Arbeitsrecht

Arbeitsnehmerfreizügigkeit nach § 2 FreizügG/EU – Begriff des Arbeitnehmers und Bezug von Sozialleistungen

Aktenzeichen  M 25 K 18.3750

Datum:
25.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 34667
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FreizügG/EU § 2 Abs. 1, Abs. 2, § 3 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 4a Abs. 1, § 5 Abs. 4
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
AEUV Art. 45
RL 2004/38/EG Art. 17 Abs. 1 S. 2
SGB VIII § 1 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Feststellung des Nichtbestehens/Bestehens des Freizügigkeitsrechts aus § 2 FreizügG/EU ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Unionsrecht findet bei rechtsmissbräuchlichen Praktiken keine Anwendung. Eine Berufung auf die Freizügigkeitsberechtigung stellt sich dann als rechtsmissbräuchlich dar, wenn die Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergibt, dass trotz formaler Einhaltung der unionsrechtlichen Bedingungen das Ziel der Regelung nicht erreicht wurde, und dass zum anderen ein subjektives Element vorliegt, nämlich die Absicht, sich einen unionrechtlich vorgesehenen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
3. Rechtsmissbrauch ist anzunehmen, wenn der Betreffende zwar formal die unionsrechtlichen Voraussetzungen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit erfüllt, aber von vornherein nicht die Absicht hat, für die Dauer des Aufenthalts eine Erwerbstätigkeit auszuüben, die ausreichende Existenzmittel sichert. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
4. Nach dem weit auszulegenden Begriff des Arbeitnehmers nach Art. 45 AEUV ist als Arbeitnehmer jeder anzusehen, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt. Dabei schließt auch der Umstand, dass im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses nur wenige Arbeitsstunden geleistet werden, die Arbeitnehmereigenschaft nicht zwangsläufig aus. Neben der Arbeitszeit und Vergütung spielen beispielsweise auch Aspekte wie der Anspruch auf bezahlten Urlaub, die Geltung von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Anwendung des Tarifvertrages oder auch die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses eine Rolle. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
5. Aufgrund der Gleichstellung der Zeiten unfreiwilliger Arbeitslosigkeit mit krankheits- oder unfallbedingten Fehlzeiten ist davon auszugehen, dass das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses nicht Voraussetzung für die „Fiktionswirkung“ des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU ist. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 10. Juli 2018 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Bescheid der Beklagte vom 10. Juli 2018 ist rechtwidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
I.
Die Voraussetzungen für eine Verlustfeststellung nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU liegen nicht vor. Danach kann der Verlust des Freizügigkeitsrechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt werden, wenn die Voraussetzungen des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU innerhalb von 5 Jahren nach Begründung des ständigen rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet entfallen sind, (von Anfang an) nicht vorliegen (BVerwG U.v. 16.7.2015 – 1 C 22/14 – juris Rn. 15) oder sich die Berufung auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit als rechtsmissbräuchlich erweist.
1. Die Beklagte war zwar an einer Verlustfeststellung nicht gehindert, da den Klägern zum Zeitpunkt der Feststellung noch kein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 1 FreizügG/EU zustand, da sie sich im Zeitpunkt des Bescheidserlasses am 10. Juli 2018 noch keine 5 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben. Abzustellen ist insofern auf den Zeitpunkt der Verlustfeststellung, da eine Feststellung nur möglich ist, wenn noch kein Daueraufenthaltsrecht entstanden ist (BVerwG, B.v. 7.12.2017 – 1 B 142.17 – beckonline, BeckRS 2017, 138618).
2. Die Kläger sind jedoch im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nach § 2 Abs. 2 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Feststellung des Nichtbestehens/Bestehens des Freizügigkeitsrechts ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts (BVerwG, U.v. 16.7.2015 – 1 C 22/14 – juris Rn. 11).
a) Die Klägerin zu 1) ist seit 9. September 2019 mit einer Monatsarbeitszeit von 104 Stunden als Küchenhilfe beschäftigt. Damit ist sie nach § 2 Abs. 2 Nummer 1 FreizügG/EU aktuell freizügigkeitsberechtigt als Arbeitnehmerin. Der am 1. September 2002 geborene Kläger zu 2) und der am 31. Dezember 2012 geborene Kläger zu 3) leiten als minderjähriges Kind bzw. Kind unter 21 Jahren ihr Freizügigkeitsrecht als Familienangehörige der Klägerin zu 1) aus § 3 Abs. 2 Nummer 1 FreizügG/EU ab.
