Arbeitsrecht

Kündigung einer Einigung im Besitzeinweisungsverfahren

Aktenzeichen  22 A 16.40010, 22 A 17.40003

Datum:
15.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
DVBl – 2020, 206
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayEG Art. 29 Abs. 1, Art. 39 Abs. 7
VwVfG § 60 Abs. 1 S. 1
VwGO § 43

 

Leitsatz

1. Macht ein Kläger die Wirksamkeit einer Kündigung eines öffentlich-rechtlichen Vertrags und damit das Nichtbestehen des Vertrags ab dem Zeitpunkt der Kündigung geltend, ist eine Feststellungsklage die statthafte Klageart. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Unzumutbar ist das Festhalten an einem öffentlich-rechtlichen Vertrag dann, wenn die Ausgleichsfunktion der beiderseitigen Leistungen so stark gestört ist, dass es dem benachteiligten Vertragspartner unmöglich wird, in der bisherigen vertraglichen Regelung seine Interessen auch nur annähernd noch gewahrt zu sehen; es genügt insbesondere nicht, dass sich für eine Vertragspartei lediglich das normale Vertragsrisiko realisiert hat. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
2. Unzumutbar ist eine Vertragsanpassung für eine Vertragspartei, wenn die durch die Änderung der Verhältnisse eingetretene Äquivalenzstörung durch eine mögliche Vertragsanpassung nicht beseitigt, sondern allenfalls durch eine ihrerseits (weiterhin) nicht äquivalente Bestimmung der beiderseitigen Leistungen ersetzt werden könnte, die beiderseitigen Leistungen also weiterhin in einem solchen Missverhältnis stehen würden, dass trotz Änderung des Vertragsinhalts eine die Opfergrenze überschreitende Äquivalenzstörung fortbesteht und nicht beseitigt werden kann. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Es wird gegenüber der Beklagten zu 1 festgestellt, dass die Einigungsniederschrift vom 28. Februar 1991 (Az. E-BbahnG 1/91) mit Schreiben vom 10. Mai 2010 wirksam gekündigt wurde. Im Übrigen werden die Klagen abgewiesen.
II. Von den Gerichtskosten trägt die Beklagte zu 1 1/3. Die Kläger tragen 2/3 der Gerichtskosten als Gesamtschuldner. Die Kläger tragen die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2 und 3. Die Beklagte zu 1 trägt 1/3 der außergerichtlichen Kosten der Kläger.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Seite vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Klagen sind als Feststellungsklagen gemäß § 43 VwGO zulässig. Mit dem Hauptantrag machen die Kläger die Wirksamkeit einer Kündigung eines öffentlich-rechtlichen Vertrages (und damit das Nichtbestehen des Vertrags ab dem Zeitpunkt der Kündigung) geltend (zur Zulässigkeit einer solchen Klage Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 60 Rn. 49). Die Klage gegen die Beklagte zu 1 ist auch begründet, denn die Kündigung mittels Schreiben vom 10. Mai 2010 war wirksam (1.). Die Beklagte zu 1 war 2010 auch unstreitig Vertragspartnerin und fühlt sich ausweislich der Erklärungen in der mündlichen Verhandlung (immer noch) aus dem Vertrag verpflichtet. Die Klagen gegen die Beklagten zu 2 und 3 waren wegen fehlender Passivlegitimation abzuweisen (2.).
