Arbeitsrecht

Erkrankung während tariflicher Freistellungszeit

Aktenzeichen  2 Sa 343/20

Datum:
3.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 6472
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BUrlG § 9
Manteltarifvertrag vom 01.04.2018 für die Arbeitnehmer der bayerischen Metall- und Elektroindustrie (MTV) § 10, § 18

 

Leitsatz

Der Anspruch auf tarifliche Freistellungszeit nach § 10 A MTV bay. Metall- und Elektroindustrie wird mit der antragsgemäßen Gewährung der Freistellung für bestimmte Tage erfüllt. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer für diese Tage arbeitsunfähig erkrankt (entgegen LAG Hamm 25.11.2020 – 6 Sa 695/20). (Rn. 27 – 39)

Verfahrensgang

2 Ca 506/19 2020-07-29 Urt ARBGBAMBERG ArbG Bamberg

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bamberg vom 29.07.2020, Az. 2 Ca 506/19 wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

A.
Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung ergehen. Während im erstinstanzlichen Urteilsverfahren die Anwendung des § 128 Abs. 2 Satz 2 ZPO ausgeschlossen ist (§ 46 Abs. 2 ArbGG), ist im Berufungsverfahren eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. § 64 Abs. 6 ArbGG statthaft. Denn im Verweisungskatalog des § 64 Abs. 7 ArbGG fehlt die Bestimmung des § 46 Abs. 2 ArbGG (Schwab/Weth, ArbGG, 5. Aufl., § 64 ArbGG, Rn 236). Die Voraussetzungen für die Entscheidung im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO sind erfüllt. Beide Parteien haben schriftsätzlich durch ihre Prozessvertreter ihr Einverständnis erklärt (§ 128 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Das Gericht hat mit Beschluss vom 12.01.2021 eine Äußerungsfrist nach § 128 Abs. 2 Satz 2 ZPO bis 02.02.2021 bestimmt. Die Dreimonatsfrist des § 128 Abs. 2 Satz 3 ZPO ist eingehalten. Da im vorliegenden Verfahren nur Rechtsfragen zu entscheiden sind, konnte im Rahmen des dem Gericht nach § 128 Abs. 2 Satz 2 ZPO eingeräumten Ermessens auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet werden.
B.
Die Berufung ist zulässig.
Sie ist statthaft, § 64 Abs. 1, 2 b ArbGG, und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO.
C.
Die Berufung ist nicht begründet. Die Beklagte hat den Freistellungsanspruch der Klägerin mit der Freistellungserklärung für den 27.03.2019 erfüllt.
I.
Die Klage ist zulässig. Der Klageantrag bedarf allerdings der Auslegung. Seinem Wortlaut nach verlangt die Klägerin, dass die Beklagte verurteilt wird, ihrem T-Zug-Konto einen Tag für das Jahr 2019 gutzuschreiben. Eine solche Leistungsklage kommt freilich nur dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber ein T-Zug-Konto führt und dieses Konto den Anspruch nach der zu Grunde liegenden Abrede verbindlich bestimmt (vgl. für ein Arbeitszeitkonto BAG 31.07.2014 – 6 AZR 759/12 Rn. 20 mwN). Die Klägerin hat nicht dargetan, dass die Beklagte ein solches Konto zu führen hat. Auch aus den tariflichen Regelungen ergibt sich dies nicht. Aus der Klagebegründung wird aber deutlich, dass die Klägerin die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr einen Freistellungstag nach § 10 A Ziff. 4 MTV zu gewähren (vgl. BAG 17.11.2015 – 9 AZR 547/14 zum „Urlaubskonto“). Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse für diese Klage liegt ersichtlich vor.
II.
