Arbeitsrecht

Arbeitnehmer, Beschwerde, Arbeitgeber, Pflegeversicherung, Wochenarbeitszeit, Rechtsweg, Klageverfahren, Auslegung, Erstattung, Berechnung, Sozialgerichtsbarkeit, Anspruch, Kurzarbeitergeld, Streitgegenstand, sofortige Beschwerde, Gelegenheit zur Stellungnahme, gerichtliche Entscheidung

Aktenzeichen  6 Ta 161/21

Datum:
8.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 36502
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

3 Ca 4752/21 2021-06-07 Bes ARBGMUENCHEN ArbG München

Tenor

1. Der Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 7. Juni 2021 – 3 Ca 4752/21 wird aufgehoben.
2. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist gegeben.

Gründe

I.
Die Parteien streiten um die Zahlung eines Corona-Bonus.
Die Klägerin war bei der Beklagte als Altenpflegerin vom 1. Apr. 2020 bis 5. Aug. 2020 bei einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von 28 h und einer Vergütung von € 24,00/h beschäftigt.
Mit ihrer am 18. Mai 2021 beim Arbeitsgericht München eingegangenen und der Beklagten am 27. Mai 2021 zugestellten Klage vom 18. Mai 2021 begehrt sie die Zahlung eines Corona-Bonus von € 1.000,00.
Das Arbeitsgericht München hat mit Beschluss vom 19. Mai 2021 darauf hingewiesen, es sei beabsichtigt, den Rechtsstreit an das Sozialgericht A-Stadt zu verweisen. Der Rechtsweg sei zur Sozialgerichtsbarkeit eröffnet. Die Pflegeinrichtung sei lediglich Zahlstelle des Bonus. Die Parteien haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
Die Klagepartei hat mit Schriftsatz vom 1. Juni 2021, die Beklagte mit Schriftsatz vom 4. Juni 2021 Stellung genommen. Letztere hat ebenso die Ansicht vertreten, der Rechtsstreit sei zu verweisen.
Mit Beschluss vom 7. Juni 2021 hat das Arbeitsgericht den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen als nicht gegeben erachtet und den Rechtsstreit an das Sozialgericht A-Stadt verwiesen.
Gegen diesen ihr am 11. Juli 2021 zugestellten Beschluss hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 25. Juni 2021 sofortige Beschwerde eingelegt. Sie vertritt weiterhin die Ansicht, es bestehe ein Anspruch ihrerseits gegen die Beklagte.
Mit Beschluss vom 29. Juni 2021 hat das Arbeitsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht vorgelegt.
II.
Die statthafte sofortige Beschwerde der Klägerin hat in der Sache Erfolg.
1. Maßgebend für die Zulässigkeit des Rechtswegs ist der allein von der Klagepartei bestimmte (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO; BAG 22. Oktober 2014 – 10 AZB 46/14, NZA 2015, 60 Rz. 24) Streitgegenstand, der für jeden prozessualen Anspruch gesondert zu prüfen ist (BAG 24. April 1996 – 5 AZB 25/95, NZA 1996, 1005 Rz. 31 [juris]). Der Streitgegenstand bestimmt sich nach dem angebrachten prozessualen Anspruch (Zöller/Geimer, ZPO 33. Aufl., Einl. Rz. 63), der sich aus dem Klageantrag ergibt, zu dessen Auslegung, insbesondere bei Zahlungsklagen, der anzugebende bestimmte Lebenssachverhalt heranzuziehen ist (eingliedriger Streitgegenstandsbegriff, vgl. Schwab, Der Streitgegenstand im Zivilprozeß, 1954, S. 183 ff., 186; zum zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff vgl. Zöller/Geimer, a.a.O., Rz. 69 m.w.N. auch zur Rechtsprechung). Eine Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Begriffen ist vorliegend nicht geboten, dabei zum gleichen Ergebnis gelangen.
2. Nach dem, dem Klageverfahren zugrundeliegenden Streitgegenstand liegt eine bürgerlich-rechtliche Angelegenheit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus dem Arbeitsverhältnis vor, für welche die arbeitsgerichtliche Zuständigkeit nach § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG begründet ist (eb. LAG Bremen v. 23.4.2021 – 3 Ta 10/21, ArbR 2021, 337, Rz. 13 ff. [juris], das allerdings zu Unrecht von sachlicher Zuständigkeit spricht). Die gegenteilige Ansicht kann dagegen nicht überzeugen.
a. Das VG Saarland (12.8.2020 – 3 K 769/20, ArbRB 2020, 362) hat den Rechtsweg zu den Sozialgerichten als gegeben angesehen. Doch ist dieser Rechtsstreit dem vorliegenden nicht vergleichbar. Beim VG Saarland war ein zusätzlicher Bonus für Pflegekräfte im Saarland streitgegenständlich. Im Gegensatz zur bundesrechtlichen Vorschrift des § 150a SGB XI hatte dessen Auszahlung nicht durch den Arbeitgeber zu erfolgen. Ebenso lag der Entscheidung des VG Würzburg (v. 7.1.2021 – W 8 K 20.1387, juris) die Auszahlung des streitgegenständlichen Pflegebonus die Richtlinie über die Gewährung eines Bonus für Pflege- und Rettungskräfte in Bayern [Corona-Pflegebonusrichtlinie – CoBoR]) zugrunde, nicht aber der originäre Leistungsanspruch aus § 150a SGB XI.
