Arbeitsrecht

Anfechtung eines Prozessvergleichs wegen arglistiger Täuschung

Aktenzeichen  L 11 AS 531/15

Datum:
6.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BGB BGB § 123, § 779 Abs. 1
SGG SGG § 101 Abs. 1, § 122, § 179
ZPO ZPO § 159, § 160, § 578

 

Leitsatz

1. Gründe für eine Anfechtung eines Vergleichs wegen arglistiger Täuschung nicht festzustellen. (amtlicher Leitsatz)
Gegen Prozessvergleiche ist eine Wiederaufnahmeklage grundsätzlich nicht zulässig (ebenso BSG BeckRS 2003, 40162). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit L 17 AS 450/13 mit Abschluss des Vergleiches vom 30.07.2014 beendet worden ist.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Das Berufungsverfahren L 17 AS 450/13 ist durch den Vergleich vom 30.07.2014 beendet worden.
Die Erklärung des Klägers, er fechte den Vergleich an, und die gestellten Sachanträge lassen erkennen, dass er (zunächst) die Fortsetzung des Berufungsverfahrens L 17 AS 450/13 begehrt. Diesem Begehren des Klägers (vgl. zur Antragsauslegung Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl, § 123 Rdnr 3) kann nicht entsprochen werden, so dass über weitere Anträge – mangels fortzusetzendem Verfahren – nicht zu befinden war. Nicht Gegenstand des Verfahrens ist die Fortsetzung des Klageverfahrens S 8 AS 850/13. Dieses Aktenzeichen wurde vom Kläger vorliegend nicht benannt und es wäre für eine Entscheidung über die Fortsetzung des Verfahrens S 8 AS 850/13 zudem das SG und nicht der Senat zuständig. Das bisherige Berufungsverfahren L 17 AS 450/13 hatte nur die Zahlung von Alg II für die Zeit vom 01.03.2011 bis 30.06.2012 zum Gegenstand, da der Leistungszeitraum ab 01.07.2012, für den der Beklagte den Antrag des Klägers vom 20.07.2012 mit Bescheid vom 22.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2012 ablehnt hatte, nicht nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Verfahrensgegenstand geworden ist (vgl. BSG, Urteil vom 31.10.2007 – B 14/11b AS 59/06 R; Urteil vom 28.10.2009 – B 14 AS 62/08 R; Beschluss vom 19.09.2008 – B 14 AS 44/08 B; Urteil vom 25.06.2008 – B 11b AS 45/06 R).
Mit dem in der mündlichen Verhandlung vom 30.07.2014 geschlossenen Vergleich haben die Beteiligten das Verfahren L 17 AS 450/13 beendet. Er ist ordnungsgemäß und wirksam zustande gekommen. Der Vergleich verstößt nicht gegen § 101 Abs. 1 SGG, denn die Beteiligten konnten über den Gegenstand der Klage verfügen. Es handelte sich auch um eine vergleichsweise Beendigung des Verfahrens durch gegenseitiges Nachgegeben. So verzichtete der Kläger auf eine Leistungsgewährung vor dem 01.07.2012, der Beklagte verpflichtete sich im Gegenzug zur Zahlung von Alg II dem Grunde nach vom 01.07.2012 bis 31.12.2014.
Aus der Niederschrift ergibt sich, dass der Vergleichswortlaut den Beteiligten vorgelesen und von diesen genehmigt worden ist. Die Niederschrift ist entsprechend den gesetzlichen Vorschriften ausgefertigt und vom Vorsitzenden sowie von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle unterschrieben worden (§§ 122 SGG, 159, 160 Zivilprozessordnung -ZPO-). Die Unterschrift der Beteiligten ist nicht erforderlich. Der Kläger hat dem Vergleich nach dem Vorlesen auch ausdrücklich zugestimmt, wie sich aus dem Protokoll und seinen eigenen Angaben ergibt (§ 122 SGG i. V. m. § 165 Satz 1 ZPO). Eine Widerrufsmöglichkeit ist darin nicht vorgesehen.
