Arbeitsrecht

Informierter Kostenbeitrag

Aktenzeichen  12 C 15.2631

Datum:
17.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 16774
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VIII § 92 Abs. 3 S. 1
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
VwGO § 166

 

Leitsatz

Gemäß § 92 Abs. 3 S. 1 SGB VIII darf ein Kostenpflichtiger erst dann zu einem Kostenbeitrag herangezogen werden, wenn er über die Leistungsgewährung unterrichtet und über die Folgen für seine Unterhaltspflicht aufgeklärt wurde (sog. informierter Kostenbeitrag), wobei die Aufklärungsverpflichtung grundsätzlich sowohl gegenüber dem bar- als auch dem naturalunterhaltspflichtigen Elternteil besteht. Eine rückwirkende Heranziehung zu einem Kostenbeitrag ohne vorherige zutreffende Mitteilung und Aufklärung über die Folgen kommt nicht in Betracht.  (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 3 K 13.1271 2015-10-30 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 30. Oktober 2015, Az.: W 3 K 13.1271, wird dahingehend abgeändert, dass dem Kläger für die Klage gegen den Kostenbeitragsbescheid des Beklagten vom 16. Juli 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. November 2013 insgesamt Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin xxx als Bevollmächtigte beigeordnet wird.

Gründe

Die zulässige Beschwerde gegen die teilweise Versagung von Prozesskostenhilfe für die gegen den Kostenbeitragsbescheid des Beklagten vom 16. Juli 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. November 2013 gerichtete Klage hat Erfolg. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts fehlen der Klage insgesamt die nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderlichen Erfolgsaussichten nicht. Denn der streitgegenständliche Kostenbeitragsbescheid ist gemessen am prozesskostenhilferechtlichen Maßstab insgesamt rechtswidrig und die Klage damit in vollem Umfang erfolgversprechend.
1. Der Beklagte erbrachte für die Tochter A. A. des Klägers seit dem Jahr 2005 Jugendhilfeleistungen in Form der Vollzeitpflege. Bereits mit Leistungsbescheiden vom August 2010 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 17. August 2012 wollte sie den Kläger hierfür zu einem Kostenbeitrag heranziehen. Auf den Widerspruch des Klägers teilte die Regierung von Unterfranken dem Beklagten mit Schreiben vom 20. Februar 2013 mit, dass sie die Kostenbeitragserhebung für rechtswidrig erachte, da es an der Mitteilung der Gewährung der Leistung und der Aufklärung des Klägers über die Folgen der Leistungsgewährung für seine Unterhaltspflicht gemäß § 93 Abs. 3 Satz 1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) fehle (vgl. Bl. 213 Beiakte VII). Daraufhin hob der Beklagte mit Abhilfebescheid vom 11. April 2013 die vorangegangenen Leistungs- bzw.- Änderungsbescheide auf.
2. Nach dem Hinweisschreiben der Regierung von Unterfranken teilte der Beklagte mit Schreiben vom 27. Februar 2013 (Bl. 3, Beiakte V) dem Kläger erneut mit, dass er beabsichtige, ihn für die seiner Tochter gewährten Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege zu einem Kostenbeitrag heranzuziehen. Dieses Schreiben enthielt folgenden Absatz:
„Aufgrund der Jugendhilfe ruht insoweit für den Zeitraum ab 01.04.2006 bzw. 01.10.2006 Ihre Unterhaltsverpflichtung dem Kind gegenüber. Für diese Zeit sind Sie aber zur Zahlung des vorstehend erwähnten Kostenbeitrags verpflichtet.“
3. Mit dieser Mitteilung bzw. „Aufklärung“ über die Folgen der Hilfegewähr hat der Beklagte indes seine Pflicht nach § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII erneut nicht erfüllt.
3.1 § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII bestimmt, dass der Kostenbeitrag bei dem Unterhaltspflichtigen erst ab dem Zeitpunkt erhoben werden darf, ab dem er (erstens) über die Leistungsgewährung unterrichtet und (zweitens) über die Folgen des Kostenbeitrags für seine Unterhaltspflicht aufgeklärt worden ist (sog. „informierter Kostenbeitrag“, vgl. Kunkel/Kepert in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 7. Aufl. 2018, § 92 Rn. 17). Die entsprechende Information ist materiell-rechtliche Tatbestandsvoraussetzung für den Kostenbeitrag, da das Recht zu seiner Erhebung an die Mitteilung an den Beitragspflichtigen anknüpft (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 18.11.2014 – 12 C 14.2416 – NJW 2015, 1402, B.v. 28.5.2014 – 12 ZB 14.154 – juris Rn. 12; B.v. 22.5.2014 – 12 ZB 12.2509 – juris Rn. 19; B.v. 13.4.2015 – 12 CS 15.190 – juris Rn. 18; vgl. ferner Kunkel/Kepert in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 7. Aufl. 2018, § 92 Rn. 17 m.w.N.). Heilung oder Unbeachtlichkeit nach §§ 41, 42 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) analog scheiden daher aus (vgl. Kunkel/Kepert in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 7. Aufl. 2018, § 92 Rn. 17 m.w.N.; VG Aachen, U.v. 27.12.2013 – 1 K 1576/09 – juris Rn. 25).
