Arbeitsrecht

Auslegung einer Betriebsvereinbarung

Aktenzeichen  5 Sa 761/19

Datum:
26.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 57535
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BetrVG § 77 Abs. 4
BGB § 134

 

Leitsatz

Verfahrensgang

31 Ca 13311/18 2019-10-24 Endurteil ARBGMUENCHEN ArbG München

Tenor

1. Auf die Berufung der Klagepartei wird das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 24.10.2019, Az.: 31 Ca 13311/18, zugestellt am 31.10.2019 abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 2.479,99 brutto zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.09.2018 zu zahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist auch begründet. Der Kläger hat aus der BV Mission 2016 einen Anspruch auf die geltend gemachte, erfolgsabhängige Vergütung in der – von der Berechnung her – unstreitigen Höhe. Auf diesen Anspruch konnte er durch die Ausgleichsklausel im Aufhebungsvertrag nicht wirksam verzichten. Aus diesem Grunde war die Entscheidung des Arbeitsgerichts abzuändern und der Klage stattzugeben.
I.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthaft sowie frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO).
II.
Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Das Arbeitsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Anspruch des Klägers auf Zahlung von erfolgsabhängiger Vergütung für das Jahr 2017 aus der BV Mission 2016 durch die Ausgleichsklausel im Aufhebungsvertrag vom 08.05.2018 untergegangen ist. Der Verzicht auf einen solchen Anspruch war gem. § 77 Abs. 4 BetrVG ohne Zustimmung des Betriebsrats unwirksam. Da der Kläger gem. § 3 (6) Abs. 2 BV Mission 2016 einen garantierten Mindestanspruch auf erfolgsabhängige Vergütung für das Jahr 2017 in der von ihm geltend gemachten Höhe hat, war das erstinstanzlich Urteil dementsprechend abzuändern.
1. Die Auslegung der BV Mission 2016 ergibt, dass diese in § 3 (6) Abs. 2 einen ga rantierten Mindestanspruch auf erfolgsabhängige Vergütung für das Jahr 2017 unabhängig von einer Bezugsgröße und einer Zielerreichung gewährt für den Fall, dass bis zum Stichtag 31.01.2017 keine Einigung über eine neue Bezugsgröße erfolgt. Dieser Mindestanspruch orientiert sich an den durchschnittlichen Auszahlungsbeträgen der Geschäftsjahre 2011 – 2016. Der Anspruch auf den Mindestauszahlungsbetrag ist nicht abhängig davon, wann die Verschmelzung auf gesellschaftsrechtlicher Ebene tatsächlich durchgeführt wurde, bzw. ob diese im Jahr 2016 abgeschlossen wurde (so auch LAG München 10.06.2020, 5 Sa 89/20; a.A. LAG München 12.05.2020, 9 Sa 688/19).
1.1 Betriebsvereinbarungen sind nach ständiger Rechtsprechung wegen ihres normativen Charakters wie Gesetze auszulegen. Auszugehen ist zunächst vom Wortlaut und dem dadurch vermittelten Wortsinn. Ist der Wortsinn unbestimmt, ist darüber hinaus der wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck der betrieblichen Regelungen zu berücksichtigen, sofern und soweit sie im Regelungswerk ihren Niederschlag gefunden haben. Dabei sind insbesondere der Gesamtzusammenhang sowie der Sinn und Zweck der Regelung zu beachten. Bleiben hiernach noch Zweifel, so können ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte oder auch eine tatsächliche Übung herangezogen werden. Im Zweifel gebührt der Auslegung der Vorzug, die zu einer gesetzeskonformen, sachgerechten und praktisch handhabbaren Regelung führt (BAG v. 15.04.2008, 9 AZR 26/07, BB 2008, 1897; BAG, 22.07.2003 – 1 AZR 496/02, Rn. 23, jeweils m.w.N.).