1. Die Einigung in der streitgegenständlichen Einigungsniederschrift vom 28. Februar 1991 ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag (BayVGH, B.v. 10.11.2016 – 22 C 16.757 – juris Rn. 18). Im Vertrag selbst ist kein Kündigungsrecht vorgesehen. Die ausgesprochene Kündigung ging auch nicht ins Leere, weil der Vertrag etwa schon vorher gekündigt oder anderweitig gegenstandslos geworden wäre (a). Der Vertrag konnte aber gemäß Art. 60 Abs. 1 BayVwVfG gekündigt werden, weil die dort normierten Voraussetzungen zum maßgeblichen Kündigungszeitpunkt im Mai 2010 vorlagen (b-d). Das Kündigungsschreiben vom 10. Mai 2010 wahrte auch die in Art. 60 Abs. 2 BayVwVfG vorgegebene Schriftform und enthielt eine ausreichende Begründung. Der Zugang dieses Kündigungsschreibens wurde nicht bestritten, die Kündigung wurde lediglich nicht akzeptiert, weil die Gegenseite den Vertrag nicht für kündbar hielt. Im Einzelnen:
a) Der Vertrag ist nicht bereits vor dem streitgegenständlichen Kündigungsschreiben gekündigt oder auf andere Weise gegenstandslos geworden. Wäre dies der Fall, wäre die Kündigung 2010 ins Leere gegangen und der mit der Klage gestellte Hauptantrag wäre abzulehnen gewesen. Das ist aber nicht der Fall:
aa) In dem Widerrufsschreiben des Rechtsvorgängers der Kläger vom 18. Mai 2006 ist keine Kündigung des streitgegenständlichen Vertragsverhältnisses zu sehen. Zwar „widerruft“ der Rechtsvorgänger der Kläger in diesem Schreiben die Einigungsniederschrift, jedoch ist dieses Schreiben nicht an die Vertragspartner der Einigungsniederschrift, sondern an die Enteignungsbehörde gerichtet. Diese hat aber keine eigenen vertraglichen Rechte oder Pflichten durch die Einigungsniederschrift erworben. Eine Auslegung des Widerrufsschreibens ergibt daher keine Kündigung gegenüber dem Vertragspartner. Dem Rechtsvorgänger der Kläger war mit diesem Schreiben offensichtlich daran gelegen, die Enteignungsbehörde endlich dazu zu bringen, die vormalige Besitzeinweisung aufzuheben und weitere Entschädigung zu erhalten. Dass der Rechtsvorgänger der Kläger in diesem Schreiben die Einigungsniederschrift als „gescheitert und gegenstandslos“ bezeichnet und meint, dass sie „keine Rechtskraft mehr hat“, mag eine irrige Rechtsauffassung über den Fortbestand des Vertrages ausdrücken (dazu bb), enthält aber jedenfalls keine ex nunc wirkende Kündigung.
bb) Die Einigungsniederschrift ist auch nicht durch Überholung oder Wegfall des Vertragsgegenstands gegenstandslos geworden. Die rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse, die für die Fixierung des Vertragsinhalts maßgeblich gewesen sind, sind vom eigentlichen Vertragsinhalt abzugrenzen. Vertragsinhalt ist hier die Überlassung des Besitzes von Grundstücksflächen für ein Eisenbahngleis gegen eine bestimmte Entschädigung. Da das Eisenbahngleis immer noch vorhanden und auch der Besitz insoweit noch faktisch überlassen ist, ist der Vertragsgegenstand nicht weggefallen. Der Vertrag ist auch nicht wegen objektiven (ersatzlosen) Wegfalles einer Vertragspartei gegenstandslos geworden (vgl. hierzu Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 60 Rn. 14). Die Klägerseite hält gleich mehrere Rechtsnachfolger der früheren Deutschen Bundesbahn für am Vertrag beteiligt. Die Beklagtenseite geht auch von einer Rechtsnachfolge aus, wenn auch richtigerweise nur für eine Beklagte. Soweit die Klägerseite den Vertrag wegen geänderter Umstände und Rechtspositionen für „obsolet“ hält, kann ihr darin nicht gefolgt werden. Denn geänderte Umstände bezüglich der für die Festsetzung des Vertragsinhalts maßgeblichen Verhältnisse mögen nach Art. 60 BayVwVfG zu einer Anpassung oder Kündigung des Vertrages berechtigen, führen jedoch nicht automatisch zu einem Wegfall des Vertrages.