b) Die Berufung auf die Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU stellt sich derzeit auch nicht als rechtsmissbräuchlich dar. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs findet Unionsrecht bei rechtsmissbräuchlichen Praktiken keine Anwendung (EuGH U.v. 12.3.2014 – C-456/12, O. und B. – Juris Rn. 58 m.w.N.). Eine Berufung auf die Freizügigkeitsberechtigung stellt sich dann als rechtsmissbräuchlich dar, wenn die Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergibt, dass trotz formaler Einhaltung der unionsrechtlichen Bedingungen das Ziel der Regelung nicht erreicht wurde, und dass zum anderen ein subjektives Element vorliegt, nämlich die Absicht, sich einen unionrechtlich vorgesehenen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden. Dies betrifft zum Beispiel Fälle, in denen der Betreffende zwar formal die unionsrechtlichen Voraussetzungen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit erfüllt, aber von vornherein nicht die Absicht hat, für die Dauer des Aufenthalts eine Erwerbstätigkeit auszuüben, die ausreichende Existenzmittel sichert.
Vorliegend mögen sowohl die (Wieder-)Aufnahme der Erwerbstätigkeit zum 1. Dezember 2018 in Vollzeit als auch die Erwerbstätigkeit zum 10. September 2019 auch unter dem Eindruck der Verlusterklärung der Beklagten und dem nachfolgenden Gerichtsverfahren stehen. Jedoch ergibt sich unter Berücksichtigung der objektiven Gesamtumstände des Einzelfalls, dass diese Arbeitsaufnahmen nicht als rechtsmissbräuchlich anzusehen sind.
Die Klägerin zu 1) ist im Juli 2014 eingereist und nahm im November 2014, nach der Trennung vom Vater ihres 2. Kindes, eine geringfügige Beschäftigung als Reinigungskraft auf. Nach dem weit auszulegenden Begriff des Arbeitnehmers nach Art. 45 AEUV ist als Arbeitnehmer jeder anzusehen, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt. Dabei schließt auch der Umstand, dass im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses nur wenige Arbeitsstunden geleistet werden, die Arbeitnehmereigenschaft nicht zwangsläufig aus. Neben der Arbeitszeit und Vergütung spielen beispielsweise auch Aspekte wie der Anspruch auf bezahlten Urlaub, die Geltung von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Anwendung des Tarifvertrages oder auch die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses eine Rolle (EuGH U.v. 12.3.2014 – C-456/12 O. und B. – juris Rn. 58). Aus dem vorgelegten Arbeitsvertrag ergibt sich, dass es sich um einen auf zwei Jahre befristeten Minijob handelte, bei dem Tariflohn gezahlt wurde, ein Urlaubsanspruch bestand und auch die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nicht ausgeschlossen war. Die Klägerin zu 1) hat dann zum 1. Juni 2015 eine weitere Tätigkeit als Reinigungskraft in einem Umfang von 30 Stunden wöchentlich angetreten. Das Arbeitsverhältnis wurde durch Kündigung des Arbeitgebers zum 24. Juli 2015 wegen Wegfall des Arbeitsplatzes beendet. Mit Aktenvermerk vom 14. Juli 2015 stellte die Beklagte selbst fest, dass die Klägerin zu 1) freizügigkeitsberechtigt ist, obwohl die Klägerin zu 1) zu diesem Zeitpunkt bereits ergänzend Sozialhilfeleistungen bezogen hat. Am 20. Juli 2015 nahm die Klägerin zu 1) einen weiteren Job als Haushaltshilfe in einem Privathaushalt als Minijob auf, den sie bis 10. März 2016 ausübte. Im Anschluss daran arbeitete sie bei der Firma … … … bis 7. Oktober 2016 in Vollzeit. Das Arbeitsverhältnis wurde nach Verlängerung der Probezeit in der Probezeit auf Grund krankheitsbedingter Fehlzeiten gekündigt. Danach hat die Antragstellerin erst wieder im Dezember 2018 gearbeitet. Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, dass die Klägerin zu 1) in der Zeit von 2014 bis 2016 durchgehend gearbeitet hat. Da sich unter den Arbeitsverhältnissen Vollzeitstellen bzw. Teilzeitstellen in einem größeren Zeitumfang befinden, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Klägerin zu 1) nur in der Bundesrepublik Deutschland befindet, um Sozialhilfeleistungen zu beziehen. Die Beklagte ging selbst jedenfalls bis Oktober 2016 von einem angemessenen Sozialhilfebezug aus.
