Arbeitsrecht

Aussetzung des Disziplinarverfahrens, Behördliches Disziplinarverfahren, Gerichtliches Disziplinarverfahren, Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung, Disziplinarmaßnahme, Landesanwaltschaft, Milderungsgrund, Verwaltungsgerichte, Innerdienstliches Dienstvergehen, Rechtskräftiger Strafbefehl, Disziplinarrechtliche, Aberkennung des Ruhegehalts, Schwere des Dienstvergehens, Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, Bevollmächtigter, Schweres Dienstvergehen, Freiheitsstrafe, Ruhegehaltsaberkennung, Erhebung der Disziplinarklage, Feststellung der Schwerbehinderung

Aktenzeichen  M 19L DK 20.2587

Datum:
24.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 7705
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayDG Art. 12

 

Leitsatz

Tenor

I.Gegen den Beklagten wird auf die Disziplinarmaßnahme der Kürzung des Ruhegehalts in Höhe von 1/10 für die Dauer von 54 Monaten erkannt.
II.Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.   

Gründe

Gegen den Beklagten wird auf die Disziplinarmaßnahme der Kürzung des Ruhegehalts in Höhe von 1/10 für die Dauer von 54 Monaten erkannt (vgl. Art. 12 BayDG).
1. Das Disziplinarverfahren weist entgegen der Rüge des Beklagten in formeller Hinsicht keine Mängel auf. Nach Art. 53 Abs. 1 BayDG hat der Beamte bei einer Disziplinarklage wesentliche Mängel des behördlichen Disziplinarverfahrens oder der Klageschrift innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Klage geltend zu machen. Ein Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens ist wesentlich, wenn sich nicht mit hinreichender Sicherheit ausschließen lässt, dass er sich auf das Ergebnis des gerichtlichen Disziplinarverfahrens ausgewirkt haben kann; maßgeblich ist damit die Ergebnisrelevanz (BVerwG, B.v. 7.7.2016 – 2 B 1.16 – juris Rn. 10). Hier hat der Beklagte mehrere Mängel innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Klage am 17. Juni 2020 mit Schreiben vom 4. August 2020, eingegangen beim Verwaltungsgericht am Folgetag und damit innerhalb der gesetzlichen Zweimonatsfrist, geltend gemacht. Entgegen den vorgebrachten Rügen weist das Disziplinarverfahren jedoch in formeller Hinsicht keine Mängel auf.
Ein Verstoß gegen das Beteiligungserfordernis der Schwerbehindertenvertretung ist nicht gegeben. Nach § 178 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch (SGB) IX hat der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören; er hat ihr die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen. Hier fragte die Landesanwaltschaft Bayern bei Übernahme des Disziplinarverfahrens als Disziplinarbehörde mit Schreiben vom 20. Oktober 2017 an, ob der Beklagte zu den schwerbehinderten Menschen gehöre oder diesem Personenkreis gleichgestellt sei. Sein Bevollmächtigter beantragte erst mit Schreiben vom 26. Juni 2018 die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung, die dann mit Schreiben der Landesanwaltschaft Bayern vom 27. Juni 2016 und damit unverzüglich unterrichtet wurde. Eine frühere Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung war nicht veranlasst. Eine Maßnahme, die vom Dienstherrn in Unkenntnis der Schwerbehinderteneigenschaft des Beamten diesem gegenüber getroffen wird, ist nicht wegen einer unterbliebenen Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung rechtswidrig, wenn der Beamte es unterlassen hat, den Dienstherrn von der Schwerbehinderung oder der Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten in Kenntnis zu setzen (BVerwG, U.v. 17.4.2020 – 2 B 7.20 – juris Rn. 10; BayVGH, U.v. 16.1.2019 – 16a D 15.2672 – juris Rn. 18). Eine Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung vor Erhebung der Disziplinarklage war ebenfalls nicht erforderlich. Diese konnte entfallen, weil der Beklagte zu diesem Zeitpunkt bereits im Ruhestand war und damit der Gesetzeszweck der Eingliederung schwerbehinderter Menschen in den Betrieb bzw. die Dienststelle nicht mehr greift. Gleiches gilt im Hinblick auf die unterbliebene Beteiligung der Personalvertretung (BayVGH, U.v. 18.3.2015 – 16a D 09.3029 – juris Rn. 37; Zängl, Bayer. Disziplinarrecht, Stand Aug. 2020, Art. 35 BayDG Rn. 51).