Die Klage ist nicht begründet. Dies hat das Arbeitsgericht mit zutreffender Begründung erkannt. Der Anspruch der Klägerin auf Freistellung für den streitgegenständlichen Tag nach § 10 A MTV ist mit der Gewährung der Freistellung für den 27.03.2019 erfüllt worden. § 9 BUrlG ist weder unmittelbar noch analog anwendbar. Auch aus den tariflichen Regelungen folgt nicht, dass der Arbeitgeber im Falle der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit das Risiko der Nutzungsmöglichkeit nach Festlegung der freien Tage tragen soll. Auch die von der Klägerin im Berufungsverfahren vorgebrachten Argumente vermögen nach Ansicht des erkennenden Gerichts ein anderes Ergebnis nicht zu begründen. Im Einzelnen gilt folgendes:
1. Zwischen den Parteien steht nicht im Streit, dass der Klägerin grundsätzlich ein tarifliches Zusatzgeld für das Jahr 2019 aus § 2 TV T-ZUG zusteht. Unstreitig ist die Klägerin auch zur Umwandlung des Zusatzgeldes in eine Freistellung berechtigt i.S.v. § 10 A Ziff. 4 MTV. Sie hat diesen Anspruch auch unstreitig rechtzeitig i.S.v. § 10 A Ziff. 3 MTV bis zum 31.10.2018 geltend gemacht.
2. Mit der Bewilligung der Freistellung für den 27.03.2019 hat die Beklagte den Freistellungsanspruch erfüllt. Vergleichbar mit dem Verfahren der Urlaubsnahme (§ 10 A Ziff. 4 Abs. 2 Satz 1 MTV) hat die Klägerin konkret für den 27.03.2019 die Freistellung beantragt. Dieser wurde ihr von der Beklagten im Vorfeld bewilligt und in den Schichtplan eingetragen. Damit hat die Beklagte vergleichbar mit dem Verfahren bei der Urlaubsnahme ihre Erfüllungshandlung erbracht.
3. Die Erfüllung des Freistellungsanspruchs ist im Falle der Arbeitsunfähigkeit nicht nach § 9 BUrlG bzw. § 18 A Ziff. 5 MTV ausgeschlossen.
a. Diese Bestimmungen gelten unmittelbar nur für den gesetzlich garantierten Erholungsurlaub (vgl. BAG 11.09.2003 – 6 AZR 374/02; BAG 02.12.1987 – 5 AZR 652/86) bzw. für den tariflichen Erholungsurlaub. In § 10 A Ziff, 4 Abs. 2 Satz 1 MTV ist auch nicht auf diese Bestimmungen verwiesen. Denn danach erfolgt die Inanspruchnahme in Form von ganzen freien Tagen, vergleichbar mit dem Verfahren bei der Urlaubsnahme. Die §§ 9 BUrlG bzw. 18 A Ziff. 5 MTV enthalten aber keine Verfahrensregeln, sondern materielles Urlaubsrecht, wonach der Urlaubsanspruch unter den dort genannten Voraussetzungen erhalten bleibt.
b. Ebenso scheidet vorliegend eine analoge Anwendung dieser Bestimmungen aus. Der in § 10 A MTV geregelte Freistellungsanspruch ist mit einer Urlaubsgewährung nicht vergleichbar. Unabhängig von der Frage, ob die zu gewährende Freizeit teilweise auch dem Erholungsbedürfnis des Arbeitnehmers dienen kann und soll, haben die Tarifvertragsparteien eine vom Urlaub ausdrücklich zu unterscheidende Freistellung vorgesehen. Dies wird aus der Formulierung der Ziff. 4 Abs. 2 deutlich. Im Kontext mit der Inanspruchnahme in Form von ganzen freien Tagen und der zeitlichen Festlegung der Freistellung wird nicht auf das Urlaubsrecht, sondern nur auf das „Verfahren bei der Urlaubsnahme“ Bezug genommen. Im Umkehrschluss gehen die Tarifvertragsparteien damit also davon aus, dass die tarifliche Freistellungszeit im Übrigen einem eigenen, vom Urlaub abgekoppelten Regelungsregime folgt. So ist ausdrücklich – abweichend von § 7 Abs. 3 BUrlG – in Ziff. 4 Abs. 3 der Untergang des Freistellungsanspruchs am Jahresende vorgesehen, wenn er aus personenbedingten Gründen nicht oder nicht vollständig genommen werden kann. Auch ist der Freistellungsanspruch nicht an das Kalenderjahr gekoppelt, sondern besteht in allen anderen Fällen ohne weiteres fort (BAG 11.11.2020 – 4 AZR 210/20 – Rn 46 zu den entsprechenden Regelungen des TV T-ZUG und MTV 2018 in Nordrhein-Westfalen). Hätten die Tarifvertragsparteien eine Bezugnahme auf die Rechtslage beim Urlaub im Ganzen gewollt, hätte eine entsprechende umfassende