Arbeitsrecht

Disziplinarverfahren mit Ziel: Entfernung aus dem Beamtenverhältnis – Erfolgt: Zurückstufung um eine Stufe

Aktenzeichen  M 19B DK 17.2533

Datum:
21.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 49740
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BDG § 9, § 10, § 13 Abs. 2 S. 1, § 20 Abs. 1 S. 2, S. 3
StGB § 246 Abs. 2, § 248a, § 263 Abs. 1
BBG § 61 Abs. 1 S. 2, § 62 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1. Allein ein vorliegender Schaden von über 5.000 Euro ist nicht mehr indiziell für die Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
2. Von der Höchstmaßnahme ist zugunsten einer weniger strengen Disziplinarmaßnahme abzusehen, wenn ein – ursprünglich zu den Zugriffsdelikten entwickelter – sogenannter „anerkannter Milderungsgrund“ vorliegt. Diese erfassen typisierend Beweggründe oder Verhaltensweisen des Beamten, die regelmäßig Anlass für eine noch positive Persönlichkeitsprognose geben. Die anerkannten Milderungsgründe stellen jedoch keinen abschließenden Kanon der bei Dienstvergehen berücksichtigungsfähigen Entlastungsgründe dar. Bei der prognostischen Frage, ob gegenüber einem Beamten aufgrund eines schweren Dienstvergehens ein endgültiger Vertrauensverlust im Sinne von § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG eingetreten ist, gehören zur Prognosebasis weiter alle für die Entscheidung bedeutsamen belastenden und entlastenden Ermessensgesichtspunkte, die in eine Gesamtwürdigung einzubeziehen sind. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Beklagte wird in das Amt eines Postobersekretärs (Besoldungsgruppe A7) zurückgestuft.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Gegen den Beklagten wird die Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung um eine Stufe in das Amt eines Postobersekretärs (Besoldungsgruppe A7) ausgesprochen.
1. Das Disziplinarverfahren weist in formeller Hinsicht keine Fehler auf. Die Klägerin hat die Angaben, die der Beklagte bei seiner Befragung am 5. Juli 2016 gegenüber der Security zu Ablauf und Umfang der Versendung der unfrankierten Briefe sowie über seine Beweggründe für sein Vorgehen machte, in zulässiger Weise verwertet. Zwar wurden diese Angaben vor der Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens getätigt und dienen die Pflicht des Dienstvorgesetzten aus § 17 Abs. 1 Bundesdisziplinargesetz (BDG), ein Disziplinarverfahren einzuleiten, und seine Pflicht aus § 20 Abs. 1 BDG, den Beamten unverzüglich hierüber zu unterrichten, gerade Schutz des Beamten. Sie sollen sicherstellen, dass disziplinarische Ermittlungen so früh wie möglich im Rahmen des gesetzlich geordneten Disziplinarverfahrens mit seinen rechtsstaatlichen Sicherungen zu Gunsten des Beamten geführt werden (BVerwG, B.v. 6.8.2009 – 2 B 45/09 – juris Rn. 13). Da die Security der Klägerin dem Beklagten jedoch zu Beginn der Befragung den gegen ihn erhobenen Vorwurf eröffnet sowie ihn über sein Aussageverweigerungsrecht und die Möglichkeit der Zuziehung eines Rechtsbeistandes belehrt hat, ist den im förmlichen Disziplinarverfahren zu beachtenden Vorschriften des § 20 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BDG Rechnung getragen und eine Verwertung der hier vom Beklagten im Rahmen der Vorermittlungen gemachten Angaben zulässig (vgl. § 20 Abs. 3 BDG; BVerwG a.a.O. Ls.). Der Beklagte hat der Verwertung seiner Angaben aus der Befragung vom 5. Juli 2016 überdies in der mündlichen Verhandlung am 21. Februar 2018 ausdrücklich zugestimmt.
2. Das Gericht geht in tatsächlicher Hinsicht von dem im Tatbestand unter 2. geschilderten Sachverhalt aus. Der Beklagte hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe in der Befragung durch die Security am 5. Juli 2016 und auch in der mündlichen Verhandlung am 21. Februar 2018 vollumfänglich eingeräumt.
