Arbeitsrecht

Angemessenheit der Höhe des Schmerzensgeldes

Aktenzeichen  M 5 K 20.2785

Datum:
7.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 29660
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBG Art. 97 Abs. 1 S. 1
BayBeamtVG Art. 52

 

Leitsatz

Dem Dienstherrn kommt im Rahmen der Erfüllungsübernahme keine Prüfung der Angemessenheit der Höhe des Schmerzensgeldes zu, wenn dem Schmerzensgeldanspruch ein Versäumnisurteil zugrunde liegt.

Tenor

I. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids des Landesamtes für Finanzen vom … Dezember 2019 und dessen Widerspruchsbescheids vom *. Juni 2020 verpflichtet, an den Kläger 7.000,- Euro zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 9.000,- Euro vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Verpflichtungsklage ist in vollem Umfang begründet.
1. Der Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger im Wege der Erfüllungsübernahme ein Schmerzensgeld in Höhe von 7.000,– EUR zu bewilligen und zu zahlen. Der entgegenstehende Bescheid des Landesamtes für Finanzen vom … Dezember 2019 und dessen Widerspruchsbescheid vom … Juni 2020 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO).
a) Nach Art. 97 Abs. 1 des Bayerischen Beamtengesetzes (BayBG), der zum 1. Dezember 2015 in Kraft getreten ist, kann der Dienstherr die Erfüllung eines rechtskräftig festgestellten Anspruchs auf Schmerzensgeld übernehmen, welcher daraus resultiert, dass ein Beamter in Ausübung des Dienstes oder außerhalb dessen wegen seiner Eigenschaft als Beamter einen tätlichen rechtswidrigen Angriff erleidet. Der Dienstherr kann den Anspruch bis zur Höhe des festgestellten Schmerzensgeldbetrages übernehmen, soweit dies zur Vermeidung einer unbilligen Härte notwendig ist. Eine solche liegt nach Art. 97 Abs. 2 BayBG insbesondere vor, wenn die Vollstreckung über einen Betrag von mindestens 500,– EUR erfolglos geblieben ist. Die Übernahme der Erfüllung ist innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Jahren nach Rechtskraft des Urteils schriftlich unter Nachweis der Vollstreckungsversuche zu beantragen (Art. 97 Abs. 3 BayBG).
b) Die Voraussetzungen zur Erfüllungsübernahme nach Art. 97 BayBG liegen hier vor. Der Kläger hat bei der Festnahme des Schädigers durch die Gegenwehr des Schädigers in Ausübung seines Dienstes einen tätlichen rechtswidrigen Angriff erlitten. Das Landgericht Augsburg hat den Schädiger mit rechtskräftigem Teil-Versäumnisurteil und Teil-Endurteil (095 O 3622/18) vom 15. Februar 2019 verurteilt, an den Kläger 7.000,– EUR Schmerzensgeld zu zahlen. Der Kläger hat vorliegend eine Vermögensauskunft des Schädigers vorgelegt, aus der ersichtlich wird, dass der Schädiger vermögenslos und somit nicht im Stande war, den Schmerzensgeldanspruch zu erfüllen. Dies genügt den Anforderungen des Art. 97 Abs. 3 Satz 1 BayBG. Darüber hinaus einen Vollstreckungsversuch zu unternehmen, war dem Kläger nicht zumutbar (VG Ansbach, U.v. 29.1.2020 – An 1 K 18.2510 – juris Rn. 99; U.v. 25.7.2019 – AN 1 K 18.01545 – juris Rn. 94; VG Würzburg, U.v. 28.1.2020 – W 1 K 19.792 – juris Rn. 21; Buchard in Brinktrine/Voitl, BeckOK Beamtenrecht Bayern, Stand 30.12.2019, Art. 97 BayBG Rn. 40.1).
c) Der Einwand des Beklagten, die Erfüllungsübernahme nicht vornehmen zu können, da die titulierte Schmerzensgeldhöhe unangemessen hoch sei, greift rechtlich nicht durch.
