Arbeitsrecht

Kirchliche Arbeitsrechtsregelung über Einmalzahlungen – Dienstvertragsordnung – Bezugnahmeklausel

Aktenzeichen  6 AZR 573/10

Datum:
16.2.2012
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 305 BGB
§ 1 EvKiKonfödDVtrO ND vom 16.05.1983
§ 9 EvKiKonfödMAG ND vom 10.03.2000
§ 15a EvKiKonfödMAG ND vom 10.03.2000
§ 26 EvKiKonfödMAG ND vom 10.03.2000
§ 133 BGB
§ 157 BGB
Spruchkörper:
6. Senat

Leitsatz

1. Das Mitarbeitergesetz der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen (juris: EvKiKonfödMAG ND) lässt keine auf dem dritten Weg beschlossene Vergütungsregelung außerhalb der Dienstvertragsordnung (juris: EvKiKonfödDVtrO ND) zu. Trifft die Arbeits- und Dienstrechtliche Kommission gestützt auf das Mitarbeitergesetz eine entsprechende Arbeitsrechtsregelung, ändert diese materiellrechtlich die Dienstvertragsordnung auch dann, wenn sie nicht als eine solche Änderung bezeichnet und scheinbar als eigenständige Regelung konzipiert ist.
2. Bezugnahmeklauseln auf die Bestimmungen des kirchlichen Arbeitsrechts sind grundsätzlich dahin auszulegen, dass sie dem kirchlichen Arbeitsrecht im privatrechtlichen Arbeitsverhältnis umfassend Geltung verschaffen.

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Göttingen, 18. November 2009, Az: 3 Ca 67/09, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen, 22. April 2010, Az: 4 Sa 1522/09, Urteil

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 22. April 2010 – 4 Sa 1522/09 – aufgehoben.
2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen vom 18. November 2009 – 3 Ca 67/09 – abgeändert.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 472,73 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2009 zu zahlen.
4. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über eine Einmalzahlung für das Jahr 2008.
2
Die Klägerin ist seit dem 15. Mai 1992 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin, der Evangelisch-lutherischen St. Jacobi-Schlosskirchengemeinde in O, teilzeitbeschäftigt. Der mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten geschlossene Dienstvertrag enthält in § 2 Abs. 1 folgende Bezugnahme:
        
„Für das Dienstverhältnis gelten das Gemeinsame Mitarbeitergesetz vom 14. März 1978 … und die Dienstvertragsordnung vom 16. Mai 1983 … in der jeweils geltenden Fassung.“
3
Zum 1. Januar 2006 ging das Arbeitsverhältnis der Klägerin im Wege des Betriebsübergangs auf die Beklagte über. Diese hat ihren Beitritt zum Diakonischen Werk der Landeskirche Hannovers erklärt.
4
Die Dienstvertragsordnung vom 16. Mai 1983 (DienstVO, Kirchl. ABl. Hannover S. 65) in der aktuellen Fassung bestimmt in
        
„§ 1   
        
Geltungsbereich
        
(1) Diese Dienstvertragsordnung ist auf alle privatrechtlichen Dienstverhältnisse der Mitarbeiterinnen anzuwenden, die von Anstellungsträgern nach § 3 des Mitarbeitergesetzes angestellt werden. Anstellungsträger im Sinne dieser Dienstvertragsordnung sind die Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen, die Evangelisch-lutherische Landeskirche in Braunschweig, die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers, die Evangelisch-lutherische Kirche in Oldenburg und die ihrer Aufsicht unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts.
        
…“   
5
Das Kirchengesetz der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen über die Rechtsstellung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen vom 11. März 2000 (Mitarbeitergesetz – MG, Kirchl. ABl. Hannover S. 92), durch das das im Dienstvertrag in Bezug genommene Gemeinsame Mitarbeitergesetz aufgehoben worden ist (§ 33 Abs. 2 MG), gilt gemäß § 2 Abs. 2 MG für die Kirchenbeamten, kirchlichen Angestellten, Arbeiter und zu ihrer Ausbildung Beschäftigten (Mitarbeiter) der Konföderation sowie der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig und der Evangelisch-lutherischen Kirche in Oldenburg (beteiligte Kirchen) und derjenigen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, die der Aufsicht der Konföderation oder der Aufsicht einer der beteiligten Kirchen unterstehen. Das Mitarbeitergesetz bestimmt ua.:
        
„§ 9   
        
Dienstvertragsordnung
        
(1) Dienstverträge werden nach den Bestimmungen einer Dienstvertragsordnung abgeschlossen, die nach den Vorschriften dieses Kirchengesetzes in Kraft tritt.
        
