Arbeitsrecht

Berechnung der Geldleistung für Kindertagespflege

Aktenzeichen  M 18 K 16.6024

Datum:
20.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 27202
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VIII § 23 Abs. 2, Abs. 2a S. 1
BayKiBiG Art. 20
AVBayKiBiG § 18
VwGO § 43

 

Leitsatz

1. Hinsichtlich der Festlegung des Betrages zur Anerkennung der Förderleistung der Tagespflegeperson nach § 23 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 2a SGB VIII steht dem öffentlichen Träger der Jugendhilfe ein weiter Beurteilungsspielraum zu (BVerwG BeckRS 2018, 6384). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die laufende Geldleistung muss nach § 23 Abs. 2 SGB VIII zwingend in die dort im Einzelnen aufgeführten Bestandteile (Sachaufwand, Förderleistung, Zuschüsse zur Renten- und Unfallversicherung, Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung) differenziert werden (vgl. VG München BeckRS 2016, 48492). (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage, die das Recht der Tagesmutter, privatrechtliche Zuzahlungen mit den Eltern der von ihr betreuten Kinder zu vereinbaren, einschränken könnte, ist nicht ersichtlich. Das Gericht hält insoweit an seiner im vergleichbaren Fall geäußerten Rechtsauffassung im Verfahren M 18 K 14.3472 (BeckRS 2016, 48492) fest und macht sich diese Ausführungen weiter zu eigen. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Beklagte wird verpflichtet, den Antrag der Klägerin auf laufende Geldleistung für die Betreuung des Kindes … … vom 16. März 2015 bis 29. April 2015 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
II. Es wird festgestellt, dass die Klägerin ohne Einschränkung der Förderleistung nach §§ 22 ff. SGB VIII berechtigt ist, von den Eltern der von ihr betreuten Tagespflegekinder mittels privat-rechtlicher Vereinbarungen Zuzahlungen zu verlangen.
III. Der Beklagte hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
Der Klägerin steht sowohl der geltend gemachte Verbescheidungsanspruch (§ 113 Abs. 5 S.1 VwGO), als auch der Anspruch auf Feststellung der Zulässigkeit von Zuzahlungen zu (§ 43 VwGO).
1. Der Klägerin steht weiterhin ein Anspruch auf Verbescheidung ihres Anspruchs auf laufende Geldleistung für das Kind N. zu. Auch der in das Verfahren eingeführte Bescheid vom 12. Juni 2018 erfüllte den Anspruch der Klägerin nicht.
Der Beklagte hat den ihm zukommenden Beurteilungsspielraum bei der Festlegung der laufenden Geldleistung nach § 23 Abs. 2 SGB VIII nicht hinreichend erkannt und ausgefüllt. Hinsichtlich der Festlegung des Betrages zur Anerkennung der Förderleistung der Tagespflegeperson nach § 23 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 2a SGB VIII steht dem öffentlichen Träger der Jugendhilfe ein weiter Beurteilungsspielraum zu (BVerwG, U.v. 25.1.2018 – 5 C 18/16 – juris Rn. 10). Demzufolge haben die Träger der öffentlichen Jugendhilfe abschließend zu entscheiden, wie sie den Anerkennungsbetrag errechnen und welche Höhe er hat. Die gerichtliche Kontrolle der Höhe des Anerkennungsbetrages ist auf das in Fällen eines Beurteilungsspielraumes anerkannte Prüfprogramm beschränkt. Demnach ist von dem Gericht nur zu prüfen, ob die Träger der öffentlichen Jugendhilfe bei der Bestimmung der Leistungshöhe gegen Verfahrensvorschriften verstoßen haben, von einem unvollständigen oder unrichtigen Sachverhalt ausgegangen sind, die anzuwendenden Begriffe oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen können, verkannt, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde und damit willkürliche Erwägungen angestellt haben (st. Rspr.; BVerwG, a.a.O. – juris Rn. 21 m.w.N.).
