Verwaltungsrecht

Amtshaftung: Verpflichtung einer Kassenärztlichen Vereinigung zur Durchführung eines weiteren Nachbesetzungsverfahren nach Rücknahmeerklärung eines niedergelassenen Arztes betreffend die Ausschreibung seines Vertragsarztsitzes

Aktenzeichen  III ZR 236/10

Datum:
8.9.2011
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
Normen:
§ 103 Abs 4 SGB 5
§ 839 BGB
Art 34 GG
Spruchkörper:
3. Zivilsenat

Verfahrensgang

vorgehend KG Berlin, 1. Oktober 2010, Az: 9 U 188/09, Urteilvorgehend LG Berlin, 17. September 2009, Az: 9 O 11/09

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 9. Zivilsenats des Kammergerichts vom 1. Oktober 2010 – 9 U 188/09 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Beschwerdewert wird auf 40.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Parteien streiten darüber, ob die beklagte Kassenärztliche Vereinigung einem (erneuten) Antrag des Klägers vom 6. August 2008 auf Ausschreibung seines Vertragsarztsitzes (§ 103 Abs. 4 SGB V) zu entsprechen hatte, nachdem der Zulassungsausschuss in einem vorangegangenen Nachbesetzungsverfahren am 23. Juli 2008 den Arzt Dr. D.   als Nachfolger ausgewählt, einen Mitbewerber abgelehnt und der Kläger nach Zustellung dieser Entscheidung seinen auf dieses Nachbesetzungsverfahren bezogenen Antrag am 6. August 2008 zurückgenommen hatte. Der Kläger hat vorgetragen, dass er seine Praxis zum Verkehrswert von 160.000 € hätte verkaufen können, wenn die Beklagte den Vertragsarztsitz erneut ausgeschrieben hätte, während er durch deren Versäumnis gezwungen gewesen sei, die Praxis für 120.000 € an Dr. D.   zu veräußern. Die auf Schadensersatz in Höhe von 40.000 € nebst Zinsen gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit seiner Beschwerde begehrt der Beklagte die Zulassung der Revision.
II.
2
Die Beschwerde des Klägers ist nicht begründet. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht vor.
3
1. Die Beschwerde hält die Zulassung der Revision in erster Linie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung für erforderlich, weil der angefochtenen Entscheidung ein grundlegendes Missverständnis der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zugrunde liege und sie sich mit einer weit überwiegenden Ansicht in der Literatur in Widerspruch setze, wonach der Antrag auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens bis zur Bestandskraft der Entscheidung des Zulassungsausschusses jederzeit zurückgenommen werden könne mit der Folge, dass die Kassenärztliche Vereinigung auf einen erneut gestellten Antrag wieder eine Ausschreibung vorzunehmen habe.
4
a) Die Beschwerde bezieht sich insoweit auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 5. November 2003 (BSGE 91, 253), das die Fallgestaltung betraf, dass ein im Nachbesetzungsverfahren von den Zulassungsgremien zugelassener Arzt während des von einem Mitbewerber eingeleiteten gerichtlichen Konkurrentenstreitverfahrens auf seine Zulassung verzichtete und der Mitbewerber die Auffassung vertrat, er müsse nunmehr im anhängigen Verfahren zugelassen werden. Das hat das Bundessozialgericht abgelehnt, weil sich der angefochtene Verwaltungsakt durch den Verzicht auf die Zulassung im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG erledigt habe (Rn. 10 f) und kein Verwaltungsverfahren im Sinne des § 8 SGB X mehr anhängig sei, das durch die Zulassung des Mitbewerbers abgeschlossen werden könne. Streitgegenstand des Verfahrens sei allein die Auswahlentscheidung der Zulassungsgremien für einen bestimmten Bewerber (Rn. 12).
5
In der angeführten Entscheidung wird weiter ausgeführt, ein rechtlich geschütztes Interesse eines Bewerbers um einen frei werdenden Vertragsarztsitz in einem überversorgten Gebiet könne es nur nach Maßgabe des Gleichbehandlungsgebotes im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG geben. Dieses Interesse sei nur insoweit geschützt, als der einzelne Bewerber bei einer tatsächlich erfolgenden Nachbesetzung nicht unter Verstoß gegen die in § 103 Abs. 4 SGB V genannten Kriterien übergangen werden dürfe. Ein Anspruch auf Ausschreibung des Sitzes stehe ihm nicht zu; er könne die Rücknahme des Ausschreibungsantrags des Berechtigten nicht verhindern (Rn. 19). Abschließend heißt es in dem hier interessierenden Zusammenhang, das vor den Zulassungsgremien anhängige Verwaltungsverfahren im Sinne des § 8 SGB X sei daher insgesamt beendet, wenn der dieses Verfahren abschließende Verwaltungsakt bestandskräftig werde oder sich – auch vor Eintritt der Bestandskraft – auf andere Weise erledige (Rn. 20).
6
