Arbeitsrecht

Abhängige Beschäftigung bei einem Quartierbetreuer

Aktenzeichen  L 14 R 345/14

Datum:
21.4.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 119454
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IV § 7 Abs. 1, § 28a, § 28p

 

Leitsatz

Ein Quartierbetreuer, der bei Annahme eines Auftrages die gleichen Arbeiten wie die fest angestellten Mitarbeiter übernimmt und sich mit diesen bei den zu leistenden Diensten abwechselt, ist in die Arbeitsorganisation eingegliedert; dies spricht für die Annahme einer abhängigen Beschäftigung. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 30 R 2150/11 2014-02-06 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 6. Februar 2014 wird zurückgewiesen.
II.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht München hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Beklagte hat mit den angefochtenen Bescheiden zutreffend festgestellt, dass die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1 für die Klägerin in der Zeit vom 01.08.2006 bis 31.08.2007 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt worden ist und insoweit Sozialversicherungsbeiträge nachzuzahlen sind. Der insoweit geforderte Nachzahlungsbetrag von insgesamt 5.570,70 EUR ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden.
Nach § 28p Abs. 1 S. 1 SGB IV prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern u.a., ob diese ihren Pflichten nach dem Sozialgesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen, insbesondere prüfen sie die Richtigkeit der Beitragszahlungen. Die genannten Träger erlassen im Rahmen der Prüfung u.a. Verwaltungsakte zur Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern, § 28p Abs. 1 S. 5 SGB IV.
Der Arbeitgeber hat nach § 28 a SGB IV versicherungspflichtige Beschäftigte zur Sozialversicherung anzumelden. Ob gegen Entgelt tätige Personen versicherungspflichtig sind in der Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, in der Rentenversicherung nach § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, in der Arbeitslosenversicherung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III und in der Pflegeversicherung nach § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB XI, richtet sich nach § 7 Abs. 1 SGB IV.
Danach ist unter Beschäftigung die nicht selbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis, zu verstehen (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts setzt eine Beschäftigung im sozialversicherungsrechtlichen Sinne voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Wesentliche Merkmale für das Vorliegen von persönlicher Abhängigkeit bzw. von Nichtselbständigkeit sind die organisatorische Eingliederung in einen fremden Betrieb und eine Weisungsgebundenheit hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung der Tätigkeit. Die Weisungsgebundenheit kann erheblich eingeschränkt sein und sich letztlich auf eine funktionsgerecht dienende Teilhabe am Arbeitsprozess beschränken. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit gekennzeichnet durch ein eigenes unternehmerisches Risiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft sowie eine im Wesentlichen frei gestaltete Arbeitstätigkeit (BSGE 13, 196 ff.; 16, 289 ff.). Weist eine Tätigkeit sowohl Merkmale der Abhängigkeit als auch der Selbständigkeit auf, kommt es darauf an, welche Merkmale überwiegen (vgl. BSGE 45,199, 200). Maßgebend ist dabei stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung.
Im Rahmen der Gesamtabwägung überwiegen hier eindeutig die Gesichtspunkte, die für eine abhängige Tätigkeit des Beigeladenen zu 1 sprechen.
Der im Wesentlichen als Quartierbetreuer eingesetzte Beigeladene zu 1, der in der streitgegenständlichen Zeit über keine eigene Betriebsstätte verfügte und in dieser Zeit auch nicht für andere Auftraggeber tätig war, war letztlich im Kerngeschäft der Klägerin tätig, den sogenannten Quartierbüros in G.-Wohnanlagen. In diesem Rahmen war er in die Betriebsorganisation der Klägerin eingegliedert.
