Arbeitsrecht

Entschädigung nach einer Quarantäneanordnung gegenüber einem Auszubildenden

Aktenzeichen  3 K 280/21 Ge

Datum:
14.10.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG Gera 3. Kammer
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 56 Abs 1 IfSG
§ 30 IfSG
§ 19 Abs 1 Nr 2b BBiG
§ 56 Abs 5 S 3 IfSG
Spruchkörper:
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Leitsatz

Hat ein Auszubildender einen Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung nach § 19 Abs. 1 Nr. 2 b) BBiG, scheidet ein Entschädigungsanspruch gem. § 56 IfSG aus. Eine Quarantäneverfügung nach § 30 IfSG wegen eines Ansteckungs- oder Krankheitsverdachts stellt einen in der Person des Auszubildenden liegenden Grund gem. § 19 Abs. 1 Nr. 2  b) BBiG dar.(Rn.16)
(Rn.19)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Klägerin, die eine Elektrofirma betreibt, begehrt Entschädigung nach einer Quarantäneanordnung gegenüber einem Auszubildenden.
Mit einer Anordnung ordnete das Landeratsamt Saale-Orla gegen den Auszubildenden … T… als Kontaktperson eines mit dem SARS-CoV-2-Virus Infizierten für die Zeit vom 4. bis 18. November 2020 Quarantäne an. Der Auszubildende war nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen.
Am 16. Dezember 2020 beantragte die Klägerin die Erstattung von Arbeitgeberaufwendungen bei Verdienstausfall eines Arbeitsnehmers auf Grund einer behördlich angeordneten Quarantäne. Der Verdienstausfall wurde für 11 Arbeitstage mit 419,05 € beziffert.
Mit Bescheid vom 16. Februar 2021 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung verwies er darauf, dass ein Anspruch nach § 56 IfSG nur bei einem Verdienstausfall des von der Anordnung Betroffenen bestehe. Daran fehle es aber, da dem Auszubildenden nach § 19 I Nr. 2b) BBiG bei einer unverschuldeten Verhinderung an der Erfüllung der Pflichten aus dem Berufsausbildungsverhältnis eine Ausbildungsvergütung zugestanden habe.
Am 10. März 2021 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie könne die Begründung nicht nachvollziehen. Für einen Auszubildenden, der aufgrund einer amtlichen Verfügung nicht zur Verfügung stehe, entstünden Kosten. Dabei müssten die Kosten auch den theoretischen Teil der Ausbildung abdecken. Das bedeute auf der Grundlage eines kalkulatorischen Ansatzes bei der Unterstellung von 800,00 € Vergütung und 50 % Anwesenheit ein Betrag von 10,00 € die Stunde. Die Quarantäne habe 10 Werktage, d.h. 80 h umfasst, so dass ein Fehlbetrag von 800,00 € entstanden sei.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung des Bescheides vom 16. Februar 2021 den Beklagten zu verpflichten, eine Entschädigungsleistung zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Auszubildende habe aufgrund der Absonderungsverfügung keinen Verdienstausfall erlitten. Er habe einen Anspruch auf Zahlung der Ausbildungsvergütung gem. § 19 Abs. 1 Nr. 2b BBiG auch dann, wenn er aus einem in seiner Person liegenden Grund an der Erfüllung seiner Pflichten aus dem Berufsausbildungsverhältnis gehindert gewesen sei.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Behördenakte (eine Heftung) ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Verwaltungsrechtsweg ist gem. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet. Für Ansprüche auf Entschädigung nach § 56 Abs. 1 IfSG sind gem. § 68 Abs. 1 IfSG die Verwaltungsgerichte zuständig.
Die Klage hat keinen Erfolg. Der die Entschädigung nach § 56 Abs. 1 IfSG versagende Bescheid ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Entschädigung nach § 56 Abs. 1 IfSG (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Gem. § 56 Abs. 5 Satz 3 i.V.m. Abs. 1 Sätze 1 und 2 IfSG erhält der Arbeitgeber, der für die zuständige Behörde die Entschädigung auszahlt, eine entsprechende Erstattung, wenn sein Arbeitnehmer auf Grund dieses Gesetzes u.a. als Ansteckungsverdächtiger oder Krankheitsverdächtiger im Sinne von § 31 Satz 2 Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet. Das Gleiche gilt für eine Person, die nach § 30, auch in Verbindung mit § 32, abgesondert wird oder sich auf Grund einer nach § 36 Absatz 8 Satz 1 Nummer 1 erlassenen Rechtsverordnung absondert. Dem Auszubildenden muss also ein – zunächst vom Arbeitgeber für die zuständige Behörde zu erfüllender – Entschädigungsanspruch zugestanden haben.
