Arbeitsrecht

Keine Abgeltung tariflichen Mehrurlaubs eines verstorbenen Beamten

Aktenzeichen  3 ZB 20.2862

Datum:
16.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 2833
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
UrlMV § 8
VwGO § 124 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Abgeltung tariflichen Mehrurlaubs auch bei Tod des Arbeitnehmers kann auf Beamte nicht übertragen werden, da das vom Bundesarbeitsgericht herangezogene Bundesurlaubsgesetz, das in § 7 Abs. 4 eine Urlaubsabgeltung vorsieht, auf Beamte nicht anwendbar ist, sondern § 9 Abs. 1 UrlMV die Urlaubsabgeltung auf den unionsrechtlichen Mindestjahresurlaub begrenzt (ebenso BVerwG BeckRS 2013, 47871). (Rn. 8 – 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Angesichts grundlegender struktureller Unterschiede zwischen Beamten- und Arbeitsverhältnissen im öffentlichen Dienst besteht kein Anspruch der Beamten, in der Frage der Urlaubsabgeltung mit den Tarifbeschäftigten gleichgestellt zu werden (vgl. auch BVerwG BeckRS 2016, 40708). (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 5 K 20.2997 2020-10-21 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wir abgelehnt.
II. Die Klägerinnen tragen die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 6.398,84 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Soweit Zulassungsgründe i.S.v. § 124 Abs. 2 VwGO ausdrücklich oder sinngemäß geltend gemacht werden, sind sie nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Art und Weise dargelegt bzw. liegen nicht vor.
1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Solche sind nur zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit dieser Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen können. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
In der Sache geht es um die Abgeltung von weiteren 28 Urlaubstagen des am 21. April 2019 verstorbenen W* … K* … (Beamter). Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass kein abzugeltender Urlaubsanspruch besteht.
Hiergegen wenden sich die Klägerinnen mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung.
a. Soweit sie das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 6. November 2018 (Bauer, C-569/16 und C-570/16, C-569/16, C-570/16 – juris) heranziehen, kann diesen zur Abgeltung des Mehrurlaubs – also Urlaub, der den von Art. 7 Abs. 1 der RL 2003/88/EG gewährleisteten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigt – nichts entnommen werden. In der Zulassungsbegründung wird bei der Argumentation unter Berufung auf dieses Urteil des Gerichtshofes nicht berücksichtigt, dass bereits das vorlegende Gericht in den Vorlagefragen mehrfach vom bezahlten Mindestjahresurlaub spricht (BAG, EuGH-Vorlage v. 18.10.2016 – 9 AZR 196/16 (A) – juris Tenor I.1., Rn. 19 und 20). Dementsprechend beziehen sich die Ausführungen des Gerichtshofs auf den unionsrechtlich vorgegebenen Mindestjahresurlaub von vier Wochen (a.a.O. Rn. 42 und 72).
b. Auch mit ihrem Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (U.v. 22.1.2019 – 9 AZR 45/16 – juris) können die Klägerinnen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils darlegen.
Nach dieser Rechtsprechung ist sowohl der gesetzliche Mindesturlaub als auch der tarifliche Mehrurlaub nach § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten weil die Tarifvertragsparteien in § 26 TVöD kein vom Bundesurlaubsgesetz abweichendes, eigenständiges Verständnis über den Urlaubsbegriff zugrunde gelegt, kein vollständiges Erlöschen des tariflichen Urlaubsanspruchs bei Tod des Arbeitnehmers während des Arbeitsverhältnisses angeordnet oder die Vererbbarkeit des tariflichen Mehrurlaubs ausgeschlossen haben (a.a.O. Rn. 25).
Diese Rechtsprechung kann indes nicht auf Beamte übertragen werden. Das vom Bundesarbeitsgericht herangezogene Bundesurlaubsgesetz, das in § 7 Abs. 4 eine Urlaubsabgeltung vorsieht, ist auf Beamte nicht anwendbar; deren Ansprüche auf Urlaub und Besoldung richten sich nach den jeweiligen beamtenrechtlichen Gesetzen und Verordnungen (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 2 C 10.12 – juris Rn. 8). Hier also nach § 9 Abs. 1 UrlMV, der die Urlaubsabgeltung auf den unionsrechtlichen Mindestjahresurlaub begrenzt.
