Arbeitsrecht

Arbeitszeitkonto – Gutschrift für Zeiten der Ausübung eines kommunalpolitischen Mandats

Aktenzeichen  5 AZR 318/20

Datum:
19.5.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BAG:2021:190521.U.5AZR318.20.0
Normen:
§ 616 BGB
§ 611a BGB
§ 44 Abs 2 S 4 GemO NW
§ 44 Abs 2 S 5 GemO NW
§ 45 GemO NW
§ 32 Abs 2 TV-BA
Spruchkörper:
5. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Gelsenkirchen, 5. Dezember 2019, Az: 1 Ca 991/19, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen), 27. Mai 2020, Az: 6 Sa 42/20, Urteil

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 27. Mai 2020 – 6 Sa 42/20 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über Zeitgutschriften auf einem Arbeitszeitkonto.
2
Die Klägerin ist seit 2005 bei der Beklagten als Fallmanagerin in Vollzeit beschäftigt. Sie ist dem Jobcenter Arbeit für B (iF Jobcenter) zugewiesen, das die Beklagte zur einheitlichen Durchführung der Grundsicherung für Arbeitssuchende als gemeinsame Einrichtung mit der Stadt B gebildet hat. Auf das Arbeitsverhältnis findet aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme der Tarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Bundesagentur für Arbeit vom 28. März 2006 in der im Streitfall maßgeblichen Fassung des 23. Änderungstarifvertrags vom 28. Juni 2019 (iF TV-BA) Anwendung. Dort heißt es ua.:
        
„§ 32 
        
Arbeitsbefreiung
        
(1)     
1Als Fälle des § 616 Bürgerliches Gesetzbuch in denen Beschäftigte unter Fortzahlung des Gehalts im Sinne des § 23 Abs. 1 im nachstehend genannten Ausmaß von der Arbeit freigestellt werden, gelten nur die folgenden Anlässe:
        
        
        
…       
        
        
(2)     
1Bei Erfüllung allgemeiner staatsbürgerlicher Pflichten nach deutschem Recht, soweit die Arbeitsbefreiung gesetzlich vorgeschrieben ist und soweit die Pflichten nicht außerhalb der Arbeitszeit, gegebenenfalls nach ihrer Verlegung, wahrgenommen werden können, besteht der Anspruch auf Fortzahlung des Gehalts im Sinne des § 23 Abs. 1 nur insoweit, als Beschäftigte nicht Ansprüche auf Ersatz des Gehalts geltend machen können. 2Das fortgezahlte Gehalt gilt in Höhe des Ersatzanspruchs als Vorschuss auf die Leistungen der Kostenträger. 3Die Beschäftigten haben den Ersatzanspruch geltend zu machen und die erhaltenen Beträge an die BA abzuführen.
        
        
(3)     
1Die BA kann in sonstigen dringenden Fällen Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Gehalts im Sinne des § 23 Abs. 1 bis zu drei Arbeitstagen gewähren. 2In begründeten Fällen kann bei Verzicht auf das Gehalt kurzfristige Arbeitsbefreiung gewährt werden, wenn die dienstlichen Verhältnisse es gestatten.
        
        
        
Protokollerklärung zu Abs. 3 Satz 2:
        
        
        
Zu den ‚begründeten Fällen‘ können auch solche Anlässe gehören, für die nach Absatz 1 kein Anspruch auf Arbeitsbefreiung besteht.“
        
3
Das Jobcenter schloss mit dem bei ihm gebildeten Personalrat unter dem 7. Mai 2012 eine Dienstvereinbarung „über die Arbeitszeit beim Jobcenter Arbeit für B“, unter deren Zugrundelegung die Beklagte für die Klägerin ein Arbeitszeitkonto führt. Die Dienstvereinbarung in der im Streitfall maßgeblichen Fassung vom 17. Januar 2018 (iF DV Arbeitszeit) lautet auszugsweise:
        
„1.    
Grundsätze
        
(1)     
Diese Dienstvereinbarung trifft Regelungen für die Arbeitszeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jobcenters für Arbeit für B. Es gilt grundsätzlich die flexible Arbeitszeit.
        
