Arbeitsrecht

Entgeltfortzahlung bei einer Anlasskündigung

Aktenzeichen  7 Sa 364/18

Datum:
10.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 38093
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
EFZG § 3, § 8
BGB § 611a

 

Leitsatz

1. Ein Arbeitnehmer, der ohne eigenes Verschulden durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, hat nach Erfüllung der vierwöchigen Wartezeit des § 3 Abs. 3 EFZG nach § 611a BGB, § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG während des Bestands des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung endet mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses. Liegt jedoch eine Anlasskündigung vor, so besteht der Anspruch ausnahmsweise über den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus fort nach § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn die Arbeitsunfähigkeit wesentliche Bedingung der Kündigung ist. Maßgebend sind die objektiven Umstände bei Ausspruch der Kündigung. Der Begriff „aus Anlass“ ist weit auszulegen. Es genügt, wenn die Kündigung ihre objektive Ursache und wesentliche Bedingung in der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers hat und den entscheidenden Anstoß für den Kündigungsentschluss gegeben hat.  (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
4. Dem für die behauptete Anlasskündigung beweispflichtige Arbeitnehmer kommt ein Anscheinsbeweis zu Gute, wenn die Kündigung in zeitlich engem Zusammenhang zur angezeigten Arbeitsunfähigkeit ausgesprochen worden ist. In einem solchen Fall hat der Arbeitgeber den Anscheinsbeweis durch entsprechenden Sachvortrag zu erschüttern und im Falle des Bestreitens durch den Arbeitnehmer durch entsprechenden Beweisantritt zu widerlegen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

