenes Abschiebungsverbot entgegensteht. Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG darf die Abschiebung eines Asylbewerbers in den für die Durchführung seines Asylverfahrens zuständigen Staat erst angeordnet werden, sobald feststeht, dass diese durchgeführt werden kann. Anders als im Fall einer Abschiebungsandrohung nach §§ 34 und 35 AsylG steht damit auch ein rein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis und nicht nur ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot der Abschiebungsanordnung entgegen und führt im gerichtlichen Eilverfahren zum Erfolg (vgl. BayVGH, B.v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427 – juris Rn. 4; BVerfG, B.v. 17.9.2014- 2 BvR 1795/14 – juris Rn. 9 m.w.N.).
Ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich insbesondere aus einer aufgrund von Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK rechtlich unzulässigen Trennung von Familienangehörigen ergeben. Dies ist für die Antragstellerin, die erst rund zehn Monate alt und als Säugling auf die ständige Anwesenheit ihrer Eltern essentiell angewiesen ist, der Fall; eine Trennung von Eltern und Kind kommt rechtlich nicht in Betracht, sondern wäre mit Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK unvereinbar. Da die Eltern der Antragstellerin derzeit nicht nach Rumänien abgeschoben werden können, sondern für diese ein Abschiebungshindernis vorliegt, ergibt sich ein solches in der Folge auch für die Antragstellerin und steht der gegen sie ergangenen Abschiebungsanordnung entgegen.
Die Eltern der Antragstellerin sind zwar vollziehbar ausreisepflichtig; der Bescheid des Bundesamtes vom 10. Januar 2018 ist nach den gerichtlichen Entscheidungen vom 26. Januar 2018 und 26. März 2018 (AN 17 S 18.50054, AN 17 K 18.50055) vollziehbar und bestandskräftig und eine Abschiebung hieraus ist grundsätzlich weiter möglich. Die Abschiebungsandrohung hat ihre Rechtswirkung auch nicht etwa durch Erledigung verloren. Sie wurde insbesondere noch nicht vollzogen und ist damit nicht verbraucht. Die Eltern und Brüder der Antragstellerin sind seit ihrer Ersteinreise nach Deutschland im November 2017 auch nicht freiwillig ausgereist, sondern haben sich seitdem ununterbrochen hier aufgehalten. Dies haben sie selbst angegeben; aus den beigezogenen Behördenakten ergeben sich auch keine gegenteiligen Anhaltspunkte.
Auch der neuerliche Asylantrag der Eltern vom 17. Februar 2020 steht dem Vollzug einer Abschiebung nach Rumänien voraussichtlich nicht entgegen, dies kann letztlich aber dahinstehen. Eine neue Abschiebungsandrohung ist aufgrund des Antrags vom 17. Februar 2020 wohl nicht erforderlich. Zwar folgt dies nach Rechtsauffassung der Einzelrichterin nicht aus § 71 Abs. 5 AsylG, weil eine Folgeantragstellung in Sinne des § 71 Abs. 1 AsylG – entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin – nicht vorliegt und § 71 Abs. 5 AsylG deshalb nicht eingreift (vgl. im Einzelnen VG Ansbach, B.v. 15.4. 2020 – AN 17 S 20. 50011 – juris Rn. 24 f.). Die Antragstellung vom 17. Februar 2020 zur erneuten Überprüfung von der Rückführung nach Rumänien entgegenstehender Umständen (sog. „Anerkannten-Folgeantrag“) erfordert aber aus keinem Rechtsgrund heraus den Erlass einer neuen Abschiebungsandrohung; hierfür ergeben sich aus dem AsylG und aus europäischem Recht keine Anhaltspunkte. Die behördliche Überprüfung des erneuten Antrags ist auch bereits negativ abgeschlossen; das Bundesamt hat mit Bescheid vom 24. März 2020 eine Änderung seiner Entscheidung vom 10. Januar 2018 abgelehnt. Hiergegen ist zwar noch eine Klage