Arbeitsrecht

Erinnerung gegen Kostenfestsetzungsbeschluss in einem Disziplinarverfahren

Aktenzeichen  M 19L M 17.2086

Datum:
19.6.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 161888
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 151, § 165
VV RVG § 14 Abs. 1 S. 1, Nr. 6203

 

Leitsatz

1. Nach Nr. 6203 VV RVG beträgt die Verfahrensgebühr 50 € bis 320 €. Damit liegt eine Rahmengebühr vor, bei der der Rechtsanwalt die Gebühr nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen bestimmt. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist die Rahmengebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nach § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Unterscheidet sich die zu beurteilende Tätigkeit des Rechtsanwalts unter den maßgeblichen Gesichtspunkten nicht vom Normalfall, so ist allein die Bestimmung der Mittelgebühr billig, die Bestimmung einer höheren Gebühr hingegen unbillig und darum für den erstattungsverpflichteten Dritten gemäß § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG nicht verbindlich. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Erinnerung wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Erinnerungsverfahrens.
III. Der Wert des Verfahrensgegenstands wird auf 67,50 € festgesetzt.

Gründe

I.
Im Klageverfahren M 19 DB 12.884 wendete sich der Antragsteller gegen eine Disziplinarverfügung des Polizeipräsidiums München vom 16. Januar 2012, mit der eine körperliche Auseinandersetzung mit einem Mitarbeiter als Dienstvergehen angesehen und gegen ihn eine Geldbuße i.H.v. 100 € verhängt wurde. Das Polizeipräsidiums München regte mit Schreiben vom 10. Oktober 2012 an, das Verfahren ruhend zu stellen, um einen Gleichklang mit dem Disziplinarverfahren gegen den Kontrahenten des Antragstellers zu erzielen; der Antragsteller stimmte dem zu. Das Gericht ordnete daraufhin mit Beschluss vom 17. Oktober 2012 das Ruhen des Verfahrens an. Das Polizeipräsidium München teilte mit Schreiben vom 17. Oktober 2016 mit, dass der Antragsteller seit 1. März 2014 im Ruhestand sei und beantragte die Fortsetzung des Verfahrens. Das Gericht setzte das Verfahren unter dem Aktenzeichen M 19L DB 16.4762 fort. Der Bevollmächtigte des Antragstellers beantragte mit Schriftsatz vom 15. November 2016, die Akte des Parallelverfahrens gegen den Kontrahenten des Antragstellers beizuziehen, woraufhin das Gericht diese Akte mit Schreiben vom 17. November beim Antragsgegner anforderte. Mit Schreiben vom 2. Dezember 2016 wies es darauf hin, dass die Disziplinarverfügung wegen der Ruhestandsversetzung aufzuheben sei. Das Polizeipräsidium München kam dem mit Bescheid vom 28. Dezember 2016 nach. Nachdem die Bescheidsaufhebung dem Gericht erst am 10. Januar 2017 mitgeteilt wurde, wurde der Rechtsstreit mit Beschluss vom 5. Januar 2017 zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen und ein Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt. Nach Bescheidsaufhebung erklärten die Parteien die Hauptsache übereinstimmend für erledigt. Das Gericht stellte das Verfahren daraufhin mit Beschluss vom 31. Januar 2017 ein und erlegte die Verfahrenskosten den Parteien jeweils zu Hälfte auf.