Die Höhe der laufenden Geldleistung wird nach § 23 Abs. 2a Satz 1 SGB VIII vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe festgelegt. Zuständiges Organ für die Festsetzung der Höhe der Förderleistung nach § 23 Abs. 2 SGB VIII ist beim Beklagten der Jugendhilfeausschuss. Nach § 5 Abs. 4 Nr. 6 der Satzung für das Jugendamt des Beklagten vom 19. Mai 2008 nimmt der Jugendhilfeausschuss die Förderung der Träger der freien Jugendhilfe als Aufgabe wahr. Der Jugendhilfeausschuss kann hierfür Förderungssätze oder Richtlinien beschließen. Zu den Geschäften der Verwaltung des Jugendamtes gehören nach § 2 Abs. 3 der Satzung alle Verwaltungsgeschäfte, die regelmäßig oder wiederholt anfallen und nach vorgegebenen Regelungen und Grundsätzen zu behandeln sind, sofern ihnen nicht aufgrund ihrer politischen, finanziellen oder strukturellen Auswirkungen eine grundsätzliche Bedeutung zukommt. Aufgrund der erheblichen finanziellen und wirtschaftlichen Bedeutung der Festlegung von Pflegesätzen für die Tagespflegepersonen ist damit eine Organzuständigkeit des Jugendhilfeausschusses gegeben.
Der vorgelegte Beschluss des Jugendhilfeausschusses in seiner Sitzung vom 4. Juli 2013, auf dem auch der Bescheid vom 12. Juni 2018 noch beruht, genügt nicht den gerichtlich überprüfbaren Anforderungen an die Ausfüllung eines Beurteilungsspielraumes. Aus den vorgelegten Unterlagen ergibt sich in Zusammenschau mit den Aussagen der zuständigen Mitarbeiterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung, dass der Jugendhilfeausschuss die Beschlussvorlage der Verwaltung ohne weitere Diskussion oder Abwägung einstimmig annahm. Die Beschlussvorlage selbst führt jedoch die im Rahmen der Entscheidung zu beachtenden Kriterien nicht hinreichend genug aus.
Die laufende Geldleistung muss nach § 23 Abs. 2 SGB VIII zwingend in die dort im Einzelnen aufgeführten Bestandteile (Sachaufwand, Förderleistung, Zuschüsse zur Renten- und Unfallversicherung, Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung) differenziert werden (vgl. VG München, U.v. 24.2.2016 – M 18 K 14.3472 – juris Rn. 44 mwN). Aus der Beschlussvorlage vom 5. Juli 2013 ergibt sich jedoch eine solche Differenzierung in die verschiedenen Entgeltbestandteile nach § 23 Abs. 2 SGB VIII nicht. Die nachträglich rein verwaltungsintern durch das Schreiben des Jugendamts vom 12. Dezember 2014 erfolgte Aufteilung in die verschiedenen Leistungsbestandteile reicht wegen der fehlenden Organkompetenz der Verwaltung nicht aus, um den Beurteilungsspielraum des Jugendhilfeausschusses insofern nachträglich auszufüllen.
Auch eine sachgerechte Abwägung der Leistungsgerechtigkeit nach den Kriterien des § 23 Abs. 2a SGB VIII erfolgte nicht durch den zuständigen Jugendhilfeausschuss in seiner Sitzung vom 4. Juli 2013. Wie aus dem Protokoll und den Angaben der Beklagtenvertreter ersichtlich ist, gab es keine Wortmeldungen, sondern eine einstimmige Beschlussannahme. Die vom Beklagten vorgelegte Beschlussvorlage, ist nicht klar genug aufgebaut, um anzunehmen, dass der Jugendhilfeausschuss seinen Beurteilungsspielraum durch einstimmige Annahme der Vorlage ohne Wortmeldungen auf dieser Grundlage hat ausfüllen können. So konnte auch das Gericht erst durch eine eingehende Nachbefragung der Mitarbeiterin des Beklagten im Rahmen der mündlichen Verhandlung klären, wie die konkrete Berechnung der dort genannten Beträge erfolgte und warum die Monatspauschale gerade in dieser Höhe gewählt wurde. Der Beklagte muss sich jedoch zur Ausübung seines Beurteilungsspielraums über den Inhalt des Begriffs des Anerkennungsbetrags, insbesondere seinem Entgeltcharakters, bewusst sein (vgl. BVwerG, a.a.O.).