Verweisung auf die Regelungen des § 18 A MTV bzw. auf das BUrlG nahegelegen. Wenn die Tarifparteien aber ausdrücklich in § 18 A Ziff. 5 MTV nur für den Urlaub eine dem § 9 BUrlG nachgebildete Regelung getroffen haben, spricht dies deutlich dafür, dass sie die Frage der Erkrankung während der Freistellung nach § 10 A MTV gerade nicht in der für den Urlaub geltenden Weise regeln wollten. Insgesamt handelt es sich bei § 10 A MTV um ein vom Urlaub unabhängiges, eigenständiges Regelungswerk hinsichtlich eines Freistellungsanspruchs (ebenso LAG Hamm 25.11.2020 – 6 Sa 695/20 Rn 90 für die insoweit inhaltlich gleichlautenden tariflichen Regelungen für die Metall- und Elektroindustrie in Nordrhein-Westfalen).
4. Aus den tariflichen Regelungen ergibt sich nicht, dass der Arbeitgeber das Risiko der Nutzungsmöglichkeit bei einer erfolgten Festlegung der Freistellungstage tragen soll.
a. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG wird ein Anspruch auf Arbeitszeitausgleich bereits durch die Freistellung von der Arbeitspflicht erfüllt. Der Arbeitnehmer ist in diesem Falle nicht mehr verpflichtet, im Freistellungszeitraum die nach dem Arbeitsvertrag geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Er kann über diesen Zeitraum frei verfügen, ohne dass die Pflicht des Arbeitgebers zur Zahlung der entsprechenden Vergütung entfällt. Eine nachträglich eintretende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit im Freistellungszeitraum macht die Erfüllung des Ausgleichsanspruchs nicht hinfällig (vgl. BAG 11.09.2003 – 6 AZR 374/02 Rn 26 mwN). Demnach trägt grundsätzlich der Arbeitnehmer das Risiko, die durch Arbeitsbefreiung als Arbeitszeitausgleich gewonnene Freizeit auch tatsächlich nach seinen Vorstellungen nutzen zu können. Etwas anderes gilt im Falle eines tarifvertraglich geregelten Arbeitszeitausgleichs nur dann, wenn der Tarifvertrag mit dem Freizeitausgleich die Verschaffung einer zu Erholungszwecken nutzbaren arbeitsfreien Zeit sicherstellen und dazu dem Arbeitgeber bei einer zuvor erfolgten Festlegung der freien Arbeitstage das Risiko dieser Nutzungsmöglichkeit zuweist. Dabei muss der Wille der Tarifvertragsparteien erkennbar sein, dass sie, abweichend von den allgemeinen Grundsätzen, eine Erfüllung des Anspruchs auf Arbeitszeitausgleich ausnahmsweise ausschließen wollten, falls der Arbeitnehmer nach bereits erfolgter Festlegung des Arbeitszeitausgleichs im Ausgleichszeitraum arbeitsunfähig erkrankt (vgl. BAG vom 11.09.2003 – 6 AZR 374/02 – Rn 27; LAG Hamm 25.11.2020 – 6 Sa 695/20, Rn 93).
Die Frage, ob die Inanspruchnahme tariflicher Freistellungszeit i.S.v. § 10 A MTV während einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit möglich ist, ist nicht anhand begrifflicher Erwägungen oder allgemeiner schuldrechtlicher Grundsätze, sondern durch Auslegung der Tarifvorschrift selbst zu beantworten (vgl. BAG 04.09.1985 – 7 AZR 531/82 Rn 19).
b. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, sofern und soweit er in den tariflichen Regelungen und ihrem systematischen Zusammenhang Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können (BAG 22.03.2018 – 6 AZR 29/17 Rn 12 m.w.N).
