Arbeitsrecht

Kein Anspruch auf Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte

Aktenzeichen  S 12 R 649/15

Datum:
28.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 152082
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 236 Abs. 3, § 236b

 

Leitsatz

Eine vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente für besonders langjährig Versicherte vor dem in § 236b Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI genannten Mindestalter sieht das Gesetz nicht vor. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden. Ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab 01.04.2015 mit einem Abschlag i. H. v. 4,2% für 14 Monate vorzeitiger Inanspruchnahme ist nicht gegeben.
Zu Recht hat die Beklagte dem Kläger auf dessen Antrag vom 27.01.2015 Altersrente für langjährig Versicherte ab 01.04.2015 gemäß § 236 Abs. 1, Abs. 3 SGB VI bewilligt. Da der Kläger die Altersrente für langjährig Versicherte vorzeitig, nämlich nicht mit Vollendung des 65. Lebensjahres, sondern bereits mit Vollendung des 62. Lebensjahres ab 01.04.2015, somit 36 Monate früher, in Anspruch genommen hat, ergibt sich nach § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2a SGB VI die von der Beklagten berücksichtigte Verminderung des Zugangsfaktors für 36 Kalendermonate um 0,108. Die Kürzung des Zugangsfaktors um 0,003 für jeden Kalendermonat des vorzeitigen Rentenbezugs einer Altersrente auf Grundlage des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2a SGB VI ist mit dem Grundgesetz vereinbar, weil die Vorschrift eine zum Schutz der Funktions- und Leistungsfähigkeit der Rentenversicherung zulässige gesetzliche Inhalts- und Schrankenbestimmung darstellt (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG), die in den Abschlagsregelungen liegende Einschränkung der Anwartschaft durch Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt ist und den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes entspricht (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 05.02.2009 – 1 BvR 1631/04, Beschluss vom 11.11.2008 – 1 BvL 3/05 u. a., BSG, Urteil vom 19.11.2009 – B 13 R 5/09 R und LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 07.07.2016 – L 7 R 273/15 m. w. N.).
Für den geltend gemachten Anspruch des Klägers auf Altersrente für besonders langjährig Versicherte mit einem Abschlag für 14 Monate in Höhe von 4,2% ab dem 62. Lebensjahr existiert keine Rechtsgrundlage. Eine vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente für besonders langjährig Versicherte vor dem in § 236b Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI genannten Mindestalter (für den Kläger: 63 Jahre und 2 Monate) sieht das Gesetz nicht vor.
Weshalb der Kläger meint, die in § 236b SGB VI für den Rentenanspruch benannte Voraussetzung der Vollendung – mindestens – des 63. Lebensjahres sowie die fehlende Möglichkeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme der Rente mit Abschlag verletzte ihn in seinen Grundrechten, nämlich dem Recht auf Gleichbehandlung, hat sich dem Gericht nicht erschlossen. Weshalb es geboten sein sollte, den Kläger gegenüber anderen besonders langjährig Versicherten, die keine Altersteilzeit vereinbart hatten und gemäß § 236b Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI einen Anspruch auf eine abschlagsfreie Altersrente ab Vollendung des 63. Lebensjahres haben, durch eine von dem Kläger angestrebte Vertrauensschutzregelung, die Elemente des Rentenanspruchs nach § 236 Abs. 3 SGB VI und des Rentenanspruchs nach § 236b Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI i. S. einer Rentenoptimierung verbindet, zu begünstigen, wurde von dem Kläger nicht überzeugend vorgetragen.
Durch die zum 01.07.2014 eingeführte abschlagsfreie „Rente mit 63“ wurde eine gesetzliche Privilegierung für einen bestimmten Kreis von Versicherten geschaffen, von der andere Versicherte nicht profitieren konnten. Soweit der Kläger offenbar gleichsam eine Erweiterung bzw. Anpassung dieser Privilegierung auf die besonders langjährig Versicherten, welche die Vertrauensschutzregelung nach § 236 Abs. 3 SGB VI in Anspruch nehmen, begehrt, verkennt er, dass der Gesetzgeber im Sozialrecht grundsätzlich einen weiten Gestaltungsspielraum hat, und zwar insbesondere was die Abgrenzung des begünstigten Personenkreises und die Bezugsdauer der einzelnen Sozialleistung anbelangt (vgl. BVerfG 106, 166, 175ff, 111,160,169ff, BSG, Urteil vom 19.02.2009 – B 10 KG 2/ 07 R). Dieser gesetzgeberische Gestaltungsspielraum ist gerichtlich nicht überprüfbar, solange es sich um eine vertretbare und nachvollziehbare Regelung handelt. Verfassungsrechtlich nicht geboten ist die Schaffung der besten Regelung oder der Regelung mit der höchsten Einzelfallgerechtigkeit (Bayer. LSG, Urteil vom 15.03.2017 – L 19 R 696/15).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das Gericht keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Regelung des § 236b SGB VI.
Lediglich ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass der Kläger auch keinen Anspruch auf eine abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab 01.06.2016 hat (§ 236b Abs. 1 und 2 SGB VI). Denn der nachträgliche Wechsel in diese Altersrente ist gemäß § 34 Abs. 4 Nr. 3 SGB VI ausgeschlossen, weil der Kläger bereits seit 01.04.2015 eine Altersrente für langjährig Versicherte bezieht.
Nach alledem war die Klage als unbegründet abzuweisen.
Die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach § 105 Abs. 1 SGG waren im hiesigen Rechtsstreit erfüllt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.


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