b) Die für die Festsetzung des Vertragsinhalts maßgeblichen rechtlichen und die tatsächlichen Verhältnisse haben sich seit Abschluss des Vertrages wesentlich geändert. Maßgebliche rechtliche oder tatsächliche Verhältnisse sind solche, die zwar einerseits nicht zum schriftlich fixierten Vertragsinhalt geworden, andererseits aber auch nicht bloß inneres Motiv nur einer Vertragspartei geblieben sind. Maßgeblich sind solche Umstände, die von den Vertragsparteien zur Vertragsgrundlage gemacht worden sind und auf denen der beiderseitige Geschäftswille aufbaut (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 60 Rn. 13). Der hier streitgegenständliche Vertrag enthält durch ausdrückliche Bezugnahmen auf außervertragliche Umstände hierfür gleich mehrere deutliche Anhaltspunkte:
So ist auf Seite 1 der Einigungsniederschrift konkret auf den Planfeststellungsbeschluss vom 07.05.1982 (und entsprechend markierte Planunterlagen) Bezug genommen. Dieser Planfeststellungsbeschluss fixierte für beide Vertragsparteien das, was auf den klägerischen Grundstücken zulässigerweise errichtet werden durfte. Nur darauf konnten und wollten sich die Vertragsparteien ersichtlich einstellen. In der Nummer 2 der Einigungsniederschrift ist dann auf den Besitzeinweisungsbeschluss vom 27. November 1989 Bezug genommen. Der Rechtsvorgänger der Kläger verpflichtete sich, das diesbezügliche Widerspruchsverfahren für erledigt zu erklären. Damit sind die Vertragsparteien ersichtlich vom Fortbestand dieses Besitzeinweisungsbeschlusses ausgegangen, denn sie verweisen am Ende der Nummer 3 der Einigungsniederschrift auf eine endgültige Regelung der Entschädigung in einem erwarteten förmlichen Enteignungsverfahren bzw. einer vertraglichen Regelung. Daraus wird deutlich, dass beide Parteien von dem Normalfall einer bald folgenden Klärung durch Enteignungsverfahren und abschließender Entschädigungsregelung (ggf. auch durch Einigung im Rahmen eines solchen Verfahrens, vgl. Art. 29 Abs. 1 und 3 BayEG) ausgegangen sind. Soweit die Beklagtenseite meint, der Verweis auf eine „vertragliche Regelung“ könnte demgegenüber auf eine Anpassung der Einigungsniederschrift abgezielt haben, geht sie schon deshalb fehl, weil die damalige Vertragspartnerin des Rechtsvorgängers der Kläger bald nach Abschluss der Einigungsniederschrift im März 1992 einen Enteignungsantrag gestellt und damit gezeigt hatte, dass auch sie vom eben geschilderten „Normalfall“ ausgegangen ist. Dass sich zudem nach Vertragsabschluss auch noch eine Veränderung der Rechtsstellung des Rechtsvorgängers der Kläger in Bezug auf das Grundstück ergeben hat (Volleigentum statt Teileigentum) kann vor dem Hintergrund der eben beschriebenen wesentlichen Gesichtspunkte dahinstehen.
Die genannten maßgeblichen Umstände haben sich seit Vertragsschluss wesentlich geändert. Zum einen wurde entgegen den Festlegungen des alten Planfeststellungsbeschlusses planabweichend gebaut (vgl. VG München, U.v. 7.4.2005 – M 24 K 04.5817 – juris Rn. 59). Damit mussten die Vertragsparteien und vor allem der Rechtsvorgänger der Kläger nicht rechnen. Infolge dieser Planabweichung scheiterten die Bemühungen der Bahnseite, eine Enteignung und weitere Besitzeinweisungen herbeizuführen. Der Besitzeinweisungsbeschluss von 1989 wurde am 23. Mai 2006 von der Enteignungsbehörde aufgehoben, weil vorher der Enteignungsbeschluss vom Verwaltungsgericht München (a.a.O.) aufgehoben worden war. Damit ist der Besitzeinweisungsbeschluss, dessen Bestand beide Vertragsparteien fixieren wollten, und unter dessen Eindruck der Rechtsvorgänger der Kläger die Einigungsniederschrift überhaupt nur unterzeichnete, nachträglich weggefallen. Auch alle weiteren Versuche der Bahnseite, eine Enteignung dennoch herbeizuführen, sind gescheitert. So wurde über den zuletzt gestellten Enteignungsantrag vom März 2007 von der Enteignungsbehörde mit Beschluss vom 1. Oktober 2008 abschlägig beschieden, nachdem der Verwaltungsgerichtshof im Urteil vom 26. April 2007 (22 A 07. 40008 – juris) den Besitzeinweisungsbeschluss vom 16. Oktober 2006 mit deutlichen Worten aufgehoben hatte und damit das Enteignungsverfahren für die Beklagtenseite ohne jede Aussicht auf Erfolg war. Spätestens mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs war klar, dass es auf der Grundlage dessen, was Inhalt der bisherigen öffentlich-rechtlichen Entscheidungen war, nicht mehr zu einem von beiden Parteien im Vertrag noch in Aussicht genommenen Enteignungsverfahren würde kommen können. Auch insoweit liegt eine wesentliche Änderung der von den Parteien bei Vertragsabschluss für maßgeblich gehaltenen rechtlichen Verhältnisse vor.