(2) In der Dienstvertragsordnung sind die Bestimmungen über die Verhältnisse des Dienstes, über Vergütungen und Löhne unter Beachtung der kirchlichen Erfordernisse an den Bestimmungen auszurichten, die jeweils für den öffentlichen Dienst im Land Niedersachsen gelten. Die Besonderheiten des kirchlichen Dienstes sind insbesondere bei der Festsetzung von Tätigkeitsmerkmalen zu berücksichtigen. Die Vorschriften der §§ 22 und 26 bis 29 bleiben unberührt.
        
…     
        
§ 15a 
        
Arbeitsrechtsregelungen
        
(1) Arbeitsrechtsregelungen sind die Beschlüsse der Arbeits- und Dienstrechtlichen Kommission in den Fällen der §§ 22 und 26 sowie die im Wege des § 27 übernommenen Regelungen, …
        
(2) Arbeitsrechtsregelungen nach Absatz 1 sind verbindlich und wirken normativ.
        
(3) Es dürfen nur Dienstverträge abgeschlossen werden, die den Arbeitsrechtsregelungen nach Absatz 1 entsprechen.
        
…     
        
§ 26   
        
Zustandekommen der Dienstvertragsordnung
        
(1) Die Dienstvertragsordnung enthält die erforderlichen allgemeinen Bestimmungen über den Abschluss von Dienstverträgen zwischen den Anstellungsträgern und ihren nicht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis beschäftigten Mitarbeitern.
        
(2) Die Dienstvertragsordnung wird unbeschadet der Vorschriften des § 29 von der Arbeits- und Dienstrechtlichen Kommission beschlossen und geändert.
        
…“   
6
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass auf ihr Dienstverhältnis aufgrund der Bezugnahmeklausel im Dienstvertrag weiterhin die Dienstvertragsordnung Anwendung findet, obwohl die Beklagte kein Anstellungsträger im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 DienstVO ist. Streitbefangen ist allein, ob eine von der Arbeits- und Dienstrechtlichen Kommission (ADK) im Juni 2008 beschlossene Arbeitsrechtsregelung Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis der Parteien hat.
7
Die ADK hat am 10. Juni 2008 (Kirchl. ABl. Hannover S. 70) beschlossen:
        
„A.     
        
Aufgrund des § 15a des … (Mitarbeitergesetz – MG) vom 11. März 2000 … hat die Arbeits- und Dienstrechtliche Kommission die folgenden Regelungen beschlossen:
        
1.    
Arbeitsrechtsregelung zur Änderung der Dienstvertragsordnung und zur Gewährung von Einmal- und Ausgleichszahlungen sowie der Gewährung einer Jahressonderzahlung 2008 – Anlage I –
        
2.    
Arbeitsrechtsregelung zur Überleitung der Mitarbeiterinnen der Konföderation ev. Kirchen in Niedersachsen und der beteiligten Kirchen aufgrund der 61. Änderung der Dienstvertragsordnung vom 10. Juni 2008 und zur Regelung des Übergangsrechts (ARR-Ü-Konf) – Anlage II –
        
3.    
61. Änderung der Dienstvertragsordnung – Anlage III –
        
4.    
Arbeitsrechtsregelung für Auszubildende und Praktikantinnen – Anlage IV –
        
        
        
        
B.    
        
…     
        
Anlage I
        
zum Beschluss der ADK
        
vom 10.06.2008
        
        
        
Arbeitsrechtsregelung
        
zur Änderung der Dienstvertragsordnung
        
und zur Gewährung von Einmal- und
        
Ausgleichszahlungen sowie der Gewährung
        
einer Jahressonderzahlung 2008
        
Vom 10. Juni 2008
        
        
        
Artikel 1
        
60. Änderung der Dienstvertragsordnung
        
Aufgrund des § 26 Abs. 2 des … (Mitarbeitergesetz – MG) … hat die Arbeits- und Dienstrechtliche Kommission die Dienstvertragsordnung vom 16. Mai 1983 in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. September 2000 … wie folgt geändert:
        
1. Es wird folgender § 2b eingefügt:
        
‚§ 2b 
        
Zuwendungstarifverträge
        
Die Tarifverträge über eine Zuwendung sind nicht anzuwenden.’
        
…     
        
Artikel 2
        
Arbeitsrechtsregelung
        
über Einmal- und Ausgleichszahlungen und
        
die Gewährung einer Jahressonderzahlung
        
2008 (ARR-Einmalzahlungen)
        
§ 1     
        
Einmalzahlung im Jahr 2008
        
(1)     
Mitarbeiterinnen, deren Dienstverhältnis unter den Geltungsbereich der Dienstvertragsordnung fällt, erhalten mit den Bezügen für den Monat Juli 2008 folgende Einmalzahlung:
        
Mitarbeiterinnen in den Vergütungs-/Lohngruppen
        
…     
        
        
LohnGr. 1 bis 8a
910 Euro
        
…     
        
        
(3)     
Voraussetzung für den Anspruch auf die Einmalzahlung ist, dass
        
a)    
das Dienstverhältnis der Mitarbeiterin mindestens seit dem 1. Juni 2008 besteht und
        
b)    
ein Entgeltanspruch … der Mitarbeiterin für mindestens einen Tag im Zahlungsmonat besteht. …
        
(4)     
Teilzeitbeschäftigte Mitarbeiterinnen erhalten den Teilbetrag der Einmalzahlung, der dem Verhältnis der mit ihnen im Zahlungsmonat vereinbarten durchschnittlichen Arbeitszeit zu der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit einer entsprechenden vollbeschäftigten Mitarbeiterin entspricht. …“
8
Ebenfalls am 10. Juni 2008 hat die ADK als Anlage III zum Beschluss von diesem Tag die 61. Änderung der Dienstvertragsordnung beschlossen (Kirchl. ABl. Hannover S. 90). Dadurch ist die Dienstvertragsordnung mit Wirkung ab dem 1. Januar 2009 neu gefasst worden. Seitdem findet gemäß § 2 DienstVO auf die Dienstverhältnisse der TV-L in der für das Land Niedersachsen jeweils geltenden Fassung entsprechende Anwendung, soweit in der Dienstvertragsordnung nichts anderes bestimmt ist.
9
Die Beklagte zahlte mit dem Juli-Gehalt 2008 der Klägerin zunächst eine Einmalzahlung von 472,73 Euro, zog jedoch diesen nach ihrer Auffassung zu Unrecht gezahlten Betrag zwischen August 2008 und Dezember 2008 wieder vom Entgelt der Klägerin ab. Mit ihrer am 29. Januar 2009 bei Gericht eingegangenen Klage begehrt die Klägerin die Zahlung des einbehaltenen Betrags.
10
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, von der Bezugnahme im Dienstvertrag sei auch § 1 ARR-Einmalzahlungen erfasst. Sie falle wie die Mitarbeiter der verfassten Kirche, für die die Dienstvertragsordnung ebenfalls nur kraft einzelvertraglicher Vereinbarung Anwendung finde, unter den Geltungsbereich der Dienstvertragsordnung. Mit § 2 des Dienstvertrags sei eine umfassende Einbeziehung aller Beschlüsse der ADK vereinbart worden.
11
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
        
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 472,73 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2009 zu zahlen.
12
Die Beklagte hat ihr Begehren, die Klage abzuweisen, darauf gestützt, dass es an einer Anspruchsgrundlage für die begehrte Einmalzahlung fehle. Im Dienstvertrag der Parteien sei nur die Dienstvertragsordnung selbst in Bezug genommen, nicht aber Regelungen, die wie die ARR-Einmalzahlungen außerhalb der Dienstvertragsordnung getroffen seien. Die Klägerin könne sich auch nicht auf § 15a Abs. 2 MG stützen. Zum einen sei im Dienstvertrag lediglich das Gemeinsame Mitarbeitergesetz vom 14. März 1978 statisch in Bezug genommen, das eine Regelung wie § 15a Abs. 2 MG in der derzeit geltenden Fassung nicht enthalten habe. Darüber hinaus sei die ARR-Einmalzahlungen keine Regelung nach den §§ 24, 26, 27 oder 29 MG.
13
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.


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