Zwar war der Auszubildende der Klägerin vom 4. bis 18. November 2020 infolge des Kontaktes mit einem mit dem SARS-CoV-2-Virus Infizierten aufgrund einer behördlichen Anordnung in Quarantäne und konnte aus diesem Grund seine Verpflichtungen aus dem Ausbildungsvertrag nicht mehr erfüllen. Der Entschädigungsanspruch gem. § 56 Abs. 1 IfSG besteht jedoch nur dann, wenn auf Grund einer entsprechenden behördlichen Verfügung (wie einer Quarantäneverfügung) bei dem von der Verfügung Betroffenen (hier dem Auszubildenden) ein Verdienstausfall eintritt. Dabei muss die infektionsschutzrechtliche Verfügung die alleinige Ursache für den Verdienstausfall sein, d.h. die Quarantäneverfügung muss für einen Verdienstausfall bei dem Auszubildenden kausal sein. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift („…dadurch einen Verdienstausfall erleidet.“). Daran fehlt es indes, denn der Auszubildende hatte trotz seiner Verhinderung einen Fortzahlungsanspruch aus § 19 Abs. 1 Nr. 2b BBiG (vgl. VG Frankfurt, Urteil vom 20. Juli 2021 – 5 K 578/21 – juris; vgl. auch BGH, Urteil vom 30. November 1978 – III ZR 43/77 – juris zur Vorgängerregelung des § 56 IfSG im BSeuchG).
Aus der Entstehungsgeschichte des § 56 Abs. 1 IfSG sowie Sinn und Zweck der Regelung lässt sich nichts Gegenteiliges herleiten. Der Gesetzesbegründung zur Vorgängerregelung in § 48 Abs. 1 Bundesseuchengesetz – BSeuchG – lässt sich entnehmen, dass die Vorschrift nur eine Billigkeitsregelung darstellt. Sie bezweckte keinen vollen Schadensausgleich, sondern soll lediglich den von seuchenrechtlichen Anordnungen Betroffenen vor materialer Not schützen. Sie sollen mit Kranken gleichgestellt werden, die im Krankheitsfall eine entsprechende Leistung durch die Krankenversicherung erhalten (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 27. Mai 1960, BT-Drucks. 3/1888, S. 27). Das dem BSeuchG seit 2001 nachfolgende Infektionsschutzgesetz vom 20. Juli 2000 (GVBl. I 2000, S. 1045) änderte die Entschädigungsvorschriften nicht grundsätzlich. Eine materielle Not liegt bei dem Eingreifen von Regelungen, die dem Arbeitnehmer bzw. Auszubildenden einen Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung geben, nicht vor. § 56 Abs. 1 IfSG bezweckt nicht die finanzielle Entlastung des Arbeitgebers vor den Verpflichtungen nach § 19 BBiG bzw. § 3 EFZG. Vielmehr wird in den dort geregelten Fällen das Risiko der mangelnden Leistungsfähigkeit des Beschäftigten grundsätzlich dem Arbeitgeber zugewiesen (vgl. VG Hamburg, Urteil vom 8. September 2020 – 19 K 1761/20 – juris Rn. 52; noch zu § 49 Abs. 1 BSeuchG: BGH, Urteil vom 30. November 1978 – III ZR 43/77 – juris Rn. 22 f.; Urteil vom 1. Februar 1979 – III ZR 88/77 – juris; siehe auch ArbG Aachen, Urteil vom 11. März 2021 – 1 Ca 3196/20 – juris Rn. 48 ff., 71; Preis/Muzurek/Schmid, Rechtsfragen der Entgeltfortzahlung in der Pandemie, NZA 2020, 1137, 1139; vgl. auch Eckart/Kruse in BeckOK Infektionsschutzrecht, Stand Januar 2021, § 56 Rn. 27; Kümper in Kießling, IfSG, 1. Aufl. 2020, § 56 Rn. 9; Lutz, IfSG, 2. Aufl. 2020, § 56 Rn. 4).
Gem. § 19 Abs. 1 Nr. 2 b BBiG ist einem Auszubildenden die Vergütung bis zur Dauer von sechs Wochen auch dann zu zahlen, wenn er aus einem sonstigen, in seiner Person liegenden Grund unverschuldet verhindert ist, seine Pflichten aus dem Berufsausbildungsverhältnis zu erfüllen. Damit behält der Auszubildende den Vergütungsanspruch, ähnlich wie ein Arbeitnehmer nach § 616 Satz 1 BGB, wenn er unverschuldet nicht erscheinen kann. Gem. § 25 BBiG ist die Regelung nicht abdingbar.
Insbesondere handelt es sich bei der Anordnung einer Quarantäne bei Kontakt mit einem SARS-CoV-2-Virus Infizierten um ein persönliches und kein objektives Leistungshindernis. Auch wenn der Auszubildende selbst gesund und arbeitsfähig ist, beruht die staatliche Quarantäneverfügung auf einem in der Person des Auszubildenden festgestellten Umstand, dass er wegen des Kontakts mit einem Infizierten ansteckungs- bzw. krankheitsverdächtig ist. Die von dem Auszubildenden aufgrund dieser Umstände ausgehende Gefahr ist der Grund für das behördliche Verbot (NiedersOVG, Beschluss vom 23. September 2021 – 13 LA 286/21 – juris Rn. 6; VG Frankfurt, Urteil vom 20. Juli 2021 – 5 K 578/21 – juris Rn. 24, 28; vgl. auch BGH, Urteil vom 30. November 1978 – III ZR 43/77 – juris Rn. 20; Hohenstatt/Krois, Lohnrisiko und Entgeltfortzahlung während der Corona-Pandemie, NZA 2020, 413, 415; a.A. Weller/Lieberknecht/Habrich, Virulente Leistungsstörungen – Auswirkungen der Corona-Krise auf die Vertragsdurchführung, NJW 2020, 1017, 1019 f.).
Ein schuldhaftes Verhalten des Auszubildenden an der Verhinderung ist nicht ersichtlich. Der Zeitraum der angeordneten Quarantäne des Auszubildenden überschreitet auch nicht die 6-Wochen-Frist des § 19 Abs. 1 Nr. 2b BBiG.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
III. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.
BeschlussDer Wert des Streitgegenstandes wird auf 800,00 € festgesetzt.
GründeDie Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG. Die Kammer bemisst das Interesse der Klägerin an der Höhe der geforderten Entschädigung, wobei die Klägerin ausweislich des mit der Klageerhebung in Bezug genommenen Anschreiben an das Thüringer Landesverwaltungsamt geltend gemacht hat, dass ein Schaden von 800,00 € eingetreten ist.


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