Arbeitsrecht

Coronavirus, SARS-CoV-2, Rechtsanwaltskosten, Berufung, Vertragsschluss, Leistung, AGB, Erstattung, Interessenausgleich, Nutzung, Ermessen, Anspruch, Leistungserbringung, Anpassung, Auflagen, Zahlung, Kosten des Rechtsstreits, billigem Ermessen, sachlicher Grund

Aktenzeichen  1 C 412/20

Datum:
21.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 46808
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Obernburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 68,76 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 11.07.2020 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, außergerichtliche Rechtsanwaltskosten an die Klägerin in Höhe von 81,43 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 13.08.2020 zu zahlen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 1/3 und die Beklagte 2/3 zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
Die zulässige Klage ist begründet.
Die Klägerin kann nach §§ 275 Abs. 1, 326 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4, 346 BGB Rückzahlung der Mitgliedsbeiträge für den Zeitraum 16.03.2020 bis 07.06.2020 in Höhe von 68,76 fordern.
1. Die Leistung der Beklagten, nämlich das Zurverfügungstellen von Räumlichkeiten zum Trainieren war aufgrund der behördlichen Anordnung in der Zeit vom 16.03.2020 bis 07.06.2020 unmöglich im Sinn von § 275 BGB. Dabei ist nach dem eindeutigen Wortlaut des vorliegenden Vertrags Gegenstand der Verpflichtung der Beklagten, der Klägerin die Nutzung des Fitnessstudios für die Dauer von 12 Monaten zu gewähren. Gegenstand des Vertrages ist nicht die Möglichkeit zur Nutzung des Fitnessstudios an beliebigen Monaten, sondern für die Dauer von 12 aufeinanderfolgenden Monaten ab zunächst 01.09.2016 (vergleiche Anlage B2, Blatt 92 der Akte). Würde der Vertrag eine zeitlich unbestimmte Möglichkeit zur Nutzung des Fitnessstudios an nicht aufeinanderfolgenden Monaten zum Gegenstand haben, würde die Verlängerungsregelung keinen Sinn ergeben. In den AGB ist unter 4.1 geregelt, dass die monatlichen Mitgliedsbeiträge jeweils im Voraus am Monatsersten für den jeweiligen Kalendermonat (Teilleistungszeitraum) fällig werden, soweit vertraglich nichts anderes vereinbart ist. Sinn und Zweck des Mitgliedsvertrages ist eindeutig, dass das Mitglied für einen vorbestimmten Zeitraum (12 Monate) das Fitnessstudio nutzen kann. Mit dem Ablauf eines Monats während dem das Fitnessstudio aufgrund behördlicher Anordnungen geschlossen war, ist die Leistungsgewährung durch die Beklagte für diesen Monat unmöglich geworden. Die von der Beklagten geschuldete Leistung war eng verknüpft mit dem vereinbarten Leistungszeitpunkt und der Leistungszeit.
Es liegt hier nicht nur ein vorübergehendes Leistungshindernis vor. Dies wäre nur dann der Fall, wenn ein Nachholen der Leistung tatsächlich möglich ist und auch das Gläubigerinteresse befriedigt (Landgericht Osnabrück, Urteil vom 9. Juli 2021, 2 S 35/21). Eine Möglichkeit zum Nachholen der Leistung ist hier zu verneinen. Die Beklagte hat ihre Leistung in jedem Monat neu zu erbringen, sodass innerhalb der Vertragslaufzeit kein Raum für die Nachholbarkeit einer versäumten Trainingszeit besteht. Der Zweck eines Fitnessstudiovertrags ist auf regelmäßige sportliche Betätigung und entweder die Erreichung bestimmter Fitnessziele oder zumindest die Erhaltung von Fitness und körperlicher Gesundheit gerichtet. Eine Nachholung der Leistung der Beklagten kommt daher für den jeweiligen Zeitraum nicht in Betracht (Landgericht Freiburg, Urteil vom 27. April 2021, 9 S 41/20). Für Mitglieder eines Fitnessstudios ist gerade die regelmäßige und ganzjährige Nutzbarkeit des Studios von entscheidender Bedeutung. Eine verspätete Leistung, möglicherweise mehrere Monate später, stellt daher keine Erfüllung mehr dar und eine Nachholbarkeit ist zu verneinen. Dies ist für Dauerschuldverhältnissen charakteristisch. Auch im Mietrecht kann die Gewährung der Nutzung für einen bestimmten Monat nicht nachgeholt werden. Ein Vertrag über die Nutzung eines Fitnessstudios enthält mietvertragliche Anteile.