1.2 Aus dem Wortlaut der BV Mission 2016 geht hervor, dass diese verhandelt wurde, weil mit der geplanten Organisationsveränderung im Rahmen des Projekts – „Mission 2016“ durch die zentralen Standortleitungen eine Betriebsänderung gem. § 111 BetrVG anstand (s. § 3 (1) der BV Mission 2016). Aus den §§ 3, 4 und 5 ergibt sich, dass die BV Mission 2016 durch Regelungen zur Besitzstandswahrung, den Ausschluss von betriebsbedingte Kündigungen und Härtefallregelung Nachteile für die Mitarbeiter vermeiden soll. Hierbei handelt es sich typische Regelungen, die in einem Interessenausglich/Sozialplan über die Betriebsänderung gem. § 112 BetrVG zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat vereinbart werden. § 6 der BV Mission 2016 sieht das Inkrafttreten mit der Unterzeichnung am 25.04.2016 vor und eine Beendigung am 30.06.2018. Für Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung, Anwendung und Durchführung der Betriebsvereinbarung ist in § 8 die verbindliche Entscheidung der Einigungsstelle vereinbart.
Die Besitzstandswahrung gem. § 3 soll verhindern, dass durch die Betriebsänderung, also die für zum 01.07.2016 eingeführte neue Organisationsstruktur der Standorte („Organisationsveränderung“) und durch die bis zum 01.01.2017 geplante und im September 2017 durchgeführte Zusammenfassung in einer Gesellschaft („Zusammenfassung“) Nachteile, insbesondere wirtschaftliche Nachteile für die Mitarbeiter entstehen. Nach Regelungen zur unveränderten Fortgeltung der Arbeitsbedingungen, dem Anspruch auf ein Zwischenzeugnis und der Fortgeltung der Vergütung von Reisezeiten auch bei einer Vermehrung von Dienstreisen, sowie der bisher bestehenden Betriebsvereinbarungen nach den gesetzlichen Bestimmungen enthält Ziff. (6) eine Modifikation der Betriebsvereinbarung „Erfolgsabhängige Vergütung“ vom 27.10.2008.
1.2.1 Zunächst treffen die Betriebsparteien die Feststellung, dass das Betriebsergebnis der Z B-Stadt GmbH für das Geschäftsjahr 2016 (= Kalenderjahr 2016) bestehen bleibt. Im Text heißt es dann weiter: „Da die Bezugsgröße im Zuge der Neuausrichtung im Rahmen des Projektes – „Mission 2016“ ab dem Geschäftsjahr 2017 wegfallen wird, insbesondere wegen der gesellschaftsrechtlichen Zusammenfassung, beschließen die Betriebsparteien, spätestens bis zum 31.01.2017 über eine neue Bezugsgröße dieser Vergütung konstruktiv und zielführend zu verhandeln und diese zu beschließen, die sicherstellt, dass den Mitarbeitern des Betriebes B-Stadt die Möglichkeit haben, ein entsprechendes Vergütungsniveau wie heute zu erreichen. … Sollte bis zu diesem Zeitpunkt keine Einigung über die wesentlichen wirtschaftlichen Parameter einer solchen Vereinbarung erzielt worden sein, also unbeschadet der vertragsrechtlichen Formalisierung, werden, gilt Folgendes: Der Auszahlungsbetrag der erfolgsabhängigen Vergütung für das Geschäftsjahr 2017 beträgt zumindest 78,5% entsprechend der Regelungen der BV „Erfolgsabhängige Vergütung“ (bezogen auf 60% des vertraglichen Brutto-Monatsgehalt). Diese Zahl (78,5%) ergibt aus den durchschnittlichen Auszahlungsbeträgen der Geschäftsjahre 2011 – 2016, wobei für das Geschäftsjahr 2016 von einer 100%-igen Zielerreichung und Auszahlung ausgegangen wird. Sollte die Zielerreichung für das Geschäftsjahr 2016 100% übersteigen, so wird diese Zahl für die Durchschnittsbetrachtung der Geschäftsjahre 2011 – 2016 zugrunde gelegt. Der Auszahlungsbetrag erhöht sich dann dementsprechend.“