7 Ca 1354/18 2018-09-26 Urt ARBGNUERNBERG ArbG Nürnberg

Tenor

I. Das Endurteil des Arbeitsgerichtes Nürnberg – Gerichtstag Weißenburg – vom 25.09.2018 – 7 Ca 1354/18 – wird abgeändert.
II. Die Klage wird abgewiesen.
III. Die Kosten des Verfahrens der 1. Instanz und der Berufung trägt der Kläger.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Berufung ist zulässig.
Sie ist statthaft, § 64 Absatz 1 und 2 c) ArbGG, sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Absatz 1 ArbGG.
II.
Die Berufung ist auch begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung über den Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist zum 16.11.2017 hinaus nach § 611a BGB, §§ 3 Abs. 1 Satz 1, 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG.
(1) Das Gericht schließt sich den zutreffenden Rechtsausführungen des Erstgerichtes zu Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Rahmen des § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG an.
Ein Arbeitnehmer, der ohne eigenes Verschulden durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, hat nach Erfüllung der vierwöchigen Wartezeit des § 3 Abs. 3 EFZG nach § 611a BGB, § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG während des Bestands des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen. Dieser Anspruch endet mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses. Liegt jedoch eine Anlasskündigung vor, so besteht der Anspruch ausnahmsweise über den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus fort nach § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG.
Der Arbeitgeber kündigt das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit, wenn die Arbeitsunfähigkeit wesentliche Bedingung der Kündigung ist. Es kommt auf die objektive Ursache, nicht auf das Motiv der Kündigung an. Maßgebend sind die objektiven Umstände bei Ausspruch der Kündigung. Der Begriff „aus Anlass“ ist weit auszulegen. Es genügt, wenn die Kündigung ihre objektive Ursache und wesentliche Bedingung in der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers hat und den entscheidenden Anstoß für den Kündigungsentschluss gegeben hat, BAG, Urteil vom 17.04.2008 – 5 AZR 2/01 -, dort Rdz. 16, zitiert nach juris. Darlegungs- und beweispflichtig für eine solche Anlasskündigung ist der Arbeitnehmer. Ihm kommt dabei der Anscheinsbeweis zu Gute, wenn die Kündigung in zeitlich engem Zusammenhang zur angezeigten Arbeitsunfähigkeit ausgesprochen worden ist. Eine Anlasskündigung ist zu vermuten, wenn sie in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem zeitlichen Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erfolgt, in jüngster Zeit LAG Nürnberg, Urteil vom 04.07.2019 – 5 Sa 115/19 -, dort Rdz. 25, zitiert nach juris. In einem solchen Fall hat der Arbeitgeber den Anscheinsbeweis durch entsprechenden Sachvortrag zu erschüttern und im Falle des Bestreitens durch den Arbeitnehmer durch entsprechenden Beweisantritt zu wiederlegen.
(2) Hier ist in einem ersten Schritt auf Grund des engen zeitlichen Zusammenhanges von Beginn der Erkrankung des Klägers ab dem 02.11.2017 und dem Zeitpunkt der Ankündigung der Kündigung mit Email vom 14.11.2017 und Zugang der Kündigung mit Schreiben vom 14.11.2017 am 15.11.2017 davon auszugehen, dass dem Kläger die Vermutung einer Anlasskündigung im Sinne der genannten Rechtsprechung zugutekommt. Es war daher Sache der Beklagten, entsprechend vorzutragen und Beweis anzutreten zu Umständen, die geeignet sind, die Vermutung der Anlasskündigung zu widerlegen. Insoweit hat die Beklagte ausreichend vorgetragen und Beweis angetreten, der im Hinblick auf das Bestreiten des Klägers zu erheben war.
Auf Grund der durchgeführten Beweisaufnahme steht für das Gericht fest, dass die Kündigung nicht im Sinne der genannten Rechtsprechung durch die Erkrankung des Klägers veranlasst war. Das Gericht folgt dabei den glaubhaften Aussagen der beiden Zeugen. Der Zeuge D… V… schilderte, dass der Kläger am Freitag, den 27.10.2017 gegen Feierabend in den als Büro genutzten Baucontainer kam, der auf dem Betriebsgelände des Steinbruches stand. Der Kläger wollte den Schlüssel des Radladers zurückbringen und suchte bei der Gelegenheit das Gespräch mit dem Zeugen als Leiter des Steinbruchbetriebes. In diesem Gespräch brachte der Kläger seine Zweifel zum Ausdruck, ob das Führen des Radladers die richtige Arbeit für ihn wäre. Diese Selbstzweifel bestätigte der Kläger in der mündlichen Verhandlung in seiner informatorischen Anhörung, als er ausführte, dass er sich als Steinmetz beim der Beklagten beworben habe, als solcher dort arbeiten wollte und leider nur eine Stelle als Radladerfahrer freigewesen sei. Diese resignative Haltung des Klägers führte dann dazu, dass der Zeuge nach seiner Aussage ihm mitteilte, er solle noch zwei Wochen weiterarbeiten und sich um eine andere Arbeit bemühen. Sinngemäß bestätigte der Kläger auch diesen Vortrag in seiner informatorischen Anhörung, als er ausführte, ihm sei gesagt worden, er solle sich nach etwas Anderem umschauen, er habe in dem Betrieb keine Zukunft.
Der Zeuge D… V… hat zur Überzeugung des Gerichtes wahrheitsgemäß ausgesagt. Er war ruhig und konsistent in seinem Aussageverhalten. Datumsangaben überprüfte er anhand seines mitgebrachten Kalenders und der dort vorgenommenen Eintragungen und korrigierte sich auch selbst, wenn der Kalender ein anderes Datum enthielt als er sich erinnerte. Der Zeuge zeigte auch keinerlei Belastungstendenzen. Er erweckte vielmehr den Eindruck, dass er mit dem Kläger als Mitarbeiter hinsichtlich Fleiß und Engagement durchaus einverstanden war und nur in den Fahrfehlern des Klägers ein Hindernis für dessen Weiterbeschäftigung als Ladladerfahrer sah. Auch insoweit bestätigte der Kläger im Rahmen seiner informatorischen Anhörung, dass auch aus seiner Sicht Radladerfahren nicht seine Stärke war und er lieber in seinem Ausbildungsberuf als Steinmetz arbeiten wollte.