Im Übrigen ist festzustellen, dass jedenfalls im vorliegenden Fall nicht angenommen werden kann, dass eine Nachholung aufgrund der von der Klägerin ausgesprochenen Kündigung zum 31.08.2020 noch ihrem Interesse entspricht.
Der Gesetzgeber ist bei der Einführung von Art. 240 § 5 Abs. 2 EGBGB auch eindeutig davon ausgegangen, dass die Nutzer von Sportstudios von ihrer Leistungspflicht frei sind, wenn das Sportstudio aufgrund behördlicher Auflagen geschlossen ist. In der Formulierungshilfe der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Milderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Veranstaltungsvertragsrecht ist ausgeführt:
Die Inhaber von Eintrittskarten werden die Erstattung des Eintrittspreises verlangen. Hierzu sind sie nach der geltenden Rechtslage auch berechtigt, da Veranstalter die ihrerseits geschuldete Leistung, nämlich die Durchführung der Veranstaltung im angekündigten Rahmen und zu der angekündigten Zeit aufgrund öffentlich-rechtlicher Verbote nicht erbringen können und die Leistung demnach unmöglich geworden ist (§§ 275, 326 Abs. 1, 4 in Verbindung mit § 346 Abs. 1 BGB). Eine vergleichbare Situation besteht für die Betreiber von Freizeiteinrichtungen, Museen, Freizeitparks, Schwimmbäder oder Sportstudios.
Die Klägerin ist daher von der Pflicht zur Zahlung der Mitgliedsbeiträge für den Zeitraum 16.03.2020 bis 07.06.2020 freigeworden. Die Beklagte ist daher zur Rückzahlung des Mitgliedsbeitrages für diesen Zeitraum verpflichtet. Die Beklagte hat von der Möglichkeit des Art. 240 § 5 Abs. 2 EGBGB keinen Gebrauch gemacht. Für Betreiber von Freizeiteinrichtungen besteht keine Verpflichtung, anstelle der Erstattung des Eintrittspreises einen Gutschein auszugeben. Vielmehr haben Sie ein Wahlrecht, entweder eine finanzielle Erstattung vorzunehmen oder alternativ einen Gutschein zu übergeben (beck-online Grosskommentar, Art. 240 § 5 EGBGB, Rn. 29). Da die Beklagte keinen Gutschein ausgestellt hat, ist sie zur Erstattung des Mitgliedsbeitrages verpflichtet.
Die Höhe des Anspruchs auf Rückzahlung von Mitgliedsbeiträgen wurde von der Beklagten nicht bestritten.
2. Der Beklagten steht kein Zurückbehaltungsrecht gegen den Rückzahlungsanspruch der Klägerin zu. Die Beklagte hat nicht gemäß § 313 BGB einen Anspruch gegen die Klägerin auf Anpassung des Vertrags in der Weise, dass der Zeitraum der coronabedingten Schließung an das Ende der Vertragslaufzeit (ab 01.09.2020 bzw. ab einem Zeitpunkt, zu dem das Fitnessstudio nicht geschlossen war) angehängt wird.
a) Nach Ansicht des Amtsgerichts Obernburg kann sich die Beklagte nicht auf die den Wegfall der Geschäftsgrundlage regelnde Bestimmung des § 313 BGB berufen. Denn diese ist gegenüber den spezialgesetzlichen Regelungen zur Unmöglichkeit der Leistung grundsätzlich subsidiär (LG Freiburg, Urteil vom 27.04.2021, 9 S 41/20, Rn 38, zitiert nach beck-online; Amtsgericht Schöneberg, 13 C 99/20). Eine Anpassung vertraglicher Verpflichtungen an die tatsächlichen Umstände kommt nur dann in Betracht, wenn der durch Auslegung oder gegebenenfalls ergänzende Auslegung zu ermittelnde Vertragsinhalt Regeln für die eingetretene Leistungsstörung enthält. Nichts anderes gilt grundsätzlich, wenn das Gesetz in den Vorschriften über die Unmöglichkeit der Leistung die Folge der Vertragsstörung bestimmt (BGH Urteil vom 17.02.1995, VZR 267/93, Rn. 13, zitiert nach juris).