1.2.2 Durch diese Regelung drücken die Betriebsparteien ihre Motivation aus, eine neue Regelung ab dem Geschäftsjahr 2017 zu schaffen, weil die Bezugsgröße, also das Betriebsergebnis der Z B-Stadt GmbH für das Geschäftsjahr 2017 insbesondere wegen der gesellschaftsrechtlichen Zusammenfassung wegfallen wird. Das „insbesondere“ ist sprachlich ein Hinweis darauf, dass die gesellschaftsrechtliche Zusammenfassung insoweit eine große Rolle spielt, aber gleichzeitig nicht der alleinige Grund ist. Das passt dazu, dass die Betriebsparteien in § 3 (1) von der Betriebsänderung aufgrund der Organisationsveränderung ausgehen und dann regeln, dass durch die Umsetzung der in § 2 (1) näher definierten beiden Änderungen, also Organisationsveränderung und Zusammenfassung die Mitarbeiter keine Nachteile erleiden sollen. Die Regelung trägt also dem Umstand Rechnung, dass zum einen durch die Organisationsveränderung die Z B-Stadt GmbH bereits eine Veränderung erfährt und zum anderen geplant war, dass die Gesellschaft durch die Zusammenfassung, voraussichtlich Verschmelzung, nach Durchführung der Organisationsveränderung als juristische Person wegfallen sollte (§ 2 (1) und (2)) und die Regelung zur erfolgsabhängigen Vergütung für das Geschäftsjahr 2017 also wegen der beiden Änderungen erfolgt ist.
Aus dieser Motivation heraus haben die Betriebsparteien sich dann in § 3 (6) der BV Mission 2016 verpflichtet, spätestens bis zum 31.01.2017 über eine neue Bezugsgröße konstruktiv und zielführend zu verhandeln und eine besitzstandswahrende Bezugsgröße zu beschließen. Allerdings haben die Betriebsparteien weder eine Bezugsgröße für das Jahr 2017 festgelegt, noch es bei der Verpflichtung zu Verhandlungen belassen, sondern für den Fall, dass bis zu diesem Zeitpunkt – also bis zum 31.01.2017 – keine Einigung über die wesentlichen wirtschaftlichen Parameter einer solchen Vereinbarung erzielt worden ist, eine Regelung für einen garantierten Mindestanspruch für die Mitarbeiter auf erfolgsabhängige Vergütung für das Geschäftsjahr 2017 zu schaffen, der den Besitzstand insoweit wahrt, als auf den durchschnittlichen Auszahlungsbetrag der Geschäftsjahre 2011 – 2016 abgestellt wird.
1.2.3 Nach dem Wortlaut ergibt sich also als einzige Voraussetzung für den in § 3 (6) Absatz 2 und 3 geregelten Anspruch auf eine erfolgsabhängige Vergütung für das Geschäftsjahr 2017, die mindestens dem Durchschnitt der Vorjahre entspricht lediglich, dass bis zum 31.01.2017 keine Einigung über die wesentlichen wirtschaftlichen Parameter einer neuen Bezugsgröße erzielt worden ist. Ob hierzu Verhandlungen stattgefunden haben, oder nicht, ist für den im Folgenden geregelten Anspruch auf Besitzstandswahrung ohne Belang, denn dieser sollte nur dann nicht greifen, wenn die Betriebsparteien eine anderweitige Einigung erzielt haben. Dies war unstreitig nicht der Fall.