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers machte mit Schriftsatz vom 3. Februar 2017 u.a. eine Verfahrensgebühr nach Nr. 6203 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV RVG) i.H.v. 320 € geltend und begründete den erhöhten Ansatz der Verfahrensgebühr mit der erheblichen Bedeutung, die das Verfahren für den Antragsteller habe, der langen Verfahrensdauer, dem überdurchschnittlichen Umfang und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit. Das Polizeipräsidium München äußerte mit Schreiben vom 17. Februar 2017, es halte die Verfahrensgebühr für nicht angemessen; die Voraussetzungen für die Höchstgebühr lägen nicht vor. Der Bevollmächtigte des Antragstellers führte mit Schriftsatz vom 13. März 2017 aus, die besonders hohe Belastung ergebe sich für den Antragsteller daraus, dass er seiner Auffassung nach alles richtig gemacht habe, um ein erhebliches und wiederholtes Fehlverhalten eines anderen Beamten festzustellen. Die Einarbeitung des Bevollmächtigten, der erst nach Abschluss des Anhörungsverfahrens hinzugetreten sei, sei deshalb umfangreicher gewesen. Hinzugekommen seien die zeitaufwendige Akteneinsicht beim Verwaltungsgericht München und der überdurchschnittliche Aufwand für die Anfertigung der elfseitigen Klagebegründung. Auch während des Ruhens des Verfahrens seien regelmäßige Wiedervorlagen zu bearbeiten gewesen. Insgesamt seien neun Stunden an rechtsanwaltlichen Tätigkeiten angefallen. Aufgrund dieses Stundenaufwandes sei die angesetzte Höchstgebühr aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten eigentlich noch zu niedrig.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 4. Mai 2017 setzte die Urkundsbeamtin des Gerichts die dem Antragsteller zu erstattenden Kosten unter Ansatz einer Verfahrensgebühr nach Nr. 6203 VV RVG i.H.v. 185 € auf insgesamt 238 € fest. Zur Verfahrensgebühr führte sie aus, die beantragte Höchstgebühr i.H.v. 320 € sei auf die Mittelgebühr i.H.v. 185 € zu kürzen gewesen. Es habe sich hinsichtlich Schwierigkeit und Umfang um ein durchschnittliches Verfahren gehandelt.
Mit Schriftsatz vom 8. Mai 2017, bei Gericht eingegangen am Folgetag, legte der Bevollmächtigte des Antragstellers gegen den Beschluss Beschwerde ein und verwies auf seine bisherigen Ausführungen.
Die Urkundsbeamtin half dem Antrag nicht ab und legte den Vorgang unter Verweis auf die Durchschnittlichkeit des Verfahrens mit Schreiben vom 10. Mai 2017 dem Gericht zur Entscheidung vor.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers äußerte sich mit Schriftsatz vom 31. Mai 2017.
Das Polizeipräsidium München beantragte mit Schreiben vom 2. Juni 2017,
die Erinnerung des Antragstellers zurückzuweisen.
Zur Begründung wurde vorgetragen, in Umfang und Schwierigkeit handle es sich um ein durchschnittliches Disziplinarverfahren, so dass die Festsetzung der Höchstgebühr nicht gerechtfertigt sei.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten verwiesen.
II.
Die Beschwerde des Bevollmächtigten des Antragstellers gegen den Festsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 4. Mai 2017 ist als Kostenerinnerung (§§ 165, 151 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO) auszulegen.
Zur Entscheidung ist im Rahmen seiner Annexzuständigkeit der im Hauptsacheverfahren zuständige Einzelrichter berufen.
Die Kostenerinnerung ist zulässig, insbesondere wurde sie innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des Kostenfestsetzungsbeschlusses erhoben (vgl. §§ 165, 151 VwGO).
Sie ist jedoch nicht begründet. Die Urkundsbeamtin hat die dem Antragsteller entstandenen notwendigen Aufwendungen mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 4. Mai 2017 in rechtlich nicht zu beanstandender Weise auf lediglich 238 € festgesetzt; zu Recht hat sie hinsichtlich der Verfahrensgebühr nicht die Höchstgebühr i.H.v. 320 €, sondern lediglich die Mittelgebühr i.H.v. 185 € anerkannt, die der Antragsgegner zur Hälfte zu übernehmen hat.
