Arbeitsrecht

Auslegung einer tariflichen Regelung über das Bestehen und die Ausgestaltung eines Arbeitszeitkontos

Aktenzeichen  33 Ca 7172/16

Datum:
28.4.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 158886
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
TVG § 1
Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe vom 4.7.2002 (BRTV) § 3 Nr. 1.43
SGB III § 101 Abs. 5

 

Leitsatz

Die in § 3 Nr. 1.43 BRTV vorgesehene Abbauregelung, nach der auf einem für den Arbeitnehmer geführten Arbeitszeit- und Entgeltkonto (Ausgleichskonto) gutgeschriebener Lohn “nur zum Ausgleich für den Monatslohn, bei witterungsbedingtem Arbeitsausfall, am Ende eines Ausgleichzeitraumes nach Maßgabe des folgenden Absatzes, bei Ausscheiden des Arbeitnehmers oder im Todesfall ausgezahlt werden” darf, beschränkt sich nicht auf die Schlechtwetterzeit. (Rn. 12 – 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien über den 13.05.2016 hinaus unter Führung eines Arbeitszeitkontos nach Maßgabe von § 3 Ziff. 1.4 des Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe (BRTV) besteht.
3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
4. Der Streitwert wird auf € 4.287,61 festgesetzt.

Gründe

I.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
1. Der Klageantrag zu 1) ist unbegründet. Unabhängig von der Frage, ob überhaupt die Voraussetzungen für einen Annahmeverzugslohn des § 615 BGB gegeben sind, hat die Beklagte einen etwaigen Lohnanspruch des Klägers jedenfalls durch den erfolgten Ausgleich bzw. Abbau des Arbeitszeitkontos in Höhe von 41,0 Stunden erfüllt.
a. Nach § 3 Ziff. 1.43 des BRTV kann auf dem Ausgleichskonto gutgeschriebener Lohn nur zum Ausgleich für den Monatslohn, bei witterungsbedingtem Arbeitsausfall, am Ende eines Ausgleichzeitraumes nach Maßgabe des folgenden Absatzes, bei Ausscheiden des Arbeitnehmers oder im Todesfall ausgezahlt werden. Diese Regelung findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung, denn beide haben einzelvertraglich – konkludent – das Führen eines individuellen Ausgleichskonto im Sinne von § 3 Ziffer 1.41/1.43 BRTV vereinbart.
b. Die in Ziffer 1.43 BRTV vorgesehene Abbauregelung beschränkt sich entgegen der Ansicht des Klägers nicht auf die Schlechtwetterzeit. Dies ergibt eine Auslegung der tariflichen Regelung.
i. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Es ist der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen, ohne am Buchstaben zu haften. Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien ist über den reinen Wortlaut hinaus mitzuberücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages, gegebenenfalls auch eine praktische Tarifübung ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG, Urteil vom 15.02.1990, 6 AZR 386/88, NZA 1990, 848).
ii. Vorliegend unterscheidet die Norm deutlich zwischen mehreren Abbaualternativen bzw. -voraussetzungen. Wenn einerseits auf dem Ausgleichskonto gutgeschriebener Lohn „bei witterungsbedingtem Arbeitsausfall“ ausgezahlt werden darf, ergibt sich bereits im Umkehrschluss, dass mit der Alternative „zum Ausgleich für den Monatslohn“ ein Arbeitsausfall gemeint ist, der gerade nicht witterungsbedingte Ursachen haben muss. Bei den in der Norm genannten fünf Möglichkeiten, wann der gutgeschriebene Lohn ausgezahlt werden darf, handelt es sich ersichtlich um eine Aufzählung, denn zwischen allen Varianten steht ein Komma, bzw. zwischen der vorletzten und der letzten Variante ein „oder“. Wortlaut und Satzstellung sprechen mithin deutlich gegen die Auffassung des Klägers. Ein „Ausgleich für den Monatslohn“ iSd tariflichen Regelung kann etwa bei Beschäftigungsschwankungen, z.B. bei kurzfristigen Auftragsengpässen erfolgen (Biedermann/Möller BRTV Kommentar, 8. Auflage 2011, § 3, Seite 336). Dabei verlangt die Tarifnorm nach ihrem Wortlaut nicht, dass diese Beschäftigungsschwankungen witterungsbedingt sind oder in der tariflichen Schlechtwetterzeit (1. Dezember bis 31. März) liegen. Ebenso wenig ist für den wirksamen Abbau eine Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber erforderlich.