Auch der weitere Zeuge M… V… bestätigte diesen Gesamteindruck des letzten Gespräches zwischen dem Kläger und dem Zeugen D… V… Danach war man sich einig, dass Radladerfahren nicht das Richtige für den Kläger war. Deshalb wurde ihm in diesem Gespräch nach übereinstimmender Aussage der beiden Zeugen auch gesagt, er solle sich etwas Anderes suchen.
Auch der Zeuge M… V… war für das Gericht glaubwürdig. Als nicht für den Kläger verantwortliche Führungskraft war seine Aussage naturgemäß deutlich ungenauer als die Aussage des Zeugen D… V… als verantwortlicher Leiter des Steinbruchbetriebes. Die Aussagen waren erkennbar nicht abgesprochen und, wie bei Zeugenaussagen zwei Jahre nach dem Ereignis, zu dem die Zeugen befragt werden, üblich, nicht übereinstimmend. Der Zeuge D… V… hat entsprechend seiner Rolle als Leiter des Steinbruchbetriebes für sich in Anspruch genommen, dieses für den Bestand des Arbeitsverhältnisses entscheidende Gespräch zwar in Anwesenheit seines Sohnes, des Zeugen M… V…, aber doch alleine mit dem Kläger geführt zu haben. Der Zeuge M… V… wiederum war nach eigener Überzeugung und Aussage auch positiv an dem Gespräch beteiligt. Gerade diese Widersprüchlichkeit zeigt aber aus Sicht des Gerichtes, dass die Zeugen alleine aus der Erinnerung heraus aussagten, nicht auf Grund Absprache, wie es gewesen sein könnte. Auch bei dem Zeugen M… V… bestand keinerlei Belastungstendenz. Er betrachtete den Kläger nach dem Eindruck des Gerichtes eher als Kollegen, dem er Unterstützung und Ermutigung gewährte bei dessen Problemen mit der neuen und ungewohnten Tätigkeit des Radladerfahrens. Für die Glaubwürdigkeit der Zeugen spricht in diesem Zusammenhang für das Gericht vor allem die Reaktion des Klägers selbst. Zu den Aussagen des Zeugen M… V… nickte er wiederholt bestätigend und bezeichnete dessen Aussage als korrekt.
Damit steht fest, dass der Kündigungsentschluss seitens der Beklagten gefasst und dem Kläger kommuniziert war, bevor er erkrankte. Anlass dafür war das eigene Vorsprechen des Klägers gegen Feierabend am 27.10.2017 im Büro des Leiters des Steinbruchbetriebes und die dort getroffene gemeinsame Feststellung, dass Radladerfahren für den Kläger nicht das Richtige ist. Damit war aber nicht Anlass der Kündigung vom 14.11.2017, dass der Kläger ab 02.11.2017 arbeitsunfähig erkrankte. Bei Fehlen einer Notwendigkeit eines Kündigungsgrundes und einer nur eintägigen tariflichen Kündigungsfrist ist es auch wenig nachvollziehbar, in der Erkrankung des Klägers ab dem 02.11.2017 den Anlass für eine Kündigung der Beklagten vom 14.11.2017 zu sehen. Dieser große zeitliche Abstand zeigt vielmehr ebenfalls, dass dem Kläger noch entsprechend der Ansage des Zeugen D… V… für zwei Wochen Gelegenheit gegeben wurde, sich auf die Kündigung vorzubereiten und gegebenenfalls eine andere Arbeit zu suchen.
Auch die eigene Reaktion des Klägers auf das Gespräch bestätigt, dass ihm bereits nach diesem Gespräch völlig klar war, dass sein Arbeitsverhältnis bei der Beklagten in Bälde gekündigt werden würde. In seiner informatorischen Anhörung vor dem Erstgericht wie auch dem erkennenden Gericht erklärte der Kläger, dass er das Gespräch zum Anlass nahm, eine bisher hinausgeschobene Behandlung eines Weisheitszahnes nach dem Gespräch in Angriff zu nehmen. Die Behandlung des Weisheitszahnes war dann auch Grund der Arbeitsunfähigkeit. Die dabei aufgetretenen Komplikationen waren nach Aussage des Klägers auch Grund der lange anhaltenden Arbeitsunfähigkeit.
Entsprechend der Ankündigung des Zeugen D… V… kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis dann auch nicht sofort, sondern erst nach zwei Wochen. Dabei ging es zum einen nicht um ein Fristenregime im Sinne der §§ 187, 188 BGB. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass dem Zeugen D… V… diese Regelungen des BGB überhaupt in ihren Einzelheiten geläufig sind. Zum anderen war es nach Aussage des Zeugen nur seine Sache als Leiter des Steinbruchbetriebes, die Kündigung in der Verwaltung der Beklagten zu veranlassen, nicht selbst auszusprechen. Dementsprechend hat er auch nach seiner Aussage die Angelegenheit in der Folgewoche an die Personalabteilung weitergegeben. Mit der Weitergabe seines Entschlusses, die Kündigung des Klägers in zwei Wochen durchzuführen, am Montag oder Dienstag nach dem Gespräch ergibt sich im Übrigen auch zwanglos, dass die angekündigte Frist von zwei Wochen auch ziemlich genau eingehalten wurde mit Ausfertigung und Versendung der Kündigung am 14.11.2017.
Mithin liegt mit der Kündigung vom 14.11.2017 zum 16.11.2017 keine Anlasskündigung vor. Die Klage ist unbegründet. Das Urteil des Erstgerichtes war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.
III.
Der Kläger trägt die Kosten des erfolgreichen Rechtsmittels und des erstinstanzlichen Verfahrens nach § 91 ZPO.
IV.
Für die Zulassung der Revision nach § 72 Abs. 2 ArbGG besteht kein gesetzlich begründeter Anlass. Der Entscheidung des Gerichtes liegen die einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechungsgrundsätze und im Übrigen die Würdigung der Umstände des Einzelfalles zugrunde.


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