Arbeitsrecht

Anwendbarkeit der Richtlinie EGRL 81/97 auf Beamte – Anspruch auf Vergütung des nicht in Anspruch genommenen Urlaubs

Aktenzeichen  5 A 357/20 MD

Datum:
7.2.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG Magdeburg 5. Kammer
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:VGMAGDE:2022:0207.5A357.20MD.00
Normen:
§ 44 BeamtStG
EGRL 81/97
§ 1 BesG ST 2011
§ 2 BesG ST 2011
§ 3 BesG ST 2011
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Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

1. Die Richtlinie Nr. 97/81/EG (juris: EGRL 81/97 ist mit ihrer Anlage auch auf Beamte anwendbar mit der Folge, dass die darin enthaltenden Ziele bei der Auslegung des § 44 BeamtStG zu berücksichtigen sind.(Rn.24)
2. Daraus folgt, dass nach § 44 BeamtStG Beamten bei Inanspruchnahme eines in einer Vollzeitbeschäftigung entstandenen Urlaubsanspruches, der während der Vollzeitbeschäftigung nicht in Anspruch genommen werden konnte, bei einem Wechsel in eine Teilzeitbeschäftigung dieser der Höhe nach so zu besolden ist, als habe der Beamte den Erholungsurlaub in einer Vollzeitbeschäftigung in Anspruch genommen.(Rn.27)

Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 24. September 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. November 2020 verurteilt, den ab dem 15. Juni 2020 in Anspruch genommenen Erholungsurlaub aus den Kalenderjahren 2018 und 2019 der Klägerin in Höhe von 47 Tagen der Höhe nach so zu besolden, als habe die Klägerin diesen in einer Vollzeitbeschäftigung in der Besoldungsgruppe A8, Erfahrungsstufe 6 LBesO LSA, in Anspruch genommen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Vergütung ihres Urlaubsanspruches aus einer Vollzeitbeschäftigung.
Die Klägerin war Stadthauptsekretärin bei der Beklagten und dort im Fachbereich Bürgerservice und Ordnungsamt bis zu ihrer Versetzung an das Ministerium für Bildung des Landes Sachsen-Anhalt zum 1. Oktober 2021 tätig.
Die Klägerin befand sich seit dem 1. Januar 2019 im Krankenstand und aufgrund einer festgestellten Risikoschwangerschaft seit dem 7. Januar 2019 bis zum 14. Juni 2019 im Beschäftigungsverbot. Vom 15. Juni 2019 bis zum 19. Oktober 2019 befand sich die Klägerin im Mutterschutz und anschließend bis zum 14. Juni 2020 antragsgemäß in Elternzeit.
Zu Beginn des Beschäftigungsverbotes standen der Klägerin noch 22 Tage nicht in Anspruch genommenen Erholungsurlaubes aus dem Jahr 2018 und für das Jahr 2019 25 Urlaubstage zu.
Ab dem 15. Juni 2020 war die Klägerin mit 30 Wochenstunden bei der Beklagten teilzeitbeschäftigt. Vom 15. Juni 2020 bis zum 18. August 2020 bewilligte die Beklagte der Klägerin auf ihren Antrag Erholungsurlaub im Umfang von 47 Tagen.
Unter dem 4. September 2020 beantragte die Klägerin bei der Beklagten ihren Urlaubsanspruch, der vor Beginn ihrer Teilzeitbeschäftigung in Vollzeit entstanden sei, bei der Besoldung ab Beginn ihrer Teilzeitbeschäftigung mit 30 Wochenstunden zu berücksichtigen. Sie habe ihre Teilzeitbeschäftigung am 15. Juni 2020 begonnen und ab diesem Tage ihren Resturlaub in Höhe von 47 Tagen Erholungsurlaub aus der Vollzeitbeschäftigung angetreten. Bei der Besoldung sei jedoch nur die Teilzeitbeschäftigung berücksichtigt worden. Zur weiteren Begründung berief sie sich auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 22. April 2010 (Az. C-486/08).