Soweit sich die Beklagte auf die Entscheidung des Landgerichts Würzburg vom 23.10.2020 (1HKO1250/20) stützt, folgt das Gericht dieser Entscheidung nicht. Das Landgericht Würzburg ist auf die Abgrenzung zur Unmöglichkeit überhaupt nicht eingegangen, obwohl sich die Frage einer rechtlichen Unmöglichkeit zur Leistungserbringung auf Seiten des Fitnessstudios aufgedrängt hat. Gleichfalls ist das Landgericht Würzburg auf die Regelung des Art. 240 § 5 Abs. 2 EGBGB nicht eingegangen.
Das Gericht schließt sich zur Frage der Anwendbarkeit von § 313 BGB den Ausführungen des Landgerichts Osnabrück im Urteil vom 09.07.2021 (2S 35/21) an. Das Landgericht Osnabrück hat ausgeführt:
Vorliegend liegt keine Störung der Geschäftsgrundlage vor, sondern eine Leistungsstörung, die vorrangig nach den allgemeinen Regeln des Leistungsstörungsrechts zu lösen ist. Die Beklagte verlangt de facto auch keine Anpassung des Vertrages, wenn sie die Auffassung vertritt, der Kläger könne die aufgrund der Schließung nicht wahrgenommenen Trainingszeiten an das Ende der Vertragslaufzeit „anhängen“. Die Beklagte verlangt damit vielmehr eine Anpassung der gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolge bei Unmöglichkeit im Synallagma, weil die vom Gesetz vorgesehene Rechtsfolge nach ihrer Auffassung zu einem wirtschaftlich unzumutbaren Ergebnis führt. Ein Rückgriff auf die Regeln des Wegfalls der Geschäftsgrundlage kommt aber nicht alleine deswegen in Betracht, weil die Anwendung des Leistungsstörungsrechts für die Beklagte ggf. zu einer wirtschaftlich nachteiligen Lösung führt (vgl. BGH, NJW-RR 1995, 854, Rn. 13, zit. n. juris). Vorliegend ist der Umstand, dass die Beklagte gem. §§ 346, 326 Abs. 4, 275 BGB ihren Anspruch auf die Gegenleistung verliert, auch nur deswegen ggf. unzumutbar für die Beklagte, weil sämtliche Vertragsverhältnisse der Beklagten mit Mitgliedern von der behördlich angeordneten Schließung betroffen sind und der Beklagten – soweit alle Mitglieder von ihrem Rückzahlungsanspruch Gebrauch machen bzw. die Zahlung der Beiträge verweigern – erhebliche Einnahmen verlustig gehen. Bezogen allein auf das Vertragsverhältnis mit dem Kläger stellt die Regelung des §§ 346, 326 Abs. 4, 275 BGB jedoch keinen – unzumutbaren – wirtschaftlichen Nachteil dar, sondern ist vielmehr Ausdruck des konditionellen Synallagmas, bei dem der Schuldner der wegen Unmöglichkeit nicht zu erbringenden Leistung die Vergütungsgefahr trägt (vgl. Palandt, BGB, 79. Aufl., § 326, Rn. 2). Die Anpassung eines Vertragsverhältnisses kann indes allenfalls dann verlangt werden, wenn das Festhalten an dem konkreten Vertrag für eine Partei unzumutbar ist, nicht jedoch, wenn sich die Unzumutbarkeit erst daraus ergibt, dass eine Vielzahl von Verträgen betroffen sind und insoweit erst die Summe der Verträge die (wirtschaftliche) Unzumutbarkeit begründen würde.