1.2.4 Entgegen der Ansicht der Beklagten führt die in § 3 (6) der BV Mission 2016 niedergelegte Motivation der Betriebsparteien nicht dazu, dass Voraussetzung für den geregelten Mindestanspruch für das Geschäftsjahr 2017 die tatsächliche Durchführung der Zusammenfassung noch im Jahr 2016 ist und damit die Regelung nur greift, wenn die Z GmbH zu keinem Zeitpunkt im Jahr 2017 noch als rechtliche Einheit bestanden hat. Aus dem Wortlaut der Betriebsvereinbarung geht vielmehr an vielen Stellen hervor, dass die Betriebsparteien sich bewusst waren, dass weder das „Ob“ einer Verschmelzung feststand, noch die Einhaltung des Zeitplans für die Änderungen. Dies drückt sich z.B. aus in der Formulierung in § 2 (2) 2. Absatz: Die vorgenannten Gesellschaften werden voraussichtlich in einem zweiten, von der Organisationsveränderung unabhängigen Schritt, in einer Gesellschaft zusammengefasst“, in § 2 (4) in den Worten „vermutlich im Wege der Verschmelzung“ und in dem Wort „soll“, dass in § 2 (5) im Zusammenhang mit beiden geplanten Veränderungen mehrfach verwendet wird. Außerdem macht die Regelung über die Laufzeit in § 6 klar, dass die Betriebsvereinbarung am 30.06.2018 endet und schon von daher ausschließlich geeignet ist, eine Regelung für das Geschäftsjahr 2017 zu schaffen und nicht etwa – was die Betriebsparteien auch hätten regeln können – für das Geschäftsjahr, dass auf eine Zusammenfassung folgt.
Die Offenheit der Betriebsparteien dafür, welche Regelung für das Geschäftsjahr 2017 in der dann bestehenden Situation tatsächlich sinnvoll ist, zeigt sich auch in der Vereinbarung von Verhandlungen in § 3 (6) Abs. 1, in denen eine Einigung für das Geschäftsjahr 2017 lediglich bis 31.01.2017 erzielt werden sollte. Daraus wird deutlich, dass Vorrang eine neue Einigung der Betriebsparteien über eine besitzstandswahrende Bezugsgröße für das Geschäftsjahr 2017 haben sollte, die den Änderungen (Organisationsveränderung und Zusammenfassung) gerecht wird, aber gleichzeitig für den Fall, dass bis 31.01.2017 keine solche Vereinbarung getroffen ist, die Besitzstandswahrung greifen soll, wie sie unmittelbar in § 3 (6) Absatz 2 und 3 der BV Mission 2016 geregelt ist.
Zumindest der Betriebsrat hat jedenfalls die BV Mission 2016 auch in diesem Sinne verstanden und hat seinerseits keinen Grund gesehen, auf eine Vereinbarung zu dringen, weil die in der Betriebsvereinbarung Mission geregelte Besitzstandswahrung für die Mitarbeiter eine gute Regelung dargestellt hat. Dies geht insbesondere aus dem Protokoll der Betriebsratssitzung vom 19.12.2016 hervor, in dem sich unter TOP 13 der Hinweis findet, dass für 2018 für den Standort B-Stadt eine erfolgsabhängige Vergütung möglich ist und ein Vorschlag zur Änderung der Betriebsvereinbarung kommt und im Protokoll der Betriebsratssitzung vom 28.2.2017 unter „zusätzliche Infos“ Ziff. 2 der Vorschlag der Arbeitgeberseite festgehalten ist, es solle eine EBIT Vorgabe für 2017 ausgegeben werden, der Betriebsrat aber davon ausgegangen ist, dass „für 2017 bereits eine verhandelte Prämienregelung in der BV Mission 2016 enthalten ist“ und der Betriebsrat daher prüfen solle, ob er für 2017 auf die Mission Regelung verzichtet und auf die bestehende Betriebsvereinbarung EBIT Regelung für 2017 zurückkehrt.
Nachdem der in der Folge vom Betriebsrat gemachte entsprechende Änderungsvorschlag nicht unterschrieben wurde, hat dieser über die Frage der Verpflichtung der Arbeitgeberin zur Zahlung von erfolgsabhängiger Vergütung aus der BV Mission 2016 vor dem Arbeitsgericht München ein Beschlussverfahren geführt. Eine inhaltliche Klärung ist hierdurch nicht zustande gekommen, weil der Antrag des Betriebsrates mangels Antragsbefugnis zurückgewiesen wurde (ArbG München 21.12.2018, 2 BV 109/18).
1.2.5 Auch verliert die Besitzstandsregelung für 2017 entgegen der Ansicht der Beklagten nicht dadurch ihren Sinn, dass die gesellschaftsrechtliche Verschmelzung nicht bis Ende 2016, sondern erst ab September 2017 umgesetzt war. Bereits im Dezember 2016 lag dem Betriebsrat ein Konzept für eine Verschmelzung vor (Protokoll der Betriebsratssitzung vom 19.12.2016). Anfang 2017 war also davon auszugehen, dass die geplante Verschmelzung bald umgesetzt wird. Ende Februar 2017 ist der Verkauf an die S Gruppe zustande gekommen und zum September 2017 wurde sodann die geplante Verschmelzung wirksam.
Das Arbeitsgericht in diesem Zusammenhang zu Recht ausgeführt hat, dass für die ehemalige Z B-Stadt GmbH und dann S B-Stadt GmbH das Geschäftsjahr 2017 nur noch ein Rumpfgeschäftsjahr dargestellt hat, weil sie nach diesem Zeitpunkt nicht mehr existierte. Wie die Beklagte in diesem Zusammenhang das EBIT nach eigenen Angaben bis 31.12.2017 berechnet hat, ist unklar und von dieser nicht näher erläutert.
Jedenfalls lag 2017 eine Umbruchsituation vor, die von den in der Betriebsvereinbarung Mission 2016 erwähnten zwei Veränderungen: Organisationsänderung (zum 01.07.2016 umgesetzt) und gesellschaftsrechtliche Verschmelzung (zum September 2017 umgesetzt) bestimmt war und die durchaus Auswirkungen auf das EBIT haben konnte. So hat die Arbeitgeberseite ersichtlich zunächst auch mit einem negativen Ergebnis gerechnet (Zielvorgabe eines EBIT von Minus € 134.000,00, s. Protokoll der Betriebsratssitzung vom 11.04.2017) und ihre Prognose sodann ein wenig nach oben korrigiert ((Zielvorgabe eines EBIT von Minus € 119.000,00 s. Protokoll der Betriebsratssitzung vom 13.04.2017), um sodann ihre Prognose deutlich nach oben zu korrigieren (Zielvorgabe eines EBIT von plus € 225.000,00 s. Protokoll der Betriebsratssitzung vom 20.04.2017). Weshalb dann schlussendlich ein so hoher Verlust für 2017 entstanden ist, wie von der Beklagten im Frühjahr 2018 bekannt gegeben, ist nicht bekannt.
Weder aus dem Wortlaut der BV Mission 2016, noch aus dem Gesamtzusammenhang oder den Umständen war deshalb ersichtlich, dass die Besitzstandsregelung für diese Situation nicht gelten sollte, sondernwie die Beklagte behauptet – ausschließlich für den Fall, dass die Existenz der Z GmbH schon im Jahr 2016 beendet worden wäre. Allenfalls könnte ggf. aus der in den Wortlaut der BV Mission 2016 Motivation der Betriebsparteien ein Wegfall der Geschäftsgrundlage hergeleitet werden für den Fall, dass bis zum Ende des Geschäftsjahres 2017 keine der geplanten Änderungen umgesetzt worden wäre. Dies war jedoch – wie bereits ausgeführt – nicht der Fall.
1.2.6 Damit lässt sich abschließend feststellen, dass sich aus dem eindeutigen Wortlaut der BV Mission 2016 und dem Sachzusammenhang ergibt, dass in § 3 (6) ein direkter Anspruch der Mitarbeiter auf eine besitzstandswahrende, erfolgsabhängige Vergütung für das Geschäftsjahr 2017 in der dort bestimmten Mindesthöhe geregelt ist, der allein von der Voraussetzung abhängt, dass bis 31.01.2017 keine Einigung über eine neue Bezugsgröße zustande gekommen ist. Der Anspruch gilt gem. § 77 Abs. 3 BetrVG unmittelbar und zwingend für alle Mitarbeiter.
Dieser garantierte Anspruch auf erfolgsabhängige Vergütung ändert in Teilen die – wie alle anderen Betriebsvereinbarungen auch – gem. § 3 (5) der BV Mission 2016 fortgeltende Betriebsvereinbarung „Erfolgsabhängige Vergütung“ vom 27.10.2008, die dementsprechend in § 3 (6) auch explizit genannt wird.