c. Die damit verbundene Ungleichbehandlung zwischen Tarifbeschäftigten (TV-L und TVöD) und Beamten ist entgegen der Auffassung der Klägerinnen hinzunehmen.
Soweit sie vortragen, „verschiedene Beschäftigte des Staates“ dürften auf der Ebene der Vergütung nur aus sachlichen Gründen unterschiedlich behandelt werden, verfängt der Hinweis auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 20. Juni 2019 (Ustariz Aróstegui, C-72/18 – juris) nicht. Der Europäische Gerichtshof hat in der genannten Entscheidung für die Frage, ob sich Beschäftigte im Hinblick auf die Anwendung der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der RL 1999/70/EG in einer zumindest ähnlichen Lage befinden (§ 3 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung), den Statusunterschied zwischen der Gruppe der Beamtinnen und Beamten einerseits und der Arbeitnehmer/innen andererseits als solches nicht ausreichen lassen, um eine Differenzierung bei der Gewährung einer Dienstalterszulage unter Bezug auf die Statuszugehörigkeit zu rechtfertigen bzw. die Angehörigen der beiden Statusgruppen für miteinander unvergleichbar zu erachten (a.a.O. Rn. 46 ff.).
Die Erwägungen des Europäischen Gerichtshofs lassen sich auf die hier vorliegende Streitigkeit nicht übertragen. Zum einen beziehen sich die Ausführungen des Gerichts zum Begriff „sachliche Gründe“ ausschließlich auf die vorbezeichnete Rahmenvereinbarung, zum anderen beruht die Ungleichbehandlung zwischen Tarifbeschäftigten und Beamten auf unterschiedlichen Regelungskompetenzen. Daraus ergibt sich zwangsläufig die Möglichkeit inhaltlich unterschiedlicher Regelungen. Aus diesem Grund ist es auch unmöglich, eine Gleichbehandlung der beiden Gruppen herzustellen. Zu berücksichtigen ist auch, dass der (nationale) Gesetzgeber Beamte – auch bei vergleichbaren Sachverhalten – nicht in jeder Hinsicht mit den Tarifbeschäftigten des öffentlichen Dienstes gleichstellen muss. Sachliche Gründe, die geeignet sind, Differenzierungen zu rechtfertigen, ergeben sich aus den grundlegenden strukturellen Unterschieden zwischen Beamten- und Arbeitsverhältnissen im öffentlichen Dienst. Angesichts dieser grundsätzlichen Strukturunterschiede besteht kein Anspruch der Beamten, in der Frage der Urlaubsabgeltung mit den Tarifbeschäftigten gleichgestellt zu werden (vgl. BVerwG, B.v. 24.11.2015 – 5 P 13.14 – juris Rn. 30; BVerfG, B.v. 21.3.2015 – 1 BvR 2031/12 – juris Rn. 9 m.w.N.; B.v. 23.5.2017 – 2 BvR 883/14, 2 BvR 905/14 – juris Rn. 109 f.; HessVGH, U.v. 26.9.2012 – 1 A 161/12 – juris Rn. 43 unter Hinweis auf BVerwG, B.v. 31.7.1997 – 2 B 138.96 – juris Rn. 8; OVG NW, B.v. 23.12.2016 – 3 A 736/09 – juris Rn. 60).
2. Es wird keine konkrete Frage grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO verlangt, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich, ist; ferner, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 72; Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juli 2019, § 124a Rn. 102 ff.). Hieran fehlt es.
3. Das Urteil beruht auch nicht auf einem Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, soweit sie entscheidungserheblich sind (BVerfG, B.v. 17.11.1992 – 1 BvR 168/89 u.a. – juris; BVerwG, U.v. 21.9.2000 – 2 C 5.99 – juris). Bei dem klägerischen Hinweis auf die Ansparmöglichkeit nach § 8 UrlMV handelte es sich nicht um einen entscheidungserheblichen Vortrag. Bei dem angesparten Urlaub (hier 21 Tage) handelt es sich nicht um Mindesturlaub nach Art. 7 Abs. 1 der RL 2003/88/EG. Aus der Bestimmung folgt im Übrigen auch kein Recht auf ein unbegrenztes Ansammeln von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub, die ggf. auszugleichen wären (BayVGH, B.v. 29.7.2016 – 3 ZB 15.1469 – juris Rn. 12 f. m.w.N.).
4. Der Zulassungsantrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG (wie Vorinstanz).
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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