2. In tatsächlicher Hinsicht steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Beklagte die ihm in der Disziplinarklage vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen begangen hat.
2.1. Hinsichtlich des Vorwurfs 1 steht fest, dass er in den Schuljahren 2015/16 und 2016/17 vom Schulamt zugewiesene Stunden nicht ordnungsgemäß eingesetzt und diese zum Teil anders verwendet hat als vorgesehen. Insgesamt hat er in diesen beiden Schuljahren 23 Lehrerstunden statt für BiFi- und Vorkursstunden (im Schuljahr 2015/16 2 BiFi- und 3 Vorkursstunden; im Schuljahr 2016/17 2 BiFi- und 16 Vorkursstunden) für die Einrichtung von Arbeitsgemeinschaften (z.B. Blasorchester) und eine kleinere Gruppenbildung im Werken/Gestalten verwendet.
2.2. Hinsichtlich des Vorwurfs 2 hält es das Gericht für erwiesen, dass der Beklagte dem Schulamt im Schuljahr 2016/17 für fünf Lehrkräfte eine vom tatsächlich durchgeführten Unterricht abweichende Version von deren Stundenplänen vorgelegt hat. Dabei hat er zwei Lehrkräfte unter Druck gesetzt, die fingierten Versionen ihrer Stundenpläne zu unterschreiben. In den fingierten Stundenplänen waren Förder-Deutschstunden genannt, die tatsächlich nicht gehalten wurden.
2.3. Hinsichtlich des Vorwurfs 3 steht für das Gericht fest, dass der Beklagte im Schuljahr 2016/17 von Beginn des Schuljahres bis Ende November 2016 – mit Ausnahme von drei Freitagen – jeweils freitags und damit insgesamt acht Freitage nicht in der Grundschule anwesend war. Er begründete diese Abwesenheit mit Altersermäßigungsstunden, die ihm jedoch bereits durch Reduzierung der Unterrichtsverpflichtung gewährt wurden, so dass weitere freie Tage mit dieser Begründung nicht gerechtfertigt waren. Dem Beklagten ist allerdings zuzugestehen, dass er seine auf diese Begründung gestützte Abwesenheit nicht zu vertuschen versuchte. Aus seinem dem Staatlichen Schulamt vorgelegten Stundenplan für das Schuljahr 2016/17 ist die geplante Abwesenheit an Freitagen aus dem Grund „Altersermäßigung“ klar erkennbar (vgl. Beiakte 3b Anlage 1b). Die Abwesenheit an den acht Freitagen zwischen September und November 2016 lässt sich daneben nicht mit freien Tagen für Pflegeleistungen rechtfertigen. Selbst wenn für ihn nach § 2 Abs. 1 Pflegezeitgesetz (PflegeZG) die Möglichkeit bestanden haben mag, bis zu zehn freie Tage für Pflegeleistungen in Anspruch zu nehmen, hat er diese Tage nicht beantragt und wurden solche in der Folge auch nicht genehmigt.
Der Beklagte war zudem am Freitag, den 17. Juli 2017, wegen Überstundenausgleichs nicht in der Grundschule anwesend. Ein Überstundenausgleich war bei ihm als Schulleiter jedoch nicht möglich.
Darüber hinaus war er an acht Schultagen (überwiegend Freitage) im Mai und Juni 2017 nicht bis zum Ende der 6. Unterrichtsstunde und damit nicht in der Hauptunterrichtszeit in der Grundschule anwesend. Als nicht glaubhaft erachtet das Gericht seinen Vortrag, es habe eine Absprache mit dem Schulamt bestanden, wonach entgegen der Regelung in § 26 Abs. 1 Satz 1 LDO in der Hauptunterrichtszeit nur eine Person der Schulleitung anwesend sein müsse. Ein Nachweis für diese Absprache findet sich nicht in den umfangreichen Disziplinarakten und wurde vom Beklagten auch nicht vorgelegt. Eine Absprache im vorgenannten Sinne wird vom Schulamt auch dementiert.