Mit Bescheid vom 24. September 2020 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Aufgrund des Gesetzesvorbehaltes im Besoldungsrecht bedürfe eine Regelung, welche den besoldungsrechtlichen Ausgleich eines in einer Vollzeitbeschäftigung erworbenen und während einer Teilzeitbeschäftigung in Anspruch genommenen Erholungsurlaubes vorsehe, einer rechtlichen Grundlage im Besoldungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt. An einer derartigen Norm mangele es aber im vorliegenden Fall. Im Geltungsbereich des Besoldungsgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt würden keine Rechtsnormen existieren, die die Zahlung eines Ausgleichs aufgrund eines in Vollzeit erworben Urlaubsanspruchs, der während einer Teilzeitbeschäftigung tatsächlich in Anspruch genommen worden sei, rechtfertigten. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes – auf die sich die Klägerin zur Begründung ihres Anspruches stütze – beinhalte eine Entscheidung im Bereich der tarifvertraglichen Arbeitsverhältnisse. Dort sei entschieden worden, dass Vollzeit-Urlaubsansprüche im Anschluss an eine Elternzeit dem Arbeitnehmer gleichermaßen in Vollzeit zu vergüten seien, selbst wenn der Arbeitnehmer sich anschließend in eine Teilzeitbeschäftigung begebe. Eine analoge Anwendung auf den beamtenrechtlichen Bereich scheide bereits durch die verschiedenen Systematiken der Vergütung im Vergleich zu der Besoldung aus. Aus beamtenrechtlicher Sicht sei der Wechsel von einer Vollzeitbeschäftigung in eine Teilzeitbeschäftigung oder umgekehrt nur dann in Bezug auf den Erholungsurlaub relevant, wenn sich während der Teilzeitbeschäftigung die Verteilung der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit auf weniger als fünf Tage erstrecke. Aufgrund der eindeutigen Rechtslage sei insoweit auf eine Anhörung vor Erlass des Bescheides verzichtet worden.
Unter dem 19. Oktober 2020 erhob die Klägerin Widerspruch und vertrat die Auffassung, dass eine Gleichbehandlung zwischen Angestellten und Beamten erfolgen solle. Da der Europäische Gerichtshof bereits zu Arbeitnehmern eine Entscheidung in ihrem Sinne getroffen habe, bitte sie, die Rechtsgedanken dieser Entscheidung auch auf Beamte anzuwenden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19. November 2020 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung wiederholte die Beklagte ihre Begründung aus dem Ausgangsbescheid. Daneben führte sie aus, dass Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes zu Arbeitnehmern grundsätzlich nur dann auf das nationale Beamtenrecht übertragen werden könnten, wenn dies systemgerecht möglich sei. Aufgrund der undifferenzierten Verwendung des Arbeitnehmerbegriffes auf europäischer Ebene sei es erforderlich, europäische und internationale Rechtsnormen in mit dem öffentlichen Dienstrecht vereinbarer Weise anzuwenden bzw. in nationales Recht umzusetzen. Die von der Klägerin zitierte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes befasse sich aber nur mit den Urlaubsansprüchen eines Arbeitnehmers. Über die analoge Anwendbarkeit der Urteile auf das nationale Beamtenrecht sei bisher nicht entschieden worden.
Am 19. Dezember 2020 hat die Klägern Klage erhoben.
Zur Begründung bezieht sie sich auf ihren bisherigen Vortrag aus dem verwaltungsbehördlichen Verfahren.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24. September 2020 und des Widerspruchsbescheides vom 19. November 2020 zu verurteilen, den ab dem 15. Juni 2020 ihr in Anspruch genommenen Erholungsurlaub aus den Kalenderjahren 2018 und 2019 in Höhe von 47 Tagen der Höhe nach so zu besolden, als habe sie diesen in einer Vollzeitbeschäftigung in der Besoldungsgruppe A 8, Erfahrungsstufe 6 LBesO LSA, in Anspruch genommen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen aus dem Widerspruchsbescheid. Daneben errechne sich das zu zahlende Urlaubsentgelt nach der Urlaubsverordnung des Landes Sachsen-Anhalt nach dem gewöhnlichen Besoldungsanspruch. Die gewöhnliche Besoldung sei anhand der Dienstbezüge gemäß § 1 Abs. 3 Nrn. 1 bis 4 und 6 sowie Abs. 4 Nr. 1 des Landesbesoldungsgesetzes Sachsen-Anhalt zu berechnen. Im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des 47-tägigen Resturlaubes ab dem 15. Juni 2020 seien dem (Urlaubs-)Entgeltanspruch der Klägerin die Besoldungsansprüche auf der Grundlage der Teilzeitbeschäftigung zugrunde zu legen gewesen. Die zitierte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sei deshalb nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar. Zudem sei das Vorbringen eines Beamten, seine Besoldung entspreche nicht den hierfür maßgeblichen unionsrechtlichen Vorgaben, wegen des Gesetzesvorbehalts im Besoldungsrecht grundsätzlich auf ein Handeln des Gesetzgebers für die Zukunft, d. h. ab dem Zeitpunkt der Geltendmachung, ausgerichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die von der Beklagten beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung sowie der Entscheidungsfindung des Gerichts.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.
