Arbeitsrecht

Entlassung einer Soldatin auf Zeit wegen Dienstunfähigkeit, psychische Erkrankung, Anspruch auf heimatnahe Verwendung, Beweiswert truppenärztlicher Gutachten, keine Widerlegung der truppenärztlichen Feststellung

Aktenzeichen  W 1 K 20.1107

Datum:
27.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 22933
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 173
ZPO § 264 Nr. 2 Alt. 1
SG § 55 Abs. 2
SG § 44 Abs. 3
SG § 44 Abs. 4

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
III. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

A.
Zu entscheiden war über den von der Klägerin zuletzt gestellten Anfechtungsantrag. Die Rückkehr zu dem ursprünglich bereits schriftsätzlich gestellten Anfechtungsantrag stellt keine an den Voraussetzungen des § 91 Abs. 1 VwGO zu messende Klageänderung dar. Vielmehr ist vorliegend § 173 VwGO i.V.m. 264 Nr. 2 Alt. 1 ZPO einschlägig.
Bei der Änderung vom Anfechtungsantrag zum Fortsetzungsfeststellungsantrag handelt es sich um keine Klageänderung, sondern um einen Fall des § 264 Nr. 2 Alt. 2 VwGO, wenn der Streitgegenstand der Fortsetzungsfeststellungsklage von dem bisherigen Antrag umfasst war. Es handelt sich dann um eine Beschränkung des Klageantrags in der Hauptsache, denn die Fortsetzungsfeststellungsklage stellt ein Minus gegenüber der Anfechtungsklage dar (Decker in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 58. Edition Stand: 1.7.2021, § 113 VwGO Rn. 81 f.). Spiegelbildlich dazu stellt die vorliegende Rückkehr zum ursprünglichen Anfechtungsantrag eine Erweiterung des Klageantrags in der Hauptsache nach § 264 Nr. 2 Alt. 1 VwGO dar.
B.
Die Klage ist jedoch unzulässig, denn vorliegend besteht kein Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin mehr. Unter Rechtsschutzbedürfnis ist das Interesse eines Rechtsschutzsuchenden zu verstehen, zur Erreichung des begehrten Rechtsschutzziels ein Gericht in Anspruch nehmen zu dürfen. Obwohl der Begriff des Rechtsschutzbedürfnisses oder Rechtsschutzinteresses in der VwGO – abgesehen vom Begriff des berechtigten Interesses im Rahmen des § 43 Abs. 1 VwGO und § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO – nicht ausdrücklich verwendet wird, ist für jedes Gesuch um gerichtlichen Rechtsschutz ein Interesse an der Erlangung dieses Rechtsschutzes erforderlich, das sowohl objektiv als auch subjektiv gegeben sein muss (BVerwG, U.v. 17.1.1989 – 9 C 44/97 – NVwZ, 1989, 673; Schoch/Schneider, VwGO, Stand: 40. EL Februar 2021, § 40 Rn. 74). Es handelt sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts um ein allgemeines Prinzip, dass jede an einen Antrag gebundene gerichtliche Entscheidung ein Rechtsschutzbedürfnis voraussetzt (BVerfG, B.v. 19.10.1982 – 1 BvL 34/80 – NJW 1983, 559).
Das Rechtsschutzbedürfnis einer Klage kann auch dann entfallen, wenn die Erreichung des Klageziels zwar objektiv noch sinnvoll erscheint, subjektiv jedoch vom Kläger nicht mehr gewollt ist. Zwar gilt der Grundsatz, dass die Rechtsordnung immer dann, wenn sie ein materielles Recht gewährt, in aller Regel auch das Interesse dessen, der sich als Inhaber dieses Rechts sieht, am gerichtlichen Schutze dieses Rechts anerkennt (BVerwG, U.v. 17.1.1989 – 9 C 44/87 – NVwZ, 1989, 673). Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt deshalb nur bei Vorliegen besonderer Umstände, die das subjektive oder objektive Interesse an der Durchführung des Rechtsstreits entfallen lassen. Das Erfordernis des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses hat seine Wurzel im Gebot von Treu und Glauben (Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 42 Rn. 33). Mit diesem Grundsatz von Treu und Glauben ist es jedoch gerade nicht vereinbar, wenn ein Kläger an einer Rechtsverfolgung festhält, an der er subjektiv kein Interesse mehr hat. Daher kann das Rechtsschutzbedürfnis auch in solchen Fällen entfallen, in denen das Verhalten eines Klägers einzig dahingehend gedeutet werden kann, dass die beantragte gerichtliche Entscheidung ernsthaft nicht mehr gewollt ist (BVerwG, U.v. 17.1.1989 – 9 C 44/87 – NVwZ, 1989, 673).