2.4. Auch den unter 4. gegen den Beklagten erhobenen Vorwurf des Betrugs in acht tatmehrheitlichen Fällen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Augsburg vom 14. Oktober 2019 hält das Gericht für erwiesen. Im Zeitraum zwischen 5. August 2015 und 27. September 2017 leitete er an acht einzelnen Tagen Rechnungen von Schulbuchverlagen über nicht lernmittelfreie Bücher an den Markt … als Schulaufwandsträger zur Begleichung weiter. Obwohl er wusste, dass nicht lernmittelfreie Bücher nach Art. 51 Abs. 4 Satz 1 BayEUG von den Eltern zu bezahlen waren und der Markt lediglich Rechnungen für lernmittelfreie Bücher zu begleichen hatte (vgl. Art. 21 Abs. 2 Satz 1, Art. 8 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 Bayerisches Schulfinanzierungsgesetz – BaySchFG), übersandte er die Rechnungen mit billigenden Vermerken, um beim Markt den Eindruck zu erwecken, dass die Bezahlung veranlasst sei. Gleichzeitig stellte er das Geld für die Bücher auch den Eltern in Rechnung und erlangte so eine doppelte Bezahlung an die Grundschule. Eine Rückerstattung der von den Eltern erhaltenen Beträge an den Markt erfolgte auch nach Zahlungseingang nicht. Die doppelt veranschlagten Beträge beliefen sich auf insgesamt 11.988,95 €.
An dieser Sachverhaltswürdigung ändert sich auch nichts im Hinblick auf die Aussage des Zeugen L., der in der Kämmerei des Marktes … beschäftigt ist, in der mündlichen Verhandlung vom 24. März 2021. Der Zeuge sagte aus, der Markt habe die Rechnungen ungeachtet der Einordnung der Lernmittel als lernmittelfrei oder nicht lernmittelfrei bezahlt und seine Zahlung nicht von der Lernmittelfreiheit der Lernmittel abhängig gemacht. Der Zeuge gab jedoch weiter an, dass eine Bezahlung der Rechnungen nur erfolgte, wenn darauf neben dem billigenden Vermerk des Beklagten auch das Einverständnis des ersten Bürgermeisters und des Kämmerers mit der Zahlung vermerkt waren. Anders als der Zeuge L. hat der im strafrechtlichen Verfahren am 18. Juli 2019 als Zeuge vernommene erste Bürgermeister des Marktes … Dr. H. jedoch nicht ausgesagt, der Markt habe wahllos sämtliche Rechnungen der Grundschule bezahlt. Er berief sich vielmehr darauf, dass er sich auf die Angaben des Beklagten zur Bestätigung der sachlichen und rechnerischen Richtigkeit verlassen habe und davon ausgegangen sei, dass mit dessen Unterschrift die Lernmittelfreiheit und damit die Zahlungspflicht des Marktes bestätigt werde. Da der Markt also nicht sämtliche Rechnungen der Grundschule … begleichen, sondern nur für lernmittelfreie Bücher aufkommen wollte, stellten die unrichtigen Bekundungen des Beklagten eine Täuschung jedenfalls des ersten Bürgermeisters dar, ohne dessen Unterschrift eine Bezahlung der Rechnungen nicht erfolgt wäre.
2.5. Als erwiesen hält das Gericht auch die Vorwürfe 5 bis 7, für die sich Nachweise in den Disziplinarakten finden. Danach hat der Beklagte im Schuljahr 2017/18 über die Zweckbestimmung von § 25 BaySchO hinaus ein Konto für die Grundschule bei der VR-Bank und eine Bargeldkasse geführt, über die er Einnahmen und Ausgaben der Grundschule abgewickelt hat. Über das Konto und die Bargeldkasse hat er 27 Ausgaben in Höhe von 4713,78 € getätigt bzw. überwiesen, ohne dass Rechnungen oder sonstige Nachweise für die Ausgaben vorlagen.
3. Durch sein Verhalten hat der Beklagte die in der Disziplinarklage aufgeführten Pflichten verletzt. Auf die dortigen Ausführungen (S. 17 f.) wird Bezug genommen (vgl. Art. 3 BayDG, § 117 Abs. 5 VwGO analog).
