Arbeitsrecht

Elterngeldrechtliche Behandlung von Zahlungen im Rahmen der finanziellen Kompensation eines Zeitguthabens bei gleitender Arbeitszeit

Aktenzeichen  L 9 EG 66/15

Datum:
8.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 15650
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BEEG § 2, § 2b, § 2c Abs. 1 S. 2, § 27

 

Leitsatz

1. Auswertung der BSG-Urteile vom 14.12.2017 – B 10 EG 4/17 R und B 10 EG 7/17 R. (Rn. 31)
2. Das BSG verlangt für die Eigenschaft als laufenden Arbeitslohn nicht nur die Zahlung im regelmäßigen Turnus, sondern kumulativ eine spezifische Zweckbestimmung für bestimmte aufeinanderfolgende Zeiträume. (Rn. 34)
3. Bei einem Zeitguthaben auf einem Gleitzeitkonto erscheint dessen finanzielle Abgeltung grundsätzlich wesensfremd. In der Regel kann sie keinen laufenden Arbeitslohn erzeugen, auch wenn die Auszahlung letztlich über einen längeren Zeitraum hinweg in „Monatsraten“ erfolgt. (Rn. 37)

Verfahrensgang

S 5 EG 24/15 2015-11-18 Urt SGAUGSBURG SG Augsburg

Tenor

I. Auf die Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 18. November 2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Beklagte hat mit seiner Berufung Erfolg. Die Berufung ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht entsprochen. Höhere Leistungen, als sie der Beklagte im Bescheid vom 07.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.07.2015 bewilligte, stehen dem Kläger nicht zu.
Gegenstand der Anfechtungsklage – insgesamt liegt eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage vor – ist der Bewilligungsbescheid vom 07.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.07.2015. Da die Bewilligung endgültig und nicht nur vorläufig ausgesprochen worden war, kam es nicht zum Erlass eines Zweitbescheids. Von dem Vorbehalt des Widerrufs hat der Beklagte keinen Gebrauch gemacht. Bei dem hier vorliegenden Höhenstreit ist der Streitgegenstand grundsätzlich nicht auf ein einzelnes Berechnungselement beschränkt. Vielmehr prüft der Senat innerhalb der Grenzen des klägerischen Antrags unter allen tatsächlichen und rechtlichen Facetten, ob dem Kläger höhere Leistungen zustehen. Andererseits berücksichtigt der Senat auch solche Aspekte, die das vom Kläger begehrte Optimum auf anderem Weg wieder reduzieren.
Die Voraussetzungen für die Entstehung eines Anspruchs dem Grunde nach liegen unzweifelhaft vor. Dies ergibt sich aus § 1 Abs. 1 BEEG in der seit 01.01.2015 geltenden Fassung; die Maßgeblichkeit dieser Fassung folgt aus § 27 Abs. 1 Satz 1 BEEG in Verbindung mit dem Umstand, dass L. nach dem 31.12.2014 geboren worden ist. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BEEG hat Anspruch auf Elterngeld, wer
1.einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat,
2.mit seinem Kind in einem Haushalt lebt,
3.dieses Kind selbst betreut und erzieht und
4.keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt.
Alle diese Voraussetzungen erfüllte der Kläger. Er hatte während des gesamten Bezugszeitraums seinen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, lebte mit L. in einem Haushalt, betreute und erzog sie selbst und übte entsprechend seiner Ankündigung im Elterngeldantrag während des Bezugszeitraums keine Erwerbstätigkeit aus. Ein ordnungsgemäßer Antrag lag vor. Der Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 8 BEEG ist nicht erfüllt, weil das zu versteuernde Einkommen beider Elternteile zusammen im letzten abgeschlossenen Veranlagungszeitraum vor der Geburt deutlich unter 500.000 EUR blieb.
Entgegen der Ansicht des Klägers und des Sozialgerichts hat der Beklagte auch die Höhe des Elterngelds zutreffend festgesetzt.
Für die Bestimmung der Höhe des Elterngelds ist im Wesentlichen das bis zum 31.12.2014 geltende Recht (im Folgenden: aF) heranzuziehen. Dies folgt aus § 27 Abs. 1 Satz 2 BEEG. Allein § 2c Abs. 1 Satz 2 BEEG muss ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Rechts, also ab 01.01.2015, in seiner neuen Fassung auf den bereits laufenden Leistungsfall angewandt werden (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 3 BEEG).
Die Basisnorm für die Bemessung des Elterngelds ist § 2 Abs. 1 und 2 BEEG aF. Soweit für den vorliegenden Fall von Bedeutung, lauten diese Regelungen wie folgt:
„(1) 1Elterngeld wird in Höhe von 67 Prozent des Einkommens aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt des Kindes gewährt. 2Es wird bis zu einem Höchstbetrag von 1.800 Euro monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit hat. 3Das Einkommen aus Erwerbstätigkeit errechnet sich nach Maßgabe der §§ 2c bis 2f aus der um die Abzüge für Steuern und Sozialabgaben verminderten Summe der positiven Einkünfte aus
1. nichtselbständiger Arbeit nach § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 des Einkommensteuergesetzes sowie
2 …,
die im Inland zu versteuern sind und die die berechtigte Person durchschnittlich monatlich im Bemessungszeitraum nach § 2b … hat.
(2) … 2In den Fällen, in denen das Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt höher als 1.200 Euro war, sinkt der Prozentsatz von 67 Prozent um 0,1 Prozentpunkte für je 2 Euro, um die dieses Einkommen den Betrag von 1.200 Euro überschreitet, auf bis zu 65 Prozent.“
Eine zeitliche Spezifizierung des Normteils „vor der Geburt des Kindes“ erfolgt in § 2b Abs. 1 Satz 1 BEEG aF. Danach sind für die Ermittlung des Einkommens aus nichtselbständiger Erwerbstätigkeit vor der Geburt die zwölf Kalendermonate vor dem Monat der Geburt des Kindes maßgeblich. Im Fall des Klägers, der nur Einkommen aus nichtselbständiger Erwerbstätigkeit bezog, handelt es sich grundsätzlich um die zwölf Kalendermonate vor März 2015. Ein Tatbestand des § 2b Abs. 1 Satz 2 BEEG aF, der zu einer Verschiebung des Bemessungszeitraums geführt hätte, liegt nicht vor. Der Beklagte hat also mit den Monaten März 2014 bis Februar 2015 den zutreffenden Bemessungszeitraum herangezogen.
Das Einkommen aus Erwerbstätigkeit des Klägers im Bemessungszeitraum hat der Beklagte zutreffend taxiert; insbesondere hat er die Vorschrift des § 2c Abs. 1, 2 BEEG aF korrekt angewandt. Diese Bestimmung lautet:
(1) 1Der monatlich durchschnittlich zu berücksichtigende Überschuss der Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit in Geld oder Geldeswert über ein Zwölftel des Arbeitnehmer-Pauschbetrags, vermindert um die Abzüge für Steuern und Sozialabgaben nach den §§ 2e und 2f, ergibt das Einkommen aus nichtselbstständiger Erwerbstätigkeit. 2Nicht berücksichtigt werden Einnahmen, die im Lohnsteuerabzugsverfahren als sonstige Bezüge behandelt werden. …
(2) Grundlage der Ermittlung der Einnahmen sind die Angaben in den für die maßgeblichen Monate erstellten Lohn- und Gehaltsbescheinigungen des Arbeitgebers.
Allerdings gilt gemäß § 27 Abs. 1 Satz 3 BEEG von dieser alten Fassung nicht auch § 2c Abs. 1 Satz 2 BEEG. Diese Norm findet auf den vorliegenden Fall vielmehr in der Fassung ab 01.01.2015 Anwendung, wonach Einnahmen nicht berücksichtigt werden dürfen, die im Lohnsteuerabzugsverfahren als sonstige Bezüge zu behandeln sind. Mit dieser Neuregelung geht eine grundlegend veränderte BSG-Rechtsprechung einher.