Der vorliegenden Klage fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, da die Klägerin klar zum Ausdruck gebracht hat, dass sie an einer Rückkehr zur Bundeswehr kein Interesse mehr hat. Dagegen kann das Vorbringen am Ende der mündlichen Verhandlung, die Klägerin könne sich eine Rückkehr zur Bundeswehr doch vorstellen, angesichts der zuvor klaren gegenteiligen Aussagen nicht als glaubhaft erachtet werden. Bereits vor der mündlichen Verhandlung ließ die Klägerin schriftsätzlich vortragen, dass sie angesichts des Umgangs mit ihr im Dienstunfähigkeitsverfahren ihre Zukunft nicht mehr bei der Bundeswehr sehe. Auch in der mündlichen Verhandlung erklärte die Klägerin, dass sie an einer Rückkehr zur Bundeswehr kein Interesse habe und deshalb auch lediglich die Feststellung begehre, dass die Entlassung wegen Dienstunfähigkeit rechtswidrig gewesen sei. Sie könne sich die von der Bundeswehr angestrebte Verwendung in M* … nicht vorstellen und habe sich zudem in der Zwischenzeit auch zivil eine Existenz aufgebaut. Demgegenüber verfolgt die Klägerin mit ihrer Klage das Ziel, die Aufhebung ihrer Entlassung aus der Bundeswehr zu erreichen, mit der Folge, dass die Klägerin dann wieder als Soldatin im Dienste der Beklagten stünde. Indem die Klägerin zum Ausdruck gebracht hat, dass eine solche Rückkehr zur Bundeswehr gerade nicht in ihrem Sinne ist, hat sie jedoch auch gezeigt, dass die von ihr begehrte Rechtsverfolgung nicht in ihrem Interesse liegt. Es fehlt somit zur Überzeugung der Kammer an der erforderlichen subjektiven Komponente des Rechtsschutzinteresses.
C.
Die Klage ist überdies auch unbegründet. Die Entlassung der Klägerin ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Bescheids über die Entlassung eines Soldaten auf Zeit kommt es auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung an (vgl. BVerwG, U.v. 30.5.2013 – 2 C 68.11 – BVerwGE 146, 347 und vom 16.10.1997 – 2 C 7.97 – BVerwGE 105, 267 m.w.N.), vorliegend mithin auf den Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung vom 16. Juli 2020.
Rechtsgrundlage für die Entlassung der Klägerin wegen Dienstunfähigkeit ist §§ 55 Abs. 2, 44 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 SG. Danach ist ein Soldat auf Zeit zu entlassen, wenn er dienstunfähig ist.
I. Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit der Entlassungsverfügung bestehen nicht.
Das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr ist gemäß § 55 Abs. 6, § 47 Abs. 1, § 4 Abs. 2 SG i.V.m. § 4 der Anordnung über die Ernennung und Entlassung von Soldatinnen und Soldaten und die Ernennung von Reservistinnen und Reservisten in der zum Zeitpunkt des Erlasses der Entlassungsverfügung gültigen Fassung für die Entlassung zuständig. Die formellen Anforderungen an Verfahren und Form wurden ebenfalls eingehalten. Die Klägerin wurde ordnungsgemäß gem. § 55 Abs. 2 Satz 2, § 44 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 SG sowie gemäß § 55 Abs. 6 Satz 1, § 47 Abs. 2 SG angehört. Zudem wurde die in § 55 Abs. 6 Satz 2 SG bestimmte Zustellungsfrist für Entlassungsverfügungen nach § 55 Abs. 2 SG gewahrt.
II. Die Entlassung der Klägerin ist auch materiell rechtmäßig. Die Voraussetzungen für eine Entlassung nach § 55 Abs. 2 SG lagen im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung vor.
Die Klägerin ist Soldatin auf Zeit. Nach der einschlägigen Regelung § 55 Abs. 2 SG sind Soldaten auf Zeit zu entlassen, wenn sie dienstunfähig sind.
Zwar knüpft das Gesetz für Soldaten auf Zeit und Berufssoldaten unterschiedliche Rechtsfolgen an den Eintritt der Dienstunfähigkeit. Während der Berufssoldat bei Dienstunfähigkeit nach § 44 Abs. 3 SG in den Ruhestand zu versetzen ist, ist der Soldat auf Zeit nach § 55 Abs. 2 SG zu entlassen. Die inhaltlichen Voraussetzungen für die Entlassung bzw. die Versetzung in den Ruhestand sind jedoch identisch (Eichen/Metzger/Sohm, SG, 4. Aufl. 2021, § 55 Rn. 9). Insbesondere gilt im Soldatenrecht ein einheitlicher Dienstunfähigkeitsbegriff für Soldaten auf Zeit und Berufssoldaten (Vogelgesang, in: GKÖD, SG, § 55 Rn. 4; Walz/Eichen/Sohm, SG, 2. Aufl., § 55 Rn. 9; Scherer/Alff/Poretschkin, SG, 9. Aufl. § 55 Rn. 2). Daher kann die Legaldefinition des Dienstunfähigkeitsbegriffs in § 44 Abs. 3 Satz 1 SG auch für Soldaten auf Zeit herangezogen werden. Gem. § 44 Abs. 3 Satz 1 SG ist ein Soldat dienstunfähig, wenn er wegen seines körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist. Gem. §§ 55 Abs. 2 Satz 2, 44 Abs. 3 Satz 2 SG liegt Dienstunfähigkeit auch dann vor, wenn die Wiederherstellung der Fähigkeit zur Erfüllung der Dienstpflichten nicht innerhalb eines Jahres zu erwarten ist.
Bei dem Begriff der Dienstunfähigkeit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der uneingeschränkten Nachprüfung durch die Verwaltungsgerichte unterliegt. Diese sind nicht an tatsächliche oder rechtliche Wertungen des Dienstherrn gebunden. Allerdings müssen die Gerichte die organisatorischen Vorentscheidungen des Dienstherrn und die von ihm festgelegten Anforderungen an die Erfüllung der dienstlichen Aufgaben zugrunde legen (BVerwG, U.v. 27.6.2013 – 2 C 67/11 – juris; BVerwG, B.v. 14.8.1978 – 2 B 8.78 – Buchholz 238.4 § 55 SG Nr. 7).
Nach früher vertretener Auffassung lag Dienstunfähigkeit vor, wenn der Soldat den Anforderungen, die an ihn in seiner gegenwärtigen Dienststellung und in den wesentlichen Dienststellungen seines Dienstgrades gestellt werden, nicht ausreichend gerecht wird. In der neueren Rechtsprechung wird der Begriff der Dienstunfähigkeit jedoch enger gefasst. Danach ist ein Soldat in Friedenszeiten dienstfähig, wenn es in der Bundeswehr eine Stelle gibt, auf der er zumutbar verwendet werden kann, und sich der Dienstherr entscheidet, diese Stelle mit ihm zu besetzen. Dabei obliegt es dem Dienstherrn, welche personellen Änderungen er vornimmt, um eine Stelle mit einem anderweitig nicht verwendbaren Soldaten zu besetzen. Grundsätzlich können Soldaten auch auf Dienstposten verwendet werden, die der Stellenplan nicht ihrem Dienstgrad zuordnet, soweit dies unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls bei objektiver Beurteilung noch zumutbar ist (BVerwG, U.v. 27.6.2013 – 2 C 67/11 – juris Rn. 14 f.).
Maßstab für die dienstlichen Anforderungen in den Streitkräften und damit für die Dienstfähigkeit von Soldaten ist jedoch auch der Verteidigungsauftrag der Streitkräfte nach Art. 87a Abs. 1 GG. In dieser Norm kommt die verfassungsrechtliche Grundentscheidung für eine wirksame militärische Verteidigung der Bundesrepublik und damit die Sicherung der staatlichen Existenz zum Ausdruck. Die verfassungsrechtlich gebotene ständige Einsatzbereitschaft der Bundeswehr setzt ein hohes Maß an personeller Flexibilität voraus, weil diese unerlässliche Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der Einsatzfähigkeit und Schlagkraft der Bundeswehr ist. Aufgrund des Verteidigungsauftrags kann daher auch die Dienstfähigkeit nicht nur aufgrund der Verwendbarkeit eines Soldaten in Friedenszeiten beurteilt werden. Die Streitkräfte können ihren Auftrag nur erfüllen, wenn ihre Soldaten in der Lage sind, ihre Aufgaben unter den spezifischen Bedingungen des Verteidigungsfalles zu erfüllen. Es ist Sache des Dienstherrn, die sich daraus ergebenden militärischen Anforderungen zu bestimmen, die für jeden Soldaten unverzichtbar sind. Ein Soldat, der diesen Anforderungen nicht genügt, ist auch dann dienstunfähig, wenn er in Friedenszeiten zumutbar verwendet werden kann (BVerwG, U.v. 27.6.2013 – 2 C 67/11 – juris Rn. 15, 17).
Dauernd (im Sinne des § 44 Abs. 3 Satz 1 SG) ist die Unfähigkeit zur Erfüllung der Dienstpflichten, wenn die Behebung der Unfähigkeit aufgrund der bestehenden Mängel voraussichtlich in absehbarer Zeit nicht zu erreichen ist (vgl. BVerwG, U.v. 17.1.1957 – 2 C 27.55; BVerwG, U.v. 14.8.1974 – 6 C 20.71 – juris Rn. 39; BayVGH, B.v. 2.4.2013 – 6 ZB 12.2141 – juris Rn. 7). Die Bestimmung des § 44 Abs. 3 Satz 1 SG wird ergänzt durch die Regelung des § 44 Abs. 3 Satz 2 SG, auf die ausdrücklich in § 55 Abs. 2 Satz 2 SG verwiesen wird. Nach § 44 Abs. 3 Satz 2 SG kann der Soldat auch dann als dienstunfähig angesehen werden, wenn aufgrund der in Satz 1 genannten Umstände die Wiederherstellung seiner Fähigkeit zur Erfüllung seiner Dienstpflichten nicht innerhalb eines Jahres zu erwarten ist. Diese Vorschrift enthält eine unwiderlegliche gesetzliche Vermutung, dass ein Soldat, von dem nicht erwartet werden kann, dass er innerhalb eines Jahres wieder dienstfähig werden wird, zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig – mithin dienstunfähig – ist (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.1982, a.a.O., Rn. 26). Die “Kann”-Regelung in § 44 Abs. 3 Satz 2 SG bedeutet nicht, der Dienstherr hätte Ermessen hinsichtlich der Frage, ob der Soldat auch bei einer länger als ein Jahr dauernden Dienstunfähigkeit zur Erfüllung seiner Dienstpflichten gleichwohl noch als dienstfähig angesehen werden kann. Sie stellt es lediglich in das Ermessen des Dienstherrn, sich auf diese Vorschrift – also auf die unwiderlegliche Vermutung – zu berufen (BVerwG, U.v. 21.4.1982, a.a.O., Rn. 26; OVG Lüneburg, B.v. 9.9.2016 – 5 LA 175/15 – juris).
Gemäß § 55 Abs. 2 Satz 2 SG i.V.m. § 44 Abs. 4 SG wird die Dienstunfähigkeit auf Grund eines Gutachtens eines Arztes der Bundeswehr festgestellt. Es erfolgt eine ärztliche Begutachtung der Verwendungsfähigkeit des Soldaten bei Zweifeln an der Dienstfähigkeit. Verwendungsfähigkeit ist die Fähigkeit des Soldaten, die in dem ihm zugerwiesenen Aufgabenkreis oder in einem ihm zumutbar übertragbaren Tätigkeitskreis anfallenden dienstlichen Pflichten ausreichend erledigen zu können, ohne hieran durch körperliche oder gesundheitliche Beeinträchtigungen gehindert zu sein. Die Verwendungsfähigkeit bezieht sich auf die körperliche und gesundheitliche, nicht auf die charakterliche und geistige Eignung des Soldaten. Sie kann zeitlich oder aufgabenbezogen begrenzt sein oder auch dauerhafthaft bestehen. Nur die dauerhafte, erhebliche Verwendungsunfähigkeit führt zur Dienstunfähigkeit (Eichen/Metzger/Sohm, SG, 4. Aufl. 2021, § 44 Rn. 36).