Gegen die Ansicht Schlegels (NJW 2020, 1911 ff.), der annimmt, es handle sich insgesamt um eine Angelegenheit der sozialen Pflegeversicherung nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG, bestehen ebenso Bedenken. Er vergleicht die Situation mit derjenigen bei der Berechnung und Auszahlung von Kurzarbeitergeld. Der Arbeitgeber sei nur eine in Dienst genommene Zahlstelle für die Corona-Prämienentrichtung an die Arbeitnehmer. § 150 a SGB XI verpflichtet allerdings unmittelbar die Arbeitgeber zur Zahlung des Bonus. In § 150a Abs. 7 SGB XI wird lediglich eine Erstattung der Prämienzahlungen geregelt, die jedoch nichts an der unmittelbaren Verpflichtung der Arbeitgeberseite ändert. Eine bloße Inanspruchnahme als Zahlstelle ist mit dem Wortlaut der Norm nicht in Einklang zu bringen.
b. Entsprechend verweisen auch Bruns/Weber (NZA 2021, 107) auf die Ansicht, Sozialgerichte entschieden grundsätzlich nur in Versicherungsfragen. Auch im Rahmen der Sonderzuständigkeit nach § 51 Abs. 2 Sätze 1, 2 SGG sei erforderlich, dass die vertragliche Grundlage für den Rechtsstreit ausschließlich auf Vorschriften der Pflegeversicherung beruhe. Für das Kurzarbeitergeld gelte ebenso keine umfassende Zuständigkeit der Sozialgerichte; Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über z.B. restliches Kurzarbeitergeld unterfielen der Zuständigkeit der Arbeitsgerichte.
c. Damit folgt für die zugrundeliegende Streitigkeit die Rechtswegzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen nach § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG (ähnlich LAG Bremen v. 23.4.2021, a.a.O., das erneut von einer sachlichen Zuständigkeit spricht).
aa.) Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden nach § 51 Abs. 1 SGG über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten, nur ausnahmsweise nach § 51 Abs. 2 Satz 1 SGG auch über privatrechtliche Streitigkeiten, in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit ist jedoch nicht gegeben.
Das Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen gegenüber einer bürgerlich-rechtlichen Streitigkeit bestimmt sich nach dem Charakter des Rechtsverhältnisses, aus dem der begehrte Anspruch hergeleitet wird (GmS-OGB v. 10.4.1986 – GmS-OGB 1/85, BGHZ 97, 312, 313 f., v. 29.10.1987 – GmS-OGB 1/86, BGHZ 102, 280, 283; v. 10.7.1989 – GmS-OGB 1/88, BGHZ 108, 284, 286; LAG Bremen v. 23.4.2021, a.a.O.). Dieser bestimmt sich nach dem erkennbaren Ziel des Rechtsschutzantrags unter evtl. Berücksichtigung des vorgetragenen Sachverhalts zur Auslegung (vgl. oben II 1). Es kommt also entscheidend darauf an, ob die begehrte gerichtliche Entscheidung über einen geltend gemachten materiell-rechtlichen Anspruch, nach öffentlichem oder nach bürgerlichem Recht zu treffen ist. Der Charakter der Streitigkeit bestimmt sich danach, ob die Rechtssätze dem öffentlichen oder dem privaten Recht angehören (BVerwG v. 17.3.2021 – 2 B 3/21, ZTR 2021, 353 Rz. 17). Öffentlichrechtlich sind Normen, die nicht für jedermann gelten, sondern Sonderrecht des Staates oder sonstiger Träger öffentlicher Aufgaben sind, das sich zumindest auf einer Seite nur an Hoheitsträger wendet (GmS-OGB v. 10.7.1989, a.a.O.; BVerwG v. 17.3.2021 – 2 B 3/21, ZTR 2021, 323 Rz. 17; BSG v. 1.4.2009 – B 14 SF 1/08 R – SozR 4-1500 § 51 Nr. 6 Rz. 11).
bb. Nach dem Vorstehenden ist angesichts der Geltendmachung eines Zahlungsanspruchs auf die Corona-Entschädigung von einem bürgerlich-rechtlichen Anspruch eines Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auszugehen, welcher die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen begründet.
Wie bereits ausgeführt ist § 150 a Abs. 1 Satz 1 1 SGB XI als Anspruch des Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber ausgestaltet. Die jeweilige Pflegeeinrichtung als Arbeitgeber zahlt die Prämie an ihre Beschäftigten aus. Zwar besteht eine Zahlungspflicht des Arbeitgebers erst, wenn die Pflegekasse die dazu erforderlichen Mittel zur Verfügung gestellt hat (vgl. Schlegel, NJW 2020, 1911), doch ist die Zahlungspflicht in diesen Verträgen als Gegenleistungspflicht untrennbar mit diesem Rechtsverhältnis verbunden (LAG Bremen v. 23.4.2021, a.a.O.). Auch ändert die Regelung des Anspruchs im SGB XI nichts an dessen privatrechtlicher Natur. Das Verhältnis zwischen der Pflegeversicherung und dem Arbeitgeber wird dadurch nicht tangiert, das als öffentlich-rechtlicher Vertrag gem. § 53 SGB X zu qualifizieren ist (vgl. LAG Bremen v. 23.4.2021, a.a.O.; Bruns/Weber, NZA 2021, 107).
Es streiten Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die Höhe eines privatrechtlichen Anspruchs, weswegen es sich nicht um eine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 51 Abs. 2 Satz 1 SGG handelt. Denn die Prämie soll eine besondere Wertschätzung für die Leistungen der Beschäftigten ausdrücken und den besonderen – mit der Arbeitsleistung verbundenen – physischen und psychischen Belastungen sowie dem erhöhten Risiko, selbst an Covid-19 zu erkranken, Rechnung tragen (BT-Drs. 19/18967 S. 75).


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