Arbeitsrecht

Kein Anspruch auf weitere Nachzahlungen aus höherer Altersrente

Aktenzeichen  L 19 R 86/17

Datum:
13.6.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 115783
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB X § 44 Abs. 4
SGG § 105, § 143, § 144, § 151

 

Leitsatz

Ist Gegenstand der rückwirkenden Abänderung nur ein über den bisherigen Rentenanspruch hinausgehender Anspruch, so ist dieser für sich genommen als Sozialleistung im Sinne von § 44 Abs. 4 SGB X zu betrachten. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 3 R 551/16 2017-01-03 GeB SGBAYREUTH SG Bayreuth

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 03.01.2017 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf weitere Nachzahlungen aus der bewilligten höheren Altersrente hat.
Zwischen den Beteiligten ist unstrittig, dass die Beklagte – aus heutiger Sicht, d.h. nach Kenntnis und Auswertung der vom Kläger neu vorgelegten Unterlagen – bei der Berechnung der Altersrente des Klägers im Bescheid vom 11.12.2007 in der Fassung des Neufeststellungsbescheids vom 22.01.2008 von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen war. Gleichwohl war der Bescheid rechtskräftig geworden, nachdem der Kläger seinerzeit mit seinen Rechtsmitteln keinen Erfolg gehabt hatte.
Die Beklagte hat deshalb entsprechend § 44 Abs. 1 SGB X den Rentenbescheid des Klägers rückwirkend abgeändert.
Strittig ist zwischen den Beklagten allein die Anwendung des § 44 Abs. 4 SGB X, der in Satz 1 vorschreibt, dass Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht werden. Die rückwirkende Leistungserbringung steht damit also unter einer doppelten Bedingung nämlich, dass rückwirkend der Anspruch schon bestanden hat und zusätzlich dass die hier genannte Vierjahresfrist nicht überschritten wird. Ist der rückwirkende Abänderungszeitraum länger als vier Jahre entfällt der Anspruch nicht vollständig, sondern wird auf den anteiligen Zeitraum gekappt.
§ 44 Abs. 4 SGB X enthält zwei gesetzliche Ausgestaltungsregeln für die Berechnung der 4-Jahresfrist, die im Falle des Klägers beide zur Anwendung kommen. Da das Überprüfungsverfahren auf Antrag des Klägers erfolgt ist, wird zu seinen Gunsten nicht das Rücknahmedatum vom 30.03.2016 der Fristberechnung zugrunde gelegt, sondern das Antragsdatum vom 22.01.2016 – maßgeblich ist der Antragseingang – (§ 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X). Dies wirkt sich im Fall des Klägers aber nicht weiter aus, da zusätzlich zu seinen Gunsten durch § 44 Abs. 4 Satz 2 SGB X auf den Jahresbeginn, d.h. auf den 01.01.2016 abgestellt wird.
Damit berechnet sich, was zwischen den Beteiligten ebenfalls unstrittig ist, die rückwirkende 4-Jahresfrist auf den 01.01.2012 zurück. Ab diesem Zeitpunkt hat die Beklagte den Nachzahlungsbetrag für die Differenz zwischen der bereits gezahlten und der dem Kläger zustehenden Rente berechnet und die Nachzahlung veranlasst.
Die Anwendung des § 44 Abs. 4 SGB X entfällt – entgegen der vom Kläger angedeuteten Auffassung – auch nicht etwa deshalb, weil der Kläger die Sozialleistung „Altersrente“ schon länger, d.h. ab 01.09.2007, bezogen hatte und „nur“ einen erhöhten Zahlbetrag geltend macht. Gegenstand der rückwirkenden Abänderung ist ja nur der über den bisherigen Rentenanspruch hinausgehende Anspruch, so dass dieser für sich genommen als Sozialleistung im Sinne dieser Vorschrift zu betrachten ist. Dass die Beklagte hier nicht eine vollständige Rücknahme und Neugewährung vorzunehmen hat, wirkt sich für den Kläger ja durchaus positiv aus, weil sonst womöglich eine komplette Rückforderung der gezahlten Leistungen Thema sein könnte, während die Nachzahlung komplett auf die Zeit ab Jahresbeginn 2011 begrenzt wäre.
Die Frage, ob der Kläger sich hinreichend darum bemüht hat, Nachweise für die Berechnung der höheren Altersrente vorzulegen, stellt die Beklagte zu recht nicht. Ein Verschulden oder Nichtverschulden ist für die Anwendung von § 44 Abs. 4 SGB X ohne Belang. Vielmehr ist die Vorschrift generell und von Amts wegen und ohne die Möglichkeit zur Ermessensausübung anzuwenden (vgl. von Wulffen/Schütze, Kommentar zum SGB X, 8. Aufl. 2014, § 44 Rn. 28; Steinwedel in: Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2015, § 44 SGB X, Rn. 54). Der Gesetzgeber hat dies wohl v.a. unter dem Gesichtspunkt der Unterhaltsfunktion einer Sozialleistung so geregelt (vgl. zu den Motiven der Vorschrift: BT-Drs. 8/2034, S. 34). Insofern ist es auch ohne Belang, dass Polen bereits seit 01.05.2004 – und damit einige Jahre vor der Stellung des Altersrentenantrages des Klägers – Mitglied der EU ist, sodass der Hinweis des Klägers auf ein zuvor bestehendes Zugangshindernis für seine Unterlagen ins Leere läuft.
Der Senat hat auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Anwendung dieser Vorschrift, nachdem die obergerichtliche Rechtsprechung die Verfassungsgemäßheit bestätigt hat (vgl. BSG, Beschluss des Großen Senats vom 15.12.1982, Az. GS 2/80; BSG, Urteil vom 23.07.1986, Az. 1 RA 31/85 – jeweils nach juris).
Die angefochtenen Bescheide der Beklagten und die hierzu ergangene erstinstanzliche Entscheidung sind somit nicht zu beanstanden und die Berufung ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.


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