Auch der nachfolgende Zeitraum von Oktober 2016 bis August 2018, in dem die Klägerin zu 1) arbeitsunfähig war und nicht gearbeitet hat, macht den Sozialhilfebezug nicht unangemessen. Zum einen ergibt sich aus Art. 17 Absatz 1 Satz 2 RL 2004/38/EG, dass Zeiten unfreiwilliger Arbeitslosigkeit als Zeiten der Erwerbstätigkeit gelten. Da der Richtliniengeber die Zeiten unfreiwilliger Arbeitslosigkeit mit krankheits- oder unfallbedingten Fehlzeiten gleichgestellt hat, ist davon auszugehen, dass das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses nicht Voraussetzung für die „Fiktionswirkung“ des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nummer 1 FreizügG/EU ist (BayVGH U.v. 28.7.2017 – 10 B 17.339 – BeckRS 2017, 122965). Die Klägerin zu 1) war fast im gesamten Zeitraum von Herbst 2016 bis August 2018 ausweislich der vorgelegten Bescheinigungen u.a. auf Grund einer Schulterverletzung arbeitsunfähig. Eine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit wurde nicht bescheinigt. Insbesondere aus dem amtsärztlichen Gutachten der Stadt Ingolstadt vom 30. April 2018 zur Beurteilung der Arbeits-/Erwerbsfähigkeit der Klägerin zu 1) geht hervor, dass sie täglich zwischen 3 und 6 Stunden leichte Tätigkeiten (stehend, gehend, sitzend) verrichten kann. Häufiges Bücken, häufiges Heben und Tragen ohne mechanische Mittel sowie Zwangshaltungen seien zu vermeiden. Die Klägerin zu 1) leide an einer Erkrankung des Bewegungsapparates, die nicht vollständig heilbar sei. Deswegen leide sie bei den meisten Bewegungen unter starken Schmerzen. Sie sei in kontinuierlicher orthopädischer und neurochirurgischer Behandlung und zeige viel Eigeninitiative, um ihre Beschwerden zu lindern. Es bestünden noch ein paar Behandlungsoptionen, die eine Steigerung der Arbeitsfähigkeit bewirken können. Somit bleibe abzuwarten, wie sich das Beschwerdebild unter den angestrebten Therapien verändere. Es bestehe eine gute Arbeitsmotivation, deshalb sei die Prognose positiv. Für die nächsten 6 Monate sei die Leistungsfähigkeit vermindert.
Anders als die Beklagte meint, ergibt sich auch keine Unangemessenheit aus dem Umstand, dass die Klägerin zu 1) nicht umgehend nach der amtsärztlichen Untersuchung eine Erwerbstätigkeit aufgenommen hat, sondern erst im Dezember 2018. Die Klägerin zu 1) war noch bis Ende August 2018 ausweislich der vorgelegten Bescheinigungen arbeitsunfähig. Die Bescheinigungen stehen auch nicht im Widerspruch zum amtsärztlichen Gutachten vom 30. April 2018, denn dieses trifft nur Aussagen zur Leistungsfähigkeit der Klägerin zu 1) im Allgemeinen und nicht zu der Frage, ob die Klägerin zu 1) aktuell arbeitsfähig ist.
Nach Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit hat sich die Klägerin zu 1) zeitnah bei verschiedenen Stellen beworben und schließlich zum 1. Dezember 2018 eine Vollzeitstelle angetreten. Diese Arbeit hat sie bis zum erneuten Auftreten ihrer gesundheitlichen Probleme auch tatsächlich ausgeübt. Die Kündigung erfolgte auch nicht durch die Klägerin zu 1) sondern durch den Arbeitgeber.
Die Klägerin zu 1) war in der Zeit vom 22. Februar 2019 bis 9. August 2019 erneut arbeitsunfähig krank. Sodann hat die Klägerin zu 1) die Arbeitsstelle als Küchenhilfe angetreten.
Bei der vorliegenden Erwerbsbiografie ist bei der Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ebenfalls zu berücksichtigen, dass die Klägerin zu 1) zunächst keine Vollzeitarbeit auf Grund der Betreuungssituation ihrer Kinder und der Erkrankung des Klägers zu 2) aufnehmen konnte. Vor diesem Hintergrund kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin zu 1) von vornherein die Absicht hatte, lediglich einzureisen, um Sozialhilfe zu beziehen.