Er hat überdies ausgeführt, ihm sei durchaus bewusst, dass seine Vorgehensweise nicht korrekt sei. Weil seine Vorgänger dies auch so gemacht hätten, habe er sich jedoch nichts dabei gedacht. Die Triebfeder für sein Tun sei gewesen, das Vereinsleben aufrechtzuerhalten und die „Postfamilie“ zusammen zu halten. Er habe die Gewerkschaftskasse schonen wollen, damit das Geld für die Mitgliederveranstaltungen habe verwendet werden können. Ihm sei bewusst gewesen, dass sein Vorgehen nicht richtig gewesen sei; er habe dies aber ausgeblendet. Er entschuldige sich für sein Verhalten.
Das Gericht sieht das vorwerfbares Handeln des Beklagten darin, dass er die Briefe der Gewerkschaft … immer wieder unfrankiert aufgegeben und den anderen Mitarbeitern hierdurch suggeriert hat, diese Vorgehensweise sei in Ordnung, entspreche den betrieblichen Vorschriften und werde von der Unternehmensleitung gebilligt. Damit liegt eine Täuschung durch aktives Tun, nicht nur durch Unterlassen vor.
Eine Täuschungshandlung, die über das wiederholte Aufgeben der Briefe und den damit verbundenen Anschein der Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens hinausgeht, sieht sieht das Gericht – anders als die Klägerin – nicht. Der Beklagte hat die aufgegebenen Briefe ordnungsgemäß mit dem Absender … versehen. Er hat sie nicht – wie die Klägerin vorträgt – in den Postsache-Umschlägen oder den grauen Postmappen „versteckt“. Da die Versendung einer Vielzahl von Briefen an einen Zustellstützpunkt nur durch Bündelung in einem Transportmedium möglich und der Umstand, dass ein DIN A4-Kuvert eine Vielzahl von Briefen beinhaltet, von außen leicht erkennbar ist, vermag das Gericht eine Versteckenshandlung nicht zu erkennen. Der Beklagte hat die eingeschalteten Mitarbeiter auch nicht eigens angewiesen oder zu Stillschweigen verpflichtet.
Durch sein Vorgehen ist der Klägerin nach Berechnung des Gerichts ein Schaden i.H.v. 5.725 Euro entstanden. Die Schadensberechnung der Klägerin (Disziplinarakte S. 22) hält das Gericht für insoweit unrichtig, als darin auch das Jahr 1995 veranschlagt und für den gesamten Zeitraum das Entgelt für zehn Maxibriefe jährlich berücksichtigt wurde. Da dem Beklagten ein entsprechendes Vorgehen nur „seit spätestens 1996“ vorgeworfen wird, erscheint es nicht folgerichtig, das Jahr 1995 in die Schadensberechnung miteinzubeziehen. Die haben die Vertreterinnen in der mündlichen Verhandlung vom 21. Februar 2018 auch zugestanden. Da der jeweilige an die einzelnen Zustellstützpunkte gerichtete DIN A4-Umschlag nur als Medium für einen gebündelten Transport diente, erscheint es weiter nicht folgerichtig, zusätzlich zu dem Entgelt für die jährlich versendeten 500 Standard-Briefe noch das Entgelt für zehn Maxibriefe anzusetzen. Die errechnete Schadenssumme i.H.v. 5725 Euro setzt sich daher aus dem Entgelt für jeweils 500 Standardbriefe in den Jahren 1996 bis 2016 zusammen. Der Ansatz des Entgelts lediglich für Infobzw. Dialogpost, den der Betriebsrat verfolgt, erscheint vorliegend nicht möglich. Nach den bis Ende 2015 geltenden Entgeltregelungen war eine Versendung der Briefe der Gewerkschaft … als Infopost nicht möglich, weil wegen des unterschiedlichen Leitbereichs von … (874) und der Zustellstützpunkte I* …, O* …, O* … und S* … (875) nicht mindestens 50 Briefe für den Leitbereich der Einlieferungsstelle versendet wurden. Entsprechend den seit 1. Januar 2016 geltenden Regelungen für Dialogpost liegen zwar mindestens 200 inhaltsgleiche maschinenlesbare Sendungen für die gleiche Leitregion (= die ersten beiden Ziffern der Postleitzahl, hier 87) vor. Der Ansatz des geringeren Entgelts für Dialogpost scheidet jedoch deshalb aus, weil der Beklagte die Briefe tatsächlich als Standardbrief (sogenannte „E+1“-Post) und nicht als Dialogpost versendet und damit den in der Regel schnelleren Transport für reguläre Post in Anspruch genommen hat.