Die Klage ist zunächst als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthaft. Denn in der Sache begehrt die Klägerin von der Beklagten die Auszahlung eines ihr von Gesetzes wegen zustehenden Geldbetrages, nämlich die Differenz zwischen der fiktiven Vollzeitbesoldung und der gewährten Teilzeitbesoldung bezogen auf 47 Tage Erholungsurlaub im Jahr 2020 unter Aufhebung der insoweit entgegenstehenden streitgegenständlichen Bescheide.
Die Klage ist darüber hinaus auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 24. September 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. November 2020 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Die Klägerin hat einen Anspruch auf Besoldung des ab dem 15. Juni 2020 in Anspruch genommenen Erholungsurlaubes in Höhe von 47 Tagen aus einer Vollzeitbeschäftigung nach der Besoldungsgruppe A8, Erfahrungsstufe 6 LBesO LSA (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO analog).
Rechtsgrundlage der von der Klägerin begehrten Besoldung ist § 3 Abs. 1 Satz 1 LBesG LSA. Danach haben Beamtinnen und Beamte Anspruch auf Besoldung. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 LBesG LSA wird die Besoldung durch Gesetz geregelt. Nach § 1 Abs. 2 LBesG LSA setzt sich die Besoldung aus Dienstbezügen und sonstigen Bezügen zusammen. Gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 LBesG LSA sind Dienstbezüge u. a. das Grundgehalt. Nach § 19 Abs. 1 LBesG bestimmt sich das Grundgehalt nach der Besoldungsgruppe des verliehenen Amtes, hier nach der Besoldungsgruppe A 8. Gemäß § 6 Abs. 1 LBesG LSA wird bei Teilzeitbeschäftigung die Besoldung im gleichen Verhältnis wie die Arbeitszeit gekürzt, soweit durch Gesetz nichts Anderes bestimmt ist. Die Klägerin war seit dem 15. Juni 2020 unstreitig teilzeitbeschäftigt bei der Beklagten. Insoweit war ihre Besoldung grundsätzlich im Verhältnis zu ihrer Arbeitszeit nach § 19 Abs. 1 LBesG zu kürzen. Dies gilt bei europarechtskonformer Auslegung des § 44 BeamtStG jedoch nicht für den von der Klägerin noch in ihrer Vollzeitbeschäftigung in den Jahren 2018 und 2019 erworbenen Anspruch auf 47 Tage Erholungsurlaub, den sie während ihrer Teilzeitbeschäftigung im Jahr 2020 in Anspruch nahm.