Dass für den vorliegenden Fall die Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht zur Anwendung gelangen (sollen), folgt im Ergebnis auch daraus, dass der Gesetzgeber mit Art. 240 § 5 EGBGB eine Regelung geschaffen hat, welche die Folgen der behördlich angeordneten Schließung für das Unternehmen abmildern soll. Die Regelung des Art. 240 § 5 EGBGB wurde ausdrücklich vor dem Hintergrund geschaffen, um den Veranstalter/Betreiber vor einem erheblichen (sofortigen) Liquiditätsabfluss zu schützen, der damit verbunden wäre, dass die Kunden/Mitglieder von dem ihnen gesetzlich zustehenden Rückzahlungsanspruch Gebrauch machen (vgl. Eibenstein, jurisPK-BGB, Art. 240 § 5 EGBGB, Rn. 4 – 7; BT-Drs. 19/18697, S. 5). Eine solche Regelung wäre nicht erforderlich gewesen, wenn die jeweiligen Verträge über die Regeln des Wegfalls der Geschäftsgrundlage problemlos hätten angepasst werden können. Sie würde im Übrigen obsolet, soweit der Veranstalter/Betreiber das Mitglied auf eine Vertragsanpassung verweisen könnte, anstatt dem Mitglied – wie gesetzlich vorgesehen – einen Gutschein anzubieten.
Gegen die Anwendung der Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage im vorliegenden Fall spricht auch die Regelung in Art. 240 § 7 EGBGB für (gewerbliche) Miet- und Pachtverträge. Bei diesen Verträgen sollen Einschränkungen infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie einen Umstand im Sinne des § 313 BGB darstellen. Eine entsprechende Regelung für Verträge wie den vorliegenden hat der Gesetzgeber indes nicht getroffen, so dass im Umkehrschluss gefolgert werden kann, dass Einschränkungen infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie bei Verträgen wie dem vorliegenden keinen Umstand im Sinne des § 313 BGB darstellen.
Der Gesetzgeber hat mit der Einführung von Art. 240 § 5 EGBGB eine Regelung für den Fall der Leistungsstörung infolge der Corona-Pandemie getroffen. Bei Art. 240 § 5 EGBGB handelt es sich um eine spezialgesetzliche Ausnahmeregelung zu § 326 Abs. 1, Abs. 4 BGB in Verbindung mit § 346 Abs. 1 BGB, die eine zeitlich befristete Surrogatslösung dahingehend enthält, dass nicht das geleistete Geld zurückzuerstatten ist, sondern stattdessen ein Gutschein als Surrogat ausgegeben werden kann (beck-online Grosskommentar, Art. 240 § 5 EGBGB, Rn. 18). Die Gutscheinlösung modifiziert in ihrem Anwendungsbereich die Rechtsfolgenbestimmung in § 326 Abs. 1, Abs. 4 BGB. Auf die Geschäftsgrundlagenlehre (§ 313 BGB) kann neben Art. 240 § 5 EGBGB nicht zurückgegriffen werden, soweit die wirtschaftliche Risikoverteilung in Hinsicht auf die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie mit der Gutscheinlösung eine abschließende Regelung gefunden hat (Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 240 § 5 EGBGB Rn. 43, zitiert nach beck-online)
Soweit die Beklagte vorgetragen hat, Art. 240 § 5 Abs. 2 EGBGB sei nicht anwendbar, da keine Vorleistungspflicht der Mitglieder des Fitnessstudios bestehe, ist diese Ansicht im Hinblick auf die von der Beklagten verwendeten Vertragsbedingungen absolut nicht nachvollziehbar. In der Anmeldung vom 20.08.2016 (Anlage B2, Blatt 92 der Akte) ist folgende Stempeleintragung vorhanden:
Sondervereinbarung-Angebotspreis! Mitgliedsbeitrag für das 1. Vertragsjahr 19,90 € bei monatlicher Vorauszahlungen.