aa. Nach dem Wortlaut des § 10 A Ziff. 4 Abs. 2 Satz 1 MTV erfolgt die Inanspruchnahme in Form von ganzen Tagen, vergleichbar dem Verfahren bei der Urlaubsnahme. Nach Satz 3 sind bei der zeitlichen Festlegung der Freistellung die Wünsche des Arbeitnehmers im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten zu berücksichtigen. Daraus wird deutlich, dass grundsätzlich der Arbeitgeber die zeitliche Lage der Freistellung festlegt. Dies geschieht durch eine entsprechende Erklärung des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer, durch die der Arbeitgeber auf sein vertragliches Recht auf Leistung der versprochenen Dienste in einem bestimmten Umfang verzichtet und damit die entsprechende Dienstleistungspflicht des Arbeitnehmers zum Erlöschen bringt (vgl. BAG 04.09.1985 – 7 AZR 531/82 Rn 20). Eine Rückumwandlung der tariflichen Freistellungzeit in das tarifliche Zusatzgeld erfolgt nach § 10 A Ziff. 4 Abs. 3 MTV nur, wenn der Freistellungsanspruch aus personenbedingten Gründen nicht oder nicht vollständig im Kalenderjahr realisiert werden kann. Unerheblich ist danach, ob und inwieweit der Arbeitnehmer eine bereits im Voraus gewährte Freistellungszeit nach seinen Vorstellungen nutzen kann. Aus dem Tarifwortlaut geht nicht hervor, dass die Tarifvertragsparteien, abweichend von den allgemeinen Grundsätzen, eine Erfüllung des Anspruchs auf Freistellungszeit ausnahmsweise ausschließen wollten, falls der Arbeitnehmer nach bereits erfolgter einvernehmlicher Festlegung der Freistellungszeit während der Freistellung arbeitsunfähig erkrankt (vgl. BAG 11.09.2003 – 6 AZR 374/02 Rn 28).
bb. Auch aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang ergibt sich nicht hinreichend, dass der Arbeitgeber das Risiko der Nutzungsmöglichkeit bei einer erfolgten einvernehmlichen Festlegung der freien Arbeitstage tragen soll. Der tarifliche Anspruch auf Umwandlung des Zusatzgeldes in Freistellungszeit ist Arbeitnehmern im Schichtbetrieb oder mit pflegebedürftigen Angehörigen oder zu betreuenden und zu erziehenden Kindern eingeräumt (§ 10 A Ziff. 2 MTV). Hieraus kann zwar gefolgert werden, dass mit der Freistellung dem schichtarbeitenden Arbeitnehmer ein Erholungswert zugutekommen bzw. den anderen Berechtigten die Pflege bzw. Betreuung und Erziehung ermöglicht werden soll. Hierfür spricht auch das in § 10 A Ziff. 4 Abs. 5 MTV bestimmte Nebentätigkeitsverbot für die Freistellungstage. Dem weiteren mit beachtlichen Argumenten herausgearbeiteten Schluss des LAG Hamm (a.a.O Rn 102), dass die Erfüllung des Freistellungsanspruchs auch die tatsächliche Nutzung der festgelegten arbeitsfreien Zeit erfordert, vermag sich das erkennende Gericht aber nicht anzuschließen. Zum einen würde eine solche Argumentation bedeuten, dass die Regelung in § 9 BUrlG bzw. § 18 A Ziff. 5 MTV überflüssig wäre. Denn auch der Urlaub hat eine Zweckbestimmung. Er dient der Erholung (§ 1 BUrlG und § 18 A Ziff. 1 MTV: „Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub“), weshalb der Arbeitnehmer während des Urlaubs keine dem Urlaubszweck (= Erholung) widersprechende Erwerbstätigkeit ausüben darf (§ 8 BUrlG, ähnlich § 18 A Ziff. 1 Satz 2 MTV). Zum anderen wäre nicht erklärbar, warum der Tarifvertrag den Betriebsparteien gestattet, den Freistellungsanspruch für den ganzen Betrieb, bestimmte Arbeitnehmergruppen oder Abteilungen/Bereiche zu öffnen (§ 10 A Ziff. 5 MTV), also unabhängig davon, ob Schichtarbeit vorliegt oder pflegebedürftige Personen oder zu betreuende Kinder vorhanden sind. Bei der Erweiterung auf den ganzen Betrieb usw. entfällt aber gerade der besondere Zweck, den das LAG Hamm als entscheidend für die Verlagerung des Risikos auf den Arbeitgeber ansieht.
