Arbeitsrecht

Eintritt der Sperrzeit durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages ohne wichtigen Grund

Aktenzeichen  L 10 AL 25/16

Datum:
15.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
KSchG KSchG § 9 Abs. 1 S. 2, § 10, § 14 Abs. 2 S. 2
SGB III SGB III § 148 Abs. 1, § 159 Abs. 1, Abs. 3

 

Leitsatz

1 Durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages und die damit verbundene Beendigung des Arbeitsverhältnisses wird die für den Arbeitnehmer individuell erkennbare Ursache für die Arbeitslosigkeit gesetzt. Von wem die Initiative zum Abschluss des Aufhebungsvertrages ausgeht, ist ohne Bedeutung (Anschluss an BSG BeckRS 9998, 79383). (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein solches Verhalten ist nur dann unter Berücksichtigung der Interessen der Versichertengemeinschaft aus wichtigem Grund und damit ohne Eintritt einer Sperrzeit erfolgt, wenn der Arbeitgeber mit einer objektiv rechtmäßigen Kündigung droht und die Hinnahme dieser Kündigung nicht zumutbar ist (Anschluss an BSG BeckRS 2002, 30256050). (redaktioneller Leitsatz)
3 Allein das Risiko des Entgangs einer für den Fall eines Aufhebungsvertrages vereinbarten Abfindungszahlung genügt für die Annahme eines wichtigen Grundes nicht, wenn dadurch die Arbeitslosigkeit bewusst drei Monate früher eingetreten ist. Das stellt einen nicht unerheblichen Zeitraum dar, weshalb dem Kläger das Abwarten der Kündigung zumutbar gewesen wäre. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 5 AL 273/15 2015-12-11 Urt SGAUGSBURG SG Augsburg

Tenor

I.
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 11.12.2015 wird zurückgewiesen.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG), aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 06.07.2015 und die Bewilligungsbescheide vom 17.07.2015 und 22.07.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.09.2015 sind hinsichtlich der Feststellung des Eintritts einer Sperrzeit und der Minderung der Anspruchsdauer um 1/4 rechtmäßig. Der Kläger wird hierdurch Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Die Beklagte hat zutreffend den Eintritt einer Sperrzeit festgestellt und ein Anspruch auf weiteres Alg ist nicht gegeben.
Streitgegenstand ist der Bescheid vom 06.07.2015 und des Bescheides vom 17.07.2015 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 22.07.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.09.2015, mit dem die Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit für die Zeit vom 01.07.2015 bis 22.09.2015 festgestellt und die Minderung der Anspruchsdauer um 135 Tage berücksichtigt hat. Der Kläger begehrt die Aufhebung des Bescheides vom 06.07.2015 und die Abänderung der Bewilligungsbescheide vom 17.07.2015 und 22.07.2015 im Sinne einer Zahlung von Alg über den 15.11.2016 hinaus. Die Zahlung von Alg für die Zeit vom 01.07.2015 bis 22.09.2015 ist dagegen nicht streitgegenständlich, da während dieses Zeitraums der Anspruch unabhängig vom Eintritt einer Sperrzeit wegen der Zahlung einer Abfindung geruht hat (weiterer Bescheid vom 06.07.2015, der ausdrücklich nicht angefochten worden ist).
Nach § 159 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) ruht der Anspruch auf Alg für die Dauer einer Sperrzeit, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbei geführt hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe), ohne hierfür einen wichtigen Grund zu haben. Nach § 159 Abs. 1 Satz 3 SGB III hat der Arbeitnehmer die für die Beurteilung eines wichtigen Grundes maßgebenden Tatsachen darzulegen und nachzuweisen, wenn diese seiner Sphäre oder in seinem Verantwortungsbereich liegen. Das Verhalten des Arbeitnehmers muss kausal (im Sinne der Wesentlichkeitstheorie) für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses geworden sein. Die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses muss – ebenfalls im Sinne einer wesentlichen Bedingung – Ursache für den Eintritt der Beschäftigungslosigkeit sein. Der Kläger hat am 24.02.2015 durch den Abschluss des Aufhebungsvertrages bewusst sein Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis zum 30.06.2015 beendet. Er hat damit die Ursache für die Arbeitslosigkeit ab dem 01.07.2015 gesetzt. Dies war für ihn auch individuell zu erkennen. Hätte er den Aufhebungsvertrag nicht unterschrieben, wäre allenfalls durch eine etwaige betriebsbedingte Kündigung eine Beendigung zum 30.09.2015 eingetreten. Eine konkrete Aussicht auf einen Anschlussarbeits Platz bestand nicht. Von wem die Initiative zum Abschluss ausgegangen ist, ist für den Eintritt einer Sperrzeit ohne Belang (vgl BSG, Urteil vom 05.06.1997 – 7 RAr 22/96 – SozR 3-1500 § 144 Nr. 12; Karmanski in Brand, SGB III, 7. Auflage, § 159 Rn 120, mwN).
Für das Verhalten des Klägers ist kein wichtiger Grund gegeben. Ein solcher kann nur dann angenommen werden, wenn dem Kläger unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung seiner Interessen mit denen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten nicht hätte zugemutet werden können. Grundgedanke der Sperrzeitregelung ist es nämlich, dass sich die Versichertengemeinschaft gegen Risikofälle wehren muss, deren Eintritt der Versicherte selbst zu vertreten hat oder an deren Behebung er unbegründet nicht mithilft (vgl BSG, Urteil vom 05.06.1997 – 7 RAr 22/96 – SozR 3-1500 § 144 Nr. 12; Urteil vom 14.09.2010 – B 7 AL 33/09 R – SozR 4-4300 § 144 Nr. 21; Karmanski in Brand, SGB III, 7. Auflage, § 159 Rn 120). Der wichtige Grund muss dabei objektiv vorliegen (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.1991 – 11 RAr 81/90 – SozR 3-4100 § 119 Nr. 6; Karmanski aaO Rn 122).
Im Falle der Lösung des Beschäftigungsverhältnisses durch Zustimmung zu einem Aufhebungsvertrag kann sich ein Arbeitnehmer auf einen wichtigen Grund dann berufen, wenn ihm der Arbeitgeber mit einer objektiv rechtmäßigen Kündigung droht und ihm die Hinnahme dieser Kündigung nicht zuzumuten ist (vgl. BSG, Urteil vom 25.04.2002 – B 11 AL 65/01 R – SozR 3-4300 § 144 Nr. 8; Urteil vom 02.09.2004 – B 7 AL 18/04 R). Bei einem leitenden Angestellten genügt es auch, wenn dieser sich gegen einen Antrag des Arbeitgebers auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 Satz 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) iVm § 14 Abs. 2 Satz 2 KSchG nicht wehren könnte (vgl. BSG, Urteil vom 17.11.2005 – B 11a/11 AL 69/04 R – SozR 4-4300 § 144 Nr. 11).
Es kann dahinstehen, ob der Kläger vorliegend tatsächlich leitender Angestellter war, auf den § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG iVm § 14 Abs. 2 Satz 2 KSchG Anwendung hätte finden können. Wie der Arbeitgeber in der Arbeitsbescheinigung mitgeteilt hat, wäre eine betriebsbedingte Kündigung des Klägers zum 30.09.2015 erfolgt. Dass ein Antrag des Arbeitgebers auf Auflösung des Arbeitsvertrages nach genannten Vorschriften im Raum gestanden hätte, ist weder ersichtlich noch vorgebracht.
Soweit der Kläger vorbringt, ein wichtiger Grund sei vorliegend im Hinblick auf die zeitnahe betriebsbedingte Kündigung und die Möglichkeit des Erhalts einer Abfindung bei Schluss des Aufhebungsvertrages gegeben, kann dem nicht gefolgt werden. Zwar hat das BSG (Urteil vom 17.11.2005 – B 11a/11 AL 69/04 R – SozR 4-4300 § 144 Nr. 11 – mwN) zur Abfindung ausgeführt, eine solche stelle keinen Ausschlussgrund für die Annahme eines wichtigen Grundes dar. Im Hinblick auf einen ohnehin nicht zu vermeidenden Eintritt der Beschäftigungslosigkeit bestehe kein Interesse der Versichertengemeinschaft daran, den Arbeitnehmer von der Wahrnehmung seiner berechtigten Interessen abzuhalten. Die Zumutung, eine drohende Kündigung des Arbeitgebers abzuwarten, begegne unter Beachtung des Zwecks der Sperrzeit und des verfassungsrechtlichen Übermaßverbots durchgreifenden Bedenken. Im Regelfall sei bei einer drohenden rechtmäßigen Arbeitgeberkündigung ein wichtiger Grund anzunehmen.
Allerdings drohte in dem vom BSG entschiedenen Fall eine Kündigung zum selben Zeitpunkt wie dem, der im Aufhebungsvertrag vereinbart gewesen ist. Vorliegend drohte dem Kläger eine betriebsbedingte Kündigung nach Angaben des Arbeitgebers – die Rechtmäßigkeit einer solchen Prüfung wurde nicht geprüft – aber erst zum 30.09.2015 und nicht schon zum 30.06.2015. Ohne Auflösungsvertrag hätte das Arbeitsverhältnis demnach wenigstens drei Monate länger gedauert; die Arbeitslosigkeit wäre erst zu einem späteren Zeitpunkt eingetreten (vgl dazu auch BSG, Urteil vom 12.07.2006 – B 11a AL 47/05 R – SozR 4-4300 § 144 Nr. 13). Es handelt sich bei der längeren Beschäftigungsdauer von drei Monaten jedenfalls auch nicht um einen völlig unerheblichen Zeitraum, so dass unter Berücksichtigung der Interessen der Versichertengemeinschaft dem Kläger das Abwarten der Kündigung zuzumuten gewesen wäre, auch wenn er dann möglicherweise keine Abfindung erhalten hätte. Dem Übermaßverbot wird in den Fällen, in denen das Arbeitsverhältnis – zu einem späteren Zeitpunkt – auch ohne die Arbeitsaufgabe durch den Arbeitnehmer geendet hätte, dadurch Rechnung getragen, dass eine Verkürzung der Sperrzeit auf drei bzw sechs Wochen in § 159 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 bzw Nr. 2a SGB III für Fälle vorgesehen ist, wenn das Arbeitsverhältnis binnen sechs bzw zwölf Wochen nach dem Beendigungszeitpunkt sowieso geendet hätte.
Unter Berücksichtigung, dass dem Kläger demnach bereits drei Monate früher hätte Alg gezahlt werden müssen – dies war nur im Hinblick auf das Ruhen wegen der Entlassungsentschädigung nicht der Fall -, überwiegt sein Interesse eine Abfindung zu erhalten zur Überzeugung des Senates nicht. Zwar kann auch die Vermeidung von Nachteilen, die mit einer Kündigung für das weitere berufliche Fortkommen verbunden sei können, einen wichtigen Grund bilden (vgl dazu BSG, Urteil vom 17.10.2002 – B 7 AL 136/01 R – SozR 3-4300 § 144 Nr. 12). Allerdings kann hier nicht erkannt werden, inwiefern durch eine betriebsbedingte Kündigung das weitere berufliche Fortkommen des Klägers hätte behindert werden können. Es gibt keinerlei konkrete Anhaltspunkte, dass sich eine solche unverschuldete Kündigung hätte negativ auswirken können. Vielmehr wäre sie nach den eigenen Angaben des Klägers alleine dem Wegfall seines Arbeitsplatzes geschuldet gewesen. Dass dies die Chancen der Bewerbung bei neuen Arbeitgebern signifikant verschlechtert hätte, ist nicht nachgewiesen. Im Übrigen drohte dem Kläger – wie oben ausgeführt – keine Kündigung zum gleichen Zeitpunkt, zu dem das Arbeitsverhältnis durch den Aufhebungsvertrag beendet worden ist (so aber im Fall des BSG, Urteil vom 17.10.2002 – B 7 AL 136/01 R – SozR 3-4300 § 144 Nr. 12).
Auch unter Berücksichtigung der gesamten Umstände, die der Kläger für seine Auflösung des Arbeitsverhältnisses vorbringt, ist demnach kein wichtiger Grund anzuerkennen.
Die Beklagte hat den Beginn und die Dauer der Sperrzeit zutreffend festgestellt. Die Sperrzeit begann mit dem Tag nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet hat (§ 159 Abs. 2 Satz 1 SGB III), somit am 01.07.2015.
Die Dauer der Sperrzeit beträgt nach § 159 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 4 Nr. 3 SGB III zwölf Wochen. Gründe, die Sperrzeit auf drei bzw. sechs Wochen wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Sperrzeit innerhalb von sechs bzw. zwölf Wochen nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet (§ 159 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 bzw Nr. 2a SGB III), oder wegen einer besonderen Härte (§ 159 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2b SGB III) herabzusetzen, liegen nicht vor. Die Annahme einer besonderen Härte ist gerechtfertigt, wenn nach den Gesamtumständen des Einzelfalles der Eintritt einer Sperrzeit mit der Regeldauer im Hinblick auf die für ihren Eintritt maßgebenden Tatsachen objektiv als unverhältnismäßig anzusehen ist (vgl BSG, Urteil vom 26.03.1998 – B 11 AL 49/97 R – SozR 3-4100 § 119 Nr. 14; SächsLSG, Urteil vom 07.05.2009 – L 3 AL 238/06). Die gesetzliche Regelung entzieht sich einer generalisierenden Betrachtung; vielmehr ist eine Bewertung der Gesamtumstände des Einzelfalls vorzunehmen (BSG, Urteil vom 05.06.1997 – 7 RAr 22/96 – SozR 3-1500 § 144 Nr. 12; Urteil vom 02.05.2012 – B 11 AL 18/11 R – SozR 4-4300 § 144 Nr. 24), wobei unverschuldete Rechtsirrtümer zu berücksichtigen sind (vgl BSG, Urteil vom 13.03.1997 – 11 RAr 25/96 – SozR 3-4100 § 119 Nr. 11; Urteil vom 05.06.1997 – 7 RAr 22/96 – SozR 3-1500 § 144 Nr. 12; Urteil vom 02.05.2012 – B 11 AL 18/11 R – SozR 4-4300 § 144 Nr. 24). Vorliegend erfolgte insbesondere keine Falschberatung durch die Beklagte, auf die der Kläger bei Abschluss des Aufhebungsvertrages hätte vertrauen können. Auch die Gesamtumstände des Falles gebieten keine Annahme einer besonderen Härte, zumal gerade die unumgängliche Beendigung des Arbeitsverhältnis zu einem späteren Zeitpunkt bereits von § 159 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2a SGB III erfasst werden. Eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses innerhalb von zwölf Wochen nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet, ist bereits deshalb nicht gegeben, da die Zeitspanne vom 01.07.2015 bis 30.09.2015 mehr als zwölf Wochen beträgt.
Damit hat der Anspruch auf Alg für die Zeit vom 01.07.2015 bis 22.09.2015 wegen des Eintritts einer Sperrzeit geruht. Die Minderung der Anspruchsdauer um 135 Tagen (1/4 von 540 Tagen) folgt aus § 148 Abs. 1 Nr. 4 SGB III.
Die Berufung des Klägers hat nach alledem keinen Erfolg und war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich.


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