Arbeitsrecht

Einbezug von Zeiten der Entgeltfortzahlung beim Anspruch auf Zulage wegen wesentlicher Verminderung der Arbeitszeit

Aktenzeichen  9 Sa 930/16

Datum:
25.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 137627
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 288 Abs. 1
Tarifvertrag über sozialverträgliche Begleitmaßnahmen im Zusammenhang mit der Umgestaltung der Bundeswehr vom 18.07.2001 in der Fassung des Änderungstarifvertrages Nr. 4 vom 24.03.2017 (TV-UmBw §) 7 Abschnitt A Abs. 1

 

Leitsatz

Bei der Prüfung, ob eine den Anspruch auf Zulage auslösende wesentliche Verminderung der Arbeitszeit i. S. d. § 7 Abschnitt A Abs. 1 TV-UmBw vorliegt, sind auch Zeiten der Entgeltfortzahlung mit einzubeziehen. Dies wurde durch die 4. Änderung des TV-UmBw klargestellt. (Rn. 35 – 39)

Verfahrensgang

4 Ca 744/16 2016-10-19 Urt ARBGKEMPTEN ArbG Kempten

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kempten vom 19.10.2016, Az. 4 Ca 744/16, abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, 711,24 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 236,91 € brutto seit dem 31.10.2013, aus 236,91 € brutto seit dem 30.11.2013 und aus 236,91 € brutto seit dem 31.12.2013 an den Kläger zu zahlen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthaft sowie frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO).
II.
Die Berufung ist auch begründet. Der Kläger hat nach § 7 Abschnitt A Abs. 1 TV-UmBw einen Anspruch auf die streitgegenständliche Zulage für die Monate Oktober bis Dezember 2013, da sich seine Arbeitszeit durch den Wechsel der Arbeitszeit wesentlich vermindert hat.
1. Die Arbeitszeit des Klägers hat sich von durchschnittlich 204,03 Stunden im Zeitraum Dezember 2010 bis September 2013 auf durchschnittlich 169,57 Stunden reduziert.
1.1. § 7 Abschnitt A Abs. 1 TV-UmBw regelt nicht selbst, was unter einer wesentlichen Verminderung der Arbeitszeit zu verstehen ist. Vielmehr haben die Tarifvertragsparteien in der Protokollnotiz hierzu erläutert, wie der Begriff „wesentlich“ auszulegen ist und stellen dabei auf ein Absinken der Arbeitszeit um mehr als 20 Stunden ab. Dass es hierbei maßgeblich auf das Absinken der dienstplanmäßig geleisteten und bezahlten sowie der Stunden, für die Entgeltfortzahlung geleistet wurde, ankommt, haben die Tarifvertragsparteien nun im Änderungstarifvertrag Nr. 4 zum TV-UmBw vom 24.03.2017 klargestellt.
Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich dabei nicht um eine erst zum 01.05.2017 in Kraft getretene Neuregelung, sondern um eine Klarstellung des bereits vorher Gewollten, das im bisherigen Wortlaut der Protokollerklärung aber nicht hinreichend klar zum Ausdruck gekommen war.
Die Protokollerklärung zu § 7 Abschnitt A Abs. 1 TV-UmBw ist keine Inhaltsnorm des Tarifvertrages, sondern eine Auslegungshilfe. Ob eine Protokollnotiz oder -erklärung eine tarifliche Inhaltsnorm darstellt oder lediglich bei der Auslegung der tariflichen Regelungen zu berücksichtigen ist, ist durch Auslegung zu ermitteln. Entscheidend ist, ob der Wille der Tarifvertragsparteien zur Normsetzung hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt (BAG 13.11.2014 – 6 AZR 1102/12, Rn. 28, m. w. N.). Vorliegend schafft die Protokollnotiz keinen eigenständigen Anspruch, sondern erläutert lediglich, wie die im TV-UmBw selbst enthaltene Anspruchsvoraussetzung „wesentliche Verminderung der Stunden“ zu verstehen ist. Obwohl dies im Wortlaut der Protokollnotiz in der Vergangenheit nicht hinreichend zum Ausdruck kam, haben die Tarifvertragsparteien bis zur Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20.06.2013 (6 AZR 907/12) die Formulierung so verstanden, dass auch Stunden, für die Entgeltfortzahlung geleistet wurde, in die Berechnung einzubeziehen sind. Das gilt nicht nur für die Gewerkschaft F., sondern auch für die Beklagte. Dies kommt deutlich zum Ausdruck in der von der Beklagten erstellten „Vorläufigen Festsetzung für die persönliche Zulage“ nach § 7 Abschnitt A TV-UmBw vom 31.07.2013 (Anl. K 4, Bl. 20 d. A.). In dieser hat die Beklagte neben den tatsächlich geleisteten und bezahlten Arbeitsstunden auch die Stunden aufgeführt, für die der Kläger Entgeltfortzahlung wegen Urlaub oder Krankheit erhalten hat. Sie kommt dort deshalb auf 204,03 Stunden monatlich. Erst in Umsetzung der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20.06.2013 (aaO) hat sie ihre Berechnungsweise umgestellt.
Für eine Klarstellung spricht auch, dass die Protokollnotiz mit dem in der Neuregelung zum Ausdruck gebrachten Verständnis dem Sinn und Zweck des § 7 Abschnitt A Abs. 1 TV-UmBw besser entspricht. Dieser schafft u. a. für Beschäftigte im Wachdienst, die typischerweise sehr lange Arbeitszeiten haben und deshalb bei einer Änderung der Beschäftigung auch von einer erheblichen Reduzierung der Arbeitszeit betroffen sein können, einen Ausgleich für die sich bei einer Änderung der Beschäftigung aus der Arbeitszeitreduzierung ergebenden Einkommenseinbußen. Dabei ist nicht zu erkennen, dass die Tarifvertragsparteien die Einkommenssicherung davon abhängig machen wollten, ob der Arbeitnehmer in der Vergangenheit bezahlte Krankheitszeiten hatte oder nicht. Hätten die Tarifvertragsparteien die Protokollnotiz aber nicht im Sinne der Klarstellung verstanden, wäre dies jedoch der Fall gewesen.
Bei einem Vergleich allein der tatsächlich geleisteten und gezahlten Stunden in der bisherigen Beschäftigung mit der künftig zu leistenden dienstplanmäßigen Arbeitszeit müsste man die auf den Urlaubsanspruch entfallenden Stunden aus der dienstplanmäßigen Arbeitszeit herausrechnen. Wenn man den Begriff der „zu leistenden“ Arbeitszeit in Bezug auf die neue Beschäftigung nicht genauso eng am Wortlaut auslegt wie bei der Betrachtung der Arbeitszeit in der bisherigen Beschäftigung, würde man „Äpfel mit Birnen“ vergleichen. Beim Vergleich der in der bisherigen und in der neuen Beschäftigung zu leistenden Stunden müssen die Begriffe „geleistet“ und „zu leisten“ denselben Inhalt haben. Anders als die Zeiten des Urlaubs, deren Umfang tariflich festgelegt ist, können aber Zeiten der bezahlten Krankheit nicht aus der zu leistenden dienstplanmäßigen Arbeitszeit herausgerechnet werden. Ob und in welchem Umfang ein Arbeitnehmer zukünftig krank sein wird, kann nicht festgestellt werden. Eine Auslegung der Protokollnotiz nicht im Sinne der Formulierung der Neufassung vom 24.03.2017 würde deshalb dazu führen, dass ein Arbeitnehmer, der in der Vergangenheit Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bezogen hat, keinen oder weniger Anspruch auf die ergänzende Einkommenssicherung erhält. Dafür, dass dies vor dem 24.03.2017 dem Willen der Tarifvertragsparteien entsprochen hätte, gibt es keine Anhaltspunkte.
1.2. Die Anzahl der zu berücksichtigenden Stunden reduziert sich nicht deshalb, weil der Kläger gem. § 46 Nr. 4 Abs. 3 Satz 6 TVöD-BT-V für die über 168 Stunden hinaus geleistete Arbeitszeit lediglich ein Überstundenentgelt in Höhe von 50% der üblichen Stundenvergütung erhalten hat.
Der Kläger hat alle über 168 Stunden hinaus geleisteten Stunden vergütet erhalten. Es handelt sich deshalb um geleistete und bezahlte bzw. der Entgeltfortzahlung unterliegen de Arbeitszeit i. S. d. § 7 Abschnitt A, § 1 TV-UmBw. § 46 Nr. 4 Abs. 3 Satz 6 TVöD-BT-V regelt lediglich die „Bemessung“ der Vergütung. Die Tatsache, dass die Vergütung für diese Arbeitsstunden niedriger ist als diejenige für die Stunden 1 – 168, ändert nichts daran, dass es sich um bezahlte Arbeitszeit handelt.
2. Der Höhe nach ist der Anspruch zwischen den Parteien unstreitig. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1 und 2 Nr. 1 BGB.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG, § 97 Abs. 1 ZPO.
IV.
Da dem Rechtsstreit über die Klärung der konkreten Rechtsbeziehungen der Parteien hinaus keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, bestand für die Zulassung der Revision gem. § 72 Abs. 2 ArbGG keine Veranlassung.
Gegen dieses Urteil ist deshalb die Revision nur gegeben, wenn sie das Bundesarbeitsgericht aufgrund einer Nichtzulassungsbeschwerde, auf deren Möglichkeit und Voraussetzungen nach § 72 a ArbGG die Beklagte hingewiesen wird, zulassen sollte.


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