Mit seinem Vorgehen hat er einen Betrug nach § 263 Abs. 1 StGB begangen. Durch die wiederkehrende Einlieferung der Briefe hat er konkludent die Ordnungsgemäßheit der Versendung vorgetäuscht und die Unaufmerksamkeit der anderen Mitarbeiter der Klägerin ausgenutzt. Diese irrten über die Entgeltpflichtigkeit der Versendung. Die Täuschungshandlung des Beklagten war hierfür kausal. Die erforderliche Vermögensverfügung der Mitarbeiter ist in der unfreien Versendung der Briefe zu sehen. Die Klägerin erlitt hierdurch einen Vermögensschaden. Dieser besteht bei der hier erfolgten unentgeltlichen Inanspruchnahme von Leistungen, für die üblicherweise ein Entgelt zu bezahlen ist, in der vorenthaltenen Gegenleistung. Die nachträgliche Wiedergutmachung des Schadens ändert an dem einmal eingetretenen Schaden nichts. Durch das Verhalten des Beklagten entstand der Betriebsgruppenkasse ein Vermögensvorteil. Er handelte dabei mit Vorsatz und in Bereicherungsabsicht. § 263 Abs. 1 StGB sieht eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe vor.
Wegen des identischen Strafrahmens einer veruntreuenden Unterschlagung nach § 246 Abs. 2 StGB im Hinblick auf die Postsache-Kuverts, die nach § 248a StGB ohnehin nur auf Antrag verfolgt wird, kann offen bleiben, ob eine solche hier ebenfalls zu bejahen ist.
3. Durch sein Verhalten hat der Beklagte die in § 61 Abs. 1 Satz 3 BBG enthaltene (vgl. Hummel/Baunack in Hummel/Köhler/Mayer/Baunack, 6. Aufl. 2016, S. 144 f.) Pflicht, sich gesetzestreu zu verhalten, seine Pflicht, das ihm übertragene Amt uneigennützig nach bestem Wissen und Gewissen wahrzunehmen (§ 61 Abs. 1 Satz 2 BBG), seine Pflicht, sich achtungs- und vertrauensgerecht zu verhalten (§ 61 Abs. 1 Satz 3 BBG) und seine Pflicht, dienstliche Anordnungen auszuführen (§ 62 Abs. 1 Satz 2 BBG), verletzt.
4. Sein Fehlverhalten ist als innerdienstliches anzusehen, weil das pflichtwidrige Verhalten in das Amt und die dienstlichen Pflichten des Beamten eingebunden war (vgl. BVerwG, B.v. 5.7.2016 – 2 B 24/16 – juris Rn. 14). Es war untrennbar mit seinen Pflichten als Betriebsratsmitglied, für dessen Verhalten die strikte Trennung zwischen Betriebsrat und Gewerkschaft eine stets zu beachtende Handlungsmaxime darstellt, verbunden.
5. Dem Beklagten ist bei seinem Handeln Vorsatz anzulasten. Er hat die Briefe der Gewerkschaft … entgegen den innerbetrieblichen Vorschriften mit Wissen und Wollen unfrankiert versendet. Seine Kenntnisnahme von der Anweisung 988/16 hat er zuletzt am 10. Mai 2016 bestätigt. Auch seine Teilnahme an den innerbetrieblichen SAFE-Schulungen, in denen auch die Inhalte dieser Anweisung vermittelt wurden, hat er durch Unterschrift bestätigt. Dementsprechend war ihm nach seinen eigenen Angaben bewusst, dass seine Vorgehensweise nicht richtig war, was er aber ausgeblendet hat. Nach seiner ausdrücklichen Bekundung ging es ihm darum, die Betriebsgruppenkasse zu schonen, um das Geld anderweitig für Mitgliederveranstaltungen verwenden zu können.
6. Das festgestellte Dienstvergehen wiegt sehr schwer. Im vorliegenden Fall ist der Orientierungsrahmen bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (§ 10 BDG) eröffnet.