Das BSG hat die Kriterien für die Qualifizierung von Zuflüssen als sonstige Bezüge im Sinn von § 2c Abs. 1 Satz 2 BEEG in zwei Urteilen vom 14.12.2017 (B 10 EG 4/17 R und B 10 EG 7/17 R) neu definiert, und zwar in einer Weise, die von der bis dahin geltenden BSG-Rechtsprechung massiv abweicht. Untrennbar verknüpft und begründet hat das BSG seine neue Linie mit der ab 01.01.2015 geänderten Fassung von § 2c Abs. 1 Satz 2 BEEG (vgl. nur Urteil vom 14.12.2017 – B 10 EG 7/17 R, Rn. 25 a.E.: „Unter der neuen Gesetzesfassung …“), was die bisherige Rechtsprechung nicht als von Anfang an falsch, sondern quasi durch nachträglichen Eintritt veränderter rechtlicher Rahmenbedingungen hinfällig erscheinen lässt.
Kernelement der neuen Rechtsprechung ist eine abstrakte definitorische Abgrenzung der Begriffe laufender Arbeitslohn und sonstige Bezüge. Dabei vermeidet das BSG anders als bisher jeglichen elterngeldrechtlichen Einschlag. Vielmehr nimmt es eine Auslegung allein auf der einkommensteuerrechtlichen Ebene vor; es interpretiert die Begriffe in ihrem Kontext in § 38a EStG. Das entscheidende Abgrenzungskriterium sieht das BSG in der Eigenschaft „fortlaufend“ (vgl. nur Urteil vom 14.12.2017 – B 10 EG 7/17 R, Rn. 27). Den fortlaufenden Charakter einer Zahlung bejaht das BSG im Wesentlichen nur dann, wenn diese im regulären, dem Arbeitsverhältnis zugrundeliegenden Zahlungsturnus – zumeist also monatlich – erfolgt; allenfalls unwesentliche Abweichungen von den regulären Zahlungsintervallen sollen unschädlich sein (vgl. Urteil vom 14.12.2017 – B 10 EG 7/17 R, Rn. 31). Neben dem regulären Zahlungsturnus kann es keinen zweiten mit größeren Intervallen geben, der ebenfalls die Eigenschaft „fortlaufend“ vermitteln könnte (vgl. Urteil vom 14.12.2017 – B 10 EG 7/17 R, Rn. 32).
Da im Fall des Klägers § 2c Abs. 1 Satz 2 BEEG in der ab 01.01.2015 geltenden Fassung Anwendung findet, ist die alte Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals „sonstige Bezüge“, auf die sich auch der Kläger gestützt hat, obsolet. Angesichts dessen orientiert sich der Senat bei der Rechtsfindung, ob es sich bei den fraglichen Bezügen um laufenden Arbeitslohn oder sonstige Bezüge handelt, an den BSG-Urteilen vom 14.12.2017. Stellte man allein auf das Kriterium der zeitlichen Auszahlungsintervalle ab, erschiene es nicht einmal abwegig, hier laufenden Arbeitslohn anzunehmen. Denn die Vergütung „Mehrarbeit EZ/h“ wurde tatsächlich monatlich, nämlich in sechs aufeinanderfolgenden Monaten (September 2014 bis einschließlich Februar 2015), ausbezahlt; darauf hat der Kläger auch immer wieder hingewiesen.
Das allein macht die Zahlungen „Mehrarbeit EZ/h“ jedoch noch nicht zu laufendem Arbeitslohn. Vielmehr hat das BSG die materiell-rechtliche Abgrenzung unter Berufung auf eine Kommentierung von Stache in Bordewin/Brandt, Kommentar zum Einkommensteuergesetz (§ 38a Rn. 33, Stand der Einzelkommentierung August 2017), dahin formuliert, einen sonstigen Bezug stellten Zahlungen dar, die entweder nicht für bestimmte, aufeinanderfolgende Zeiträume erfolgten oder solche, die den üblichen Lohnzahlungszeitraum erheblich überschreiten würden (Urteil vom 14.12.2017 – B 10 EG 7/17 R, Rn. 31). Neben dem formalen Abstellen auf den Auszahlungsturnus – dieser Gesichtspunkt war in den beiden BSG-Urteilen Ausschlag gebend – existiert für das Vorliegen von laufendem Arbeitslohn also ein kumulatives Erfordernis einer spezifischen Zweckbestimmung der Zahlungen. Die neue BSG-Rechtsprechung verneint unter Rekurs auf die o.g. Kommentierung von Stache laufenden Arbeitslohn nämlich auch dann, wenn ein Bezug nicht für bestimmte aufeinanderfolgende Zeiträume gezahlt wird – die Präposition „für“ steht hier sicher nicht zufällig. Nicht nur die Zahlung selbst muss sich als fortlaufend darstellen, vielmehr auch der Zahlungszweck.