Eine Prüfungskompetenz des Landesamtes für Finanzen bei der Entscheidung über die Erfüllungsübernahme, ob das vom Zivilgericht zugesprochene Schmerzensgeld angemessen ist, kommt der Behörde jedenfalls dann nicht zu, wenn wie hier ein rechtskräftiges Versäumnisurteil gegen den Schädiger vorliegt. Das folgt bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift. In Art. 97 Abs. 1 Satz 2 BayBG ist eine Angemessenheitsprüfung nur dann vorgesehen, wenn der rechtskräftigen Feststellung des Anspruchs des Beamten auf Schmerzensgeld ein Vergleich nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) zugrunde liegt. Eine Ausdehnung auf andere Judikate, in denen der Schmerzensgeldanspruch des Beamten gegen den Schädiger rechtskräftig festgelegt ist, ergibt sich nicht aus dem Wortlaut.
Das wird auch durch die Gesetzesmaterialien bestätigt. Dort ist angegeben, dass durch Satz 2 des Art. 97 Abs. 1 BayBG ein unwiderruflicher Vergleich, der der Rechtskraft nicht zugänglich ist, einem rechtskräftigen Urteil gleichgestellt wird. Liegt dem Schmerzensgeldtitel ein gerichtlicher Vergleich zugrunde, kann die Erfüllungsübernahme durch den Dienstherrn zudem verweigert werden, wenn dieser objektiv unverhältnismäßig zu den erlittenen immateriellen Schäden und deshalb der Höhe nach unangemessen ist (LT-Drs. 17/2871, S. 46). Eine Erweiterung der Angemessenheitsprüfung auf gerichtliche Urteile kann daraus ausdrücklich nicht abgeleitet werden. Vielmehr unterstreichen die Motive des Gesetzgebers, dass nur bei einem gerichtlichen Vergleich eine Angemessenheitsprüfung der Höhe des Schmerzensgeldes überprüft werden soll. Insofern verdeutlicht die Begründung des Landtags, dass es sich bei der Angemessenheitsprüfung um eine Ausnahmeregelung für gerichtliche Vergleiche handelt, die nicht auf andere gerichtliche Titel, insbesondere (Versäumnis-)Urteile ausgedehnt werden darf. Die Gesetzesbegründung im Übrigen gibt für eine entsprechend sehr weite Auslegung von Art. 97 Abs. 1 Satz 2 BayBG – wie sie der Beklagte vornimmt – auch keinerlei Anhalt.
Auch Sinn und Zweck der Vorschrift, die mit dem Schmerzensgeld verbundene Genugtuungsfunktion in Fällen eines tätlichen Angriffs im Dienst oder außerhalb des Dienstes als Beamter durch den Dienstherrn im Fall dessen Uneinbringlichkeit zu erfüllen, widerspricht einer Angemessenheitsprüfung bei der Erfüllungsübernahme. Vielmehr soll der gerichtlich titulierte Schmerzensgeldanspruch erfüllt werden. Denn die Beamten erbringen als Geschädigte schwerwiegender Übergriffe ein erhebliches Sonderopfer für die Allgemeinheit, das anerkannt und auch tatsächlich ausgeglichen werden soll (so: LT-Drs. 17/2871, S. 46).
Die Rechtsprechung ist ebenfalls der Ansicht, dass dem Dienstherrn bei der Prüfung der Erfüllungsübernahme über den gesetzlich ausdrücklich geregelten Fall des gerichtlichen Vergleichs keine Kompetenz zur Angemessenheitsprüfung des Schmerzensgeldes zukommt (VG Würzburg, U.v. 28.1.2020 – W 1 K 19.792 – juris Rn. 19 für ein Versäumnisurteil; VG Ansbach, U.v. 29.1.2020 – An 1 K 18.2510 – juris Rn. 75 ff. für ein Anerkenntnisurteil). In der Literatur meint Buchard (in: Brinktrine/Voitl, BeckOK Beamtenrecht Bayern. Stand: 30.12.2019, Art. 97 Rn. 21.5), dass es vertretbar erscheine, eine Angemessenheitsprüfung bei Versäumnisurteilen als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal zu prüfen oder die Plausibilitätskontrolle auf Rechtsfolgenseite im Rahmen des Ermessens durchzuführen. Das ist aber abzulehnen, da dies – wie gerade dargestellt – der ausdrücklichen Intention des Gesetzgebers widerspricht. Soweit Burchard (in: Brinktrine/Voitl, BeckOK Beamtenrecht Bayern, Stand: 30.12.2019, Art. 97 Rn. 21.6) annimmt, dass jedenfalls bei extremen Einzelfällen eine Angemessenheitsprüfung bei Versäumnisurteilen durch den Dienstherrn zuzulassen sei, ist das aus dem gerade angegebenen Grund ebenfalls abzulehnen. Zudem ist unklar, ab welcher Grenze ein extremer Einzelfall angenommen werden könnte. Soweit Conrad (in: Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: Mai 2020, Art. 97 BayBG Rn. 10 f.) einer Angemessenheitsprüfung der Schmerzensgeldhöhe zustimmt, bezieht sich das ausdrücklich auf den Fall eines gerichtlichen Vergleichs.
Hinzu kommt, dass im rechtskräftigen Teil-Versäumnisurteil und Teil-Endurteil (095 O 3622/18) vom 15. Februar 2019 ausdrücklich angegeben ist, dass die Klage in der Hauptsache schlüssig begründet sei (Urteil S. 3). Das Gericht verpflichtete den Schädiger zu einem Schmerzensgeld in Höhe von 7.000,– EUR. Damit folgte es dem Antrag der Klagepartei, die die Höhe des Schmerzensgeldes ausdrücklich in das Ermessen des Gerichts gestellt hat, wobei als Mindestbetrag 7.000,– EUR angegeben wurden. Das Landgericht hat damit die geltend gemachte und von ihm festgelegte Höhe des Schmerzensgeldes auf Schlüssigkeit geprüft und folgte der beantragten Mindesthöhe.
Die Angemessenheitsprüfung der Schmerzensgeldhöhe führt auch – wie der vorliegende Fall zeigt – zu nicht mehr nachvollziehbaren Ergebnissen. So hat das Landesamt den Schmerzensgeldanspruch des anderen bei dem Vorfall durch den selben Schädiger verletzten Beamten nach Angaben des Klägers in Höhe von 1.600,– EUR ohne weiteres übernommen, wobei dieser Beamte nur drei Tage dienstunfähig gewesen sein soll, der Kläger aber über mehr als sechs Wochen. Zudem hat das Landesamt nicht einmal den von ihm selbst im Fall des Klägers als angeblich angemessen gehaltenen Betrag in Höhe von 408,– EUR bis 959,85 EUR (Widerspruchsbescheid S. 3) übernommen.
d) Vorliegend liegt auch eine Ermessensreduzierung „auf Null“ vor. Jede andere Entscheidung als die Erfüllungsübernahme wäre im vorliegenden Fall rechtswidrig, da keine Gründe ersichtlich sind, die eine weitere Prüfung insbesondere der Höhe des vom Dienstherrn zu erfüllenden Schmerzensgeldanspruchs im Verhältnis zu anderen für den Dienstunfall gewährten Leistungen erforderlich machen könnten.
Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG räumt dem Dienstherrn nach seinem Wortlaut einen Ermessenspielraum ein, so dass der Dienstherr die Erfüllung übernehmen kann, soweit dies zur Vermeidung einer unbilligen Härte erforderlich ist. Gleichwohl wird die Ermessensausübung durch Art. 97 Abs. 2 Satz 1 BayBG dahingehend vorgegeben, dass eine unbillige Härte insbesondere dann vorliegt, wenn die Vollstreckung über einen Betrag von mindestens 500,– EUR erfolglos geblieben ist. Das liegt hier vor. Für eine Ermessensausübung verbleibt lediglich insoweit Raum, als der Dienstherr die Erfüllungsübernahme verweigern kann, wenn auf Grund desselben Sachverhalts eine einmalige Unfallentschädigung (Art. 62 des Bayerischen Beamtenversorgungsgesetzes/BayBeamtVG) oder Unfallausgleich (Art. 52 BayBeamtVG) gezahlt wurde (Art. 97 Abs. 2 Satz 2 BayBG; vgl. LT-Drs. 17/2871, S. 47). Dies ist vorliegend nicht der Fall, so dass das Ermessen auf Null reduziert ist (vgl. VG Ansbach, U.v. 29.1.2020 – An 1 K 18.2510 – juris Rn. 101 f.; VG München, U.v. 5.7.2017 – M 5 K 16.4266 – BayVBl 2018, 531, juris Rn. 26; Buchard, in: Brinktrine/Voitl, BeckOK Beamtenrecht Bayern. Stand: 30.12.2019, Rn. 35.3 zu Art. 97 BayBG; Conrad in: Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: Mai 2020, Art. 97 BayBG Rn. 11).
e) Die Prozesszinsen folgen aus einer entsprechenden Anwendung der §§ 291 Satz 1, 288 Abs. 1 Satz 2, 246 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Der Kläger kann gegen den Beklagten grundsätzlich Prozesszinsen von dem auf den Eingang der Klage folgenden Tag beanspruchen (vgl. § 187 Abs. 1 BGB; BVerwG, U.v. 4.12.2001 – 4 C 2/00 – BVerwGE 115, 274, juris Rn. 50).
2. Der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für notwendig zu erklären. Dem Kläger war nicht zuzumuten, das Vorverfahren ohne rechtskundige Vertretung durchzuführen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.


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