Ebensowenig kann aus dem erneuten Sozialhilfebezug im Jahr 2019 ein Rechtsmissbrauch abgeleitet werden. Dabei konnte der Zeitpunkt der Weiterleitung des Kündigungsschreibens an die Bevollmächtigte der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht weiter aufgeklärt werden. Jedenfalls ergibt sich aber aus der E-Mail des Amtes für Soziales der Stadt Ingolstadt vom 12. Juni 2019 (Bl. 587 der Behördenakte), dass die Kläger bereits seit 1. Mai 2019 erneut Sozialleistungen bezogen haben und die Leistungen für die Zeit von Februar 2019 bis einschließlich April 2019 nicht gewährt werden konnten, da Unterlagen gefehlt haben. Damit lag der erneute Leistungsbezug zeitlich vor dem Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 7. Mai 2019, der auch erst am 17. Mai 2019 der Bevollmächtigten der Kläger zugestellt wurde. Die Kläger haben damit nicht mit der erneuten Beantragung von Sozialleistungen gewartet, bis eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts vorlag.
Eine rechtsmissbräuchliche Absicht kann auch nicht aus der Höhe der bisher aufgewendeten Sozialhilfebeträge angenommen werden. Zwar bezogen die Kläger seit November 2014 bis Januar 2019 und ab Mai 2019 Sozialleistungen und zwischenzeitlich zusätzlich Jugendhilfe i.H.v. insgesamt rund 200.000 EUR. Diese Kosten übersteigen auch um ein vielfaches dasjenige, was ein durchschnittlicher Arbeitnehmer bei einer Vollzeitarbeit mit zwei unterhaltspflichtigen Kindern erwirtschaften kann. Der höchste Anteil an den Kosten ist durch die stationäre Unterbringung des Klägers zu 2) verursacht, nämlich 4.500,– bzw. 5.500,– Euro monatlich. Die Unterbringung begann zwei Jahre nach Einreise der Kläger und war für diese auch nicht absehbar. Es ist nicht ersichtlich, dass die Kläger bei ihrer Einreise auf eine solche Unterbringung auf Kosten der Allgemeinheit hingearbeitet hätten. Im Übrigen erfolgte sowohl die stationäre Unterbringung des Klägers zu 2) als auch die Einrichtung einer Familienhilfe unabhängig davon, ob die Klägerin zu 1) ihren Lebensunterhalt sichern kann oder nicht. Da es insofern nur auf den Bedarf des Jugendlichen ankommt und nicht auf die finanzielle Situation der Familie. Es ist auch fraglich, ob es sich bei den Kosten der Jugendhilfe überhaupt um Kosten der Sozialhilfe i.S.d. des Unionsrechts handelt, da es sich nicht um Kosten der Existenzsicherung handelt. Die Jugendhilfe verfolgt vielmehr das Ziel, jeden jungen Menschen in seiner Entwicklung zu fördern und ihn in seiner Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Person zu unterstützen (vgl. § 1 Abs. 1 SGB VIII).
Bei den übrigen Sozialleistungen (SGB II bzw. AsylbLG) handelt es sich über weite Strecken um ergänzende Leistungen zum Arbeitslohn der Klägerin zu 1). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin zu 1) als alleinerziehender Elternteil nicht ohne weiteres in Vollzeit arbeiten kann, da sie ihre Kinder angesichts der eingeschränkten außerhäusigen Betreuungsmöglichkeiten in Deutschland selbst betreuen musste und muss. Desweiteren ist die Klägerin zu 1) ihren Kindern, den Klägern zu 2) und 3) unterhaltspflichtig, so dass insofern schon ein höherer Bedarf besteht und damit höhere Sozialhilfekosten anfallen als bei einem alleinstehenden Bezieher. Die familienrechtliche Situation kann jedoch der Klägerin zu 1) nicht als rechtsmissbräuchliches Verhalten vorgeworfen werden, da ansonsten das Unionrecht der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Familien mit Kindern stark eingeschränkt wäre.
Nach alledem kann zum derzeitigen Zeitpunkt nicht davon ausgegangen werden, dass die Kläger nur zu dem Zweck eingereist sind, um Sozialhilfe zu beziehen. Die Kläger sind damit aktuell als Arbeitnehmerin bzw. als ihre Familienangehörige nach § 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 6, § 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt.
3. Auf die Frage, ob die Kläger zu 2) und 3) in ihrer Eigenschaft als Schüler einer allgemeinbildenden Schule und die Klägerin zu 1) als deren Mutter ein Freizügigkeitsrecht nach Art. 10 VO(EU) 492/2011 haben, kommt es mithin nicht mehr an.
II.
Da die Verlustfeststellung rechtswidrig ist, sind auch die Nebenentscheidungen im streitgegenständlichen Bescheid rechtswidrig und der streitgegenständliche Bescheid mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO vollumfänglich aufzuheben.
III.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708ff ZPO.


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben