Arbeitsrecht

Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (hier: Mitarbeiter bei der Postbeamtenkrankenkasse) nach Einreichung von gefälschten Arztrechnungen

Aktenzeichen  AN 13a D 18.01404

Datum:
7.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 25234
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BDG § 10 Abs. 1, § 17, § 19 Abs. 1, § 22 Abs. 3
StGB § 20, § 21, § 263 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, § 267 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1
BBG § 38 Abs. 2, § 61 Abs. 1, § 78
ZPO § 411 Abs. 3
StPO § 267 Abs. 4
BPersVG Art. 78 Abs. 1 Nr. 3
BeamtStG § 47 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Reicht ein Beamter der Bundesanstalt für Post- und Telekommunikation, der dort als Mitarbeiter bei der Postbeamtenkrankenkasse (PBeaKK) eingesetzt ist und selbst bei der PBeaKK krankenversichert und gegenüber der Bundesanstalt für Post- und Telekommunikation beihilfeberechtigt ist, in 13 Fällen von ihm zuvor selbst hergestellte Arztrechnungen in Höhe von insgesamt 9.964,11 Euro zur Erstattung ein, kann dies die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis rechtfertigen. (redaktioneller Leitsatz)
2. Dass sich die Personalvertretung für eine Zurückstufung ausgesprochen hat, hindert die Erhebung einer Disziplinarklage mit dem Ziel der Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis nicht. (Rn. 191) (redaktioneller Leitsatz)
3. Betrugshandlungen eines übergeleiteten Beamten zur Erlangung unberechtigter Kassenleistungen gegenüber der Postbeamtenkrankenkasse sind als innerdienstliches Dienstvergehen zu werten, da sie in das Amt eingebunden sind und der Beamte der Kasse nicht als Privatperson gegenübertritt. (Rn. 202 – 203) (redaktioneller Leitsatz)
4. Begeht ein Beamter innerdienstlich eine Straftat, für die das Strafgesetzbuch einen Strafrahmen von bis zu drei Jahren vorsieht, reicht der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (ebenso BVerwG BeckRS 2016, 43599). (Rn. 215) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Gegen die Beklagte wird auf die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die zulässige Disziplinarklage führt in Anwendung der § 10 Abs. 1, 13 Abs. 2 BDG zur Entfernung der Beklagten aus dem Beamtenverhältnis, da die Beklagte durch ein schweres innerdienstliches Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren hat.
I.
Das Disziplinarverfahren weist in formeller Hinsicht keine Mängel auf.
Die Zuständigkeit des Präsidenten der Bundesanstalt für … für die Erhebung der Disziplinarklage ergibt sich aus §§ 34 Abs. 2, 83 Abs. 1 BDG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung des Bundesdisziplinargesetzes bei der Bundesanstalt für … und der Museumsstiftung … (BDGPNEDV) vom 25. Mai 2012 (BGBl. I S. 1238) in der Fassung der Verordnung vom 22. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2575).
Die Personalvertretung wurde antragsgemäß nach Art. 78 Abs. 1 Nr. 3 BPersVG beteiligt, ebenso die Schwerbehindertenvertretung und die Gleichstellungsbeauftragte. Die beteiligten Stellen haben jeweils Stellungnahmen abgegeben.
Dass sich die Personalvertretung für eine Zurückstufung ausgesprochen hat, hindert die Erhebung einer Disziplinarklage mit dem Ziel der Entfernung der Beklagten aus dem Beamtenverhältnis nicht.
Im Mitwirkungsverfahren nach § 78 Abs. 1 Nr. 3 BPersVG kann der Personalrat Einwendungen nur auf die in § 77 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BPersVG bezeichneten Gründe stützen (§ 78 Abs. 2 Satz 3 BPersVG).
Danach kann der Personalrat seine Zustimmung verweigern, wenn
1. die Maßnahme gegen ein Gesetz, eine Verordnung, eine Bestimmung in einem Tarifvertrag, eine gerichtliche Entscheidung, den Frauenförderplan oder eine Verwaltungsanordnung oder gegen eine Richtlinie im Sinne des § 76 Abs. 2 Nr. 8 BPersVG verstößt oder
2. die durch Tatsachen begründete Besorgnis besteht, dass durch die Maßnahme der betroffene Beschäftigte oder andere Beschäftigte benachteiligt werden, ohne dass dies aus dienstlichen oder persönlichen Gründen gerechtfertigt ist.
Die genannten Gründe liegen ersichtlich nicht vor und wurden im Mitwirkungsverfahren durch die Personalvertretung auch nicht geltend gemacht.
Die Beklagte wurde im Disziplinarverfahren ordnungsgemäß belehrt und angehört (§ 20 BDG). Sie konnte sich gemäß § 30 BDG abschließend äußern.
Die Klageschrift entspricht den Anforderungen des § 52 Abs. 1 BDG.
II.
Der der Beklagten in der Disziplinarklage zur Last gelegte Sachverhalt steht fest auf Grund der tatsächlichen Feststellungen im rechtskräftigen Strafurteil des Amtsgerichts … vom 21. Mai 2014 – 432 Ds 305 Js 24788/12 -, mit welchem die Beklagte wegen Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung in 13 Fällen gemäß §§ 263 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, 267 Abs. 1, 3 Nr. 1, 52, 53, 56 StGB zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten verurteilt worden ist, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Urteil ist seit dem 26. Mai 2014 rechtskräftig.
Die tatsächlichen Feststellungen des Urteils sind gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG für das Disziplinarklageverfahren bindend. Die Beklagte hat den ihr zur Last gelegten Sachverhalt auch eingeräumt.
Die Beklagte hat demnach zwischen dem 22. Februar 2008 und dem 2. April 2012 in dreizehn Fällen gefälschte Arztrechnungen in Höhe von insgesamt 9.964,11 EUR zur Erstattung bei der Postbeamtenkrankenkasse eingereicht und hierdurch die Postbeamtenkrankenkasse bzw. ihren Dienstherrn durch die ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Beihilfe- bzw. Kassenleistungen in gleicher Höhe geschädigt.
III.
Durch das festgestellte Verhalten hat die Beklagte gegen die ihr obliegenden Dienstpflichten verstoßen und dadurch ein einheitliches innerdienstliches Dienstvergehen begangen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. zuletzt: B.v. 19.8.2019 – 2 B 72/18 -, juris Rn. 8 f. m.w.N.) ist das wesentliche Unterscheidungselement zwischen inner- und außerdienstlicher Pflichtverletzung im Sinne von Satz 1 und 2 des § 77 BBG funktionaler Natur. Entscheidend für die rechtliche Einordnung eines Verhaltens als innerdienstliche Pflichtverletzung ist dessen kausale und logische Einbindung in ein Amt und die damit verbundene dienstliche Tätigkeit. Ist eine solche Einordnung nicht möglich – insbesondere wenn sich das Handeln als das einer Privatperson darstellt -, ist es als außerdienstliches (Fehl-)Verhalten zu qualifizieren.
Ausgehend von der danach maßgebenden funktionalen Betrachtungsweise sind Betrugshandlungen eines übergeleiteten Beamten zur Erlangung unberechtigter Kassenleistungen gegenüber der Postbeamtenkrankenkasse als innerdienstliches Dienstvergehen zu werten. Diese Kasse ist eine Sozialeinrichtung der früheren …, die seit dem 1. Januar 1995 in ihrem Bestand geschlossen ist und mit dem Ziel der Abwicklung in der bestehenden Rechtsform einer bundesunmittelbaren rechtsfähigen Körperschaft des öffentlichen Rechts nach Maßgabe des Bundesanstalt-Post-Gesetzes (BAPostG) und näherer Ausgestaltung durch die Satzung der Kasse für die Bundesanstalt und die Postnachfolgeunternehmen durch die Bundesanstalt weitergeführt wird (vgl. § 26 Abs. 2 des Gesetzes über die Errichtung einer Bundesanstalt für … – Bundesanstalt-Post-Gesetz – vom 14.9.1994, BGBl. I S. 2325, geändert durch Art. 1 Nr. 24 Buchst. b des Gesetzes vom 14.9.2005, BGBl. I S. 2746 und durch Art. 3 Nr. 21 des Gesetzes vom 28.9.2015, BGBl. I S. 813). Die Krankenversicherung in der Postbeamtenkrankenkasse steht im funktionalen Zusammenhang mit dem Amt des versicherten Beamten. Die Mitgliedschaft in der Postbeamtenkrankenkasse war nicht für jedermann möglich, sondern sie knüpfte an den Status als Beamter der … an.
Das Fehlverhalten der Beklagten gegenüber der Postbeamtenkrankenkasse ist damit in ihr Amt eingebunden; sie steht ihr nicht als Privatperson gegenüber (BVerwG, B.v. 19.8.2019 – 2 B 72/18 -, juris).
Die Beklagte hat vorsätzlich und schuldhaft gehandelt. Dies ergibt sich aus den auch insoweit die Disziplinarkammer bindenden Feststellungen des Amtsgerichts … im Urteil vom 21. Mai 2014 (BVerwG, B.v. 25.2.2016 – 2 B 1/15 -, juris Rn. 9).
Die Beklagte hat mit ihrem strafrechtlich geahndeten Handeln gegen die Pflichten verstoßen, die Gesetze zu beachten (§§ 263 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, 267 Abs. 1, 3 Nr. 1 StGB, § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG), den Dienst ordnungsgemäß zu erfüllen (§ 34 Satz 1 BeamtStG), das ihr übertragene Amt uneigennützig und nach bestem Gewissen auszuüben (§ 34 Satz 2 BeamtStG) sowie sich im Dienst achtungs- und vertrauenswürdig zu verhalten (§ 34 Satz 3 BeamtStG).
Das Fehlverhalten der Beklagten wiegt schwer i.S.v. § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG. Es hat zur Folge, dass die Beklagte das Vertrauen ihres Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren hat und deshalb auf die Höchstmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zu erkennen ist (§ 13 Abs. 2 Satz 1 BDG).
Nach § 13 Abs. 1 BDG ist die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens und unter angemessener Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten sowie des Umfangs der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn und der Allgemeinheit zu treffen. Das Gewicht der Pflichtverletzung ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies beruht auf dem Schuldprinzip sowie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden. Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss daher unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem angemessenen und gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 -, juris Rn. 12).
Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (§ 10 BDG) als disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme ist nur zulässig, wenn der Beamte wegen schuldhafter Verletzung einer ihm obliegenden Pflicht das für die Ausübung seines Amts erforderliche Vertrauen endgültig verloren hat (§ 13 Abs. 2 Satz 1 BDG). Ist die Weiterverwendung eines Beamten wegen eines von ihm begangenen schweren Dienstvergehens nicht mehr denkbar, muss er durch eine Disziplinarmaßnahme aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden. Schwerwiegende Vorsatzstraftaten bewirken generell einen Vertrauensverlust, der unabhängig vom jeweiligen Amt zu einer Untragbarkeit der Weiterverwendung als Beamter führt (BVerwG, U.v. 10.12.2015, a.a.O., Rn. 13).
Da die Schwere des Dienstvergehens nach § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme ist, muss das festgestellte Dienstvergehen nach seiner Schwere einer der im Katalog des § 5 BDG aufgeführten Disziplinarmaßnahmen zugeordnet werden. Bei der Auslegung des Begriffs „Schwere des Dienstvergehens“ ist maßgebend auf das Eigengewicht der jeweiligen Verfehlung abzustellen. Hierfür können bestimmend sein objektive Handlungsmerkmale (insbesondere Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung, z.B. Kern- oder Nebenpflichtverletzungen, sowie besondere Umstände der Tatbegehung, z.B. Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens), subjektive Handlungsmerkmale (insbesondere Form und Gewicht der Schuld des Beamten, Beweggründe für sein Verhalten) sowie unmittelbare Folgen des Dienstvergehens für den dienstlichen Bereich und für Dritte (BVerwG, U.v. 10.12.2015, a.a.O., Rn. 16).
Zur Bestimmung des Ausmaßes des Vertrauensschadens, der durch eine vom Beamten vorsätzlich begangenen Straftat hervorgerufen worden ist, hat das Bundesverwaltungsgericht zunächst bei außerdienstlichen Dienstvergehen auf den Strafrahmen zurückgegriffen. Mit der Strafandrohung hat der Gesetzgeber seine Einschätzung zum Unwert eines Verhaltens verbindlich zum Ausdruck gebracht. Die Orientierung des Umfangs des Vertrauensverlustes am gesetzlichen Strafrahmen gewährleistet eine nachvollziehbare und gleichmäßige disziplinarische Ahndung von außerdienstlich begangenen Straftaten. Mit der Anknüpfung an die (im Tatzeitpunkt geltende) Strafandrohung wird zugleich verhindert, dass die Disziplinargerichte ihre jeweils eigene Einschätzung des Unwertgehalts eines Delikts an die Stelle der Bewertung des Gesetzgebers setzen (BVerwG, U.v. 19.8.2010 – 2 C 5.10 -, Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 12 Rn. 22, und – 2 C 13.10 -, Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 12 Rn. 25; U.v. 18.6.2015 – 2 C 9.14 -, NVwZ 2015, 1680). Nicht die Vorstellung des jeweiligen Disziplinargerichts, sondern die Einschätzung des Parlaments bestimmt, welche Straftaten als besonders verwerflich anzusehen sind.
Die Ausrichtung der grundsätzlichen Zuordnung eines Dienstvergehens zu einer der Disziplinarmaßnahmen im Sinne von § 5 Abs. 1 BDG am gesetzlich bestimmten Strafrahmen ist auch bei innerdienstlich begangenen Dienstvergehen geboten. Auch bei diesen Dienstvergehen gewährleistet die Orientierung des Umfangs des Vertrauensverlustes am gesetzlichen Strafrahmen eine nachvollziehbare und gleichmäßige disziplinarische Ahndung der Dienstvergehen.
Auf die bisher in der Praxis des Bundesverwaltungsgerichts maßgebliche Einstufung eines Dienstvergehens als Zugriffsdelikt zu Lasten des Dienstherrn, für das die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis grundsätzlich Richtschnur für die Maßnahmebestimmung sein soll, wenn die veruntreuten Beträge oder Werte insgesamt die Schwelle der Geringwertigkeit deutlich übersteigen, kommt es nicht (mehr) an. Die bisherige Rechtsprechung (z.B. BVerwG, U.v. 20.10.2005 – 2 C 12.04 -, BVerwGE 124, 252; U.v. 3.5.2007 – 2 C 9.06 -, Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3; U.v. 23.2.2012 – 2 C 38.10 -, NVwZ-RR 2012, 479 Rn. 12 und U.v. 25.7.2013 – 2 C 63.11 -, BVerwGE 147, 229) hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 10. Dezember 2015 – 2 C 6/14 -, juris, aufgegeben (vgl. BVerwG, B.v. 5.7.2016 – 2 B 24.16 -, juris Rn. 14; BayVGH, U.v. 28.6.2017 – 16a D 15.1484 -, juris Rn. 83).
Es verbietet sich deshalb jede schematische Betrachtung, insbesondere an Hand von Schwellenwerten (vgl. BayVGH, U.v. 11.10.2017 – 16a D 15.2758 -, juris Rn. 46; U.v. 3.5.2017 – 16a D 15.1777 -, juris Rn. 31).
Dies gilt auch für innerdienstliche Betrugshandlungen. Die bisherige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bei einem Gesamtschaden von über 5.000,- Euro ohne Hinzutreten weiterer Erschwerungsgründe gerechtfertigt sein kann (BVerwG, B.v. 6.5.2015 – 2 B 19.14 -, juris Rn. 11; BayVGH, U.v. 13.7.2011 – 16a D 09.3127 -, juris Rn. 130; U.v. 15.3.2017 – 16a D 14.1160 -, juris Rn. 29) ist nicht mehr maßgeblich (vgl. BayVGH, U.v. 3.5.2017 – 16a D 15.1777 -, juris Rn. 31).
Begeht ein Beamter innerdienstlich eine Straftat, für die das Strafgesetzbuch einen Strafrahmen von bis zu drei Jahren vorsieht, reicht der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (BVerwG, U.v. 10.12.2015, a.a.O., Rn. 20; BayVGH, U.v. 28.6.2017, a.a.O., Rn. 83; U.v. 11.5.2016 – 16a D 13.1540 -, juris Rn. 70, 72). Vorliegend reicht der Strafrahmen bei einer Straftat des Betrugs und der Urkundenfälschung im besonders schweren Fall sogar bis zu zehn Jahren (§§ 263 Abs. 1 und 3 Nr. 1, 267 Abs. 1 und 3 Nr. 1 StGB).
Die volle Ausschöpfung des Orientierungsrahmens ist vorliegend geboten, weil die Beklagte durch ihr Dienstvergehen das Vertrauen ihres Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren hat (§ 13 Abs. 2 BDG).
Eine vollständige Zerstörung des Vertrauens in die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit eines Beamten, die seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erforderlich macht, ist bei innerdienstlichen Betrugs- oder Untreuehandlungen in der Regel anzunehmen, wenn entweder das Eigengewicht der Tat besonders hoch ist oder eine zusätzliche Verfehlung mit erheblichem disziplinarischem Eigengewicht vorliegt und durchgreifende Milderungsgründe fehlen. Erschwernisgründe können sich z.B. aus der Anzahl und Häufigkeit der Taten, der Höhe des Gesamtschadens und der missbräuchlichen Ausnutzung der dienstlichen Stellung oder dienstlich erworbener Kenntnisse ergeben (BVerwG, B.v. 6.5.2015 – 2 B 19.14 -, juris Rn. 11).
Die Verwaltung ist bei ihren Entscheidungen im personellen und fürsorgerischen Bereich auf die absolute Ehrlichkeit ihrer Bediensteten sowie darauf angewiesen, dass diese bei der Wahrnehmung ihrer Rechte, insbesondere bei der Geltendmachung von Ansprüchen, der Wahrheits- und Offenbarungspflicht ohne jede Einschränkung genügen. Deshalb lässt sich die Verwaltung auch die Richtigkeit und Vollständigkeit der Antragsangaben ausdrücklich versichern (BVerwG, U.v. 26.9.2001 – 1 D 32/00 -, juris Rn. 28).
Ein Beamter, der seinen Dienstherrn unter Verletzung der Wahrheitspflicht um des eigenen materiellen Vorteils willen in betrügerischer Weise schädigt, belastet deshalb das zwischen ihm und seinem Dienstherrn bestehende Vertrauensverhältnis schwer und nachhaltig.
Die Beklagte hat als in der Postbeamtenkrankenkasse im Bereich Erstattung von Beihilfe- und Kassenleistungen tätige Beamtin in einem Zeitraum von mehr als vier Jahren in dreizehn Fällen gefälschte Arztrechnungen über eine Gesamtbetrag in Höhe von 9.879,59 EUR zur Erstattung eingereicht und hierdurch die Postbeamtenkrankenkasse durch die Gewährung von Kassenleistungen bzw. ihren Dienstherrn durch die Gewährung von Beihilfe in gleicher Höhe geschädigt. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts … im Urteil vom 21. Mai 2014 handelte die Beklagte jeweils, um sich durch die wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einigem Umfang und gewisser Dauer zu verschaffen.
Die Häufigkeit der Taten und die Höhe des Schadens, der deutlich über der in der früheren Rechtsprechung genannten Schwelle von 5000.- EUR liegt, stellen sich als besonders erschwerend dar (vgl. OVG NW, U.v. 31.10.2018 – 3d A 229/16.BDG -, juris Rn. 82). Erschwerend kommt hinzu, dass die Beklagte zur Verwirklichung der Betrugshandlungen zunächst Urkundenfälschungen begangen hat. Zudem kamen ihr die Kenntnisse zugute, die sie aus ihrer Tätigkeit in der Abrechnungsstelle der Postbeamtenkrankenkasse erworben hatte.
Unter Zugrundelegung dessen ist hier die Höchstmaßnahme Ausgangspunkt der disziplinaren Maßnahmebemessung.
Für die Bestimmung der im konkreten Einzelfall zu verhängenden Disziplinarmaßnahme kommt es darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild der Beklagten und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Maßnahme geboten ist.
Das gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 BDG in den Blick zu nehmende Bemessungskriterium „Persönlichkeitsbild des Beamten“ erfasst dessen persönliche Verhältnisse und sein sonstiges dienstliches Verhalten vor, bei und nach der Tatbegehung. Es erfordert eine Prüfung, ob das festgestellte Dienstvergehen mit dem bisher gezeigten Persönlichkeitsbild des Beamten übereinstimmt oder ob es etwa als persönlichkeitsfremdes Verhalten in einer Notlage oder psychischen Ausnahmesituation davon abweicht (vgl. BVerwG, B.v. 20.12.2013 – 2 B 35.13 -, juris Rn. 6).
Je schwerwiegender das Dienstvergehen oder die mit ihm einhergehende Vertrauensbeeinträchtigung ist, umso gewichtiger müssen die sich aus dem Persönlichkeitsbild ergebenden mildernden Umstände sein, um gleichwohl eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Maßnahme zu rechtfertigen (BVerwG, U.v. 25.7.2013 – 2 C 63.11 -, juris Rn. 18).
Derartige erhebliche Milderungsgründe, die den Schluss rechtfertigen, die Beklagte habe das Vertrauen der Klägerin und der Allgemeinheit noch nicht endgültig verloren, sind nicht gegeben.
Von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannte Milderungsgründe, die zum Absehen von der Höchstmaßnahme führen, liegen nicht vor.
Auf den Milderungsgrund des persönlichkeitsfremden Handelns in einer besonderen Versuchungssituation kann sich die Beklagte nicht berufen. Eine Milderung kommt unter diesem Gesichtspunkt nur in Betracht, wenn ein Beamter im Zuge einer plötzlich entstandenen besonderen Versuchungssituation einmalig und persönlichkeitsfremd gehandelt hat. Die die Versuchung auslösende Situation muss geeignet sein, ein gewisses Maß an Kopflosigkeit, Spontaneität und Unüberlegtheit herbeizuführen (vgl. BVerwG, B.v. 20.12.2013 – 2 B 35.13 -, juris Rn. 6.)
Eine solche unvermittelt entstandene besondere Versuchungssituation bestand bereits nach den Darlegungen der Beklagten nicht. Diese beging das Dienstvergehen nach ihrer Angaben vielmehr, da sie auf Grund der Drucksituation, der sie an ihrer Dienststelle ausgesetzt gewesen sei und der daraus folgenden psychischen Erkrankung ein immer zwingenderes Bedürfnis empfunden habe, ihrem Dienstherrn einen Schaden zuzufügen.
Auch der Milderungsgrund eines Handelns in einer unverschuldet entstandenen, ausweglosen wirtschaftlichen Notlage ist nicht gegeben.