An Letzterem fehlt es bei den hier streitigen Vergütungen „Mehrarbeit EZ/h“. Werden in Konformität mit den arbeitsvertraglichen Regeln in einem konkreten Monat erarbeitete Überstunden beispielsweise im Folgemonat ausbezahlt, hat man es mit „geborenem“ laufenden Arbeitslohn zu tun, der dem regulären Arbeitsentgelt nur eine schwankende Höhe verleiht. Dabei kann kein Zweifel bestehen, dass es sich um „regelmäßige und fortlaufende“ Bezüge handelt, auch wenn Mehrarbeit nicht allmonatlich anfallen mag. Auch der für das Arbeitsverhältnis des Klägers geltende Manteltarifvertrag für den Groß- und Außenhandel Bayern (im Folgenden: Manteltarifvertrag) sieht in § 9 Nr. 1 grundsätzlich die finanzielle Abgeltung von Mehrarbeit vor.
Die Situation im vorliegenden Fall stellt sich jedoch grundlegend anders dar. Eine Mehrarbeit im Sinn von § 9 des Manteltarifvertrags liegt hier nicht vor. Für das Arbeitsverhältnis des Klägers bestand vielmehr eine Gleitzeitregelung. Während Überstunden – oder „Mehrarbeit“ im Sinn von § 9 des Manteltarifvertrags – das vertraglich definierte Arbeitsquantum überschreiten, hält sich die im Rahmen des Gleitzeitmodells erbrachte Arbeitsleistung gerade innerhalb des vertraglich Vereinbartem. Das arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitsquantum wandelt sich im Rahmen eines Gleitzeitmodells zu einer abstrakteren und mittelbareren Größe als bei herkömmlicher Arbeitszeitgestaltung.
Die Besonderheiten des Gleitzeitmodells stehen einer Kategorisierung der Vergütungen „Mehrarbeit EZ/h“ als laufenden Arbeitslohn entgegen. Arbeitszeit, die über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistet wurde, ging im Arbeitsverhältnis des Klägers automatisch – also ohne spezielle Anordnung eines Vorgesetzten – in ein Zeitkonto ein. Das Gleitzeitmodell zeichnet sich allgemein dadurch aus, dass „Mehrarbeit“ an einzelnen Tagen durch Wenigerarbeit an anderen bei grundsätzlicher Dispositionsfreiheit des Arbeitnehmers ausgeglichen wird. Das Modell ist geradezu auf zeitlichen Ausgleich angelegt, ein finanzieller Ausgleich ist ihm fremd. Angesichts dessen hat der Kläger hier eine (die regelmäßige Einkommenssituation verzerrende) Sonderbehandlung erwirkt, die einem Gleitzeitmodell an sich zuwiderläuft. Der zusätzliche, „erschwerende“ Umstand, dass der Kläger die Auszahlung mit dem einzigen Motiv erwirkt hat, die Elterngeldleistung in die Höhe zu treiben, und sich damit gewissermaßen in den Verdacht des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens gebracht hat, soll an dieser Stelle gar nicht thematisiert werden. Auch von Seiten seiner Arbeitgeberin ist bestätigt worden, dass bei einem Zeitkonto die finanzielle Abgeltung wesensfremd und damit die Ausnahme ist. Daran würde auch nichts ändern, wenn die E. GmbH, wie es der Kläger andeutet, bei der Zulassung solcher Ausnahmen besonders großzügig verfahren sollte. Allein schon der Ausnahmecharakter der finanziellen Abgeltung verbietet es, die Zahlungen „Mehrarbeit EZ/h“ die Attribute „regelmäßig und fortlaufend“ zuzubilligen. Die finanzielle Abgeltung des Zeitguthabens ist in keiner Weise auf Wiederholung angelegt, ihr fehlt jede Stetigkeit; sie ist Ausnahme und bleibt Ausnahme.
Hinzu kommt, dass die Zahlungen nicht bestimmten Zeiträumen geschweige denn konkreter Arbeit zugeordnet werden können, so dass eine Zahlung „für fortlaufende Zeiträume“ nicht festgestellt werden kann. Durch die Einstellung in das Gleitzeitkonto verliert nämlich die tagtäglich geleistete Arbeit in quantitativer Hinsicht ihre Identität und geht in dem Zeitkonto auf. Was bleibt, ist ein täglicher Saldo. So betraf denn auch die finanzielle Abgeltung im vorliegenden Fall allein einen bestimmten (Überschuss-) Saldo zu einem Stichzeitpunkt. Von einer Zeitraumbezogenheit der Zahlung oder einer Zuordenbarkeit zu bestimmter geleisteter Arbeit kann keine Rede sein.