Nach § 44 BeamtStG steht Beamtinnen und Beamten jährlicher Erholungsurlaub unter Fortgewährung der Bezüge zu. Bereits der Wortlaut der Norm lässt eine europarechtskonforme Auslegung dahingehend zu, dass für einen Anspruch auf Erholungsurlaub, der während einer Vollzeitbeschäftigung erworben und später in einer Teilzeitbeschäftigung in Anspruch genommen wird, sich die Pflicht zur Fortgewährung der Bezüge auf diejenigen Bezüge bezieht, die im Entstehungsjahr des Urlaubsanspruches maßgeblich waren, sofern der Erholungsurlaub vor der Teilzeitbeschäftigung nicht in Anspruch genommen werden konnte (vgl. zur europarechtlich determinierten Begründung dieser Annahme sogleich). Denn die Regelung setzt voraus, dass eine Verkürzung der Bezüge bei Inanspruchnahme des Erholungsurlaubs nicht erfolgen darf (Reich, BeamtStG, 3. Aufl. 2018, § 44 Rn. 3). Der Sinn und Zweck der Vorschrift besteht darin, dass der Beamte in die Lage versetzt werden soll, sein Recht auf Urlaub auch tatsächlich ausüben zu können (Badenhausen-Fähnle, in: BeckOK BeamtenR Bund, 24. Ed. 1.4.2020, § 44 Rn. 7 BeamtStG). Die Ungekürzte Fortgewährung der Bezüge rechtfertigt sich dabei aus dem Umstand, dass während des Erholungsurlaubes – mit Ausnahme der Verpflichtung zur Dienstleistung – sämtliche Verpflichtungen aus dem Beamtenrechtsverhältnis fortbestehen und der Beamte weiterhin Inhaber des abstrakt-funktionellen Amtes und des ihm übertragenen Dienstpostens ist (Schütz/Maiwald, in: BeamtR, 123. AL Februar 2022, § 44 BeamtStG Rn. 6). Dabei ist im Rahmen einer europarechtskonformen Auslegung des § 44 BeamtStG auch das europarechtliche Diskriminierungsverbot von Teilzeitbeschäftigten aus der Richtlinie Nr. 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 in der durch die Richtlinie 98/23/EG vom 7. April 1998 geänderten Fassung (im Folgenden: RL 97/81) zu berücksichtigen. Das Gebot europarechtskonformer Auslegung ergibt sich bereits aus der Verpflichtung der Mitgliedstaaten nach Art. 288 Abs. 3 AEUV, die in einer Richtlinie vorgesehenen Ziele zu erreichen, und der Obliegenheit, alle zur Erfüllung dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen zu ergreifen. Das Gebot der europarechtskonformen Auslegung trifft alle Träger öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten und damit im Rahmen ihrer Zuständigkeit auch die Gerichte (EuGH, Urteil vom 5. Oktober 2004 – C-379/01 bis 403/01 -, juris Rn. 110 m.w.N.). Das nationale Gericht muss das innerstaatliche Recht so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zweckes der Richtlinie auslegen, um das in ihr festgelegte Ergebnis zu erreichen und so Art. 288 Abs. 3 AEUV nachzukommen. Der Grundsatz der europarechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts verlangt dabei, dass das nationale Gericht nicht nur die zur Umsetzung der fraglichen Richtlinie erlassenen Bestimmungen, sondern das gesamte nationale Recht so auslegt, dass seine Anwendung nicht zu einem der Richtlinie widersprechenden Ergebnis führt (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Beschluss vom 9. Januar 2007 – 20 F 1.06 u.a. -, juris Rn. 14).
Maßgeblicher europarechtlicher Prüfungsmaßstab für die Auslegung des § 44BeamtStG ist vorliegend die RL 97/81. Die Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der RL 97/81 (im Folgenden: Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit) ist Bestandteil dieser Richtlinie und kann deshalb wie diese gegenüber den Mitgliedstaaten Geltung und nach Ablauf der Umsetzungsfrist gegebenenfalls auch unmittelbare Anwendung im innerstaatlichen Recht beanspruchen (vgl. BVerwG, Urteile vom 23. September 2010 – 2 C 27.09 -, juris Rn. 19 m.w.N.).
Die RL 97/81 ist vorliegend sowohl in persönlicher als auch in sachlicher Hinsicht anwendbar. Die Antragstellerin fällt nach § 2 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit als teilzeitbeschäftigte Beamtin in den persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie. Dem steht nicht entgegen, dass gemäß § 3 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit Teilzeitbeschäftigter im Sinne der Richtlinie ein „Arbeitnehmer“ ist. Als Arbeitnehmer gilt, wer während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisungen Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Die Präambel der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit bezieht sich auf alle Beschäftigungsbedingungen von Teilzeitbeschäftigten. Dabei ist ohne Belang, in welchem Status diese Tätigkeit ausgeübt wird. Aus diesem Grund fallen Beamte – als besondere Gruppe – ebenfalls unter diesen Begriff (zur Anwendbarkeit der RL 97/81 auf Beamte: OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 2. Dezember 2020 – OVG 4 B 7.18 -, juris Rn. 32; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 5. August 2020 – 4 S 685/20 -, juris Rn. 28; VGH Bayern, Urteil vom 22. Juni 2020 – 3 BV 18.1447 -, juris Rn. 21; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23. Februar 2011 – 3 A 750/10 -, juris Rn. 59; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 19. November 2015 – 2 C 3.15 -, juris Rn. 9 m.w.N.; Urteil vom 31. Januar 2013 – 2 C 10.12, juris Rn. 11).