Zudem konnte aufgrund der fehlenden Differenzierung der verschiedenen Entgeltbestandteile über die Angemessenheit der Höhe der Sachaufwandspauschale nach § 23 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII nicht sachgerecht entschieden werden.
Bei einer erneuten Beschlussfassung des Jugendhilfeausschusses wird zu beachten sein, dass eine angemessene Dynamisierung der im Jahr 2013 als angemessen gesehene Sachaufwandspauschale bzw. Förderleistung erforderlich sein wird. Nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist es entgegen der Annahmen der Klägerin noch sachgerecht, wenn der Anerkennungsbetrag nach § 23 Abs. 2 Nr. 2 SGB VIII bei Anlegung einer 40-stündigen Betreuung von fünf Kindern in der Woche noch nicht einer Vollvergütung zur Sicherung des Lebensunterhalts der Tagespflegeperson genügt. Die Zielsetzung des Gesetzgebers, aus dem Beruf der Tagespflegeperson mittelfristig einen am Markt anerkannten Beruf, mit dem man seinen Lebensunterhalt vollumfänglich bestreiten könne, zu machen, ist zeiträumlich bis jetzt noch nicht voll umzusetzen (BVerwG, a.a.O. – juris Rn. 13 ff., insbesondere Rn. 19). Daher steht dem Beklagten (noch) die Wahl einer noch nicht vollständig leistungsgerechten Vergütung im Rahmen des § 23 Abs. 2 Ziff. 2 SGB VIII zu. Allerdings hat er den Vergütungsaspekt entsprechend zu erkennen und zu würdigen, sowie hierbei auch die örtlichen Gegebenheiten als ein Kriterium nach § 23 Abs. 2a SGB VIII einzustellen – auch wenn von dem Beklagten keine zwingende Einheitlichkeit mit anderen, an das Gebiet des Beklagten angrenzende Landkreise bzw. Gebietskörperschaften herbeigeführt werden muss.
Die bisher von dem Beklagten gewählte Anknüpfung an die – wohl in der Höhe willkürlich gegriffene – staatliche Refinanzierung (so auch die Empfehlungen des Bayerischen Landkreis- und Städtetages bis 2017) ist unzulässig. Das Gericht verweist insoweit auf das rechtskräftige Urteil der Kammer vom 24. Februar 2016 (M 18 K 14.3472). Eine Anknüpfung an die Vergütung von Erzieherinnen nach TVöD hat das Bundesverwaltungsgericht hingegen nicht beanstandet (BVerwG, U.v. 25.1.2018 – 5 C 18/16 – juris Rn. 35).
Daneben wird zu berücksichtigen sein, dass die Tagespflegeperson neben den reinen Betreuungszeiten weitere notwendige Arbeitszeiten (z.B. Hygieneherstellung, Elterngespräche, Dokumentationen, usw.) hat, welche bei Selbstständigen regelmäßig für die Ermittlung der Stundenvergütung in Ansatz gebracht werden. Inwieweit dies derzeit tatsächlich auf die Höhe des festgesetzten Anerkennungsbetrag Einfluss nimmt, unterfällt (zumindest derzeit noch) dem weiten Beurteilungsspielraum des Beklagten.
Der Qualifizierungszuschlag nach § 18 Satz 1 AVBayKiBiG ist nach Rechtsauffassung des Gerichts nicht in das Kriterium der Leistungsgerechtigkeit des Anerkennungsbetrages nach § 23 Abs. 2 Nr. 2 SGB VIII miteinzubeziehen. Dies ergibt sich aus der unterschiedlichen Zielsetzung der beiden Vergütungsbestandteile sowie der Berechnungsgrundlage des § 18 Satz 1 AVBayKiBiG, der 10% auf eine bereits bestehende leistungsgerechte Vergütung aus § 23 Abs. 2 Ziffer 2 SGB VIII aufschlägt (a.A. VG Würzburg, U.v. 2.7.2015 – W 3 K 14.648 – juris Rn. 76).
Die Beklagte hat ihren Beurteilungsspielraum sachgerecht auszuüben und darauf beruhend neu über den Anspruch der Klägerin zu entscheiden.