Die vom Sozialgericht vertretene strikte Bindung des Elterngeldrechts an die Vorgaben in den LStR erscheint nach den BSG-Urteilen vom 14.12.2017 nicht mehr haltbar. Dort hat das BSG in Einklang mit seiner früheren Rechtsprechung verdeutlicht, dass die LStR weder die Elterngeldbehörden noch die Sozialgerichte binden. Aber noch verstärkend hat es darauf hingewiesen, im Hinblick auf die LStR stelle sich kein verfassungsrechtliches Problem der dynamischen Verweisung (vgl. Urteil vom 14.12.2017 – B 10 EG 7/17 R, Rn. 27 a.E.); zu diesem Ergebnis kann das BSG nur dann kommen, wenn es den LStR tatsächlich jegliche Bindungswirkung abspricht. Vor allem gilt es hervorzuheben, dass das BSG eine „materiell-rechtliche“ Abgrenzung der sonstigen Bezüge und des laufenden Arbeitslohns gefunden hat, die den LStR sogar partiell widerspricht; so wären nach R 39b.2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 10 LStR in zweimonatlichen Intervallen gezahlte Provisionen beispielsweise dem laufenden Arbeitslohn zuzurechnen, nach der neuen BSG-Rechtsprechung aber den sonstigen Bezügen, sofern die Grundvergütung nur monatlich ausbezahlt wird. Dass das BSG an anderer Stelle sein im konkreten Fall gefundenes Ergebnis dann doch mit den LStR abgeglichen hat (Urteil vom 14.12.2017 – B 10 EG 7/17 R, Rn. 33), mag inkonsequent sein, ändert aber nichts am Fehlen einer Regelungswirkung der LStR für das Elterngeldrecht.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass der Kläger nach der neuen BSG-Rechtsprechung nicht nur daran scheitert, dass die Vergütungen „Mehrarbeit EZ/h“ materiell-rechtlich nicht dem laufenden Arbeitslohn zuzuordnen sind. Er muss auch deswegen ohne Erfolg bleiben, weil dem BSG zufolge die bestandskräftige Lohnsteueranmeldung für die Frage, ob im Sinn von § 2c Abs. 1 Satz 2 BEEG sonstige Bezüge vorliegen, Tatbestandswirkung entfaltet. Das heißt: Der Kläger hätte gegen die Behandlung der Vergütungen „Mehrarbeit EZ/h“ durch seine Arbeitgeberin als sonstige Bezüge steuerrechtlich vorgehen müssen. Dass er das 2014/2015 unterlassen hat, muss er sich jetzt im Elterngeldrecht entgegenhalten lassen. Wegen der Einzelheiten dazu verweist der Senat auf Rn. 33 ff. des BSG-Urteils vom 14.12.2017 – B 10 EG 7/17 R. Der Senat vermag sich zwar insoweit nicht dem BSG anzuschließen. Gleichwohl ist Fakt, dass die neue BSG-Rechtsprechung das Unterfangen des Klägers in mehrfacher Hinsicht aussichtslos erscheinen lässt.
Dennoch ist der Kläger nicht allein „Opfer“ einer plötzlichen und gravierenden Wende in der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Auch nach der vor dem 14.12.2017 vorhanden BSG-Rechtsprechung, welche die Prägung der wirtschaftlichen Verhältnisse als Kriterium für die Berücksichtigung von Einnahmen in den Mittelpunkt gerückt hatte, hätte der Kläger nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung keine Chance gehabt. Denn die hier getätigte Auszahlung der Vergütungen „Mehrarbeit EZ/h“ stellt einen bewussten Versuch dar, die Bemessungsgrundlage für das Elterngeld abweichend von den Normalverhältnissen künstlich zu erhöhen. Dass die einmalige, spontane, zweckgerichtete und nach den rechtlichen Gegebenheiten völlig unübliche Auszahlung eines Gleitzeitsaldos keine prägenden Einkünfte generieren kann, deren Berücksichtigung elterngeldrechtlich gerechtfertigt wäre, liegt auf der Hand.
Auch im Übrigen sind Fehler des Beklagten nicht zu erkennen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.


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