In den AGB ist unter 4.1 geregelt, dass die monatlichen Mitgliedsbeiträge jeweils im Voraus am Monatsersten für den jeweiligen Kalendermonat (Teilleistungszeitraum) fällig werden, soweit vertraglich nichts anderes vereinbart ist. Die Beklagte hat unstreitig die Mitgliedsbeiträge für die Monate März bis Juni 2020 eingezogen, obwohl das Fitnessstudio teilweise geschlossen war. Dies zeigt überdeutlich, dass die Mitglieder nicht erst nach der tatsächlichen Nutzung des Fitnessstudios die Beiträge zahlen müssen, sondern, wie es vertraglich geregelt ist, jeweils im Voraus unabhängig von der Nutzung des Fitnessstudios. Es besteht eindeutig eine Vorauszahlungspflicht der Mitglieder und Art. 240 § 5 EGBGB ist daher anwendbar und geht daher einer Vertragsanpassung nach § 313 BGB vor. Abweichende Regelungen zulasten der Besucher sind nach der Intention des Gesetzes nicht möglich (Palandt, 80. Auflage, Art. 240 § 5 EGBGB, Rn 1). Der Betreiber einer Freizeiteinrichtung iSv Art. 240 § 5 Abs. 2 EGBGB kann die Nutzungsberechtigung nicht, auch nicht über Art. 240 § 5 Abs. 2 EGBGB, um die Zeit der Schließung verlängern. Vielmehr kann er einen (zeitanteiligen) Wertgutschein auszustellen (Eibenstein in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., Art. 240 § 5 EGBGB, Rn 64 (Stand: 19.11.2020)).
b) Selbst wenn § 313 Abs. 1 BGB anzuwenden sein sollte, könnte die Beklagte eine Vertragsanpassung gleichwohl nicht verlangen. Die Beklagte hat keinen Anspruch gegen die Klägerin auf eine entsprechende Verlängerung des Vertrags wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Die Voraussetzungen hierfür liegen nicht vor.
Gemäß § 313 Abs. 1 BGB liegt eine Störung der Geschäftsgrundlage vor, wenn sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben (reales Element) und die Parteien den Vertrag, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten (hypothetisches Element). Dann kann die Anpassung des Vertrages verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann (normatives Element). Geschäftsgrundlage bezeichnet nach ständiger Rechtsprechung die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobenen, bei Vertragsschluss aber zutage getretenen gemeinsamen Vorstellungen beider Vertragsparteien sowie die der einen Vertragspartei erkennbaren und von ihr nicht beanstandeten Vorstellungen der anderen vom Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf diese Vorstellungen aufbaut (BGH NJW 2012, 1718; 2016, 3100). Das Fehlen oder der Wegfall der Geschäftsgrundlage haben dabei grundsätzlich nicht die Auflösung des Vertrages, sondern die Anpassung seines Inhaltes an die veränderten Verhältnisse zur Folge. Das maßgebliche Kriterium für die Anpassung ist die Zumutbarkeit. Die Beurteilung der Zumutbarkeit erfordert eine umfassende Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles. Es ist ein optimaler Interessenausgleich bei einem möglichst geringen Eingriff in die ursprüngliche Regelung anzustreben. (vgl.: Grüneberg, in Palandt, BGB 78. Aufl. 2020, § 313 Rn. 40).
Die Corona-Pandemie hat Auswirkungen auf vielerlei Lebensbereiche und Vertragsverhältnisse. Die Parteien mögen bei Abschluss des Vertrages davon ausgegangen sein, dass das Fitnessstudio zu seinen gewöhnlichen bzw. vertraglich geregelten Öffnungszeiten von der Beklagten auch geöffnet werden darf (reales Element). Das Eintreten und die Auswirkungen der Corona-Pandemie konnten in ihrem Umfang auch so nicht vorhergesehen werden (hypothetisches Element). Es kann aber nicht als sicher angenommen werden, dass die Parteien, hätten sie die Möglichkeit einer pandemiebedingten Schließung des Fitnessstudios vorausgesehen, den Vertrag nicht oder mit einem anderen Inhalt abgeschlossen hätten (normatives Element). Dass die Klägerin sich nach Treu und Glauben auf einen anderen Vertragsinhalt eingelassen hätte und das Risiko einer Schließung des Studios mitgetragen hätte erscheint ebenso wenig realistisch, wie die Annahme, die Beklagte hätte in Kenntnis des Pandemie-Risikos diesen Vertrag so nicht geschlossen.