Zwar gilt gem. § 3 (5) BV Mission 2016 grundsätzlich die Betriebsvereinbarung über eine erfolgsabhängige Vergütung vom 27./30.10.2008 fort. Allerdings sollte nur für das Jahr 2016 weiterhin mit einer entsprechenden EBIT-Zielvorgabe gerechnet und für das Jahr 2017 eine andere Bezugsgröße vereinbart werden.
1.3 Die Voraussetzungen gem. § 3 (6) Abs. 2 und 3 der BV Mission 2016 für einen Anspruch auf Zahlung einer erfolgsabhängigen Vergütung in Höhe des dort festgelegten Mindestbetrags für 2017 sind erfüllt. Bis 31.01.2017 haben unstreitig weder Verhandlungen über eine Bezugsgröße stattgefunden, noch ist eine Einigung diesbezüglich zustande gekommen. Damit liegen die Voraussetzungen für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Zahlung einer erfolgsabhängigen Vergütung für das Geschäftsjahr dem Grunde nach vor. Die Klageforderung ist der Höhe nach und von der Berechnung her unstreitig. Der Zinsanspruch in Höhe von 5% Punkten über dem Basiszinssatz besteht für Vergütungsansprüche gem. § 288 Abs. 1 i.V.m. §§ 286 Abs. 1, 284 Abs. 2, 614 BGB ab dem Monatsende nach Fälligkeit – hier bis spätestens 30.06.2018 – und ist deshalb dem Kläger antragsgemäß zuzusprechen.
1.4 Eine abweichende Regelung oder Einigung mit dem Betriebsrat, die den Anspruch des Klägers entfallen lässt oder ändert, ist – abweichend von der Annahme in der Entscheidung des LAG München 12.05.2020, 9 Sa 688/19 und 27.11.2019, 11 Sa 451/19 nicht zustande gekommen. Erst im Februar 2017 ist die Arbeitgeberin an den Betriebsrat herangetreten mit dem Vorschlag, für das Jahr 2017 eine EBIT Zielvorgabe entsprechend der Betriebsvereinbarung über eine erfolgsabhängige Vergütung vom 27./30.10.2008 zu vereinbaren. Aus dem Protokoll der Betriebsratssitzung vom 28.02.2017 geht hervor, dass die Arbeitgeberseite einen entsprechenden Wunsch geäußert hat und der Betriebsrat seinerseits prüfen wollte, ob er für 2017 auf die Mission-Regelung verzichtet und bereit wäre, zu der bestehenden Betriebsvereinbarung EBIT-Regelung zurückzukehren.
Ausweislich der bereits zitierten Protokolle der Betriebsratsratssitzungen vom April 2017 ist die Arbeitgeberseite wiederholt mit Vorschlägen an den Betriebsrat herangetreten, welches EBIT-Ergebnis als Bezugsgröße nach der Betriebsvereinbarung „Erfolgsabhängige Vergütung“ vom 27.10.2008 maßgebend sein sollte. Die Arbeitgeberseite hat dabei innerhalb kurzer Zeit ihre Vorstellungen von der Bezugsgröße stark verändert. Der Betriebsrat hat mit allen Vorschlägen stets Einigungsbereitschaft signalisiert und klar ausgedrückt, dass er sein Einverständnis daran knüpft, dass eine Zusatz-Betriebsvereinbarung abgeschlossen wird, die die Betriebsvereinbarung Mission 2016 insoweit für das Jahr 2017 ändert. Eine solche Betriebsvereinbarung ist nicht zustande gekommen. Damit ist keine wirksame Änderung der Betriebsvereinbarung Mission 2016 erfolgt und es bleibt bei dem Anspruch Klägers gem. § 3 (6) Abs. 2 und 3.
2. Der Anspruch des Klägers auf erfolgsabhängige Vergütung aus der Betriebsverein barung Mission 2016 ist nicht durch die Abgeltungsklausel im Aufhebungsvertrag vom 08.05.2018 untergegangen. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts konnte der Kläger in der individualvertraglichen Vereinbarung nicht wirksam auf den Anspruch aus einer Betriebsvereinbarung verzichten.