Inhaltlich soll die RL 97/81 und ihre Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit zum einen die Teilzeitarbeit fördern und zum anderen die Ungleichbehandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten beseitigen (EuGH, Urteil vom 10. Juni 2010 – C-395/08 und C-396/08 -, juris Rn. 24). Im Einklang mit dem Ziel, die Ungleichbehandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten zu beseitigen, bestimmt § 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit, dass Teilzeitbeschäftigte in ihren Beschäftigungsbedingungen nur deswegen, weil sie teilzeitbeschäftigt sind, nicht schlechter als vergleichbare Vollzeitbeschäftigte behandelt werden dürfen, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus objektiven Gründen gerechtfertigt. Zu den „Beschäftigungsbedingungen“ im Sinne dieser Bestimmung zählen u. a. die sozialen und finanziellen Bedingungen. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist § 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit dahin auszulegen, dass es einer nationalen Bestimmung entgegensteht, nach der bei einer Änderung des Beschäftigungsausmaßes eines Arbeitnehmers das Ausmaß des noch nicht verbrauchten Erholungsurlaubs in der Weise angepasst wird, dass der von einem Arbeitnehmer, der von einer Vollzeit- zu einer Teilzeitbeschäftigung übergeht, in der Zeit der Vollzeitbeschäftigung erworbene Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, dessen Ausübung dem Arbeitnehmer während dieser Zeit nicht möglich war, reduziert wird oder der Arbeitnehmer diesen Urlaub nur mehr mit einem geringeren Urlaubsentgelt verbrauchen kann (EuGH, Urteil vom 22. April 2010 – C-486/08 -, juris Rn. 35). Denn der Anspruch jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub ist als ein Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen, von dem nicht abgewichen werden darf und den die zuständigen nationalen Stellen nur in den in der Richtlinie 93/104/EG vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung selbst ausdrücklich gezogenen Grenzen umsetzen dürfen. Hieraus folgt, dass dieser Grundsatz des Sozialrechts der Union nicht restriktiv ausgelegt werden darf. Denn Sinn und Zweck des Anspruches auf bezahlten Jahresurlaub ist es, dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zu erholen und über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zu verfügen. Diese Ruhezeit verliert ihre Bedeutung, die sie im Hinblick auf die positive Wirkung des bezahlten Jahresurlaubs für die Sicherheit und die Gesundheit des Arbeitnehmers hat, nicht dadurch, dass sie nicht im Bezugszeitraum, sondern zu einer späteren Zeit genommen wird. Der Arbeitnehmer muss nämlich normalerweise über eine tatsächliche Ruhezeit verfügen können, denn nur für den Fall, dass das Arbeitsverhältnis beendet wird, lässt Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG vom 4. November 2003 (im Folgenden: RL 2003/88) zu, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub durch eine finanzielle Vergütung ersetzt wird. Aus dem Vorstehenden folgt, dass die Inanspruchnahme des Jahresurlaubes zu einer späteren Zeit als dem Bezugszeitraum in keiner Beziehung zu der in dieser späteren Zeit vom Arbeitnehmer erbrachten Arbeitszeit steht. Folglich darf durch eine Veränderung – insbesondere Verringerung – der Arbeitszeit beim Übergang von einer Vollzeit- zu einer Teilzeitbeschäftigung der Anspruch auf Jahresurlaub, den der Arbeitnehmer in der Zeit der Vollzeitbeschäftigung erworben hat, nicht gemindert werden. Dies gilt auch für die Vergütung (zum Ganzen: EuGH, Urteil vom 22. April 2010, a.a.O., Rn. 28 ff. m.w.N.).