4. Der Beklagte hat durch sein Verhalten ein einheitliches innerdienstliches Dienstvergehen nach § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG begangen. Das Dienstvergehen ist ein innerdienstliches, weil das pflichtwidrige Verhalten in das Amt des Beklagten und in seine dienstlichen Pflichten eingebunden war (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 11). Der Beklagte handelte vorsätzlich; er wusste, was er tat, und nahm die Folgen seines Handelns jedenfalls billigend in Kauf (so beim Vorwurf unter 2.4.) bzw. wollte diese auch (so bei den Vorwürfen unter 2.1. bis 2.3. und 2.5.).
5. Das Dienstvergehen wiegt schwer. Der Beklagte hat dennoch das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit noch nicht endgültig verloren im Sinne des Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG. Damit ist ihm als Ruhestandsbeamten nicht nach Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BayDG das Ruhegehalt abzuerkennen. Vielmehr kommt die nächstniedrige Disziplinarmaßnahme der Kürzung des Ruhegehalts zum Tragen (vgl. Art. 12 Satz 1 BayDG), die auf längstens fünf Jahre ausgesprochen werden kann. Hier erscheint eine Kürzung für die Dauer von 54 Monaten angemessen, aber auch erforderlich.
Nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG ist die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens, der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit, dem Persönlichkeitsbild des Beamten und dem bisherigen dienstlichen Verhalten zu treffen. Das Gewicht der Pflichtverletzung ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden. Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller belastenden und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 12; U.v. 18.6.2015 – 2 C 9.14 – juris Rn. 25; BayVGH, U.v. 5.10.2016 – 16a D 14.2285 – juris Rn. 55). Gegenstand der disziplinarrechtlichen Bewertung ist die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrecht zu erhalten (BayVGH, U.v. 29.6.2016 – 16b D 13.993 – juris Rn. 36).
Maßgebendes Kriterium für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist die Schwere des Dienstvergehens. Sie ist richtungsweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich zum einen nach Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtverstöße und Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale), zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte, insbesondere nach der Höhe des entstandenen Schadens (vgl. BayVGH, U.v. 25.10.2016 – 16b D 14.2351 – juris Rn. 73).
Bei mehreren Verfehlungen ist die schwerwiegendste maßgeblich (BayVGH, U.v. 25.10.2016 – 16b D 14.2351 – juris Rn. 74). Dies ist hier der Betrug in acht tatmehrheitlichen Fällen, der mit Strafbefehl des Amtsgerichts Augsburg vom 14. Oktober 2018 strafrechtlich geahndet wurde.
Zur konkreten Bestimmung der disziplinaren Maßnahmebemessung ist auch bei einem innerdienstlichen Dienstvergehen in einer ersten Stufe auf den Strafrahmen zurückzugreifen, weil der Gesetzgeber mit der Strafandrohung seine Einschätzung zum Unwert des Verhaltens verbindlich zum Ausdruck gebracht hat (BVerwG, B.v. 5.7.2016 – 2 B 24.16 – juris Ls. und Rn. 15). Für die disziplinarrechtliche Ahndung einer innerdienstlichen Straftat mit einem Strafrahmen von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe reicht der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 20; BayVGH, U.v. 5.10.2016 – 16a D 14.2285 – juris Rn. 59). Damit ist hier im Hinblick auf den nach § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 StGB eröffneten Strafrahmen von bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe der Orientierungsrahmen bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis eröffnet. Ein besonders schwerer Fall liegt vor, weil der Beklagte seine Befugnisse als Amtsträger missbraucht hat. Bei seiner strafrechtlichen Wertung ist das Gericht nicht an den Schuldspruch im Strafbefehl gebunden, weil insoweit keine Bindungswirkung besteht. Ohnehin würde nichts anderes gelten, wenn man lediglich auf den Strafrahmen des (einfachen) Betrugs abstellt, für den § 263 Abs. 1 StGB eine Strafandrohung von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe vorsieht.
Bei dem vorliegenden innerdienstlichen Dienstvergehen kommt dem ausgeurteilten Strafmaß keine indizielle Bedeutung zu (BVerwG, B.v. 5.7.2016 – 2 B 24.16 – juris Ls.). Unabhängig davon hat das Amtsgericht Augsburg den Beklagten zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt.