c) Ein weiteres Festhalten an den Regelungen des alten Vertrages war zum maßgeblichen Zeitpunkt der Kündigung dem Rechtsvorgänger der Kläger nicht zuzumuten, Art. 60 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG. Unzumutbar ist das Festhalten am Vertrag dann, wenn die Ausgleichsfunktion der beiderseitigen Leistungen so stark gestört ist, dass es dem benachteiligten Vertragspartner unmöglich wird, in der bisherigen vertraglichen Regelung seine Interessen auch nur annähernd noch gewahrt zu sehen. Für die Bewertung bedarf es insoweit einer Abwägung aller Gesichtspunkte des konkreten Falles. Es genügt insbesondere nicht, dass sich für eine Vertragspartei lediglich das normale Vertragsrisiko realisiert hat (vergleiche Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 60 Rn. 25,26).
Es liegt schon nahe, nach der nicht unerheblich planabweichenden Errichtung des Gleises und des Bahndammes durch die Bahn eine Grundlage für eine fortdauernde freiwillige vertragliche Bindung als nicht mehr gegeben anzusehen. Jedenfalls fällt als entscheidender Gesichtspunkt bei der Abwägung ins Gewicht, dass die Einigungsniederschrift im Rahmen eines (weiteren) Besitzeinweisungsverfahrens zu einem Vorhaben erfolgte, für das ein bestandskräftiger Planfeststellungsbeschluss vorlag. Das Gesetz selbst trifft vor dem Hintergrund des Eigentumsgrundrechts eine klare Wertung in Art. 39 Abs. 5 Satz 2 BayEG, indem es zwingend die Aufhebung der Besitzeinweisung verlangt, wenn ein Enteignungsbeschluss – wie hier – aufgehoben wird. Es besteht bei einer Sachlage wie vorliegend keinerlei Grund, jemanden, der zu einer nach Art. 39 Abs. 7, Art. 29 Abs. 1 BayEG ausdrücklich gewünschten Einigung im Rahmen der Besitzeinweisung bereit war, schlechter zu stellen, als denjenigen, der einen Besitzeinweisungsbeschluss ohne eigenes Entgegenkommen hingenommen hat. Zudem enthielt die Einigungsniederschrift der Sache nach in ihren Nummern 1 und 2 auch eine Bauerlaubnis (so BayVGH, B.v. 10.11.2016 – 22 C 16.757 – juris Rn. 18). Diese bezog sich auf das im alten Planfeststellungsbeschluss fixierte Projekt. Die Planänderungsabsichten der Bahn hatten zum Kündigungszeitpunkt noch keine konkrete Gestalt in der Form eines neuen Planfeststellungsbeschlusses erhalten. Nachdem niemand eine Bauerlaubnis für ein insbesondere hinsichtlich der benötigten Grundstücksfläche noch gar nicht bekanntes und mangels Planfeststellungsbeschluss auch noch rechtlich unsicheres Vorhaben geben muss, war ein Festhalten an der alten Einigungsniederschrift nicht zuzumuten.
d) Eine Anpassung des Vertragsinhalts wäre zum Kündigungszeitpunkt zwar möglich gewesen (aa), sie war dem Rechtsvorgänger der Kläger aber unzumutbar (bb).
aa) Der erkennende Senat hält eine Anpassung des Vertrages zwar für nicht unmöglich. Nach dem Vertragsinhalt werden eine bestimmte Fläche überlassen und bezogen auf eine bestimmte rechtliche Stellung des Rechtsvorgängers der Kläger bestimmte Entschädigungssummen versprochen. Diesbezüglich wäre eine Änderung (Anpassung) der Vertragsinhalte möglich, worauf ersichtlich auch das Landgericht München I im Rahmen einer Inzidentprüfung der Kündigung abgestellt hat (vgl. Urteil vom 13.7.2011 – 15 O 24888/10 – UA S. 21 f., vorgelegt als Anlage B 2).