Hiergegen spricht auch nicht der in § 4 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit festgelegte Pro-rata-temporis-Grundsatz. Der Pro-rata-temporis-Grundsatz gibt vor, dass Teilzeitbeschäftigten Leistungen, insbesondere das Entgelt, entsprechend dem zeitlichen Verhältnis der Teilzeit zur Vollzeit, d.h. strikt zeitanteilig zu gewähren sind (BVerwG, Urteil vom 6. April 2017 – 2 C 12/16 -, juris Rn. 45). Dieser Grundsatz wäre folglich nur auf die Gewährung und Besoldung des Jahresurlaubes, der in einer Teilzeitbeschäftigung erworben wurde, anzuwenden, da nur für diese Zeit die Minderung des Anspruchs auf Jahresurlaub gegenüber dem bei Vollzeitbeschäftigung bestehenden Anspruch aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist. Hingegen kann dieser Grundsatz nicht nachträglich auf einen Anspruch auf Jahresurlaub angewandt werden, der in einer Zeit der Vollzeitbeschäftigung erworben wurde (EuGH, Urteil vom 22. April 2010, a.a.O., Rn. 33).
Diese – europarechtskonforme – Auslegung widerspricht entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht der Systematik der Vergütung im Beamtenrecht. Denn wie dargestellt ergibt sich der Anspruch der Klägerin unmittelbar aus den besoldungs- und beamtenrechtlichen Vorschriften des § 3 Abs. 1 LBesG i. V. m. § 44 BeamtStG. Soweit die Beklagte hierzu meint, dass nach § 7 Abs. 4 UrlVO LSA sich das zu zahlende Urlaubsentgelt nach dem gewöhnlichen Besoldungsanspruch anhand der Dienstbezüge gemäß § 1 Abs. 3 Nrn. 1 bis 4 und Nr. 6 sowie Abs. 4 Nr. 1 LBesG LSA berechne, so ist diese Regelung auf den vorliegenden Fall bereits nicht anwendbar. Denn § 7 Abs. 4 UrlVO LSA regelt nach Satz 1 die Abgeltung krankheitsbedingt vor Beendigung des Beamtenverhältnisses oder vor Eintritt in die Freistellungsphase der Altersteilzeit nicht genommenen Erholungsurlaubes. Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage aber nicht die Abgeltung von krankheitsbedingt vor Beendigung des Beamtenverhältnisses oder vor Eintritt in die Freistellungsphase der Altersteilzeit nicht genommenen Erholungsurlaubes, sondern die Besoldung eines ihr in einer Vollzeitbeschäftigung entstandenen Urlaubsanspruches nach einem Wechsel in eine Teilzeitbeschäftigung. Eine analoge Anwendung des § 7 Abs. 4 UrlVO auf diesen Sachverhalt verbietet sich unabhängig davon, ob hier überhaupt eine planwidrige Regelungslücke besteht, bereits deshalb, weil dies den vorstehenden europarechtlichen Vorgaben widersprechen würde. Daneben würde selbst eine Anwendung des § 7 Abs. 4 UrlVO dem Anspruch der Klägerin nicht entgegenstehen. Denn wie bereits ausgeführt, ergibt sich aus einer europarechtskonformen Auslegung des § 44 BeamtStG, dass die Dienstbezüge nach § 1 Abs. 3 LBesG LSA diejenigen Dienstbezüge sind, die für die Klägerin in ihrer Vollzeitbeschäftigung maßgeblich waren.