Die konkrete Betrachtung der Tat ergibt, dass der Beklagte im Zeitraum von August 2015 bis September 2017 und damit für die Dauer von rund zwei Jahren acht einzelne Betrugstaten begangen und dem Markt … damit einen Schaden in Höhe von rund 12.000 € zugefügt hat. Der Beklagte hat es in dieser Zeit unterlassen, die von den Eltern erhaltenen Zahlungen an den Markt abzuführen. Ihm war dabei klar, dass das von ihm praktizierte Abrechnungssystem, das auf der Bezahlung nicht lernmittelfreier Lernmittel einerseits durch den Markt …, andererseits durch die Eltern basierte, zu Doppelzahlungen führte, die er nur durch Erstattung der von den Eltern erhaltenen Beträge an den Markt ausgleichen hätte können. Dennoch hat er sehenden Auges ein Abrechnungssystem praktiziert, bei dem die eindeutige Zuordnung der Zahlungen der Eltern als Bezahlung der lernmittelfreien Bücher nur äußerst schwierig oder gänzlich unmöglich war, weshalb die Erstattungen an den Markt letztlich unterblieben, was ihm klar war und ihm überdies durch jede weitere Rechnungstellung an den Markt für lernmittelfreie Bücher wieder ins Gedächtnis gerufen wurde. Durch dieses Vorgehen hat er sich selbst als Rektor und auch der Grundschule … einen finanziellen Freiraum verschafft und dabei seine Stellung als Schulleiter missbraucht. Danach bildet vorliegend die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis den Ausgangspunkt der disziplinarrechtlichen Maßnahmezumessung.
Zu den Betrugstaten kommen die weiteren unter 2.1. bis 2.3. und 2.5. dargestellten Taten. Der Beklagte hat in den Schuljahren 2015/16 und 2016/17 23 Lehrerstunden zweckwidrig verwendet. Er hat im Schuljahr 2016/17 dem Schulamt für fünf Lehrkräfte eine vom tatsächlich durchgeführten Unterricht abweichende Version von deren Stundenplänen vorgelegt und dabei zwei Lehrkräfte unter Druck gesetzt, die fingierten Versionen ihrer Stundenpläne zu unterschreiben. Weiter war er an acht Freitagen zwischen September und November 2016 sowie am Freitag, den 17. Juli 2017, ganztägig nicht und zudem an acht Schultagen im Mai und Juni 2017 nicht bis zum Ende der Hauptunterrichtszeit in der Grundschule anwesend. Zudem hat er im Schuljahr 2017/18 ein Konto für die Grundschule bei der VR-Bank und eine Bargeldkasse geführt, über die er 27 Ausgaben in Höhe von 4713,78 € getätigt bzw. überwiesen hat, ohne dass ausreichende Nachweise hierfür vorlagen. Ein hohes disziplinarisches Gewicht kommt dabei der zweckwidrigen Verwendung der zugewiesenen Schulstunden sowie den unrichtigen Angaben gegenüber dem Schulamt zu, weil diese „Tricksereien“ auf eine bewusste und gewollte Täuschung der übergeordneten Behörde abzielten. Dem Beklagten war dabei bereits aufgrund des am 1. Dezember 2015 gegen ihn ausgesprochenen Verweises die Unzulässigkeit und Disziplinarwürdigkeit seines Handelns klar. Zu seinen Lasten ist dabei seine Stellung als Schulleiter zu berücksichtigen, die mit besonderem Ansehen und einer besonderen Vorbildfunktion verbunden ist, denen er mit seinem Verhalten nicht gerecht wurde.
6. Die Ausschöpfung des Orientierungsrahmens kommt allerdings nur in Betracht, wenn der Beamte das für die Ausübung seines Amtes erforderliche Vertrauen endgültig verloren hat (Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG). Dies ist nach Auffassung des Gerichts nicht der Fall. Von der Höchstmaßnahme ist abzusehen, weil Milderungsgründe vorliegen, die insgesamt geeignet sind, das schwere Dienstvergehen des Beklagten als weniger gravierend erscheinen zu lassen.