Mit diesem Erfordernis einer Begutachtung durch einen Arzt der Bundeswehr hat der Gesetzgeber Gutachten von Ärzten der Bundeswehr aufgrund des spezifischen Sachverstands für die Feststellung der Dienst(un) fähigkeit eines Soldaten besonderes Gewicht beigemessen. Den Ärzten der Bundeswehr kann grundsätzlich ein spezifischer Sachverstand unterstellt werden, der insbesondere auf der Kenntnis der Belange der Bundeswehr beruht. Daher muss es in erster Linie deren Beurteilung obliegen, ob und wann eine Gesundheitsstörung mit Krankheitswert die Dienstfähigkeit eines Soldaten derart beeinträchtigt, dass er zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist. Den Gutachten der Ärzte der Bundeswehr kommt daher ein höherer Beweiswert zu als etwa haus- oder anderen fachärztlichen Gutachten (BayVGH, B.v. 2.4. 2013 – 6 ZB 12.2141 – juris; BayVGH, B.v. 5.4.2011 – 6 ZB 10.3159 – juris; OVG LSA, B.v. 22.1.2009 – 1 O 165.08 – NVwZ-RR 2009, 485/486). Die Konzentration der medizinischen Verantwortung auf Ärzte der Bundeswehr soll Gefälligkeitsdiagnosen frei praktizierender Ärzte als Grundlage für eine Entscheidung über die Dienstunfähigkeit eines Soldaten ausschließen (Eichen/Metzger/Sohm, SG, 4. Aufl. 2021, § 44 Rn. 37).
Die Anforderungen, die an die Abfassung von Gutachten eines Arztes der Bundeswehr zur Feststellung, ob ein Soldat zur Erfüllung seiner Dienstpflichten unfähig ist, zu stellen sind, bestimmen sich grundsätzlich nach denen, die im Beamtenrecht maßgeblich sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss ein von einem Arzt zu erstellendes Gutachten so detailliert abgefasst sein, dass die zuständige Behörde auf seiner Grundlage entscheiden kann, ob der Beamte zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist und ggf. welche Folgerungen aus einer bestehenden Dienstunfähigkeit zu ziehen sind. Dabei darf sich das Gutachten nicht auf die Bekanntgabe der Diagnose beschränken, sondern muss auch die das Ergebnis tragenden Feststellungen und Gründe mitteilen, soweit deren Kenntnis für die Behörde unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für die Entscheidung erforderlich ist. Danach muss das Gutachten sowohl die notwendigen Feststellungen zum Sachverhalt, d.h. die in Bezug auf den Beamten erhobenen Befunde enthalten als auch die aus medizinischer Sicht daraus abzuleitenden Schlussfolgerungen für die Fähigkeit des Beamten, sein abstrakt-funktionelles Amt weiter auszuüben (st.Rspr., zuletzt BVerwG, U.v. 31.8.2017 – BVerwG 2 A 6.15 – juris Rn. 63 m.w.N.; OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 22.2.2018 – OVG 10 S 74.17 – juris Rn. 20).
Diese Maßstände zugrundlegt erweist sich die Klägerin im entscheidungserheblichen Zeitpunkt als dauerhaft dienstunfähig.