Es erscheint nicht denkbar, dass die Parteien sich dahingehend verständigt hätten, dass die Klägerin vorleistet und die Gegenleistung dann zu einem ungewissen Zeitpunkt erhält. Der Inhalt einer Vertragsanpassung kann dem Kunden nicht nachteiliger sein, als die Vertragsgestaltungsmacht des Verwenders von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, da diese den Mindeststandard an ausgewogenen Vereinbarungen definieren und das Verhältnis zwischen den Parteien ebenfalls im wesentlichen durch Allgemeine Geschäftsbedingungen geprägt ist. Die Vereinbarung einer Vorleistungspflicht ist gegenüber Verbrauchern in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nur dann wirksam, wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist, der auch bei der Abwägung mit den hierdurch für den Verbraucher entstehenden Nachteilen bestand hat, da sie der Grundkonzeption der §§ 320,322 BGB zuwiderläuft. Ein sachlicher Grund besteht für die laufenden Nutzungsabschnitte, da sonst der Beklagten das Zurückbehaltungsrecht verloren ginge und auch das Gesetz die Vorleistungspflicht für den laufenden Zeitabschnitt im Mietrecht kennt. Soweit die Beklagte eine existenzgefährdende Lage vorträgt kann dies die Vorleistung nicht rechtfertigen. Einerseits ist es nicht Aufgabe des Vertragspartners für die wirtschaftliche Existenz des Gegenübers Sorge zu tragen. Andererseits würden Vertragsparteien ungesicherte Vorleistungen bei möglicher Insolvenz mit Sicherheit nicht vereinbaren (Amtsgericht Schöneberg, Urteil vom 15.04.2021, 13 C 99/20).
Es erscheint auch nicht unzumutbar, der Beklagten das Risiko aufzubürden. Bekanntlich sind für die von den Coronamaßnahmen betroffenen Betriebe vielseitige und umfangreiche finanzielle staatliche Hilfen geschaffen worden, um hier Einbußen auszugleichen. Ein zusätzliches Bedürfnis für weitere Hilfen im Wege der Riskoüberbürdung auf den Verbraucher erscheint hier nicht ersichtlich. Dabei ist angesichts der inzwischen erneut coronabedingt angeordneten Schließung der Fitnessstudios auch nicht absehbar, wie lange und wie oft solche Schließungen noch erfolgen werden. Eine zeitlich ungewisse und evtl. sehr langfristige Vertragsverlängerung um solche Schließungszeiten erscheint aber dem Kunden nicht zumutbar und könnte letztlich auch zu einer Vertragsbindung über einen gesetzlich nicht zulässigen Zeitraum hinaus führen. Eine Vertragsbindung über mehr als 2 Jahre ist in AGB schon derzeit für bestimmte Dauerschuldverhältnisse wie hier nach § 309 Nr. 9 BGB gesetzlich nicht zulässig. Durch einen aktuell im Dezember 2020 von der Bundesregierung eingebrachten „Gesetzentwurf für faire Verbraucherverträge“ soll diese Vorschrift sogar noch weiter einschränkend verschärft werden (AG Papenburg, Urteil vom 18.12.2020, 3 C 337/20, bestätigt durch Urteil des LG Osnabrück vom 09.07.2021, 2 S 35/21).
Im Übrigen hat die Beklagte nicht substantiiert zu den Folgen der Schließung des Fitnessstudios vorgetragen. Sie hat insbesondere nicht substantiiert vorgetragen, welche staatlichen Hilfen sie in Anspruch genommen hat. Es wurde auch nicht vorgetragen, inwieweit Mitarbeiter Kurzarbeitergeld in Anspruch genommen haben. Die Beklagte hat weiter nicht vorgetragen, inwieweit sie auf Grundlage von Art. 240 § 7 EGBGB mit Vermietern eine Reduzierung der Mietkosten vereinbaren konnte oder ob es sich bei den Räumen des Fitnessstudios – wie in einem Fall im hiesigen Bezirk – um Räume handelt, die im Eigentum des Geschäftsführers bzw. einer seiner weiteren Firmen stehen.
Die Beklagte hat insbesondere nicht vorgetragen, inwieweit durch die Rückzahlung der von der Klägerin geforderten Mitgliedsbeiträge in Höhe von 68,76 € ihre wirtschaftliche Existenz gefährdet wäre. Die Frage der Zumutbarkeit einer Vertragsanpassung ist nur im Rahmen des konkreten Vertragsverhältnisses zu prüfen und nicht in Bezug auf eventuell andere Vertragsverhältnisse. Die Beklagte hat auch nicht vorgetragen, inwieweit andere Mitglieder die Gutscheinlösung akzeptiert haben oder einer Vertragsanpassung zugestimmt haben. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Schließung des Fitnessstudios infolge behördlicher Auflagen können daher nur anhand des streitgegenständlichen Vertrags geprüft werden. Es ist nicht ersichtlich, dass eine Rückzahlung von 68,76 € der Beklagten nicht zumutbar ist.