Von der Höchstmaßnahme ist zugunsten einer weniger strengen Disziplinarmaßnahme abzusehen, wenn ein – ursprünglich vom Bundesverwaltungsgericht zu den Zugriffsdelikten entwickelter – sog. „anerkannter“ Milderungsgrund vorliegt. Die Milderungsgründe erfassen typisierend Beweggründe oder Verhaltensweisen des Beamten, die regelmäßig Anlass für eine noch positive Persönlichkeitsprognose geben. Zum einen tragen sie existenziellen Notlagen sowie körperlichen und psychischen Ausnahmesituationen – auch einer etwa verminderten Schuldfähigkeit – Rechnung, in denen ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet werden kann. Zum anderen erfassen sie ein tätiges Abrücken von der Tat, insbesondere durch die freiwillige Wiedergutmachung des Schadens oder die Offenbarung des Fehlverhaltens jeweils vor drohender Entdeckung (BayVGH, U.v. 28.9.2016 – 16a D 13.2112 – juris Rn. 56; U.v. 29.6.2016 – 16b D 13.993 – juris Rn. 44).
Diese Milderungsgründe stellen jedoch keinen abschließenden Kanon der bei Dienstvergehen berücksichtigungsfähigen Entlastungsgründe dar. Bei der prognostischen Frage, ob gegenüber einem Beamten aufgrund eines schweren Dienstvergehens ein endgültiger Vertrauensverlust eingetreten ist, gehören zur Prognosebasis außerdem alle für diese Einschätzung bedeutsamen be- und entlastenden Ermessensgesichtspunkte, die in eine Gesamtwürdigung einzubeziehen sind. Selbst wenn keiner der vorrangig zu prüfenden anerkannten Milderungsgründe vorliegt, können entlastende Umstände gegeben sein, deren Gewicht in ihrer Gesamtheit dem Gewicht anerkannter Milderungsgründe vergleichbar ist. Entlastungsmomente können sich dabei aus allen denkbaren Umständen ergeben. Solche Umstände können das Absehen von der disziplinarischen Höchstmaßnahme rechtfertigen, wenn sie in ihrer Gesamtheit das Gewicht eines anerkannten Milderungsgrundes aufweisen. Entlastungsgründe sind nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ bereits dann einzubeziehen, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen sprechen (vgl. BayVGH, U.v. 28.9.2016 – 16a D 13.2112 – juris Rn. 57; U.v. 29.6.2016 – 16b D 13.993 – juris Rn. 45).
6.1. Als mildernder Umstand ist die gesundheitliche, private und berufliche Belastungs- und Überforderungssituation des Beklagten im Tatzeitraum anzuführen. Er litt nachgewiesenermaßen an diversen Erkrankungen, insbesondere an einem Herzleiden und Epilepsie, auf die die Zuerkennung eines GdB von 40 v.H. gestützt wurde (vgl. DA S. 440) und die mehrmals zu mehrwöchigen Erkrankungen führten. Daneben war er durch Pflegeleistungen für Angehörige stark belastet. Infolge dieser eingeschränkten Leistungsfähigkeit führten insbesondere der Ausfall der langjährigen Schulsekretärin Frau F. mit der nur teilweisen Nachbesetzung der Stelle, der Ruhestand der bisherigen Konrektorin zum 31. Juli 2016 und der Antritt einer neuen Konrektorin im Schuljahr 2016/17, Baumaßnahmen in der Schule sowie der Ausfall mehrerer Lehrkräfte zu einer Überforderung durch das Amt des Schulleiters mit den damit verbundenen Verwaltungs- und Führungsaufgaben.
6.2. Der Beklagte hat zudem ein äußerst anerkennenswertes Nachtatverhalten gezeigt. Er hat den entstandenen Schaden in Höhe von knapp 12.000 € zeitnah und vollumfänglich aus seinem Privatvermögen an den Markt … erstattet. Zudem war er im Straf- und Disziplinarverfahren kooperativ und vollumfänglich geständig. Er war außerdem bereits aufgrund des Ausspruchs des Amtsgerichts Augsburg mit einer Geldauflage in Höhe von 6000 € belastet. Überdies hat er mehrfach seine Reue und sein Bedauern über seine Taten zum Ausdruck gebracht.