Nach § 13 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 BDG ist die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens, der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit, dem Persönlichkeitsbild des Beamten und dem bisherigen dienstlichen Verhalten zu treffen. Das Gewicht der Pflichtverletzung ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden. Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 12; U.v. 18.6.2015 – 2 C 9.14 – juris Rn. 25; BayVGH, U.v. 5.10.2016 – 16a D 14.2285 – juris Rn. 55). Gegenstand der disziplinarrechtlichen Bewertung ist die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrecht zu erhalten (BayVGH, U.v. 29.6.2016 – 16b D 13.993 – juris Rn. 36).
Maßgebendes Kriterium für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist die Schwere des Dienstvergehens. Sie ist richtungsweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich zum einen nach Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale), zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte, insbesondere nach der Höhe des entstandenen Schadens (vgl. BayVGH, U.v. 25.10.2016 – 16b D 14.2351 – juris Rn. 73).
Zur konkreten Bestimmung der disziplinaren Maßnahmebemessung ist auch bei einem innerdienstlichen Dienstvergehen in einer ersten Stufe auf den Strafrahmen zurückzugreifen, weil der Gesetzgeber mit der Strafandrohung seine Einschätzung zum Unwert des Verhaltens verbindlich zum Ausdruck gebracht hat. Die Orientierung zum Umfang des Vertrauensverlustes am gesetzlichen Strafrahmen gewährleistet eine nachvollziehbare und gleichmäßige disziplinarische Ahndung von Straftaten. Mit der Anknüpfung an die Strafandrohung wird zugleich verhindert, dass die Disziplinargerichte ihre jeweils eigene Einschätzung des Unwertgehalts eines Delikts an die Stelle der Bewertung des Gesetzgebers setzen (BVerwG, B.v. 5.7.2016 – 2 B 24.16 – juris Ls. und Rn. 15).
Für die disziplinarrechtliche Ahndung einer innerdienstlichen Straftat mit einem Strafrahmen von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe reicht der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 20; BayVGH, U.v. 5.10.2016 – 16a D 14.2285 – juris Rn. 59). Damit ist hier im Hinblick auf den für den bejahten Betrug vorliegenden Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe der Orientierungsrahmen bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis eröffnet.
Zu beachten sind ferner die Umstände der Tatbegehung. Folgende Umstände lassen das Vorgehen des Beklagten dabei besonders schwerwiegend erscheinen: Er hatte als Betriebsratsmitglied und Vertrauensperson der schwerbehinderten Personen eine besondere Vertrauensstellung inne und hat dieses Vertrauen durch sein Vorgehen enttäuscht. Die vernommenen Zeugen äußerten insoweit etwa „Der BR ist ein Organ des Unternehmens und wir hatten so viel Vertrauen, dass wir dachten, das sei legal.“ (Disziplinarakte S. 113), oder „Es kam ja nicht von einem Fremden, sondern von jemanden bei dem eine Vertrauensbasis da ist.“ (Disziplinarakte S. 116). Ferner musste dem Beklagten gerade in seiner Stellung als langjähriges Betriebsratsmitglied die strikte Trennung zwischen Betriebsrat und Gewerkschaft bewusst sein. Zudem hat er sein rechtswidriges Tun seit 1996 und damit seit mehr als 20 Jahren fortgesetzt. In sein Handeln hat er stets auch andere Mitarbeiter involviert und damit auch zu deren Verstoß gegen innerbetriebliche Vorschriften beigetragen. Ferner hat er die Zustelldienste und damit das Kerngeschäft der D2. P. AG widerrechtlich in Anspruch genommen.
Die früher vertretene Auffassung, dass die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bei einem Gesamtschaden über 5.000 Euro ohne Hinzutreten weiterer Erschwerungsgründe gerechtfertigt sein kann (BVerwG, B.v. 6.5.2015 – 2 B 19/14 – juris Rn. 11), lässt sich wohl nicht mehr aufrechterhalten. Da das Bundesverwaltungsgericht mit der Aufgabe der Rechtsprechung zum Zugriffsdelikt klargestellt hat, dass sich jede schematische Betrachtung – insbesondere anhand von Schwellenwerten – verbietet (vgl. BayVGH, U.v. 3.5.2017 – 16a D 15.1777 – juris Rn. 31), ist allein der hier vorliegende Schaden von über 5.000 Euro nicht mehr indiziell für die Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis.