Die Voraussetzungen einer Vertragsanpassung liegen daher nach Ansicht des Gerichts nicht vor. Das Gericht folgt insoweit nicht den von Seiten der Beklagten vorgelegten Entscheidungen.
Die Entscheidung des Landgerichts Würzburg ist nicht in einem Verfahren ergangen, in dem es um die Erfüllung eines Vertrags für die Benutzung eines Fitnessstudios gegangen ist, sondern in einem UWG-Verfahren wegen behaupteter falscher Tatsachenbehauptungen im geschäftlichen Verkehr. Soweit das Landgericht Würzburg in dieser Entscheidung sich zur Frage des Anspruchs eines Fitnessstudiobetreibers auf Vertragsanpassung im Rahmen der Corona-Pandemie geäußert hat, waren die Ausführungen nicht streitentscheidend. Die Entscheidung des Landgerichts Würzburg ist auch in sich widersprüchlich. Zum einen wird angegeben, die Folgen der Corona-Pandemie könnte nicht allein einer Partei aufgebürdet werden. An anderer Stelle des Urteils äußert es dann, es hätte nicht gegen Treu und Glauben verstoßen, den sich aus der Verwirklichung des beide Parteien betreffenden Risikos der höheren Gewalt ergebenden Verlust allein den Kunden des Studiobetreibers aufzuerlegen. Dem Mitglied eines Fitnessstudios könnte während der Schließung infolge der Corona-Pandemie sogar die Zahlung des Beitrags zugemutet werden.
Dies widerspricht dem Willen des Gesetzgebers, der in Art. 240 § 5 EGBGB zum Ausdruck kommt. Das Landgericht Würzburg ist in seiner Entscheidung weder auf den Vorrang der Regelung in §§ 275, 326 BGB, noch auf die gesetzliche Regelung in Art. 240 § 5 EGBGB bei seiner Entscheidung zu einer Vertragsanpassung nach § 313 BGB eingegangen. Aus Art. 240 § 5 Abs. 2 EGBGB ergibt sich nach Ansicht des Amtsgerichts Obernburg, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, bei dem Ausfall einer Sport- oder sonstigen Freizeitveranstaltung bestehe keine Zahlungspflicht des Nutzungsberechtigten. Andernfalls wäre die Regelung, dass der Eintrittspreis zu erstatten ist oder ein Gutschein zu übergeben ist, nicht nachvollziehbar. Erkennbar soll der Nutzungsberechtigte nicht zur Zahlung ohne die Möglichkeit zur Nutzung der Freizeiteinrichtungen verpflichtet sein.
Das Amtsgericht Zeitz verweist zwar auch auf § 240 § 5 EGBGB, ist jedoch trotzdem der Ansicht, dass es dem Mitglied zumutbar sei, die Mitgliedsbeiträge auch während der Sperrzeit zu zahlen. Nach Ansicht des Amtsgerichts Obernburg kann gerade aus der Regelung des Art. 240 § 5 EGBGB eine Vorleistungspflicht des Kunden nicht entnommen werden. Der Nutzungsberechtigte, der seinen Beitrag bereits gezahlt hat, kann zwar nicht zwingend auf Rückerstattung des Beitrags bestehen, sondern kann vom Betreiber des Fitnessstudios auch einen Gutschein erhalten. Eine Vorleistungspflicht des Kunden für mehrere Monate in Form der Pflicht zur Weiterzahlung des Beitrags unter Gewährung von Gutscheinen für mehrere Monate kann der gesetzlichen Regelung aber nicht entnommen werden.
Die Entscheidung des Amtsgerichts Torgau, Zweigstelle Oschatz hat sich nur in 2 Sätzen mit der Auswirkung der Corona Pandemie auf Verträge über die Nutzung eines Fitnessstudios befasst. Es ging im Wesentlichen um eine am 15.10.2018 erklärte Kündigung. Somit eindeutig um eine Situation, die nichts mit der Corona-Pandemie zu tun hat. Die knappen Ausführungen zur Corona-Pandemie waren nicht streitentscheidend und wurden auch nicht begründet.