bb) Die Kündigung ist nach der gesetzlichen Regelung des Art. 60 Abs. 1 BayVwVfG nur als ultima ratio zulässig, wenn eine Anpassung einer Vertragspartei nicht zuzumuten ist. Entgegen der Auffassung des Landgerichts (a.a.O.) ist hier jedoch eine Anpassung zum maßgeblichen Zeitpunkt der Kündigung dem Rechtsvorgänger der Kläger nicht zuzumuten gewesen. Dabei bezieht sich der erkennende Senat nicht nur auf den engeren Vertragsinhalt (Bauerlaubnis, Besitzüberlassung, Entgelt bezogen auf eine bestimmte Rechtsstellung und Fläche), sondern nimmt wie schon bei der Frage der Zumutbarkeit des Aufrechterhaltens der bisherigen Vertragsregelung die äußeren Rahmenumstände mit in den Blick. Unzumutbar ist die Vertragsanpassung nämlich, wenn die durch die Änderung der Verhältnisse eingetretene Äquivalenzstörung durch eine mögliche Vertragsanpassung nicht beseitigt, sondern allenfalls durch eine ihrerseits (weiterhin) nicht äquivalente Bestimmung der beiderseitigen Leistungen ersetzt werden könnte, die beiderseitigen Leistungen also weiterhin in einem solchen Missverhältnis stehen würden, dass trotz Änderung des Vertragsinhalts eine die Opfergrenze überschreitende Äquivalenzstörung fortbesteht und nicht beseitigt werden kann (Stelkens/Bonk/Sachs, 9. Aufl. 2018, VwVfG § 60 Rn. 34). Die Äquivalenzstörung liegt hier nicht nur darin, dass etwa die früher vereinbarten Geldsummen einer Erhöhung zur Angleichung an geänderte Werte oder Berechtigungen am Grundstück bedürften. Das Austauschverhältnis zwischen den Vertragsparteien ist vielmehr auch dadurch gestört, dass die im Vertrag enthaltene Bauerlaubnis ersichtlich auf ein spezielles (selbstverständlich plankonformes) Vorhaben der Bahn gerichtet war. Das plankonforme Vorhaben wurde nicht errichtet, sondern ein aliud. Eine bloße Anpassung der Geldbeträge hätte dieses Manko 2010 nicht beseitigt.
Das Argument der Beklagtenseite, dass eine vernünftige Vertragspartei schon deshalb eine Anpassung vorgenommen haben würde, weil zum einen nach dem genannten Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 8. Mai 2007 zumindest für angemessene Zeit ein weiteres Besitzrecht der Bahn aus öffentlich-rechtlicher Dienstbarkeit bestünde (also das Besitzrecht nicht schon allein durch den Wegfall der Einigung entfiele) und bei Wegfall des Vertrages die Bahn Entschädigung auf anderer Rechtsgrundlage schulden könnte, also gleichsam der vertragliche Geldfluss durch einen außervertraglichen Geldfluss zu ersetzen wäre, und deshalb eine Anpassung zumutbar erscheine, überzeugt nicht. Denn dass aus einem anderen Rechtsgrund ein Besitzrecht (zum Kündigungszeitpunkt möglicherweise noch) bestand, verpflichtet den Rechtsvorgänger der Kläger nicht, auch noch durch freiwillige Vereinbarungen einen Rechtszustand zu perpetuieren, dessen wesentlicher Entstehungsrahmen wie geschildert längst weggefallen ist. Zudem hat der Verwaltungsgerichtshof in der genannten Entscheidung betont, dass die Bahnseite gehalten sei, „unverzüglich“ Änderungsplanfeststellungsverfahren durchzuführen und die Eigentümeransprüche überhaupt nur für „eine angemessene Zeit“ hinauszuschieben seien. Zum Zeitpunkt der Kündigung im Mai 2010 war aber immer noch kein entsprechender Planfeststellungsbeschluss erlassen (obwohl die Beklagte zu 1 der Enteignungsbehörde einen solchen schon bis spätestens 31. März 2009 angekündigt hatte, vgl. Gründe I. des Beschlusses der Enteignungsbehörde vom 1. Oktober 2008), so dass der Rechtsvorgänger der Kläger auch insoweit ein Interesse am Wegfall der Einigungsniederschrift haben konnte und gerade nicht gehalten war, seinerseits noch im Jahr 2010 den alten Rechtszustand der vertraglichen Einigung ohne zeitliche Begrenzung aufrechtzuerhalten. Dass bei Wegfall der Einigung gegebenenfalls Entschädigung aus anderen Rechtsgründen zu leisten wäre oder später nach Änderungsplanfeststellung im Rahmen einer Enteignung zu entschädigen sein würde, bedeutet nicht, dass der Rechtsvorgänger der Kläger an einer früher in einem anderen Rechtsrahmen abgeschlossenen freiwilligen Einigung festgehalten werden dürfte, um gesetzlich angeordnete Rechtsfolgen für nicht vertraglich geregelte Besitz- und Eigentumsentziehung für ein auch inhaltlich noch gar nicht absehbares und noch nicht durch unanfechtbaren Planfeststellungsbeschluss legalisiertes Änderungsvorhaben gleichsam vertraglich vorwegzunehmen. Derartiges kann von niemandem verlangt werden.