2.1 Der Verzicht eines Arbeitnehmers auf Rechte aus einer Betriebsvereinbarung ist gem. § 77 Abs. 4 BetrVG nur mit Zustimmung des Betriebsrats zulässig, die hier nicht vorliegt. Andernfalls ist der Verzicht unwirksam (§ 134 BGB). Das gilt für alle Rechte der Arbeitnehmer und gilt über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus (ErfK-Kania § 77 BetrVG Rn. 39, DKKW-Berg, § 77 BetrVG Rn. 89; GK-BetrVGKreutz, § 77 BetrVG, Rn. 311; Fitting Rn. 132 f., 136).
Zwar kann die Zustimmung formlos als Einwilligung bzw. Genehmigung analog §§ 182 ff. BGB erfolgen, sie ist aber an einen ordnungsgemäßen Beschluss (§ 33) geknüpft und muss konkret für den einzelnen Arbeitnehmer oder den bestimmten Regelungstatbestand erklärt werden (ErfK-Kania § 77 BetrVG Rn. 39). Das Vorliegen einer solchen Zustimmung hat die Beklagte gar nicht erst behauptet. Im Gegenteil hat der Betriebsrat sogar ein Beschlussverfahren eingereicht (s. Ziff. 1.2.4), um die Verpflichtung der Arbeitgeberin zur Zahlung von erfolgsabhängiger Vergütung aus der BV Mission 2016 feststellen zu lassen.
2.2 Zulässig wäre ein Verzicht erst, nachdem die Betriebsvereinbarung ihre zwingende Wirkung durch Ablauf verloren hat (ErfK-Kania § 77 BetrVG Rn. 89). Die Betriebsvereinbarung Mission war zum Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrages am 08.05.2018 wirksam und hat erst zum 30.06.2018 geendet. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war die erfolgsabhängige Vergütung für das Jahr 2017 fällig. Die Betriebsvereinbarung Mission sollte u.a. gerade das Weiterbestehen auch des Anspruchs auf erfolgsabhängige Vergütung für das Jahr 2017 sicherstellen. Damit kam der Betriebsvereinbarung bei Abschluss des Aufhebungsvertrages hinsichtlich des Anspruchs des Klägers auf eine erfolgsabhängige Vergütung für das Jahr 2017 noch unmittelbare und zwingende Wirkung zu. Auch war der Anspruch auf erfolgsabhängige Vergütung noch nicht fällig, da dieser bis spätestens 30.6. des Folgejahres zu zahlen war. Ein Verzicht vor Ablauf der Betriebsvereinbarung und vor Fälligkeit des Anspruchs war ohne die hier nicht vorliegende Zustimmung des Betriebsrats daher unwirksam.
2.3 Auch Verzichtsvereinbarungen in einem Vergleich oder in einer Ausgleichsklausel bedürfen grundsätzlich der Zustimmung des Betriebsrats und sind ohne diese unwirksam. Abweichend hiervon kann bei einem Aufhebungsvertrag der Arbeitnehmer auch dann auf den Anspruch ohne Zustimmung des Betriebsrats wirksam verzichten, wenn die abweichende Regelung für ihn objektiv günstiger ist (BAG 27.01.2004, 1 AZR 148/03). Das ist hier nicht der Fall. Vorliegend scheidet ein solcher Günstigkeitsvergleich schon deswegen aus, weil der Aufhebungsvertrag keine Regelung zur erfolgsabhängigen Vergütung für das Jahr 2017 vorsieht und die Beklagte bei Abschluss des Aufhebungsvertrages auch nicht davon ausgegangen ist, dass überhaupt ein solcher Anspruch für den Kläger besteht. Daher ist auch kein Wille erkennbar, insoweit einen Ausgleich zu schaffen. Vielmehr entspricht die getroffene umfassende Abgeltungsklausel bezüglich der erfolgsabhängigen Vergütung für das Jahr 2017 einer Ausgleichsquittung, die vorsorglich alle Ansprüche erfassen soll. Eine Ausnahme vom Zustimmungserfordernis des Betriebsrats liegt daher nicht vor.