Voraussetzung für diesen Milderungsgrund ist, dass es sich um ein zeitlich begrenztes Fehlverhalten des Beamten handelt und dieser die entsprechenden Gelder oder Güter zur Milderung oder Abwendung einer existenzbedrohenden Notlage verwendet hat, d.h., dass er ohne die pflichtwidrige Verwertung der Gelder oder Güter von den für den Lebensbedarf notwendigen Leistungen abgeschnitten wäre (vgl. BVerwG, B.v. 28.1.2015 – 2 B 15.14 -, juris Rn. 7 m.w.N.).
Die genannten Voraussetzungen lagen ersichtlich nicht vor. Gegenteiliges wird auch von der Beklagten nicht behauptet.
Zugunsten der Beklagten greift auch der Milderungsgrund der verminderten Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB nicht ein.
Zur Überzeugung der Kammer steht fest, dass die Beklagte während des ihr in der Disziplinarklage zur Last gelegten Tatzeitraums nicht vermindert schuldfähig war.
Eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB setzt voraus, dass die Fähigkeit, das Unrecht einer Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, wegen einer Störung im Sinne von § 20 StGB bei der Tatbegehung erheblich eingeschränkt war. Für die Steuerungsfähigkeit kommt es darauf an, ob das Hemmungsvermögen so stark herabgesetzt war, dass der Beamte den Tatanreizen erheblich weniger Widerstand als gewöhnlich entgegen zu setzen vermochte (BVerwG, U.v. 25.3.2010 – 2 C 83.08 -, juris Rn. 29).
Hat der Beamte zum Tatzeitpunkt an einer krankhaften seelischen Störung im Sinne von § 20 StGB gelitten (oder hat ein anderes der dort genannten Merkmale vorgelegen) oder kann eine solche Störung nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ nicht ausgeschlossen werden und ist die Verminderung der Schuldfähigkeit des Beamten erheblich, so ist dieser Umstand bei der Bewertung der Schwere des Dienstvergehens mit dem ihm zukommenden erheblichen Gewicht heranzuziehen. Bei einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit kann die disziplinarische Höchstmaßnahme regelmäßig nicht mehr ausgesprochen werden (BVerwG, B.v. 29.8.2017 – 2 B 76.16 -, juris Rn. 14; B.v. 11.1.2012 – 2 B 78.11 -, juris Rn. 5 m.w.N.; BayVGH, U.v. 22.11.2017 – 16b D 15.1182 -, juris Rn. 44).
Bestehen tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Fähigkeit des Beamten, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, wegen einer psychischen Störung im Sinne von § 20 StGB erheblich gemindert war, sind die Verwaltungsgerichte folglich gehalten, die Frage einer Minderung der Schuldfähigkeit des Beamten aufzuklären (BVerwG, B.v. 28.1.2015 – 2 B 15.14 -, juris Rn. 18).
Es muss zunächst geklärt werden, ob der Beamte im Tatzeitraum an einer Krankheit gelitten hat, die seine Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, vermindert hat. Erst wenn die seelische Störung und ihr Schweregrad feststehen oder nicht ausgeschlossen werden können, kann beurteilt werden, ob die Voraussetzungen für eine erheblich geminderte Schuldfähigkeit vorliegen. Hierzu bedarf es in der Regel besonderer ärztlicher Sachkunde (BVerwG, B.v. 29.8.2017 – 2 B 76.16 -, juris Rn. 29).
Die Beklagte hat zu der Klärung der Frage, ob bei der Beklagten im Tatzeitraum die Voraussetzungen des § 21 StGB vorgelegen haben, ein fachpsychiatrisches Gutachten eingeholt, das unter dem 26. August 2016 durch Herrn Dr. …, Chefarzt der Klinik für Forensische Psychiatrie in …, erstellt worden ist.
Der Gutachter ist bei der Prüfung der Eingangsvoraussetzungen des § 20 StGB zu dem Ergebnis gelangt, dass bei der Beklagten im Tatzeitraum keine krankhafte seelische Störung, kein Schwachsinn und keine tiefgreifende Bewusstseinsstörung vorlagen. Soweit es das Tatbestandsmerkmal einer schweren anderen seelischen Abartigkeit betrifft, hat Gutachter ausgeführt, dass hierunter auch sonstige psychiatrische Problematiken, wie „Persönlichkeitsstörungen“ und vergleichbare Normabweichungen des Erlebens und Verhaltens, bei denen nicht von vornherein eine eindeutige biologische Ursache zu benennen ist, fielen. Je nach Schweregrad könnten auch depressive Störungen, wie die bei der Beklagten diagnostizierte Dysthymia (chronische Depression F 43.1) als langdauerndes depressives Zustandsbild unter dieses Tatbestandsmerkmal fallen.
Die bei der Beklagten im Tatzeitraum bestehende psychische Erkrankung könne nach dem Schweregrad eine „schwere andere seelische Abartigkeit“ im Sinne des § 20 StGB darstellen, ein eindeutiger Beleg hierfür sei jedoch nicht möglich.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Ausführungen im Gutachten vom 26. August 2018 Bezug genommen.
Das Gutachten ist geeignet, der Kammer die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen zu vermitteln. Es geht nicht von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthält keine unlösbaren inhaltlichen Widersprüche und gibt keinen Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters. Es ist auch unschädlich, dass es sich nicht um ein im gerichtlichen Verfahren nach einem entsprechenden Beweisbeschluss erstelltes Sachverständigengutachten handelt, sondern dieses im behördlichen Disziplinarverfahren eingeholt worden ist. Es kann gleichwohl für die gerichtliche Überzeugungsbildung herangezogen werden (BVerwG, B.v. 26.2.2008 – 2 B 122/07 -, juris Rn. 29 f.).
Unter Zugrundelegung der Ausführungen des Gutachters geht die Kammer nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“, der zu Gunsten der Beklagten anzuwenden ist (BVerwG, B.v. 29.8.2017 – 2 B 76.16 -, juris Rn. 14), davon aus, dass bei ihr im Tatzeitraum die Eingangsvoraussetzungen des § 20 StGB in Form einer „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ vorlagen.
Die nachfolgend zu beantwortende Frage, ob die Verminderung der Steuerungsfähigkeit aufgrund der bei der Beklagten vorliegenden krankhaften psychischen Störung „erheblich“ war, ist eine Rechtsfrage, die nicht vom Sachverständigen beantwortet werden kann, sondern von den Verwaltungsgerichten in eigener Verantwortung zu beantworten ist. Sie kann somit auch nicht Gegenstand eines Beweisantrags oder einer Wahrunterstellung sein (BGH, U.v. 22.1.2004 – 1 StR 346/03 -, juris; B.v. 7.2.2001 – 3 StR 566/00 -, juris; B.v. 7.1.1993 – 4 StR 597/92 -, juris; Schäfer/Sander/Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. A. 2017, Rn. 957).
Weil es sich bei der Frage, ob die Verminderung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit „erheblich“ ist, um eine Rechtsfrage handelt, findet hier der Grundsatz „in dubio pro reo“ keine Anwendung (BGH, B.v. 13.7.2006 – 2 StR 228/06 -, juris Rn. 4; Schäfer/Sander/Gemmeren, a.a.O., Rn. 957).
Es bedurfte deshalb keiner Anhörung des Gutachters aus dem Verwaltungsverfahren.
Im Übrigen ist die Ladung eines Sachverständigen zur Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens gemäß § 98 VwGO i.V.m. § 411 Abs. 3 ZPO nur für gerichtlich bestellte Sachverständige vorgesehen. Hingegen sind von den Beteiligten in Auftrag gegebene Gutachten Parteigutachten und damit Parteivortrag, für die § 98 VwGO i.V.m. § 411 Abs. 3 ZPO nicht anwendbar ist (BVerwG, B.v. 8.6.2017 – 2 B 5/17 -, juris Rn. 18).
Bei der gerichtlichen Prüfung, ob die Schuldfähigkeit nach § 21 StGB erheblich vermindert war, bedarf es einer Gesamtschau der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen, seines Erscheinungsbildes vor, während und nach der Tat und der Berücksichtigung der Tatumstände, insbesondere der Vorgehensweise (BVerwG, B.v. 11.1.2012 – 2 B 78.11 -, juris, Rn. 6 m.w.N.).
Dabei fließen normative Überlegungen ein. Die rechtliche Erheblichkeit der Verminderung des Hemmungsvermögens hängt entscheidend von den Ansprüchen ab, die durch die Rechtsordnung an das Wohlverhalten eines Mitglieds der Rechtsgemeinschaft gestellt werden müssen. Die Anforderungen der Rechtsordnung sind umso höher, je schwerer das in Rede stehende Delikt wiegt (Schäfer/Sander/Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, a.a.O., Rn. 957).
Die Beurteilung der Erheblichkeit im Sinne von § 21 StGB hängt insbesondere von der Bedeutung und Einsehbarkeit der verletzten Dienstpflichten ab. Aufgrund dessen kann sie bei Zugriffs- und vergleichbaren Delikten nur in Ausnahmefällen erreicht werden (BVerwG, U.v. 3.5.2007 – 2 C 9.06 -, juris; BayVGH, U.v. 29.7.2015 – 15b D 14.1328 -, juris Rn. 43).
Vorliegend ist auch zu berücksichtigen, dass eine Dysthymia als chronische, meist zwei Jahre überdauernde Verlaufsform und milde Variante der Depression (vgl. BGH, U.v. 16.6.1998 – 1 StR 162/98 -, juris) für die Anwendung des § 21 StGB regelmäßig nicht ausreicht (Eschelbach in BeckOK StGB, v. Heintschel-Heinegg, Stand: 1.8.2019, Rn. 55 zu § 20).
Nimmt man das Erscheinungsbild der Beklagten vor, während und nach der Tat und die Tatumstände, insbesondere die Vorgehensweise der Beklagten in den Blick, so sind im Tatzeitraum weder im privaten noch im dienstlichen Bereich außergewöhnliche Auffälligkeiten feststellbar, aus denen sich schließen ließe, dass es zu wesentlichen Einschränkungen des beruflichen oder sozialen Handlungsvermögens gekommen ist.
Die Beklagte erhielt in der dienstlichen Beurteilung für den Zeitraum vom 1. April 2008 bis 31. März 2010 das Gesamturteil „Die Mitarbeiterin/der Mitarbeiter erbringt regelmäßig gute Leistungen“ und in der dienstlichen Beurteilung für den Beurteilungszeitraum vom 1. April 2010 bis 31. März 2012 das Gesamturteil „Die Mitarbeiterin/der Mitarbeiter erbringt regelmäßig sehr gute Leistungen“ zugesprochen. Die Beklagte war demnach in der Lage, auch im Tatzeitraum ihren dienstlichen Verpflichtungen in guter bzw. sogar sehr guter Weise nachzukommen.
Als Begründung der von ihr begangenen Urkundenfälschungen und Betrugshandlungen gab die Beklagte gegenüber dem Gutachter an, sie habe dies immer wieder gemacht, wenn in der Arbeit der Druck zu groß geworden sei. Sie habe die Arbeit so satt gehabt, dies mit dem Gefühl, immer gegen Windmühlen kämpfen zu müssen und allem ausgeliefert zu sein. Sie gab an, dass ihr die Betrügereien gut getan hätten, dass sie sich von dem hier erlangten Geld irgendwelche Sachen gekauft habe, wie etwas zum Anziehen oder CDs. Auch sei sie von dem Geld in einen Urlaub gefahren. Die Betrugshandlungen seien von Ende 2004 bis September 2012 gegangen, bis sie aufgeflogen sei.
Das schlechte Gewissen sei immer da gewesen. Sie habe jeweils gedacht, es wäre das letzte Mal, dass sie es mache. Es sei aber wie ein Zwang gewesen, es wieder zu machen. Sie habe immer wieder vorgehabt, aufzuhören, es jedoch nicht geschafft.