Zu seinen Gunsten ist zu berücksichtigen, dass er – wie oben ausgeführt – über die wiederkehrende unfrankierte Versendung der Briefe hinaus keine weitere Täuschungs- oder Verdeckungshandlung vorgenommen hat.
7. Trotz all dieser Umstände hat der Beklagte das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit noch nicht endgültig verloren (vgl. § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG). Statt der Höchstmaßnahme ist hier wegen der vorliegenden Milderungsgründe die Zurückstufung um eine Stufe die angemessene und auch ausreichende Disziplinarmaßnahme.
Von der Höchstmaßnahme ist zugunsten einer weniger strengen Disziplinarmaßnahme abzusehen, wenn ein – ursprünglich zu den Zugriffsdelikten entwickelter – sogenannter „anerkannter Milderungsgrund“ vorliegt. Diese erfassen typisierend Beweggründe oder Verhaltensweisen des Beamten, die regelmäßig Anlass für eine noch positive Persönlichkeitsprognose geben. Die anerkannten Milderungsgründe stellen jedoch keinen abschließenden Kanon der bei Dienstvergehen berücksichtigungsfähigen Entlastungsgründe dar. Bei der prognostischen Frage, ob gegenüber einem Beamten aufgrund eines schweren Dienstvergehens ein endgültiger Vertrauensverlust im Sinne von § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG eingetreten ist, gehören zur Prognosebasis weiter alle für die Entscheidung bedeutsamen belastenden und entlastenden Ermessensgesichtspunkte, die in eine Gesamtwürdigung einzubeziehen sind. Selbst wenn keiner der vorrangig zu prüfenden anerkannten Milderungsgründe vorliegt, können entlastende Umstände gegeben sein, deren Gewicht in ihrer Gesamtheit dem Gewicht anerkannter Milderungsgründe vergleichbar ist. Entlastungsmomente können sich dabei aus allen denkbaren Umständen ergeben. Solche Umstände können das Absehen von der disziplinarischen Höchstmaßnahme rechtfertigen, wenn sie in ihrer Gesamtheit das Gewicht eines anerkannten Milderungsgrundes aufweisen. Bei schweren Dienstvergehen stellt sich vorrangig die Frage, ob der Beamte nach seiner gesamten Persönlichkeit noch im Beamtenverhältnis tragbar ist (BayVGH, U.v. 29.6.2016 – 16b D 13.993 – juris Rn. 44 f.).
Zu Gunsten des Beklagten sind folgende Milderungsgründe heranzuziehen:
Er ist weder disziplinar- noch strafrechtlich vorbelastet. Auch wenn diese Tatsache lediglich ein normales Verhalten zur Erfüllung der Dienstpflichten darstellt und grundsätzlich nicht geeignet ist, die Schwere des Dienstvergehens derart abzumildern, dass von einer Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abgesehen werden könnte (BayVGH, U.v. 18.3.2015 – 16a D 09.3029 – juris Rn. 96), trägt dieser Umstand doch zur Auffassung des Gerichts bei, dass das Vertrauensverhältnis zu dem Beklagten nicht als gänzlich zerstört angesehen werden kann.
Der Beklagte hat sich zudem vollumfänglich geständig gezeigt. Nach einer anfänglichen Überlegungsphase, in der er bei der ersten Befragung durch die Security am 14. Juni 2016 keine Angaben gemacht hat, hat er bei der zweiten Befragung durch die Security am 5. Juli 2016 die Tathandlung und auch die subjektive Seite seines Handelns ausführlich dargestellt. Auch wenn die Klägerin den Umfang der Tat auch anhand von Zeugenaussagen hätte aufklären können, wirkt das Geständnis des Beklagten zu seinen Gunsten.
Diese von Anfang an bestehende Kooperationsbereitschaft hat der Beklagte dadurch fortgesetzt, dass er sich mit einer Zuweisung an einen privaten Arbeitgeber einverstanden erklärt und schließlich am 1. Juli 2017 den Dienst bei diesem angetreten hat. Er hat sich auch dadurch kooperativ gezeigt, dass er in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich in die Verwertung seiner Aussage am 5. Juli 2016 vor der Security eingewilligt hat.
Der Beklagte hat auch bereits in dieser Aussage seine Einsicht in den Unwertgehalt der Tat und seine Reue hierüber geäußert und sich ausdrücklich entschuldigt. Diese innere Haltung zu seinem Tun setzte sich in seinem Verhalten in der mündlichen Verhandlung fort. Die innere Einsicht, sich künftig rechtstreu zu verhalten, kann dabei mildernd berücksichtigt werden (BVerwG, B.v. 5.5.2015 – 2 B 32/14 – juris Rn. 29).
Besonders zu Gunsten des Beklagten spricht, dass er die von der Klägerin veranschlagte Schadenssumme i.H.v. 6.470 Euro vollständig und aus eigenen finanziellen Mitteln zurückerstattet hat, ohne den Versuch zu unternehmen, einen auch nur teilweisen Ersatz aus der Betriebsgruppenkasse zu erlangen. Diese Schadensersatzleistung erfolgte auch vor einer abschließenden Klärung hinsichtlich Berechnung und Höhe der Schadensersatzforderung. Der Beklagte hat hierzu in der mündlichen Verhandlung glaubhaft ausgeführt, die vollständige und zeitnahe Bereinigung der Situation sei ihm wichtiger gewesen als der finanzielle Ausgleich.
Schließlich spricht zu seinen Gunsten, dass ihm die interne Organisation und die Abläufe innerhalb des klägerischen Unternehmens bei der unfrankierten Versendung von Gewerkschaftspost keine Hindernisse entgegengesetzt haben. In Anbetracht der Zeugenaussagen der vernommenen Führungskräfte trägt die Klägerin zwar richtigerweise vor, dass das Handeln des Beklagten nie intern geduldet war. Die Führungskräfte führten übereinstimmend aus, sie hätten keine Kenntnis von der unfreien Zustellung von Gewerkschaftspost gehabt und diese auch nicht geduldet. Andererseits ist es der D2. P. AG aber nicht gelungen, die Mitarbeiter dafür zu sensibilisieren, dass Gewerkschaftspost nicht unfrei versendet werden darf und dass strikt zwischen Betriebsrat und Gewerkschaft zu trennen ist. Die als Zeugen vernommenen Zustellkräfte führten teilweise aus, der Umstand, dass Gewerkschaftspost nicht als Postsache versendet werden dürfe, sei ihnen – trotz Teilnahme an internen Schulungen – nicht bekannt gewesen. Andere Zustellkräfte äußerten, sie hätten darauf vertraut, dass schon „alles in Ordnung“ und „von oben abgesegnet“ sei oder aber gemeint, dass Betriebsrat und Gewerkschaft sowieso eine Einheit seien. Bei dieser Ausgangslage musste der Beklagte keine erhebliche kriminelle Energie aufwenden, um den unfreien Versand der Gewerkschaftsbriefe zu erreichen.
8. In der Gesamtschau aller be- und entlastenden Umstände ist vorliegend die Zurückstufung des Beklagten nach § 9 BDG um eine Stufe angemessen, aber auch geboten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass mit dem vorliegenden Disziplinarverfahren und dem Ausspruch der Zurückstufung um eine Stufe auch der Verlust der Möglichkeit einer Beförderung des Beklagten in die Besoldungsgruppe A9 verbunden ist. Die Klägerin hat insoweit in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, eine Beförderung des Beklagten wäre – ohne die im Disziplinarverfahren inmitten stehenden Vorwürfe – durchaus denkbar gewesen. Von den drei Vergleichspersonen, auf die bei dem Beklagten als Betriebsratsmitglied abzustellen sei, seien derzeit zwei in die Besoldungsgruppe A8 und eine in die Besoldungsgruppe A9 eingruppiert. Bei dieser Sachlage wäre eine Beförderung des Beklagten ebenfalls in die Besoldungsgruppe A9 durchaus möglich erschienen, wurde aber durch das vorliegende Disziplinarverfahren vereitelt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 Satz 1 BDG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Das Gericht sieht den Beklagten, gegen den eine schwerwiegende Disziplinarmaßnahme ausgesprochen wurde, als unterliegende Partei an, die die Kosten des Verfahrens insgesamt zu tragen hat.


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