iii. Auch Sinn und Zweck der tariflichen Regelungen zum Auf- und Abbau von Arbeitszeitkonten – auch unter Beachtung der dazugehörigen arbeitsförderrechtlichen Normen des SGB III – bedingen kein anderes Ergebnis. Es ergibt sich allenfalls eine arbeitsförderrechtliche Schadensverhinderungsobliegenheit, Guthaben auf Arbeitszeitkonten außerhalb der Schlechtwetterzeit nicht aufzulösen.
Nach § 101 SGB III besteht bei Arbeitsausfällen in der Schlechtwetterzeit ein Anspruch auf Saison-Kurzarbeitergeld, wenn der Arbeitsausfall „nicht vermeidbar“ ist, § 101 Abs. 5 SGB III. Wurden zuvor Arbeitszeitguthaben „zu anderen Zwecken als für einen verstetigten Monatslohn, bei witterungsbedingtem Arbeitsausfall oder der Freistellung zum Zwecke der Qualifizierung“ aufgelöst, so gelten im Umfang der aufgelösten Arbeitszeitguthaben die Arbeitsausfälle als vermeidbar. Angesammelte Arbeitszeitguthaben müssen also grundsätzlich zur Überbrückung witterungsbedingter Arbeitsausfälle in der Schlechtwetterzeit und zur Vermeidung von Kurzarbeit eingesetzt werden, unabhängig davon, ob die Verwendung der Guthaben nach Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag den Betriebsparteien freigestellt ist oder nicht. In dem Umfang, in dem die Guthaben hätten eingesetzt werden können, witterungsbedingte Arbeitsausfälle in der Schlechtwetterzeit zu überbrücken und Saison-Kurzarbeit zu vermeiden, sind die witterungsbedingten Arbeitsausfälle vermeidbar, so dass Saison-Kurzarbeitergeld nicht gewährt werden kann (Bieback in: Gagel, SGB II / SGB III, 65. EL März 2017, § 101 SGB III, Rn. 64). Jedoch kann selbst nach den Regelungen des SGB III (§ 101) das Arbeitszeitguthaben zur „Verstetigung des Monatslohns“, also auch im Sinne des § 3 Nr. 1.42 bzw. 1.43 BRTV eingesetzt werden. Damit kann das Guthaben unschädlich auch schon vor der Schlechtwetterzeit zur Überbrückung fast aller relevanten Zwecke eingesetzt werden (Bieback a.a.O., Rn. 66). Da der gutgeschriebene vorgearbeitete Lohn auch zum Ausgleich für den Monatslohn am Ende des Ausgleichszeitraums ausgezahlt werden kann (vgl. § 3 Ziffer 1.43 Abs. 3 BRTV), dient diese tarifliche Regelung gerade nicht ausschließlich der Beseitigung der Winterarbeitslosigkeit der Arbeitnehmer in der Bauwirtschaft. Des Weiteren ist entscheidend, dass Arbeitnehmer während des gesamten Ausgleichszeitraums, ungeachtet der jeweiligen monatlichen Arbeitszeit, eine gleichbleibende monatliche Vergütung erhalten und dieser Monatslohn im Regelfall Bemessungsgrundlage des (Saison-)Kurzarbeitergeldes ist (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 31.01.2002 – L 1 AL 156/00, NZS 2002, 439).
Da die Beklagte demnach berechtigt war, das Arbeitszeitguthaben für den Monat April wie gehabt einzusetzen, ist auch der Antrag zu 2) unbegründet. Im Übrigen bezieht sich die Klagebegründung nur auf die nach Ansicht des Klägers unberechtigten 41 Stunden für den streitgegenständlichen Zeitraum 25.04. bis 30.04.2016. Eine Begründung, warum darüber hinaus weitere 8,25 Stunden unberechtigt vom Arbeitszeitkonto entnommen worden sein sollen, ist nicht erfolgt. II.
Die Widerklage ist zulässig und begründet.