Der Beschwerde mag zugegeben werden, dass ein bis zur Bestandskraft eines Zulassungsbescheids reichendes Recht des an der Übergabe seiner Praxis interessierten Arztes auf Rücknahme seines Antrags nach § 103 Abs. 4 SGB V nicht in Widerspruch zu den wiedergegebenen Ausführungen des Bundessozialgerichts stehen würde. Der Senat tritt jedoch der Bewertung des Berufungsgerichts bei, dass sich das Bundessozialgericht nicht mit dieser Frage, sondern allein mit der anderen Frage beschäftigt hat, welche Rechte ein im Verwaltungsverfahren abgewiesener Bewerber nach dessen Erledigung noch hat. Demgegenüber hat das vom Kläger angerufene Sozialgericht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entschieden, im Nachbesetzungsverfahren, das auch Wirkungen gegenüber Dritten entfalte, sei die Rücknahme eines Antrags auf Ausschreibung nur bis zur Auswahlentscheidung des Zulassungsausschusses möglich. Sehe der Kläger hierdurch seine Interessen als verletzt an, die ohnehin nur in Höhe des Verkehrswerts der Praxis zu berücksichtigen seien, sei er auf – hier nicht wahrgenommene – Rechtsmittel beschränkt (SG Berlin, Beschluss vom 14. Oktober 2008 – S 83 KA 543/08 ER, juris Rn. 7). Diese Auffassung hat das Landessozialgericht im Beschwerdeverfahren gebilligt. Auch das Sozialgericht Marburg (Beschluss vom 4. August 2010 – S 12 KA 646/10 ER, juris Rn. 15) hat sich dieser Auffassung angeschlossen.
7
b) Fehlt es hiernach an einer einheitlichen Rechtsprechung im Sinne der Rechtsauffassung des Klägers, über die sich das Berufungsgericht hinweggesetzt hätte, ergibt sich auch unter Berücksichtigung des Schrifttums nichts anderes.
8
Zwar vertreten verschiedene Autoren die Auffassung, eine Rücknahme des Antrags auf Ausschreibung und Praxisfortführung sei bis zur Bestandskraft der Entscheidung des Zulassungsausschusses jederzeit möglich (vgl. Flint in Hauck/Noftz, SGB V, § 103 Rn. 40 ; Schallen, Zulassungsverordnung für Vertragsärzte, Vertragszahnärzte, Medizinische Versorgungszentren, Psychotherapeuten, 7. Aufl., § 16b Rn. 118; Meschke in Bäune/Meschke/Rothfuß, Kommentar zur Zulassungsverordnung für Vertragsärzte und Vertragszahnärzte, § 16b Rn. 73; Rieger, Rechtsfragen beim Verkauf und Erwerb einer Arztpraxis, 5. Aufl., Rn. 35; Hesral in Ehlers u.a., Fortführung von Arztpraxen, 3. Aufl., Kap. 3 Rn. 337 ff, allerdings mit Einschränkungen zum Antragswiederholungsrecht). Soweit hierfür eine Begründung angeführt wird, wird lediglich auf allgemeine Grundsätze des Verwaltungsverfahrens Bezug genommen (vgl. §§ 8, 18 SGB X; hierzu auch v. Wulffen, SGB X, § 18 Rn. 7, 9).
9
Demgegenüber wird von anderen Vertretern des Schrifttums – ungeachtet der allgemeinen Richtigkeit dieses Grundsatzes – unter Hinweis auf die alleinige Regelungskompetenz der Zulassungsgremien und die Drittwirkung ihrer Entscheidungen eine Antragsrücknahme nur bis zur Entscheidung des Zulassungsausschusses für zulässig erachtet (vgl.; Schroeder-Printzen in Ratzel/Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, 2. Aufl., § 7 Rn. 491; Pawlita in Schlegel/Voelzke, SGB V, § 103 Rn. 40, 51; Schöbener/Schöbener, SGb 1994, 211, 218; Klapp, Abgabe und Übernahme einer Arztpraxis, 2. Aufl., Kap. 4.1.3.3; so ursprünglich auch Hesral in Ehlers u.a., Praxis der Fortführung von Arztpraxen, 1. Aufl., Kap. 3 Rn. 105).
10
c) Ob die Beklagte, die in Übereinstimmung mit dem Beschluss des Zulassungsausschusses vom 20. August 2008 zunächst der Auffassung war, das Nachbesetzungsverfahren habe sich durch die Rücknahmeerklärung des Klägers erledigt, ihre Amtspflichten verletzt hat, indem sie auf den erneuten Antrag des Klägers nach dem Widerspruch des Arztes Dr. D.       gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 20. August 2008 keine weitere Ausschreibung vornahm, kann offen bleiben. Auch wenn man der Auffassung des Klägers folgen wollte, seine Rücknahmeerklärung habe das Nachbesetzungsverfahren wirksam beendet, zeigt die Beschwerde gegen die Würdigung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe sich insoweit nicht schuldhaft verhalten, keine Zulassungsgründe auf. Deswegen bedarf es auch nicht der von der Beschwerde hilfsweise geltend gemachten Zulassung wegen der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung der vorerörterten Rechtsfrage.
11
2. Auch im Übrigen lässt die angefochtene Entscheidung keine zulassungsbegründenden Rechtsfehler erkennen. Von einer näheren Begründung wird insoweit abgesehen.
Schlick                                              Dörr                                           Herrmann
                           Seiters                                         Tombrink


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