(2)     
Arbeitsvertragliche Vereinbarungen (für Beschäftigte nach dem TVöD bzw. Arbeitnehmer nach dem TV-BA) … gehen dieser Dienstvereinbarung vor.
        
(3)     
Die tariflichen bzw. gesetzlichen Arbeitszeitregelungen bleiben unberührt.
        
…       
        
        
(7)     
… Die Lage und Verteilung der Arbeitszeit kann auf weniger als 5 Tage in der Woche verteilt werden, sofern dienstliche Gründe dem nicht entgegenstehen.
        
        
        
        
2.    
Flexible Arbeitszeit
        
2.1     
Allgemeine Grundsätze
        
Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können unter Beachtung der dienstlichen Notwendigkeiten für eine ordnungsgemäße und rechtzeitige Leistungserbringung durch das Jobcenter Arbeit für B und der Regelungen dieser Dienstvereinbarung Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit sowie die Pausen oder andere Arbeitsunterbrechungen weitgehend selbst bestimmen. …
        
…       
        
2.2     
Soll-Arbeitszeit
        
Die arbeitstägliche Soll-Arbeitszeit beträgt grundsätzlich ein Fünftel der regelmäßigen gesetzlichen, tariflichen oder individuell vereinbarten wöchentlichen Arbeitszeit.
        
2.3     
Ist-Arbeitszeit
        
Ist-Arbeitszeit ist die tatsächlich geleistete Arbeitszeit zuzüglich anrechenbarer Zeiten (siehe Abschnitt 3).
        
2.4     
Arbeitszeitrahmen
        
(1)     
Der Arbeitszeitrahmen wird wie folgt festgelegt:
        
        
Der Rahmen für die flexible Arbeitszeit (Arbeitszeitrahmen) erstreckt sich von Montag bis Mittwoch jeweils von 06.30 Uhr bis 18.00 Uhr, donnerstags von 6.30 Uhr bis 18.30 Uhr und freitags von 06.30 Uhr bis 17.30 Uhr. In den Monaten Juni bis einschließlich August ist ein Arbeitsbeginn ab 6.00 Uhr möglich.
        
        
…       
        
        
Die für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gesetzlich vorgeschriebene Höchstarbeitszeit von maximal 10 Stunden tägliche Nettoarbeitszeit ist zu beachten.
        
        
…       
        
2.7     
Zeitguthaben und -defizit
        
(1)     
Über- oder Unterschreitung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit sind grundsätzlich innerhalb des Abrechnungszeitraums 01.12.-30.11. auszugleichen.
        
…       
        
        
        
        
        
        
        
        
3.    
Arbeitsbefreiung, Dienstreisen und sonstige Abwesenheitszeiten
        
…       
        
        
3.1     
Arbeitsbefreiungen mit Anrechnung auf die Arbeitszeit
        
        
Arbeitsbefreiung bzw. Sonderurlaub ist nach den geltenden tarifrechtlichen und gesetzlichen Bestimmungen sowie der Sonderurlaubsverordnung zu gewähren.“
4
Die Klägerin ist gewähltes Mitglied des Rats der Stadt O und zugleich Mitglied der dortigen Fraktion „DIE LINKE.LISTE“. Für ihre Teilnahme an den regelmäßig montags stattfindenden Rats- und Fraktionssitzungen schrieb die Beklagte der Klägerin in der Zeit vom 1. August 2017 bis zum 8. April 2019 bei ganztägiger Sitzungsdauer arbeitstäglich 7 Stunden und 48 Minuten, sonst die jeweils für die Teilnahme an den Sitzungen aufgewendete Zeit als „Tag Ist-Zeit“ gut. Für die Folgezeit lehnte die Beklagte entsprechende Gutschriften unter Berufung auf eine Ergänzung ihrer Durchführungsanweisung zu § 32 Abs. 2 TV-BA ab. Dort heißt es in Absatz 1:
        