In den truppenärztlichen Gutachten vom 5. April 2019 und vom 2. September 2019 gelangten die Bundeswehrärzte zu dem Ergebnis, dass die Klägerin aufgrund der bestehenden psychischen Gesundheitsbeeinträchtigungen dauerhaft nicht verwendungsfähig ist. Das Gutachten vom 2. September 2019 stützt sich dabei auf zahlreiche Befunde aus dem Zeitraum Januar 2018 bis Juli 2019 sowohl der Klinik für Psychiatrie des Bundeswehrkrankenhauses B* … als auch des Fachärztlichen Zentrums E* … und des behandelnden Psychotherapeuten. Daneben erfolgte auch eine persönliche Begutachtung der Klägerin am 19. Juli 2019. Das Gutachten erweist sich als nachvollziehbar und in sich schlüssig. Insbesondere steht es auch nicht im Widerspruch zum Entlassbericht des Bundeswehrkrankenhauses B* … vom 23. Mai 2018, sondern führt die dort getroffenen Diagnosen und Schlussfolgerungen für die Verwendungsfähigkeit der Klägerin logisch fort. Zwar wurde die Klägerin im Entlassbericht des Bundeswehrkrankenhauses noch als eingeschränkt dienst- und verwendungsfähig erachtet und eine Wiedereingliederung an einem heimatnahen Standort befürwortet und für erfolgsversprechend gehalten. Dem gegenüber greift das truppenärztliche Gutachten zur Dienst- und Verwendungsfähigkeit vom 2. September 2019 den Verlauf eben jenes Wiedereingliederungsversuchs auf und stellt heraus, dass es nach zunächst positivem Verlauf trotz vorübergehender, heimatnaher Verwendung seit Beginn des Jahres 2019 zu situationsbedingten Konflikten mit teilweise längeren krankheitsbedingten Ausfällen gekommen sei, die durch die fachärztlich dokumentierte Persönlichkeitsakzentuierung der Klägerin beeinflusst seien. Nicht nachvollziehbar ist an dieser Stelle daher auch der schriftsätzlich vorgebrachte Einwand der Klägervertreterin, das Bundeswehrkrankenhaus B* … habe eine Wiederherstellung der vollen Dienstfähigkeit der Klägerin durch Wiedereingliederung an einem heimatnahen Standort für möglich gehalten, diese Option sei jedoch von der Beklagten nicht einmal in Erwägung gezogen worden. In der Gesundheitsakte und der Personalakte der Klägerin ist hinreichend dokumentiert, dass ein Wiedereingliederungsversuch im Sanitätsunterstützungszentrum H* … als heimatnahem Standort vorgenommen wurde. Gerade vor dem Hintergrund dieses erfolglosen Wiedereingliederungsversuchs und den krankheitsbedingten Fehlzeiten der Klägerin gelangt das Gutachten nachvollziehbar und schlüssig zu dem Ergebnis, dass die Klägerin als Soldatin dauerhaft nicht verwendungsfähig ist.
Ob die Wiederherstellung der Dienstfähigkeit innerhalb eines Jahres nicht zu erwarten ist, soll – abgesehen von den Fällen, in denen dies offensichtlich ist – erst nach sechsmonatiger Heilbehandlung festgestellt werden. Die regelmäßig bestehende Verpflichtung zur Heilbehandlung wirkt sich damit als befristete Sperre der Entlassung eines Soldaten auf Zeit wegen Dienstunfähigkeit aus (BVerwG, U.v. 21.4.1982, a.a.O., Rn. 21). Diese Sperrwirkung hat der Gesetzgeber in Kauf genommen, um im Interesse der Soldaten und der Personalwirtschaft der Beklagten sicherzustellen, dass die zu treffende Entscheidung nicht aufgrund einer übereilten Prognose ergeht, sondern auf ein verlässliches, ohne Zeitdruck abgegebenes ärztliches Urteil gestützt werden kann (BVerwG, U.v. 21.4.1982, a.a.O., Rn. 21). Allerdings sieht § 44 Abs. 4 Satz 5 SG selbst eine Ausnahme für den Fall vor, dass offensichtlich ist, dass eine Wiederherstellung der Dienstfähigkeit des Soldaten innerhalb eines Jahres nicht zu erwarten ist. Maßgeblich ist insoweit nicht, ob die längere Dauer der Dienstunfähigkeit für einen medizinischen Laien zweifelsfrei erkennbar ist; entscheidend ist vielmehr die entsprechende Offenkundigkeit für die beurteilenden Ärzte (BVerwG, U.v. 21.4.1982, a.a.O., Rn. 24). Die Ärzte der Bundeswehr haben in ihren Gutachten nicht nur festzustellen, ob der Betreffende aktuell dienstunfähig ist, sondern sich auch zur voraussichtlichen Dauer der Dienstunfähigkeit zu äußern. Denn sie haben ihr ärztliches Urteil darüber abzugeben, ob der Betreffende im Sinne des § 44 Abs. 3 Satz 1 SG zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist oder jedenfalls länger als ein Jahr dienstunfähig bleiben wird (vgl. § 44 Abs. 3 Satz 2 SG) (OVG Lüneburg, B.v. 9.9.2016 – 5 LA 175/15 – juris). Im vorliegenden Fall gelangten die begutachtenden Ärzte zu dem Ergebnis, dass mit einer Wiederherstellung der Dienstfähigkeit während der Wehrdienstzeit nicht zu rechnen sei. Vor dem Hintergrund der bereits seit 2018 erfolgenden psychotherapeutischen Behandlung sowie des erfolglos verlaufenden Wiedereingliederungsversuchs erweist sich auch diese Einschätzung der begutachtenden Truppenärzte als schlüssig und nachvollziehbar.