Der Prozessvergleich ist auch materiell-rechtlich wirksam. Wegen seiner Doppelnatur entfaltet der Prozessvergleich keine Rechtswirksamkeit, wenn die Beteiligten nicht wirksam zugestimmt haben oder er als öffentlich-rechtlicher Vertrag nach den Bestimmungen der Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nichtig oder wirksam angefochten ist; das Gleiche gilt, wenn nach dem Inhalt des Vergleichs der als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht oder der Streit oder die Gewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde (§ 779 Abs. 1 BGB; vgl. BSG, Urteil vom 24.01.1991 – 2 RU 51/90; Urteil des Senats vom 22.04.2010 – L 10 AL 252/09 – und Urteil vom 12.06.2013 – L 11 AS 232/13). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit des Prozessvergleiches – etwa nach den Bestimmungen der §§ 116 ff BGB – oder für seine Unwirksamkeit nach § 779 Abs. 1 BGB liegen nicht vor.
Soweit der Kläger vorträgt, er fechte den Vergleich wegen arglistiger Täuschung an, greift dies nicht durch. Nach § 123 Abs. 1 BGB kann, wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung bestimmt worden ist, die Erklärung anfechten. Der Kläger hat dem Vergleich jedoch nicht im Hinblick auf eine arglistige Täuschung zugestimmt. Wie sich aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung ergibt, dauerte diese über eine Stunde. Es wurde der Sachverhalt vorgetragen, den Beteiligten das Wort erteilt und der Sach- und Streitstand erörtert. Somit war dargelegt, von welchem Sachverhalt das Gericht ausgeht und welche tatsächlichen Umstände es festgestellt hat. Sofern der Kläger davon ausgegangen ist, diese Sachverhaltsermittlung sei – insbesondere im Hinblick auf § 103 SGG – nicht vollständig, hätte er dies vortragen können. Eine Verpflichtung zum Abschluss des Vergleichs bestand nicht. Es lässt sich somit nicht nachvollziehen, dass der Kläger quasi zum Abschluss des Vergleichs gezwungen worden ist. So hat er auch nahezu ein Jahr abgewartet, bis er die Gründe einer Unwirksamkeit des Vergleichs geltend gemacht hat. Eine arglistige Täuschung ist von daher nicht erkennbar und schon gar nicht vom Kläger nachgewiesen worden.
Der Kläger war anwaltlich vertreten und es ist nicht ersichtlich, dass er aufgrund seiner Person nicht in der Lage gewesen wäre, die Auswirkungen zu erkennen. Letztlich hat er nach eigenen Angaben zugestimmt, nachdem sein Bevollmächtigter gesagt habe, besser werde es nicht mehr. Anhaltspunkte dafür, der Rechtsanwalt oder eine andere Person habe den Kläger arglistig getäuscht, sind nicht erkennbar. Sofern sein Bevollmächtigter nicht alle ihm vom Kläger übersandten Unterlagen vorgelegt hat, mag dies dem geschuldet sein, dass er diese für (zunächst) nicht streitentscheidend gehalten hat. Letztlich ging es um die Frage, ob beim Kläger verwertbares Vermögen im Hinblick auf die Anlage bei der W. Bausparkasse AG vorhanden gewesen ist oder nicht.
Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass nach dem Inhalt des Vergleichs der als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspräche oder der Streit oder die Gewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde (§ 779 Abs. 1 BGB). Im Hinblick auf die Ungewissheit, ob ein verwertbares, die Vermögensfreigrenzen des § 12 SGB II übersteigendes Vermögen beim Kläger vorlag, haben die Beteiligten den Vergleich geschlossen und damit diese Unsicherheit durch ein gegenseitiges Nachgeben geregelt.
Ausführungen zu einer Wiederaufnahmeklage (§ 179 SGG i. V. m. §§ 578 ff ZPO) erübrigen sich. Gegen Prozessvergleiche ist eine Wiederaufnahmeklage grundsätzlich nicht zulässig (vgl. Urteil des Senats vom 22.04.2010 – L 10 AL 252/09; BSG, Urteil vom 28.11.2002 – B 7 AL 26/02 R – m. w. N.).
Das Berufungsverfahren L 17 AS 450/13 ist damit wirksam durch den Vergleich beendet worden und war deshalb nicht fortzusetzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn 1 und 2 SGG liegen nicht vor.


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