1. Die Klage ist zulässig. Die Zulässigkeit der Feststellungsklage folgt aus § 256 ZPO. Gemäß § 256 Abs. 1 ZPO kann auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde. Die Feststellungsklage kann sich auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen oder auf den Umfang einer Leistungspflicht beschränken – so genannte Elementenfeststellungsklage (st. Rspr., vgl. nur BAG, Urteil vom 15.03.2006, 4 AZR 75/05, NZA 2006, 690). Vorliegend geht es der Beklagten darum feststellen zu lassen, dass ein Element des Arbeitsverhältnisses, nämlich das Arbeitszeitkonto, mit seinen Rechten und Pflichten weiter besteht.
2. Die Feststellungsklage ist auch begründet. Zwischen den Parteien ist spätestens seit dem Jahr 1998 die Führung eines Arbeitszeitkontos gemäß den tariflichen Regelungen konkludent vereinbart. Als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses kann diese Vereinbarung nicht isoliert gekündigt werden; eine Änderung wäre nur einvernehmlich möglich.
a. Eine Teilkündigung ist die einseitige Änderung von Vertragsbedingungen gegen den Willen der anderen Vertragspartei. Im Gegensatz zur Kündigung oder Änderungskündigung erfasst die Teilkündigung nicht das Arbeitsverhältnis in seinem gesamten Bestand. Sie löst nur einzelne Rechte und Pflichten aus dem weiter fortbestehenden Arbeitsverhältnis heraus. Eine solche nicht vereinbarte einseitige Änderung einzelner Vertragsbedingungen durch Teilkündigung ist regelmäßig unzulässig, da sie das vereinbarte Ordnungs- und Äquivalenzgefüge des Vertrags stört. Die einzelnen Teile eines Arbeitsvertrages kommen regelmäßig nicht isoliert zu Stande, sondern stehen in einem inneren Zusammenhang und in Wechselwirkungen. Dem würde es zuwiderlaufen, wollte man einer Vertragspartei das Recht zubilligen, einseitig einzelne unwillkommene Teile des Vertrags aufzukündigen und dadurch den Vertragspartner zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter für ihn ungünstigeren oder zumindest ungewollt veränderten Bedingungen zu zwingen. Die Teilkündigung ist deshalb nur ausnahmsweise zulässig. Sie wird als Gestaltungsmittel anerkannt, wenn ein Gesamtvertragsverhältnis sich aus mehreren Teilverträgen zusammensetzt und diese Teilverträge nach dem Gesamtbild des Vertrags jeweils für sich als selbständig lösbar aufgefasst werden müssen. Die Teilkündigung darf allerdings nicht zu einer Umgehung von zwingenden Kündigungsvorschriften führen (Urteil vom 13.03.2007, 9 AZR 612/05, NZA 2007, 563 mwN.).
b. Die fragliche Vereinbarung betreffend das Arbeitszeitkonto ist ein Bestandteil des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien, eine wesentliche Vertragsbedingung. Ein diesbezügliches Teilkündigungsrecht ist weder einzelvertraglich vereinbart noch tarifvertraglich vorgesehen. § 3 Ziffer 1.41 erlaubt die Einführung eines Arbeitszeitkontos entsprechend den tarifvertraglichen Regelungen, durch Betriebsvereinbarung oder durch Individualvereinbarung. Dies ist auch nur befristet möglich, allerdings muss diese zeitliche Begrenzung in der Vereinbarung selbst enthalten sein. Der in der Tarifnorm genannte „zwölfmonatige Ausgleichszeitraum“ ist in diesem Sinne kein Zeitpunkt, zu dem die Vereinbarung endet oder gekündigt werden kann, sondern ist lediglich der Bezugspunkt für die Regelungen zu Auf- und Abbau des Arbeitszeitkontos. Im Übrigen ist der Kläger durch eine ggf. rechtswidrige Ausgestaltung und Führung des Arbeitszeitkontos durch die Beklagte auch nicht schutzlos gestellt, sondern es steht ihm jeweils der Klageweg zur Überprüfung des Handelns der Beklagten zu. III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. §§ 3 ff. ZPO.
Die Voraussetzungen für eine gesonderte Zulassung der Berufung nach § 64 Abs. 3 ArbGG sind nicht gegeben.


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