„Beschäftigte, die im Rahmen einer nicht hauptamtlichen Tätigkeit als Mitglied einer kommunalen Vertretung, eines nach Kommunalverfassungsrecht gebildeten Ausschusses oder vergleichbarer Einrichtungen in Gemeindebezirken sowie ehrenamtlich als Mitglied von Ausschüssen in kommunalen Vertretungen, die aufgrund eines Gesetzes gebildet worden sind, tätig sind, erhalten die erforderliche Freistellung für die notwendige Abwesenheit in entsprechender Anwendung des § 90 Abs. 4 BBG (vgl. hierzu auch BMI-Rundschreiben vom 15.5.2007 – D II 2 – 220 210-2/21, 220 210-2/29).“
5
Mit Stand Juli 2018 wurde folgender Absatz 2 angefügt:
        
„Da nach § 90 Abs. 4 BBG nur der erforderliche Urlaub gewährt wird, muss eine zeitlich festgelegte Verpflichtung zur Arbeitsleistung mit einer zeitlich festgelegten Rats- oder Ausschusstätigkeit kollidieren, so dass die/der Beschäftigte ohne die Freistellung an der betreffenden Rats- oder Ausschusstätigkeit unmittelbar gehindert wäre. Im Hinblick auf die im Geschäftsbereich der BA bestehende flexible Arbeitszeit, in deren Rahmen die Beschäftigten die Lage ihrer Arbeitszeit weitgehend selbst bestimmen können, ist eine solche Pflichtenkollision in der Regel nicht gegeben, so dass eine Freistellung grundsätzlich nicht in Betracht kommt.“
6
Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung hat die Klägerin mit ihrer Klage geltend gemacht, sie habe Anspruch auf Gutschrift der Hälfte der für die Ausübung ihres kommunalpolitischen Mandats aufgewendeten Zeit als „Tag Ist-Zeit“ auf ihrem Arbeitszeitkonto aus § 616 BGB iVm. § 32 Abs. 2 TV-BA, jedenfalls aus § 44 Abs. 2 Satz 4 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW). Das gelte für sämtliche Zeiten der Mandatsausübung, die innerhalb des durch die DV Arbeitszeit eröffneten Gleitzeitrahmens lägen. Hilfsweise sei auf den Zeitrahmen abzustellen, den sie regelmäßig zur Erbringung ihrer Arbeitsleistung nutze. Den Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung habe die Beklagte bis zur Änderung ihrer Durchführungsanweisung zu § 32 Abs. 2 TV-BA auch dem Grunde nach anerkannt und in der Vergangenheit entsprechende Gutschriften auf dem Arbeitszeitkonto vorgenommen.
7
Die Klägerin hat – nachdem die Parteien den Rechtsstreit erstinstanzlich hinsichtlich beantragter Gutschriften für den 15. und den 29. April 2019 übereinstimmend für erledigt erklärt hatten – zuletzt beantragt
        
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, in dem für die Klägerin geführten Zeitkonto unter „Tag Ist-Zeit“ die Hälfte der Zeit einzubuchen, die die Klägerin an den Wochentagen von Montag bis Freitag für die Zeit der Ausübung ihres Mandats als Mitglied des Rats der Stadt O aufwendet, soweit die für die Mandatsausübung aufgewandte Zeit innerhalb des jeweiligen Arbeitszeitrahmens des Jobcenters Arbeit für B liegt;
        
hilfsweise
        
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, in dem für die Klägerin geführten Zeitkonto unter „Tag Ist-Zeit“ die Hälfte der Zeit einzubuchen, die die Klägerin an den Wochentagen von Montag bis Freitag für die Zeit der Ausübung ihres Mandats als Mitglied des Rats der Stadt O aufwendet, soweit die für die Mandatsausübung aufgewandte Zeit innerhalb des jeweiligen Arbeitszeitrahmens des Jobcenters Arbeit für B liegt, wobei Zeiten vor 8.20 Uhr außer Betracht bleiben.
8
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, auf der Grundlage geltenden Bundesrechts und der für ihren Geschäftsbereich maßgeblichen tariflichen Bestimmungen scheide eine Gutschrift aus. Angesichts der Arbeitszeitflexibilisierung durch die DV Arbeitszeit sei eine Freistellung nicht erforderlich. § 44 Abs. 2 GO NRW sei mangels Gesetzgebungskompetenz des Landes Nordrhein-Westfalen auf ihre Beschäftigten nicht anwendbar.
9
Das Arbeitsgericht hat der Klage nach dem Hauptantrag stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, hilfsweise verfolgt sie ihren Hilfsantrag weiter.


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