Nach Nr. 6203 VV RVG beträgt die Verfahrensgebühr 50 € bis 320 €. Damit liegt eine Rahmengebühr vor, bei der der Rechtsanwalt die Gebühr nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen bestimmt. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nach § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Unterscheidet sich die zu beurteilende Tätigkeit des Rechtsanwalts unter den maßgeblichen Gesichtspunkten nicht vom Normalfall, so ist allein die Bestimmung der Mittelgebühr billig, die Bestimmung einer höheren Gebühr hingegen unbillig und darum für den erstattungsverpflichteten Dritten gemäß § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG nicht verbindlich (BVerwG, U.v. 17.8.2005 – 6 C 13.04 – juris Rn. 25; BayVGH, B.v. 12.2.2009 – 16a CD 08.2917 – juris Rn. 11).
Unter Berücksichtigung der nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG zu berücksichtigenden Gesichtspunkte ergibt sich, dass der Ansatz der Höchstgebühr nicht gerechtfertigt ist.
– Eine Disziplinarmaßnahme hat stets besondere Bedeutung für den Beamten. Er wird der Ausarbeitung seines Verteidigungsvorbringens deshalb immer besondere Wichtigkeit beimessen. Zu berücksichtigen ist hier, dass es sich bei einer Geldbuße i.H.v. 100 € im Gesamtvergleich der möglichen Disziplinarmaßnahmen um eine niedrigschwellige Disziplinarmaßnahme handelt.
– Ein besonderer, sich von anderen Verfahren unterscheidender Umfang der anwaltlichen Tätigkeit ist hier nicht erkennbar. Insbesondere bleibt der Umfang der vorgelegten Disziplinarakte mit 63 Seiten weit hinter dem bei anderen disziplinarrechtlichen Verfahren üblichen Aktenumfang zurück. Auch die Beauftragung eines Bevollmächtigten erst im gerichtlichen Verfahren mit der Folge, dass sich dieser nachträglich in das Disziplinarverfahren einarbeiten muss, begründet keine ungewöhnliche, die Höchstgebühr rechtfertigende Konstellation.
– Eine besondere Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ist nicht ersichtlich. Die Frage, ob die verhängte Geldbuße eine angemessene Disziplinarmaßnahme darstellt, wirft keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf. Da eine Disziplinarmaßnahme stets eine Einzelfallentscheidung ist, wurde die Disziplinarakte des Kontrahenten des Klägers lediglich zur umfassenden Tatsachenermittlung beigezogen, nicht zum Vergleich der Angemessenheit der beiden Disziplinarmaßnahmen. Zudem wurden weder im behördlichen noch im gerichtlichen Verfahren umfangreiche Zeugenbefragungen durchgeführt oder Sachverständigengutachten zur Klärung schwieriger Fragen eingeholt.
– Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers des Bevollmächtigten, also des Antragstellers, der in Besoldungsgruppe A 11 oder A 12 eingestuft ist, den Ansatz der Höchstgebühr rechtfertigen würde.
– Gleiches gilt die vom Bevollmächtigten geltend gemachte lange Verfahrensdauer. Das gerichtliche Verfahren hat von Februar bis Oktober 2012 und von Oktober 2016 bis Januar 2017 und damit insgesamt 13 Monate gedauert. Dies ist nicht als besonders lange Verfahrensdauer anzusehen. Während des Ruhens des Verfahrens waren keine Handlungen des Bevollmächtigten veranlasst. Mögliche Wiedervorlagen erscheinen nicht über die Maßen aufwendig.
– Es mag sein, dass – wie vom Bevollmächtigten geltend gemacht – selbst die Höchstgebühr der Verfahrensgebühr dem tatsächlichen Umfang der anwaltlichen Tätigkeit nicht gerecht wird. Dieser Umstand ist jedoch dem Vergütungsverzeichnis zum RVG immanent und kann nicht durch den Ansatz der Höchstgebühr ausgeglichen werden.
Der Ansatz der Höchstgebühr war damit nicht gerechtfertigt und die Erinnerung zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kostentragung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Der Wert des Verfahrensgegenstands ergibt sich aus dem hälftigen Unterschiedsbetrag zwischen der angesetzten Gebühr i.H.v. 185 € und der beantragten Gebühr i.H.v. 320 €.


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