6.3. Weiter ist mildernd zu berücksichtigen, dass die schwerwiegendste Tat des Beklagten nicht in der Absicht erfolgte, sich selbst zu bereichern. Er hat die Doppelzahlungen durch den Markt … einerseits und die Eltern andererseits nicht dem Schulkonto entnommen und für eigene Zwecke verwendet. Vielmehr war die doppelte Veranschlagung der Beträge im Wesentlichen seiner Überforderung geschuldet und verblieb das Geld auf dem Schulkonto. Das Fehlen materiell-egoistischer Motive ist bei der Bemessung einer Disziplinarmaßnahme zu Gunsten des Beamten zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, B.v. 2.5.2017 – 2 B 21.16 – juris Rn. 13; BayVGH, U.v. 13.3.2019 – 16a D 17.908 – juris Rn. 33).
6.4. Der Beklagte blickt zudem auf eine beanstandungsfreie Dienstzeit von über 30 Jahren zurück, gerechnet von seinem Dienstbeginn im Jahr 1974 bis zum Jahr 2014, in dem die mit dem Verweis vom 1. Dezember 2015 geahndeten Taten begannen. Während dieses beträchtlichen Zeitraums zeigte er gute dienstliche Leistungen, wie sich an den Beurteilungen in den Jahren 2006, 2010 und 2015 zeigt, die auf das Gesamtergebnis „UB“ lauten. Überdies ist er strafrechtlich nicht vorgeahndet.
7. Insgesamt kommt das Gericht bei der Gesamtabwägung zu dem Ergebnis, dass die eingetretene Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG noch nicht als vollständig oder so schwerwiegend anzusehen ist, dass sie die Höchstmaßnahme in Form einer Aberkennung des Ruhegehalts erfordern würde. Dies gilt trotz des Umstands, dass der Beklagte als Schulleiter besonderes Vertrauen für sich in Anspruch genommen und dieses mit seinen Taten verletzt hat. Die nicht eigennützige Tatbegehung aufgrund seiner Überforderungssituation in Kombination mit dem Umstand, dass der Markt … ihm die Tatbegehung sehr leicht gemacht hat, was sich aus der Aussage des Zeugen L. in der mündlichen Verhandlung ergibt, lassen den eingetretenen Vertrauensverlust nicht als so gravierend erscheinen, dass die disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme ausgesprochen werden müsste.
Damit ist gegen den Beklagten als Ruhestandsbeamten die Kürzung des Ruhegehalts auszusprechen, die nach Art. 12 Satz 1 BayDG für die Dauer von maximal fünf Jahren zulässig ist. Dabei übt das Gericht das ihm zustehende Ermessen dahin aus, dass die Kürzungsdauer auf 54 Monate festgelegt wird. Die das Dienstvergehen bildenden Verfehlungen liegen leicht unter der Grenze zur nächstschärferen alternativen Maßnahme der Aberkennung des Ruhegehalts, so dass die Kürzungsdauer von 54 Monaten als angemessen, aber auch erforderlich erscheint. Dieser zeitliche Rahmen entspricht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und berücksichtig alle angesprochenen be- und entlastenden Umstände. Der Kürzungsbruchteil war auf 1/10 festzusetzen (BVerwG, U.v. 21.3.2001 – 1 D 29.00 – juris Rn. 19 bis 21).
8. Das Maßnahmeverbot des Art. 15 Abs. 1 Nr. 2 BayDG steht der Kürzung der Dienstbezüge nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift darf, wenn gegen einen Beamten im Straf- oder Bußgeldverfahren unter anderem unanfechtbar eine Strafe, Geldbuße oder Ordnungsmaßnahme verhängt worden ist, wegen desselben Sachverhalts eine Kürzung der Dienstbezüge nur ausgesprochen werden, wenn dies zusätzlich erforderlich ist, um den Beamten zur Pflichterfüllung anzuhalten oder das Ansehen des Berufsbeamtentums zu wahren. Hier erscheint eine Kürzung des Ruhegehalts erforderlich, um das Ansehen des Berufsbeamtentums zu wahren, weil der Beklagte als Schulleiter mit den acht Betrugstaten eine Straftat von erheblichem Gewicht begangen hat. Es erschiene nicht nachvollziehbar, wenn er hierfür nicht disziplinarrechtlich zur Verantwortung gezogen würde.
Die Kostenentscheidung folgt aus Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayDG. Da gegen den Beklagten im Verfahren der Disziplinarklage eine Disziplinarmaßnahme ausgesprochen wurde, trägt er die Kosten des Verfahrens.


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