Die Verpflichtung zur Aufklärung besteht dabei grundsätzlich sowohl gegenüber dem bar- als auch dem naturalunterhaltspflichtigen Elternteil (vgl. BVerwG, U.v. 11.10.2012 – 5 C 22.11 – BVerwGE 144, 313 [315] Rn. 10 f.). Der Umfang der Informationspflicht bemisst sich entsprechend dem Schutzzweck der Norm nach den jeweiligen wirtschaftlichen Dispositionsmöglichkeiten der Kostenbeitragspflichtigen. Vor allem sind den Betroffenen die für sie maßgeblichen Informationen zu vermitteln, um vermögensrechtliche Fehldispositionen im Zusammenhang mit der Entstehung der Kostenbeitragspflicht zu vermeiden. Der Barunterhaltspflichtige muss demnach über den Beginn, die Dauer und (sofern bereits bezifferbar) die voraussichtliche Höhe der Leistung informiert werden. Insbesondere ist er darauf hinzuweisen, dass mit der Gewährung von Jugendhilfe die Beteiligung an den Kosten gemäß §§ 91, 92 SGB VIII verbunden ist, ferner auch darauf, dass die durch die Jugendhilfe eingetretene Bedarfsdeckung bei der Berechnung des Unterhalts mindernd zu berücksichtigen ist. Die Höhe des Kostenbeitrags selbst braucht indes noch nicht beziffert zu werden (vgl. eingehend Kunkel/Kepert in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 7. Aufl. 2018, § 92 Rn. 17)
3.2 Im Lichte dieses Maßstabs erweist sich die „Aufklärung“ des Klägers bereits hinsichtlich des Beginns der Kostenbeitragspflicht als ungenau – genannt werden zwei unterschiedliche Daten, ab denen die Unterhaltsverpflichtung dem Kind gegenüber ruhen soll – und im Übrigen als sachlich falsch, weil – wie dargelegt – eine rückwirkende Heranziehung zu einem Kostenbeitrag ohne vorherige zutreffende Mitteilung und Aufklärung über die Folgen für die Unterhaltspflicht nicht in Betracht kommt. Das Schreiben vom 27. Februar 2013 lässt die erforderliche Kohärenz mit dem erst in der Zukunft liegenden Leistungszeitraum vermissen und kann daher offenkundig den Zweck der Aufklärung über die Wirkungen der Jugendhilfeleistung auf die Unterhaltspflicht, nämlich den Kostenbeitragspflichtigen vor finanziellen Fehldispositionen zu schützen, nicht erfüllen. Daran vermag auch die Tatsache, dass die vorausgegangenen Leistungsbescheide mit Abhilfebescheid vom 11. April 2013 unter dem ausdrücklichen Hinweis auf die in der Vergangenheit mangelnde Aufklärung nach § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII aufgehoben wurden, nichts zu ändern. Dieser Umstand kann bei einem juristischen Laien wie dem Kläger nicht dazu führen, dass er in Verbindung mit den – hinsichtlich des Zeitraums missverständlichen – Ausführungen im Schreiben vom 27. Februar 2013 zumindest ab dem Zeitpunkt des Zugangs des Abhilfebescheids vom 11. April 2013 als im Sinne von § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII informiert zu gelten hätte. Vielmehr durfte er gerade vor dem Hintergrund, dass den Voraussetzungen des § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII in der Vergangenheit nicht Rechnung getragen wurde, eine in jeder Hinsicht korrekte und unmissverständliche Mitteilung für die Zukunft erwarten. Eine solche liegt jedoch nicht vor.
Infolgedessen fehlt es für den im vorliegenden Fall streitgegenständlichen Zeitraum 1. März 2013 bis 31. Dezember 2013 an einer Tatbestandsvoraussetzung für die Erhebung des Kostenbeitrags, sodass die Klage gegen den Kostenbeitragsbescheid – ungeachtet der im Verfahren erster Instanz strittigen Kostenbeitragsberechnung – bereits aus diesem Grund Erfolg haben muss. Der Beklagte ist den Anforderungen des § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII nicht gerecht geworden.
4. Dies hat letztlich auch die Widerspruchsbehörde im Widerspruchsverfahren erkannt, indem sie dem Beklagten (Bl. 8 Beiakte IV) mitgeteilt hat, die vorstehend zitierte Formulierung sei nach ihrer Einschätzung „jedoch missverständlich“ und sollte daher „geändert bzw. dem Einzelfall angepasst werden“. Die erforderlichen Konsequenzen hat die Widerspruchsbehörde indes nicht gezogen und den Widerspruch daher ebenfalls rechtfehlerhaft zurückgewiesen.
5. Angesichts dessen war der nur teilweise Prozesskostenhilfe bewilligende Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 30. Oktober 2015 dahingehend abzuändern, dass Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren insgesamt bewilligt und dem Kläger seine bisherige Bevollmächtigte als Rechtsanwältin beigeordnet wird.
Eine Kostenentscheidung war im Beschwerdeverfahren nicht veranlasst, da Gerichtskosten in Angelegenheiten der Kinder- und Jugendhilfe nach § 188 Satz 2, 1 VwGO nicht erhoben und Kosten im Prozesskostenhilfebeschwerdeverfahren nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet werden.
Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.


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