cc. Auch aus § 10 A Ziff. 4 Abs. 3 MTV folgt nicht, dass eine nachträglich eingetretene krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit dazu führt, dass der Freistellungsanspruch trotz der bewilligten Freistellung nicht erlischt und dass das Risiko insoweit dem Arbeitgeber zugewiesen wird. Der Regelungsgegenstand des § 10 A Ziff.4 Abs. 3 MTV ist nämlich eng begrenzt. Danach geht der Freistellungsanspruch nur dann am Jahresende unter, wenn er aus personenbedingten Gründen nicht genommen werden kann. Als Kompensation lebt das tarifliche Zusatzgeld dann wieder auf. Eine weitergehende Regelung enthält die Vorschrift nicht. Daraus folgt zwar, dass der Freistellungsanspruch über das Kalenderjahr hinaus im bestehenden Arbeitsverhältnis erhalten bleibt und ein Fall der Unmöglichkeit im Sinne von § 275 BGB nach Ablauf des Kalenderjahres nicht vorliegt (BAG 11.11.2020 – 4 AZR 210/20 – Rn 46 zu den entsprechenden Regelungen des TV T-ZUG und MTV 2018 in Nordrhein-Westfalen, anders das Erstgericht und das LAG Hamm a.a.O). Die Vorschrift enthält aber gerade keine Aussage darüber, ob der Freistellungsanspruch des Arbeitnehmers mit der einvernehmlichen Gewährung bereits erfüllt ist.
c. Die hier vertretene Tarifauslegung führt auch nicht zu unbilligen Ergebnissen insbesondere für den Fall, dass der Arbeitgeber die Freistellungstage ohne Einverständnis des Arbeitnehmers festlegen will.
aa. Steht im Zeitpunkt der Gewährung fest, dass der Arbeitnehmer am Freistellungstag nicht arbeitsfähig ist – etwa, weil bereits eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorliegt – besteht keine Arbeitspflicht, die der Arbeitgeber aufheben könnte. Eine solche Erklärung wäre auf eine unmögliche Leistung gerichtet (§ 275 BGB). Die an sich geschuldete Freistellung kann an diesem Tage nicht bewirkt werden (§ 362 Abs. 1 BGB).
bb. In den übrigen Fällen der einseitigen Gewährung durch den Arbeitgeber ist zu berücksichtigen, dass bei der Festlegung der Freistellungstage die Wünsche des Arbeitnehmers im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten zu berücksichtigen sind (§ 10 A Ziff. 4 Abs. 2 Satz 3 MTV). Damit haben die Tarifparteien bestimmt, dass der Arbeitnehmer vor der zeitlichen Festlegung befragt werden muss. Ist dies nicht geschehen, kann der Arbeitnehmer der einseitigen Gewährung widersprechen und die Annahme der Freistellung für diesen Tag verweigern. Insoweit haben die Tarifparteien ausdrücklich eine ähnliche Regelung getroffen wie in § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG bzw. in § 18 A Ziff. 3 (II) Satz 2 MTV (hierzu ErfK-Gallner, 21. Aufl., § 7 BUrlG, Rn 11 ff). Kann dann die Freistellungszeit ganz oder zum Teil im Kalenderjahr nicht genommen werden, etwa weil der Arbeitnehmer bis zum Jahresende arbeitsunfähig ist, geht der Freistellungsanspruch unter und das tarifliche Zusatzgeld ist auszuzahlen (§ 10 A Ziff. 4 Abs. 3 MTV). Wird der Arbeitnehmer vor Jahresende aber wieder arbeitsfähig, bleibt der Freistellungsanspruch unabhängig vom Jahresende bestehen (BAG 11.11.2020 – 4 AZR 210/20 – Rn 46).
II.
Der wegen der Abweisung des Hauptantrags nunmehr zur Entscheidung angefallene Hilfsantrag ist zwar zulässig, aber ebenfalls unbegründet. Da am Jahresende 2019 ein Anspruch auf Freistellung nicht mehr bestand, konnte er auch nicht wieder in einen Zahlungsanspruch nach § 10 A Ziff. 4 Abs. 5 MTV, § 2.2.1 TV T-ZUG zurückfallen.
D.
Die Klägerin hat als unterlegene Rechtsmittelführerin die Kosten der Berufung zu tragen, § 97 ZPO.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Die Entscheidung betrifft die Auslegung über den Bereich des LAG Nürnberg hinaus in ganz Bayern geltender tariflicher Regelungen, die in anderen Tarifbezirken praktisch wortgleich ebenfalls gelten, § 72 Abs. 2 ArbGG.


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