anhängig, diese hat aber keine aufschiebende Wirkung gegenüber der alten Abschiebungsandrohung. Im Übrigen wurden Gründe, die eine abändernde Entscheidung rechtfertigen könnten, auch aus Sicht des Gerichts, das insoweit eine inzidente Überprüfung vorgenommen hat, nicht vorgetragen, es wurden vielmehr lediglich die ursprünglichen Gründe gegen eine Rückkehr nach Rumänien wiederholt. Hiermit können die Eltern der Antragstellerin aber aller Voraussicht nach nicht durchdringen, unabhängig davon, ob für den Erfolg eines „Anerkannten-Folgeantrags“ – wohl – die Vorschrift des § 51 VwVfG unmittelbar anwendbar ist und folglich nur neue Gründe oder neue Beweismittel zu einer anderen Entscheidung führen können oder eine umfassende Neuüberprüfung der Sachlage stattfinden muss. Nach der Rechtsprechung der Kammer stehen die allgemeinen Verhältnisse in Rumänien einer Rückkehr von anerkannt Schutzberechtigten dorthin grundsätzlich nicht entgegen (vgl. VG Ansbach, B.v. 13.11.2019 – AN 17 S 19.50869 – juris Rn. 24 ff., B.v. 28.7.2021 – AN 17 S 21.50168). Der Klage der Eltern in ihrem eigenen Verfahren (AN 17 K 20.50151) sind derzeit damit keine Erfolgsaussichten beizumessen.
Die Eltern der Antragstellerin können derzeit jedoch deshalb nicht nach Rumänien abgeschoben werden, weil für ihr weiteres Kind …, geb. 23. Mai 2019 in Deutschland, eine Rückführung nach Rumänien – gegen deren Willen – nicht möglich ist. Ein nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts notwendiges Übernahmeverfahren nach der Dublin III-VO (vgl. BVerwG, U.v. 23.6.2020 – 1 C 37/19 – juris) wurde nicht durchgeführt mit der Folge, dass zwischenzeitlich die Überstellungsfrist des § 29 Abs. 2 Dublin III-VO abgelaufen ist und … deshalb nicht mehr (zwangsweise) nach Rumänien zurückgeführt werden kann. Ihr Asylantrag wird derzeit – nach Aufhebung des Bescheides vom 24. Oktober 2019 – im nationalen Verfahren geprüft. Auch … darf als Kleinkind mit erst zwei Jahren nach Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK rechtlich nicht von ihren Eltern getrennt werden. Zwar stellt die fehlende Ausreisepflicht eines Kindes für die Eltern nur ein inlandsbezogenes und nicht ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot dar und stehen inlandsbezogene Abschiebungshindernisse der Abschiebungsandrohung der Eltern – wie oben dargestellt – nicht entgegen, so dass sich für die asylrechtlichen Verfahren der Eltern der Antragstellerin hieraus kein Erfolg ergeben kann, der Umstand vielmehr erst in der Folge von der zuständigen Ausländerbehörde zu berücksichtigen ist. Für die Antragstellerin, für die keine Abschiebungsandrohung, sondern eine Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ergangen ist, sind jedoch zielstaatswie inlandsbezogene Abschiebungsverbote relevant. Das (offensichtlich) bestehende inländische Abschiebungsverbot ihrer Eltern im Verhältnis zu ihrer Schwester, wirkt sich damit – mittelbar – als (inlandsbezogenes) Abschiebungsverbot für die Antragstellerin aus. Die Abschiebungsanordnung im Bescheid vom 15. Juli 2021 ist damit aller Voraussicht nach rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten und wird im Rahmen der Anfechtungsklage voraussichtlich aufzuheben sein. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO führt damit, unabhängig von den tatsächlichen Verhältnissen, die Flüchtlinge und international Anerkannte in Rumänien erwarten, zum Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Diese Entscheidung ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.


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