2. Auch die Feststellungsanträge der Klägerin sind zulässig und begründet.
Aufgrund der Einheitlichkeit der Entscheidung wurden diese im Tenor zusammengefasst.
Die Klägerin hat ein Feststellungsinteresse nach § 43 Abs. 1 VwGO. Der Beklagte gab zwar zunächst an, keinen Verzicht auf Zuzahlungen von den Tagespflegepersonen mehr zu verlangen. Allerdings ergibt sich aus § 3 Abs. 5 der Satzung über die Förderung in qualifizierter Tagespflege des Beklagten vom 22. Februar 2018, dass Zuzahlungsvereinbarungen von Tagesmüttern grundsätzlich verboten sind. Nur ausnahmsweise könnten Zuzahlungen erfolgen, wenn bestimmte Voraussetzungen, die sich aus § 3 Abs. 5 Satz 2 der Satzung ergeben, erfüllt seien. Mithin vertritt der Beklagte offiziell in seiner aktuell maßgeblichen Satzung diese Rechtsauffassung. Eine bloß faktische Nichtdurchsetzung dieser Zuzahlungsverbote hebt das Interesse an der grundlegenden Feststellung der Rechte der Klägerin nicht auf.
Eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage, die das Rechts der Tagesmutter, privatrechtliche Zuzahlungen mit den Eltern der von ihr betreuten Kinder zu vereinbaren, einschränken könnte, ist nicht ersichtlich. Das Gericht hält insoweit an seiner im vergleichbaren Fall geäußerten Rechtsauffassung im Verfahren M 18 K 14.3472 (rechtskräftiges U.v. 24.2.2016 – juris Rn. 62ff m.w.N.) fest und macht sich diese Ausführungen weiter zu eigen. Auch die aktuelle Satzung des Beklagten, die am 23. März 2018 bekanntgemacht wurde, stellt keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für einen solchen Eingriffs dar.
Im Übrigen erscheint es dem Gericht auch nicht sachgerecht, einerseits anzunehmen, dass eine Vollvergütung von Tagespflegepersonen durch die jeweiligen Landkreise (noch) nicht gegeben sein müsse, andererseits den Tagespflegepersonen jedoch aufgrund systemischer (vor allem Refinanzierungs-)Argumente der Landkreise den Abschluss von Zuzahlungsvereinbarungen mit den Eltern verbieten zu wollen. Diese Annahme widerspricht der Intention des Gesetzes, mehr Tagespflegestellen zu schaffen und die Tagespflege mittelfristig zu einem vollwertigen Beruf aufzuwerten (a.A. VG Würzburg, U.v. 2.7.2015 – W 3 K 14.648 – juris Rn. 108ff.). Die theoretische Möglichkeit, ohne staatliche Förderung allein auf Grundlage eines privatrechtlichen Vertrages mit den Kindeseltern ein Tagespflegeverhältnis zu finanzieren, erscheint praktisch aufgrund der dann ausschließlich von den Eltern zu tragenden hohen Kosten kaum vorstellbar.
Der Einwand des Beklagten, dass aufgrund der Systematik der die Refinanzierung der Jugendhilfeträger deckelnden Regelung des Art. 20 Ziff. 3 BayKiBiG privatrechtliche Vereinbarung von Zuzahlungen zwischen Tagespflegepersonen und Eltern unzulässig seien, geht fehl. Die Regelung des Art. 20 Ziff. 3 BayKiBiG betrifft ausschließlich die Refinanzierung des Beklagten und stellt ebenfalls keine gesetzliche Eingriffsgrundlage in die Berufsausübungs- und Vertragsfreiheit der Tagespflegeperson dar. Im Übrigen dürfte auch das Erfordernis einer Zuzahlung entfallen, sofern die laufenden Geldleistungen entsprechend angemessen durch den Beklagten angesetzt werden. In Folge dessen dürfte auch dem Beklagten eine gesicherte Refinanzierung zur Verfügung stehen.
Der Klage war somit vollumfänglich stattzugeben.
Die Kostenverteilung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Regelungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeben sich aus § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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