2.4 Ein zulässiger Vergleich über die tatsächlichen Voraussetzungen des Anspruchs (sog. Tatsachenvergleich), liegt nicht vor. Einen solchen Tatsachenvergleich hat die Beklagte behauptet, ohne allerdings hierzu konkret etwas vorzutragen. Da vorliegend der Aufhebungsvertrag keine Regelung zu der erfolgsabhängigen Vergütung 2017 vorsieht, ist der Hinweis der Beklagten, dass insofern ein Tatsachenvergleich stattgefunden hat nicht recht verständlich. Die Beklagte war zwar bei Abschluss des Aufhebungsvertrages unstreitig der Meinung, dass ein Anspruch aus der Betriebsvereinbarung Mission 2016 auf erfolgsabhängige Vergütung für 2017 nicht besteht. Dies bedeutet aber nicht, dass die Parteien sich etwa darauf geeinigt hätten, dass die Voraussetzungen für eine Zahlung der erfolgsabhängigen Vergütung nicht vorliegen oder entfallen sind. Da vorliegend die Betriebsvereinbarung Mission 2016 einen Mindestanspruch auf erfolgsabhängige Vergütung vorsieht, für den keine weiteren Voraussetzungen vorliegen müssen, als dass eben keine Regelung zwischen den Betriebsparteien bis 31.01.2017 erfolgt ist, kommt schon aus diesem Grunde ein Vergleich über das Vorliege von tatsächliche Voraussetzungen des Anspruchs nicht in Betracht. Die Beklagte bezieht sich möglicherweise darauf, dass keine Regelung getroffen wurde, weil aus ihrer Sicht die Betriebsvereinbarung so auszulegen ist, dass kein Anspruch auf die erfolgsabhängige Vergütung für das Jahr 2017 bestand. Ein solcher Vergleich über die Auslegung bestimmter Regelungen in der Betriebsvereinbarung wäre allerdings ebenfalls unzulässig, da es sich hierbei nicht um einen Tatsachenvergleich handeln würde, sondern um einen Rechtsverzicht (BAG 25.04.2017, 1 AZR 714/15).
2.5 Der Hinweis der Beklagten, dass es sich bei der Bonusregelung um eine freiwillige Betriebsvereinbarung gehandelt habe, ist für die Geltung von § 77 Abs. 4 BetrVG nicht maßgeblich. Die Befugnis der Betriebsparteien zum Abschluss von Betriebsvereinbarungen erstreckt sich auf alle (materiellen und formellen) Arbeitsbedingungen einschließlich betrieblicher und betriebsverfassungsrechtlicher Fragen. Dies ergibt der Wortlaut des Gesetzes (Gegenschluss zur Sperre des Abs. 3 S. 1, Unabgeschlossenheit [„insbesondere“] des § 88), ferner die systematische Zusammensicht der §§ 77, 88 und der zahlreichen Mitbestimmungstatbestände, die eine gegenständliche Beschränkung nicht erkennbar werden lassen. Auch ist die nicht von vornherein der Regelungsbefugnis auszunehmen. Auch freiwillige Betriebsvereinbarungen, die den Bereich der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit betreffen, sind rechtlich zulässig, wie die gesetzlichen Regelungen über den möglichen Inhalt von Interessenausgleichen zeigen (§ 112). Auch diese fallen daher unter die allgemeine Regelung des § 77 BetrVG (vgl. NK-ArbR-Schwarze BetrVG § 77 Rn. 11, 14 m.w.N.). Für die Entscheidung kann deshalb dahinstehen, ob es sich bei der Betriebsvereinbarung Mission 2016 um eine freiwillige Regelung handelt oder diese ganz oder teilweise unter die zwingende Mitbestimmung fällt.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG, § 97 Abs. 1 ZPO.
IV.
Im Hinblick auf die in der Sache abweichenden Entscheidungen das LAG München 27.11.2019, 11 Sa 451/19 und LAG München 12.05.2020, 9 Sa 688/19 war gem. § 72 Abs. 2 Ziff. 2 ArbGG die Revision zum Bundesarbeitsgericht zuzulassen.


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben