Arbeitsrecht

Anspruch auf die Gewährung weiterer Beihilfeleistungen

Aktenzeichen  Au 2 K 18.736

Datum:
22.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 20016
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BBG § 80 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4
BBhV § 6 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, § 12 Abs. 3 S. 1, § 26, § 26a
GOÄ § 5 Abs. 2 S. 1, S. 4, Abs. 3 S. 1, § 6 Abs. 2, § 12 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 S. 1

 

Leitsatz

1. Die Anwendung von Steigerungssätzen für ärztliche Gebühren setzt Besonderheiten der Behandlung und der Konstitution gerade des behandelten Patienten gegenüber dem Regelfall von Behandlungen voraus. (Rn. 23) (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Einsatz eines Femtosekundenlasers stellt eine wissenschaftlich anerkannte und medizinisch notwendige Heilbehandlung dar. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Mitbehebung einer Hornhautverkrümmung während einer Kataraktoperation mittels Femtosekundenlaser rechtfertigt die Anwendung eines Steigerungssatzes nicht. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat in Bezug auf die ihm aufgrund der Rechnung des … vom 13. Dezember 2017 entstandenen Aufwendungen für die am 25. Oktober 2017 und 22. November 2017 erfolgte stationäre Kataraktoperationen durch Dr. med., Facharzt für Augenheilkunde, keinen Anspruch auf die Gewährung weiterer Beihilfeleistungen in Höhe von 394,14 EUR. Der Bescheid der … vom 27. Dezember 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der … vom 28. Februar 2018 ist insoweit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 VwGO).
1. Der Kläger ist als Ruhestandsbeamter Versorgungsempfänger und mit einem Beihilfebemessungssatz von 70% (§ 46 Abs. 2 Nr. 2 BBhV) beihilfeberechtigt nach § 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BBG. Beihilfefähig sind nach § 80 Abs. 3 Nr. 1 BBG grundsätzlich nur notwendige und wirtschaftlich angemessene Aufwendungen in Krankheits- und Pflegefällen. Für die rechtliche Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage maßgeblich, die zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen, für die Beihilfeleistungen verlangt werden, gegeben war (BVerwG U.v. 30.4.2009 – 2 C 127.07 – juris Rn. 7; U.v. 15.12.2005 – 2 C 35.04 – BVerwGE 125, 21). Danach findet für die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen aus Oktober und November 2017 die zu diesem Zeitpunkt maßgebliche – auf Grundlage von § 80 Abs. 4 BBG erlassene – Verordnung über Beihilfe in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen (Bundesbeihilfeverordnung – BBhV) vom 13. Februar 2009 (BGBl. I 2009, S. 326), zuletzt geändert durch Gesetz vom 29. März 2017 (BGBl. I S. 626), Anwendung.
Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 BBhV sind grundsätzlich nur notwendige und wirtschaftlich angemessene Aufwendungen beihilfefähig. Hierzu zählen gemäß § 12 Satz 1 BBhV Aufwendungen für ambulante ärztliche Untersuchungen und Behandlungen sowie für Krankenhausleistungen nach Maßgabe von § 26, § 26a BBhV. Als wirtschaftlich angemessen gelten nur Aufwendungen für ärztliche Leistungen, wenn sie dem Gebührenrahmen der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) entsprechen (§ 6 Abs. 3 Satz 1 BBhV).
2. Der Ansatz des 2,5-fachen Steigerungssatzes (statt des als beihilfefähig anerkannten 1,8-fachen Steigerungssatzes) bei der Abrechnung der GOÄ-Ziffer A5855 ist im vorliegenden Fall nicht beihilfefähig.
a) Dabei ist zu prüfen, ob die Abrechnung des Arztes den Vorgaben des Beihilferechts entspricht, insbesondere ob die vom Arzt geltend gemachten Ansprüche nach materiellem Gebührenrecht begründet sind und der Arzt die Erfüllung seiner Honorarforderung verlangen kann, die Honorarforderung mithin fällig geworden ist (vgl. BVerwG, U.v. 20.3.2008 – 2 C 19.06 – NVwZ-RR 2008, 713). Rechtlicher Ausgangspunkt für die Beantwortung der (zivilrechtlichen) Frage, wann die Vergütung eines Arztes fällig wird, ist § 12 GOÄ. Danach wird die Vergütung eines Arztes fällig, wenn dem Zahlungspflichtigen eine dieser Verordnung entsprechende Rechnung erteilt worden ist. Gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 2 GOÄ muss die Rechnung bei Gebühren die Nummer und die Bezeichnung der einzelnen berechneten Leistung einschließlich einer in der Leistungsbeschreibung gegebenenfalls genannten Mindestdauer sowie den jeweiligen Betrag und den Steigerungssatz enthalten. Überschreitet eine berechnete Gebühr dabei das 2,3-fache bzw. vorliegend das 1,8-fache des Gebührensatzes, ist dies nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 GOÄ auf die einzelne Leistung bezogen für den Zahlungspflichtigen verständlich und nachvollziehbar schriftlich zu begründen; nach Satz 2 der Vorschrift ist die Begründung auf Verlangen näher zu erläutern. Da es Zweck der komplexen Regelung über den notwendigen Inhalt einer Rechnung ist, dem Zahlungspflichtigen, von dem weder medizinische noch gebührenrechtliche Kenntnisse erwartet werden können, eine Grundlage für eine Überprüfung der in Rechnung gestellten Leistungen zu geben, muss die von § 12 Abs. 3 GOÄ geforderte Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit der Begründung aus der Sicht eines medizinischen und gebührenrechtlichen Laien gegeben sein (vgl. BGH, U.v. 8.11.2007 – III ZR 54/07- BGHZ 174, 101 ff.; VG Düsseldorf, U.v. 9.5.2014 – 26 K 4729/13 – juris Rn. 49). Welchen inhaltlichen Bezugspunkt die Begründung dabei haben muss, ergibt sich aus § 5 GOÄ. Nach dessen Absatz 1 Satz 1 bemisst sich die Höhe der einzelnen Gebühr grundsätzlich nach dem Einfachen bis Dreieinhalbfachen des Gebührensatzes, soweit in den Absätzen 3 bis 5 nichts anders bestimmt ist. Vorliegend bemisst sich die Höhe hingegen nach § 5 Abs. 3 Satz 1 GOÄ, nachdem es sich bei der GOÄ-Ziffer 5855 um eine solche des Abschnitts O des Gebührenverzeichnisses handelt. Somit ist hier lediglich eine Abrechenbarkeit nach dem Einfachen bis Zweieinhalbfachen möglich (vgl. auch VG München, U.v. 8.12.2016 – M 17 K 16.483 – juris Rn. 37). Die Bemessungskriterien benennt dabei Absatz 2 Satz 1 der Vorschrift. Hiernach sind innerhalb des Gebührenrahmens die Gebühren unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und des Zeitaufwandes der einzelnen Leistung sowie der Umstände bei der Ausführung nach billigem Ermessen zu bestimmen. Bezieht man die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in die Betrachtung mit ein, nach der ein Fehlgebrauch des einem Arzt bei der Bestimmung des für die Abrechnung maßgeblichen Steigerungssatzes obliegenden Ermessens nicht anzunehmen ist, wenn Leistungen, die sich in einem Bereich durchschnittlicher Schwierigkeit befinden, zum Schwellenwert abgerechnet werden, ergibt sich im Umkehrschluss aus dieser Rechtsprechung, dass als Mindestanforderung für die Rechtmäßigkeit der Abrechnung ärztlicher Leistungen oberhalb des Schwellenwertes anzunehmen ist, dass hinsichtlich der der in § 5 Abs. 2 Satz 1 GOÄ genannten Bemessungskriterien ein überdurchschnittlicher Aufwand vorlag (VG Düsseldorf, U.v. 9.5.2014 – 26 K 4729/13 – juris Rn. 53). Das Vorliegen dieser Besonderheiten ist gerichtlich voll nachprüfbar. Der für die Überschreitung des Schwellenwertes erforderliche Ausnahmecharakter setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass die Besonderheiten gerade bei der Behandlung des betreffenden Patienten, abweichend von der Mehrzahl der Behandlungsfälle, aufgetreten sind. Vom Arzt allgemein oder häufig, jedenfalls nicht nur bei einzelnen Patienten wegen in ihrer Person liegender Schwierigkeiten angewandte Behandlungen, stellen keine derartige Behandlung dar. Diese muss sich vielmehr von der Mehrzahl der Fälle deutlich unterscheiden. Dies folgt unmittelbar aus dem Wortlaut des § 5 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 4 GOÄ, wonach „in der Regel“ – also in der Mehrzahl der Behandlungsfälle – lediglich eine Gebühr zwischen dem 1,0-fachen und 1,8-fachen Satz bemessen werden darf (BVerwG, U.v. 17.2.1994 – 2 C 10.92 – BVerwGE 95, 117). Aus der Begründung des Überschreitens des Schwellenwertes muss sich plausibel ergeben, welchen Zeitaufwand und welchen Schwierigkeitsgrad die Behandlung aufweist (vgl. OVG NW, U.v. 3.12.1999 – 12 A 2889/99 – juris Rn. 37 ff.; VG Gelsenkirchen, U.v. 24.4.2017 – 3 K 5541/14 – juris Rn. 40 ff.).
b) Nach diesen Maßstäben steht dem Kläger kein über den 1,8-fachen Gebührensatz hinausgehender weiterer Beihilfeanspruch zu, weil die Forderung seiner Ärzte insoweit nicht fällig geworden ist.
aa) Zunächst ist zwar festzustellen, dass von der Notwendigkeit des in Rede stehenden Einsatzes des Femtosekundenlasers im Rahmen der bei dem Kläger durchführten Kataraktoperationen im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 BBhV auszugehen ist. Das Gericht schließt sich insoweit der in der Rechtsprechung ganz überwiegend vertretenen Auffassung an, dass es sich bei dem Einsatz eines Femtosekundenlasers im Rahmen von Kataraktoperationen um eine wissenschaftlich anerkannte und medizinisch notwendige Behandlungsmethode handelt (vgl. zuletzt VG Münster, U.v. 10.12.2018 – 5 K 3889.17 – juris Rn. 26), was von der Beklagten aber auch nicht in Rede gestellt wurde. Eine Abrechenbarkeit nach GOÄ-Ziffer 5855 analog ist nach Auffassung des Gerichts entsprechend § 6 Abs. 2 GOÄ grundsätzlich rechtlich zulässig (vgl. VG München, U.v. 8.12.2016 – M 17 K 16.489 – juris Rn 37). Insofern bestehen im Hinblick auf die Rechnungserstellung vorliegend auch keine Bedenken.
bb) Jedoch sind die im Hinblick auf den Einsatz des Femtosekundenlasers geltend gemachten Aufwendungen der Höhe nach nicht angemessen.
Entgegen § 12 Abs. 3 Satz 1 GOÄ ist der Ansatz des 2,5-fachen bzw. vorliegend gar 3,0-fachen Steigerungssatzes für die abgerechnete Ziffer 5855 GOÄ analog nicht nachvollziehbar begründet worden. Es ist nicht ersichtlich, weshalb sich die erbrachten Leistungen bezogen auf Schwierigkeit, Zeitaufwand und sonstige Umstände von der Mehrzahl der Behandlungsfälle, in denen diese Leistungen erbracht werden, unterscheiden.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 17.2.1994 – 2 C 10/92 – NJW 1994, 3023) müssen Besonderheiten in diesem Sinn gerade bei der Behandlung des betreffenden Patienten, abweichend von der Mehrzahl der Behandlungsfälle, aufgetreten sein. Eine in jeder Hinsicht durchschnittliche Art und Weise der Behandlung kann ein Überschreiten des 1,8fachen Gebührensatzes (Schwellenwert) nach § 5 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 4 Halbsatz 2 GOÄ nicht rechtfertigen. Die Vorschrift hat Ausnahmecharakter und ist dementsprechend eng auszulegen. Diesem Ausnahmecharakter widerspräche es, wenn schon eine vom Arzt allgemein oder häufig, jedenfalls nicht nur bei einzelnen Patienten wegen in ihrer Person liegender Schwierigkeiten, angewandte Verfahrensweise bei einer Ausführung einer im Gebührenverzeichnis beschriebenen Leistung das Überschreiten des Schwellenwerts rechtfertigen würde. Erforderlich ist somit eine gerade in der Person des Betroffenen liegende Besonderheit. Der den Ausschlag für die Schwellenwertüberschreitung gebende vermehrte Aufwand muss auf eine beim betreffenden Patienten bestehende außergewöhnliche Konstitution zurückzuführen sein; rein verfahrensbezogene Besonderheiten genügen dagegen nicht (vgl. BayVGH, B.v. 15.4.2011 – 14 ZB 10.1544 – juris Rn. 4; VGH BW, U.v. 17.9.1992 – 4 S 2084/91 – juris Rn. 48; VG Stuttgart, U.v. 28.1.2011 – 3 K 2870/10; VG München, U.v. 23.5.2013 – M 17 K 12.59; U.v. 23.5.2013 – M 17 K 11.4984).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt:
Der behandelnde Arzt hat das Überschreiten des 1,8-fachen Satzes in der Rechnung vom 13. Dezember 2017 zunächst mit einer intraoperativen Astigmatismuskorrektur an beiden Augen begründet. Hieraus lassen sich jedoch noch keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass eine über die bloße Anwendung des Femtosekundenlasers hinausgehende Schwierigkeit lag. Aus der im Widerspruchsverfahren vorgelegten Stellungnahme des behandelnden Arztes geht weiter hervor, dass beim Einsatz des Femtosekundenlasers die sog. Limbal Relaxing Incisions-Methode zur Beseitigung des Astigmatismus angewandt worden sei. Wie jedoch der von der Beklagten beauftragte Beratungsarzt Dr. med. … in seinem Gutachten vom 21. Februar 2018 anführt, handelt es sich bei der Anwendung dieser Methode (Limbal Relaxing Incisions) um die normale Funktionstechnik der Femtosekundenlaseranwendung und stellt keine Erschwernis dar.
Für das Gericht ergibt sich daher aus dieser für das Gericht schlüssigen und nachvollziehbaren Stellungnahme des Beratungsarztes, dass der Ansatz eines den Schwellenwert von 1,8 übersteigenden Steigerungssatz jeweils nicht verständlich und nachvollziehbar begründet worden ist.
Nach ständiger Rechtsprechung kann das Verwaltungsgericht ein von einer Behörde im Verwaltungsverfahren eingeholtes ärztliches Gutachten zur Notwendigkeit und Angemessenheit von Aufwendungen bei seiner Entscheidungsfindung verwerten, sofern das Gutachten nachvollziehbar ist und nicht unter wesentlichen Mängeln leidet (stRspr; beispielhaft BVerwG, B.v. 3.2.2010 – 7 B 35.09 – juris Rn. 12).
Der Kläger hat hinsichtlich des Gutachtens keine substantiierten Einwendungen erhoben. Vielmehr stellt der Kläger lediglich darauf ab, dass die für den Schwellenwert überschreitende Besonderheit darin läge, dass bei ihm gleichzeitig die intraoperative Astigmatismuskorrektur vorgenommen worden sei. Zu den Ausführungen des Sachverständigen, wonach es sei bei dem Einsatz der Limbal Relaxing Incisions-Funktion hingegen um die normale Funktionstechnik des Femtosekundenlasers handle, wird mit der Klage nichts Substantiiertes vorgetragen. Damit wird die Aussagekraft des beratungsärztlichen Gutachtens in Frage gestellt.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 124, § 124a VwGO).


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