Der danach bestehende Anspruch auf Besoldung eines in einer Vollzeitbeschäftigung entstandenen Erholungsurlaubes in der Höhe der Besoldung aus dieser Vollzeitbeschäftigung, den die Klägerin in ihrer Teilzeitbeschäftigung in Anspruch genommen hat, steht der Klägerin in der Höhe von 47 Tagen zu. Nach § 71 Abs. 1 LBG LSA haben Beamtinnen und Beamte, die während des gesamten Kalenderjahres tätig sind, einen Anspruch auf einen Erholungsurlaub von mindestens vier Wochen. Die Landesregierung regelt durch Verordnung die Einzelheiten der Bewilligung des Erholungsurlaubs und eines Zusatzurlaubs zur Abgeltung der mit der Dienstausübung verbundenen besonderen Erschwernisse. Hierbei kann sie insbesondere Bestimmungen treffen über die näheren Voraussetzungen der Urlaubsbewilligung, die Urlaubsdauer, die Berechnung des Urlaubsanspruchs und das Verfahren sowie ob und in welcher Höhe eine finanzielle Abgeltung von krankheitsbedingt nicht in Anspruch genommenen Urlaubs erfolgt. Nach § 3 Abs. 1 UrlVO LSA beträgt der Erholungsurlaub für Beamte, deren regelmäßige Arbeitszeit auf fünf Arbeitstage in der Kalenderwoche verteilt ist, für jedes Urlaubsjahr 30 Arbeitstage. Er soll nach § 7 UrlVO LSA grundsätzlich im Urlaubsjahr genommen werden. Haben Beamte vor dem Beginn eines Urlaubs ohne Besoldung den ihnen zustehenden Erholungsurlaub nicht oder nicht vollständig erhalten, ist der Resturlaub gemäß § 6 Abs. 2 UrlVO LSA nach dem Ende dieses Urlaubs im laufenden oder im nächsten Urlaubsjahr zu bewilligen. Entsprechendes gilt für Beamtinnen, die – wie die Klägerin – vor dem Beginn eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbotes den ihnen zustehenden Erholungsurlaub nicht oder nicht vollständig erhalten haben. Danach ergibt sich für die Klägerin – was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist -, dass diese in ihrer Vollzeitbeschäftigung in den Kalenderjahren 2018 und 2019 einen Anspruch auf Erholungsurlaub in Höhe von 47 Tagen erworben hat, der im Zeitpunkt seiner Bewilligung noch nicht in Anspruch genommen oder verfallen war.
Der Anspruch der Klägerin bezieht sich auch auf die gesamten ihr in den Jahren 2018 und 2019 entstandenen 47 Tage Erholungsurlaub und nicht etwa nur auf den unionsrechtlich zu gewährenden Mindesturlaub von 20 Tagen (Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88) im Urlaubsjahr. Denn nach dem hier für eine europarechtskonforme Auslegung maßgeblichen § 1 a) der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit dient die Rahmenvereinbarung der Sicherstellung der Beseitigung von Diskriminierungen von Teilzeitbeschäftigten und soll die Qualität der Teilzeitarbeit verbessern. Insoweit geht es um eine Gleichbehandlung von Vollzeitbeschäftigung und Teilzeitbeschäftigung und nicht primär – wie etwa die RL 2003/88 zum Ziel hat – um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung. Wird ein in einer Vollzeitbeschäftigung erworbener Urlaubsanspruch erst in der Teilzeitbeschäftigung in Anspruch genommen, so würde es dem Diskriminierungsverbot widersprechen, wenn dieser Anspruch für Teilzeitbeschäftigte – anders als bei Vollzeitbeschäftigten – auf den unionsrechtlich zu gewährenden Mindesturlaub beschränkt werden würde.
Der Klägerin war es aufgrund ihrer mindestens seit dem 1. Januar 2019 bestehenden Arbeitsunfähigkeit, des seit dem 7. Januar 2019 vorliegenden Beschäftigungsverbotes, ihrer sich daran anschließenden Zeiten des Mutterschutzes und der Elternzeit bis zum Wechsel in die Teilzeitbeschäftigung am 15. Juni 2020 auch nicht möglich, die 47 Tage Erholungsurlaub in der Vollzeitbeschäftigung in Anspruch zu nehmen. Darauf, dass die Klägerin selbst den Antrag auf Teilzeitbeschäftigung gestellt und den Beginn selbst bestimmt hat, kommt es nicht an. Denn dies würde wiederum dem Diskriminierungsverbot aus § 1 a) der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit zuwiderlaufen, würde es doch zu dem Ergebnis führen, dass ein Arbeitnehmer i. S. d. Richtlinie für einen bestimmten Zeitraum auf seine Teilzeitbeschäftigung verzichten müsste und ihm der Zugang zu einer solchen erschwert werden würde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
B e s c h l u s s
Das Verwaltungsgericht Magdeburg – 5. Kammer – hat am 7. Februar 2022 beschlossen:
Der Streitwert wird auf 1.316,47 Euro festgesetzt.
Gründe:
Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich an der Berechnung der Beklagten vom 22. Februar 2021 (Blatt 383 der Beiakte B) über den der Klägerin voraussichtlich entstandenen Nachteil.


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