Die Klägerin hat auch keine greifbaren Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die von mehreren Ärzten der Bundeswehr getroffene Feststellung ihrer dauernden Dienstunfähigkeit fehlerhaft sein könnte. Die Klägerin hat keinerlei abweichende medizinische Beurteilung eines anderen Arztes vorgelegt, die eine Dienstfähigkeit zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt attestiert. Aufgrund des Verfahrensganges bestand auch kein Anlass, der Klägerin nochmals eine Schriftsatzfrist zur Ergänzung ihres diesbezüglichen Vorbringens einzuräumen, wie in der mündlichen Verhandlung erbeten. Die pauschal in den Raum gestellte Behauptung, das Dienstunfähigkeitsverfahren sei vorgeschoben worden, da die Klägerin wiederholt Anträge auf heimatnahe Versetzung gestellt habe, erweist sich hingegen nicht als geeignet, die Richtigkeit der truppenärztlichen Feststellungen in Zweifel zu ziehen. Diesbezüglich fehlt es an stichhaltigen medizinischen Anhaltspunkten, die die plausibel dargelegten Einschätzungen des truppenärztlichen Gutachtens widerlegen oder zumindest zweifelhaft erscheinen lassen könnten.
Auch nicht durchzudringen vermag die Klägerin mit dem Einwand, einer heimatnahen Verwendung sei der Vorrang vor einer Entlassung wegen Dienstunfähigkeit zu geben gewesen. Die Frage der Dienstunfähigkeit beurteilt sich immer gerade auch vor dem Hintergrund der Verwendungsfähigkeit im Verteidigungsfall. Der Verteidigungsauftrag der Bundeswehr verlangt auch dem Soldaten ein hohes Maß an Flexibilität ab. Er muss eine Eignung besitzen, die ihm ein breites Spektrum von Verwendungen eröffnet. Die jederzeitige Versetzbarkeit und Möglichkeit, einen Soldaten dort einzusetzen, wo er gebraucht wird, gehören zu den wesentlichen Inhalten eines Wehrverhältnisses (BVerwG, U.v. 13.7.2015 – 1 WB 63/14). Insbesondere hat jedoch auch der gescheiterte Eingliederungsversuch an einem heimatnahen Standort gezeigt, dass auch eine dauerhafte heimatnahe Verwendung eine Wiederherstellung der Dienstfähigkeit der Klägerin nicht erwarten lässt.
Auch eine vorrangige Prüfung einer anderweitigen Verwendung (BVerwG, U.v. 27.6.2013 – 2 C 67/11; VGH BW, B.v. 27.10.2016 – 4 S 1891/15) gegebenenfalls unter Verlassen der Feldwebellaufbahn führt zu keinem anderen Ergebnis, da die gesundheitlichen Beschwerden der Klägerin anders als in den Fällen, die den zitierten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und des baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshofs zugrunde lagen, gerade nicht im Zusammenhang mit der Art ihrer Tätigkeit stehen. Die gesundheitlichen Beschwerden der Klägerin stehen nicht speziell ihrer Tätigkeit als veterinärmedizinisch-technischer Assistentin entgegen. Vielmehr werden die Beschwerden der Klägerin bedingt durch eine größere räumliche Entfernung von ihrem Heimatort und würden daher bei jeglicher Tätigkeit an einem anderen Bundeswehrstandort auftreten.
Nach alledem war die Klägerin dauerhaft dienstunfähig und daher zu entlassen. Die Entlassung eines Soldaten auf Zeit wegen Dienstunfähigkeit ist nach § 55 Abs. 2 Satz 1 SG eine rechtlich gebundene, nicht im Ermessen der Behörde stehende Entscheidung (OVG NRW, B.v. 19.6.2017 – 1 B 477/17 – juris).
D.
Die Klägerin hat als unterlegene Beteiligte die Kosten des Verfahrens gem. § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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