Seine Eingliederung in die Arbeitsorganisation der Klägerin zeigt sich insbesondere an dem Umstand, dass er bei Annahme eines Auftrages die gleichen Arbeiten wie die fest angestellten Mitarbeiter der Klägerin übernahm und sich mit diesen bei den zu leistenden Diensten abwechselte. So fand bei der Betreuung einer G.-Wohnanlage in C-Stadt, in der er hauptsächlich tätig war, ein wöchentlicher Wechsel mit einem fest angestellten Kollegen statt. Wie sein Kollege hatte er die Bürostunden des Quartierbüros einzuhalten, Berichte über besondere Vorkommnisse in der Wohnanlage zu fertigen und im G.-Büro über seine Beobachtungen zu berichten. Er wurde – wie die fest angestellten Mitarbeiter – bei seiner Arbeit von sozialpädagogischen Fachkräften der Klägerin „begleitet“, so wie dies in der von der Klägerin mit der G. geschlossenen Geschäftsvereinbarung vorgesehen war. Der die Wohnanlage aufsuchende Sozialpädagoge besprach mit ihm aufgetretene Probleme und deren Lösung und erteilte ihm in diesem Rahmen auch Aufträge.
Auch dass der Beigeladene zu 1 seinen Urlaub nach Möglichkeit mit der Klägerin absprechen sollte, weil er bei den Einsatzplänen für die Quartierbüros mit berücksichtigt wurde, zeigt seine Eingliederung in den Betrieb der Klägerin. Nach außen, z.B. gegenüber den Mitarbeitern der G. oder gegenüber den Mietern, trat er nicht als selbständiger Quartierbetreuer, sondern als Quartierbetreuer der Klägerin auf.
Im Vertrag über seine freie Mitarbeit war zwar ausdrücklich Weisungsfreiheit vereinbart worden. Es stellt sich allerdings die Frage, inwieweit bei einer Tätigkeit als Quartierbetreuer konkrete inhaltliche Weisungen überhaupt in Betracht kommen. Die Tätigkeit zeichnet sich letztlich durch freies Agieren und spontanes Reagieren aus, so dass hier dem Umstand, dass im Detail keine Handlungsanweisungen erfolgt sind, wenig Bedeutung zukommt. Dessen ungeachtet hat es im vorliegenden Fall durchaus dahingehende äußere Vorgaben gegeben, dass der Quartierbetreuer bei schönem Wetter und in den Schulferien ab 9 oder 10 Uhr morgens in der Wohnanlage zu sein und bis zum Eintritt der Dunkelheit zu bleiben hatte. Auch die Anregungen des Sozialpädagogen, der in den Wohnanlagen nach dem Rechten schaute, waren vom Beigeladenen zu 1 wohl umzusetzen gewesen.
Für eine abhängige Tätigkeit spricht hier auch, dass der Beigeladene zu 1 die Tätigkeit als Quartierbetreuer höchstpersönlich zu erbringen hatte. Es war ihm nicht gestattet, Hilfskräfte einzusetzen.
Des Weiteren deuten die Entlohnung nach Arbeitsstunden sowie der eher niedrige Stundensatz von 10 EUR auf eine abhängige Beschäftigung hin. Dabei hatte der Beigeladene zu 1 nicht wie ein Unternehmer die Möglichkeit, durch geschickte Ausgestaltung oder Organisation seiner Tätigkeit seinen Gewinn oder seine Gewinnchancen zu erhöhen. Hierfür fehlte es an jeglichem Gestaltungsspielraum.
Ein nennenswertes Unternehmerrisiko ist nicht ersichtlich. Kapital hat der Beigeladene zu 1 für seine Tätigkeit bei der Klägerin nicht eingesetzt. Es kam lediglich seine Arbeitskraft zum Einsatz. Er hatte – wie andere Beschäftigte – allein das Risiko des Entgeltausfalls in der Insolvenz des Arbeitsgebers zu tragen.
Der Senat verkennt indes nicht, dass hier auch einige Gesichtspunkte für das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit sprechen. Der mit der Klägerin geschlossene Vertrag über freie Mitarbeit verpflichtete den Beigeladenen zu 1 nicht zur Erbringung eines bestimmten Arbeitsvolumens. Umgekehrt hatte er keinen Anspruch darauf, Aufträge in einem bestimmten Umfang zu erhalten. Anders als dies üblicherweise bei Arbeitnehmern der Fall ist, hatte er die Möglichkeit, einen angebotenen Auftrag anzunehmen oder abzulehnen, was auch praktiziert worden ist. Entsprechend konnte ihn die Klägerin nicht gegen seinen Willen in einer anderen Wohnanlage oder überhaupt an anderer Stelle einsetzen, wo er nicht eingesetzt werden wollte. Er musste auch nicht an den Supervisionsveranstaltungen der Klägerin teilnehmen. Zudem war er in der Urlaubsplanung freier als seine fest angestellten Kollegen, er erhielt keinen bezahlten Urlaub und keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Schließlich kann hier auch die inhaltliche Freiheit bei der Gestaltung seiner Quartierbetreuertätigkeit als Indiz für eine selbständige Tätigkeit gewertet werden.
Diese Gesichtspunkte treten jedoch im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung hinter den erstgenannten Merkmalen der abhängigen Beschäftigung zurück.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben