Arbeitsrecht

Elterngeldberechtigung – inländischer Wohnsitz – Auslandsaufenthalt von über einem Jahr – dauerhafter Schwerpunkt der Lebensverhältnisse – Doppelwohnsitz – zumindest annähernde Gleichwertigkeit mehrerer Lebensmittelpunkte – Vorrang des Familienwohnsitzes

Aktenzeichen  B 10 EG 6/19 R

Datum:
18.3.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BSG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BSG:2021:180321UB10EG619R0
Normen:
§ 1 Abs 1 S 1 Nr 1 BEEG
§ 30 Abs 3 S 1 SGB 1
§ 4 SGB 4
§ 8 AO 1977
Spruchkörper:
10. Senat

Verfahrensgang

vorgehend SG Stuttgart, 10. Oktober 2018, Az: S 9 EG 423/18, Urteilvorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg, 15. Oktober 2019, Az: L 11 EG 4204/18, Urteil

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. Oktober 2019 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1
Die Klägerin wehrt sich gegen die Aufhebung der Elterngeldbewilligung für den siebten bis zwölften Lebensmonat ihrer am 18.3.2017 geborenen jüngeren Tochter (nachfolgend: E) wegen eines längeren Aufenthalts der Familie in Kanada.
2
Vor der Geburt ihrer Tochter E war die Klägerin versicherungspflichtig beschäftigt und befand sich seitdem in Elternzeit, in der sie kein Einkommen erzielte. Ihr Ehemann war bei der Firma D beschäftigt.
3
Bei der Geburt von E lebte die Klägerin mit ihrem Ehemann und dem gemeinsamen älteren Geschwisterkind in einer Wohnung in (nachfolgend: W). Die Wohnung gehört der Klägerin, ist aber mit einem Nießbrauch ihres Vaters belastet, der ihr die Wohnung dauerhaft vermietet.
4
Mit Bescheid vom 15.5.2017 bewilligte die Beklagte der Klägerin Basiselterngeld für den dritten bis zwölften Lebensmonat von E. Ab dem siebten Lebensmonat ergab sich einschließlich des Geschwisterbonus ein Betrag von monatlich 1980 Euro, für den elften und zwölften Lebensmonat von monatlich 1800 Euro.
5
Im Juli 2017 teilte die Klägerin der Beklagten mit, ihr Ehemann werde ab September des Jahres nach Kanada versetzt. Sie beabsichtige, so viel Zeit wie möglich mit ihrem Mann und den Kindern in Kanada zu verbringen. Sie werde aber in regelmäßigen Abständen nach Hause kommen, wo sie unentgeltlich bei ihren Eltern wohnen könne. Sie behalte ihren Arbeitgeber und einen Wohnsitz in Deutschland.
6
Der Arbeitgeber des Ehemanns gab an, dieser werde für die Zeit vom 1.9.2017 bis zum 31.8.2020 an eine Einsatzgesellschaft in die USA entsandt, die ihn wiederum an die in V überlassen werde. Grundlage bilde ein Entsendevertrag. Das Arbeitsverhältnis mit der Firma D ruhe für die Dauer der Entsendung. Die Einsatzgesellschaft trage die Personal- und Sachkosten zu 100 Prozent und habe das tägliche Weisungsrecht.
7
Mit Änderungsbescheid vom 28.7.2017 hob die Beklagte den Bewilligungsbescheid für die Zeit ab dem siebten Lebensmonat der E (18.9.2017) auf. Mit ihrem Wegzug nach Kanada ab dem 1.9.2017 verliere die Klägerin ihren Wohnsitz und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland.
8
Im Widerspruchsverfahren führte die Klägerin aus, sie sei mit ihrem Mann und den Kindern am 1.9.2017 nach Kanada geflogen. Sie könne aber jederzeit in ihre Wohnung in W zurückkehren. Sie müsse sich dort regelmäßig um ein geerbtes Haus und landwirtschaftliche Flächen kümmern. Wann sie nach Deutschland zurückkomme, stehe noch nicht fest. Sie hätten vor, Weihnachten zu Hause zu feiern. Im Februar wollten sie die Vorsorgeuntersuchungen der Kinder bei ihrem Kinderarzt durchführen lassen. Außerdem stehe noch die Hochzeit ihrer besten Freundin an und im April eine wichtige Präsentation ihres Arbeitgebers. Möglicherweise flögen sie aber auch gar nicht nach Deutschland, was vom Gesundheitszustand ihrer Kinder abhänge. Sie zahle in Deutschland Steuern und beziehe weiterhin Kindergeld. Den Widerspruch wies die Beklagte nach Anhörung der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 21.12.2017 zurück.
9
Das SG hat ihre Klage unter Verweis auf den fehlenden Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland abgewiesen (Urteil vom 10.10.2018). Zur Begründung ihrer Berufung hat die Klägerin vorgetragen, der Aufenthalt ihres Ehemannes in Kanada sei projektbezogen; die Rückkehr könne jederzeit nach Abschluss des Projekts erfolgen. Die drei Jahre stellten nur eine Höchstgrenze dar. Ihr Ehemann unterliege weiter der Sozialversicherungspflicht in Deutschland. Den geplanten mehrwöchigen Aufenthalt über die Weihnachtsfeiertage habe sie zwar wegen einer Erkrankung ihrer Tochter verschieben müssen. Sie habe sich aber im Jahr 2018 von Mitte März bis Mitte April in ihrem Heimatort aufgehalten.
10
Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Die Klägerin habe im streitigen Zeitraum weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, sondern ihren alleinigen Lebensmittelpunkt in V bei ihrem Ehemann gehabt. Die Familie habe die Wohnung in Deutschland nur für vorübergehende Aufenthalte zu Urlaubs-, beruflichen oder familiären Zwecken genutzt. Der Ehemann sei nicht entsandt gewesen. Eine der Entsendung vergleichbare Konstellation habe nicht bestanden (Urteil vom 15.10.2019).
11
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin einen Verstoß gegen § 30 Abs 3 Satz 1 SGB I iVm § 1 Abs 1 des Gesetzes zum Elterngeld und zur Elternzeit (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz – BEEG). Sie macht geltend, sie habe nach dem 1.9.2017 einen Wohnsitz in Deutschland beibehalten. Sie habe langfristig einen mehrwöchigen Aufenthalt mit Wohncharakter über die Weihnachtsfeiertage geplant, den sie nur wegen der Erkrankung ihrer Tochter verschoben habe. Zudem gehe auch die Familienkasse von einem inländischen Wohnsitz aus und gewähre deshalb weiterhin Kindergeld. Die Nichtberücksichtigung der Zahlung von Sozialbeiträgen durch ihren Ehemann verstoße gegen Art 3 Abs 1 GG.
12
Die Klägerin beantragt,das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 10. Oktober 2018 und das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. Oktober 2019 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Dezember 2017 aufzuheben.
13
Die Beklagte beantragt,die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
14
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.


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