Soweit die Beklagte eine Vertragsanpassung mit möglichen Ruhezeitvereinbarungen begründen will, überzeugt dies nicht. Ruhezeitvereinbarungen beruhen auf Umständen, die aus der Risikosphäre des Mitglieds stammen, zum Beispiel Schwangerschaft, Krankheit, Umzug. Dies ist nicht vergleichbar mit der Schließung des Fitnessstudios aufgrund behördlicher Anordnung. Die Unmöglichkeit zur Nutzung des Fitnessstudios beruht in diesem Fall nicht auf Umständen, die aus der Risikosphäre des Mitglieds stammen. Wenn man mit der Beklagten davon ausgehen würde, dass eine hoheitlich angeordnete Schließung des Studios quasi eine „Erkrankung“ des Studios wäre, würde dies dazu führen, dass die Unmöglichkeit zur Leistungserbringung aus der Risikosphäre der Beklagten stammt und daher sie die Folgen der Unmöglichkeit der Leistungserbringung zu tragen hätte. Die Situation wäre vergleichbar mit dem Fall, dass eine Nutzung des Fitnessstudios aufgrund eines Gebäudeschadens nicht möglich ist. Wenn die Beklagte den Mitgliedern das Fitnessstudio nicht zur Verfügung stellen kann, sind diese von der Pflicht zur Zahlung der Mitgliedsbeiträge frei und es besteht kein Anlass eine Vertragsanpassung vorzunehmen, die nur im Interesse der Betreiberin erfolgen würde
c) Im vorliegenden Fall ist ferner zu berücksichtigen, dass die Klägerin das Vertragsverhältnis bereits im Juni 2019 und damit deutlich vor der Corona-Pandemie gekündigt hat und die Beklagte die Kündigung zum 31.08.2020 akzeptiert hat. Die Klägerin hat damit bereits deutlich und verständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie an einem weiteren Training in dem Fitnessstudio der Beklagten nach Ablauf des 31.08.2020 kein Interesse mehr hat. Insbesondere dann, wenn das Mitglied die Mitgliedschaft ordentlich gekündigt hat, entspricht eine Verlängerung der Vertragslaufzeit nicht den Interessen des Mitglieds (Landgericht Osnabrück a. a. O.). Eine Verlängerung der Vertragszeit würde einseitig die wirtschaftlichen Interessen der Beklagten befriedigen, nicht jedoch dem Interesse des Mitglieds dienen, denn dieses könnte die Trainingszeiten nicht nachholen. Es würde alleine bei der Zahlungspflicht des Mitglieds bleiben, ohne dass dieses eine Gegenleistung erhalten würde. Die von der Beklagten gewünschte Vertragsanpassung ist der Klägerin nicht zumutbar. In Fällen wie dem vorliegenden, in denen das Vertragsverhältnis schon vor Ausbruch der Pandemie bzw. behördlicher Anordnung eines Lockdown gekündigt war und die Schließung die Zeit zwischen Kündigung und Vertragsende betrifft, ist eine Vertragsanpassung nicht im Interesse des Mitglieds. In diesem Fall haben sich die Parteien schon auf ein Ende des Vertragsverhältnisses zu einem sich aus dem Vertrag ergebenden Zeitpunkt eingestellt und durften dies bei Ausspruch bzw. Zugang der Kündigung auch ohne weiteres. Eine einseitig von einer Partei zu bestimmende Vertragsverlängerung würde daher einen nicht zumutbaren Eingriff in die Dispositionsfreiheit der Parteien bedeuten (AG Frankenthal, Urteil vom 20.07.2021, 3 C 4/21, zitiert nach juris).
Die Beklagte ist daher zur Rückzahlung der anteiligen Mitgliedsbeiträge für den Zeitraum 16.03.2020 bis 07.06.2020 verpflichtet, ohne von der Klägerin eine Vertragsanpassung in Form einer Vertragsverlängerung fordern zu können.
3. Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Klägerin hat im Mahnverfahren eine Verzugspauschale als Hauptforderung geltend gemacht. Da insoweit die Klage zurückgenommen wurde, hat die Klägerin die Kosten anteilmäßig zu tragen.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
Die Zulassung der Berufung erfolgte gemäß § 511 Abs. 4 Nr. 1 ZPO.


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