Andererseits gab die Beklagte aber auch an, dass es Situationen gegeben habe, in denen sie in der Lage gewesen sei, ihren Plan doch nicht umzusetzen. Sie habe zwar wieder eine Fälschung geplant oder habe diese ausgeführt, diese dann aber nicht abgegeben bzw. erstellt, weil sie es anderweitig geschafft habe, Erleichterung bzw. Ablenkung zu erzielen.
Der Gutachter hat hierzu ausgeführt, dass es der Beklagten gelungen sei, einen äußerlich vergleichsweise unauffälligen Lebensweg zu gestalten. Insgesamt sei von einer im Vorfeld (der Entdeckung des Dienstvergehens) äußerlich noch kompensierten Situation auszugehen.
Zu ihren privaten Verhältnissen hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass sie Ende 2007/Anfang 2008 ihren farbigen Freund kennengelernt habe. Sie habe mit ihrem Freund von Anfang 2009 bis etwa Juni oder Juli 2009 in ihrer Wohnung in … zusammen gewohnt. Ihre Beziehung mit einem Farbigen sei von ihren Eltern abgelehnt worden.
Die Beziehung sei im Jahr 2010 gescheitert, da ihr Freund gewalttätig geworden sei.
Zu Ihrer beruflichen Situation gab die Beklagte an, dass sie nach ihrer Umsetzung in den Bereich Erstattung von Beihilfeanträgen und Kassenleistungen im September 2007 Kontakt mit einer netten Kollegin, Frau …, gehabt habe.
Vor dem Gutachter hatte die Beklagte hierzu ergänzend angegeben, sie habe sich mit ihrer neuen Zimmerkollegin „super“ verstanden. Jene sei oft vom Abteilungsleiter angegangen worden, dass sie zu wenig leiste. Sie habe ihre Kollegin unterstützt, sie sei wiederum von ihrer Kollegin unterstützt worden. Sie habe sich mit der anderen auch privat getroffen, sie sei zum Beispiel auf deren Hochzeit gewesen. Die Kollegin habe dann jedoch einen Dienstwegeunfall erlitten, sei infolgedessen berentet worden. Wann dies genau gewesen sei, konnte die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht angeben.
Die berufliche und private Situation der Beklagten hatte sich somit zumindest seit Herbst 2007 mit der Beendigung ihrer Tätigkeit in der Hotline und dem neuen Einsatz im Erstattungsbereich bis zur der Trennung von ihrem Freund im Jahr 2010 stabilisiert. Dies wird auch durch die Feststellungen des Sachverständigen bestätigt, dass es im Jahr 2008 zu wenigen ärztlichen Behandlungen gekommen ist, im Jahr 2009 waren eine starke Grippe, ab dem Jahr 2010 wiederum Behandlungen auf internistischen und auf orthopädischen Gebiet zu verzeichnen.
Die Beklagte hat jedoch gerade in dem genannten Zeitraum der zumindest vorübergehenden persönlichen und dienstlichen Stabilisierung acht der strafrechtlich geahndeten Betrugsfälle (zwischen dem 22. Februar 2008 und dem 29. Juni 2009) begangen.
Die Kammer ist deshalb zu der Einschätzung gelangt, dass selbst bei Annahme des Vorliegens der Eingangskriterien des § 20 StGB (Grundsatz in dubio pro reo) von einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit bei der Begehung des der Beklagten zur Last gelegten Dienstvergehens nicht ausgegangen werden kann. Diese Einschätzung wird durch das planvolle und systematische Vorgehen der Beklagten über einen längeren Zeitraum (von über vier Jahren) bestätigt (vgl. BGH, U.v. 7.11.2013 – 5 StR 377/13 -, juris; U.v. 30.9.2014 – 3 StR 351/14 -, juris).
Der Milderungsgrund der tätigen Reue greift ebenfalls nicht, da die Beklagte erst nach der Entdeckung der Betrugshandlungen den Schaden vollständig wieder gut gemacht hat (vgl. BayVGH, U.v. 11.10.2017 – 16a D 15.2758, juris Rn. 52).
Auch der Milderungsgrund der „Entgleisung während einer negativen, inzwischen überwundenen Lebensphase“ liegt nicht vor. Dieser setzt außergewöhnliche Verhältnisse voraus, die den Beamten während des Tatzeitraums oder im Tatzeitpunkt „aus der Bahn geworfen“ haben. Die mildernde Berücksichtigung liegt vor allem dann nahe, wenn sich der Pflichtenverstoß als Folge dieser Verhältnisse darstellt. Allerdings muss der Beamte diese Lebensphase in der Folgezeit überwunden haben. Dies ist anzunehmen, wenn sich seine Lebensverhältnisse wieder soweit stabilisiert haben, dass nicht mehr davon die Rede sein kann, er sei weiterhin „aus der Bahn“ geworfen. Eine derartige Stabilisierung indiziert, dass weitere Pflichtenverstöße gleicher Art nicht zu besorgen sind (stRspr; vgl. BVerwG, U.v. 18.4.1979 – 1 D 39.78 -, BVerwGE 63, 219, vom 23.8.1988 – 1 D 136.87 -, NJW 1989, 851, v. 27.1.2011 – 2 A 5.09 -, Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 17, v. 28.2. 2013 – 2 C 3.12 – NVwZ 2013, 1087 und v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 -, NVwZ 2016, 722).
Danach muss es sich um eine persönlich besonders belastende Situation gehandelt haben, die so gravierend ist, dass die Pflichtverletzung des Beamten in einem milderen Licht erscheint, weil ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten vom Beamten nicht mehr erwartet und damit nicht mehr vorausgesetzt werden kann.
Hiervon ausgehend waren die Urkundenfälschungen und Betrugshandlungen nicht die Folge außergewöhnlicher Verhältnisse, die die Beklagte während des Tatzeitraums oder im Tatzeitpunkt „aus der Bahn geworfen“ hätten. Die Beklagte war im Tatzeitraum in der Lage, ihren dienstlichen Pflichten ordnungsgemäß mit entsprechend guten bzw. sogar sehr guten dienstlichen Beurteilungen nachzukommen. Wie bereits oben dargestellt hatte sich die persönliche und dienstliche Situation der Beklagten durch den Einsatz in einem neuen Arbeitsbereich ab Herbst 2007 und einen neuen Freund gebessert. Die Beklagte lebte seit 2005 in einer eigenen Wohnung in … und war auch in der Lage, in privates Leben eigenverantwortlich zu gestalten.
So lernte die Beklagte ihren neuen Freund auf einer Urlaubsreise in … Ende 2007/Anfang 2008 kennen und lebte sogar zeitweise mit diesem zusammen in ihrer Wohnung.
Auch sonstige Umstände, die in ihrer Gesamtheit dem Gewicht eines anerkannten Milderungsgrundes vergleichbar und deshalb geeignet sind, die Schwere des Pflichtenverstoßes erheblich herabzusetzen, liegen nicht vor (vgl. BVerwG, U.v. 23.2.2012 – 2 C 38/10 -, juris; U.v. 20.12.2013 – 2 B 35/13 -, juris).
Zugunsten der Beklagten ist zwar zu berücksichtigen, dass sie bisher nicht straf- und disziplinarrechtlich in Erscheinung getreten ist und sie gute bis sehr gute dienstliche Leistungen erbracht hat. Hierzu ist jedoch festzuhalten, dass auch langjähriges beanstandungsfreies dienstliches Verhalten jedenfalls bei gravierenden Dienstpflichtverletzungen in aller Regel nicht durchgreifend mildernd ins Gewicht fällt. Denn jeder Beamte ist verpflichtet, dauerhaft bestmögliche Leistungen bei vollem Einsatz der Arbeitskraft zu erbringen und sich innerhalb und außerhalb des Dienstes achtungs- und vertrauenswürdig zu verhalten (vgl. BayVGH, U.v. 3.5.2018 – 16a D 15.2087 -, juris Rn. 61).
Nach Abwägung aller be- und entlastenden Umstände sowie der Persönlichkeit der Beklagten ist deshalb nach Überzeugung der Kammer die Entfernung der Beklagten aus dem Beamtenverhältnis angemessen und geboten. Die Schwere des Dienstvergehens und das festgestellte Persönlichkeitsbild führen zu einem endgültigen Vertrauensverlust des Dienstherrn.
Auch die lange Dauer des Disziplinarverfahrens von fast sechs Jahren bis zur Erhebung der Disziplinarklage führen nicht zum Absehen von der Höchstmaßnahme.
Ergibt die für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme erforderliche Gesamtwürdigung aller erschwerenden und mildernden Umstände des Dienstvergehens, dass die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist, kann davon nicht abgesehen werden, weil das Disziplinarverfahren unangemessen lange gedauert hat. Ein Verbleib im Beamtenverhältnis ausschließlich aufgrund einer überlangen Verfahrensdauer lässt sich nicht mit dem Zweck der Disziplinarbefugnis, nämlich dem Schutz der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung und der Integrität des Berufsbeamtentums, vereinbaren. Diese Schutzgüter und der Grundsatz der Gleichbehandlung schließen aus, dass ein Beamter weiterhin Dienst leisten und als Repräsentant des Dienstherrn auftreten kann, obwohl er durch ein gravierendes Fehlverhalten untragbar geworden ist. Die Dauer des Disziplinarverfahrens ist nicht geeignet, das von dem Beamten zerstörte Vertrauensverhältnis wiederherzustellen (BVerwG, B.v. 10.10.2014 – 2 B 66/14 -, Rn. 7, juris)
Die Entfernung der Beklagten aus dem Beamtenverhältnis ist auch nicht unverhältnismäßig. Das aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) folgende Verhältnismäßigkeitsgebot beansprucht auch bei der Verhängung von Disziplinarmaßnahmen Geltung. Danach muss die dem Beamten staatlicherseits auferlegte Belastung geeignet und erforderlich sein, um den angestrebten Zweck zu erreichen. Zudem darf der Eingriff seiner Intensität nach nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und den vom Beamten hinzunehmenden Einbußen stehen. Die Entfernung eines aktiven Beamten aus dem Beamtenverhältnis als disziplinare Höchstmaßnahme verfolgt neben der Wahrung des Vertrauens in die pflichtgemäße Aufgabenerfüllung durch die öffentliche Verwaltung auch die Zwecke der Generalprävention, der Gleichbehandlung und der Wahrung des Ansehens des öffentlichen Dienstes. Ist durch das Gewicht des Dienstvergehens und mangels durchgreifender Milderungsgründe das Vertrauen endgültig zerstört und kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, der Beamte werde dem Gebot, seine Aufgaben pflichtgemäß zu erfüllen, Rechnung tragen, erweist sich die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als erforderliche und geeignete Maßnahme, den aufgezeigten Zwecken der Disziplinarmaßnahme Geltung zu verschaffen. Abzuwägen sind dabei das Gewicht des Dienstvergehens und des dadurch eingetretenen Vertrauensschaden einerseits und die mit der Verhängung der Höchstmaßnahme einhergehende Belastung andererseits. Ist das Vertrauensverhältnis wie hier gänzlich zerstört, erweist sich die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als angemessene Reaktion auf das Dienstvergehen. Die Auflösung des Dienstverhältnisses beruht dann nämlich auf der schuldhaften Pflichtverletzung durch den Beamten und ist diesem als für alle öffentlich-rechtlichen Beschäftigungsverhältnisse vorhersehbare Folge bei derartigen Pflichtverletzungen zuzurechnen (BVerwG, U.v. 14.10.2003 – 1 D 2.03 -, juris; BayVGH, U.v. 11.10.2017 – 16a D 15.2759 -, juris Rn. 56).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 Satz 1 BDG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.


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