Somit war dem Hauptantrag der Kläger gegenüber der Beklagten zu 1, deren Verfahrensstellung unstreitig ist, zu entsprechen. Über den Hilfsantrag war insoweit nicht mehr zu befinden.
2. Gegenüber den Beklagten zu 2 und 3 war die Klage im Hauptantrag abzuweisen, weil sie im Zeitpunkt der Kündigung im Mai 2010 weder Vertragspartner waren noch sich sonst im Verfahren eigener Rechte aus der streitgegenständlichen Einigungsniederschrift berühmten. Dies hat der Vertreter der Beklagtenseite in der mündlichen Verhandlung klargestellt. Er hat für die Beklagten zu 2 und 3 keine eigenen Rechte aus dem Vertrag geltend gemacht und angeführt, dass vertraglich vereinbarte Zahlungen allein von der Beklagten zu 1 erbracht werden.
Die Kläger vertreten die Ansicht, dass nach Wegfall der Deutschen Bundesbahn, die 1991 Vertragspartner der Einigungsniederschrift war, alle Rechtsnachfolger(innen) Vertragspartner(innen) geworden wären, weil die Kläger interne Aufspaltungsregelungen der Bahnunternehmen nicht zu beachten hätten. In der Konsequenz dieser unzutreffenden Ansicht hätten die Kläger nicht nur die Beklagten zu 1 bis 3, sondern auch noch die 1999 wie die Beklagte zu 1 durch Ausgliederung aus der Deutschen Bahn AG entstandenen DB Cargo AG, DB Regio AG, DB Reise und Touristik AG und die DB Station und Service AG mit verklagen müssen. Das wäre abwegig.
a) Vertragspartner der Einigungsniederschrift zum Zeitpunkt der Kündigung im Mai 2010 war allein die Beklagte zu 1, nicht jedoch auch noch zusätzlich die Beklagten zu 2 und 3. Der ursprüngliche Vertragspartner, die Deutsche Bundesbahn, ist durch die Bahnreform von 1993 weggefallen, allerdings nicht ersatzlos. Durch das Gesetzespaket vom 27.12.1993 (Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens) wurde eine Reihe von Einzelgesetzen verabschiedet. Durch das Gesetz zur Zusammenführung und Neugliederung der Bundeseisenbahnen (BEZNG) erfolgte zunächst die Fusion der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn zu einem einheitlichen, nicht rechtsfähigen Sondervermögen des Bundes, dem Bundeseisenbahnvermögen (vgl. Hermes in Hermes/Sellner, Allgemeines Eisenbahngesetz, 2. Aufl. 2014, Einf. A Rn. 22). Das Gesetz über die Gründung einer Deutsche Bahn AG (Deutsche Bahn Gründungsgesetz – DBGrG) bildete die Rechtsgrundlage für die Privatisierung des unternehmerischen Bereichs der Bahnen. Gemäß § 20 Abs. 1 BEZNG, § 8 Abs. 1 DBGrG wurden aus dem Bestand des Bundeseisenbahnvermögens alle Liegenschaften (Grundstücke, Teile hiervon, grundstücksgleiche Rechte, beschränkte dingliche Rechte) sowie sonstiges Vermögen an die Deutsche Bahn AG übertragen, soweit dies für das Erbringen von Eisenbahnverkehrsleistungen sowie für das Betreiben der Eisenbahninfrastruktur notwendig (bahn-notwendig) ist (partielle Gesamtrechtsnachfolge, vgl. BVerwG, U.v. 15.3.2001 – 11 C 11/00 – juris Rn. 20). Unter zu übertragenden Gegenständen wurden auch Verbindlichkeiten des Bundeseisenbahnvermögens verstanden (vgl. BVerwG, U.v. 15.3.2001, a.a.O. Rn. 21; Übergang aller bahnnotwendigen Verträge: OLG München, U.v. 16.10.2008 – 1 U 2466/03 – juris Rn. 190), soweit diese durch Rechtsgeschäft übertragbar waren. Mitzuübertragen waren auch die nicht zinspflichtigen Verbindlichkeiten sowie die durch dingliche Rechte an den zu übertragenden Liegenschaften gesicherten Verbindlichkeiten. Dass an den durch die Einigungsniederschrift begründeten Verbindlichkeiten ein Übertragungsverbot bestanden hätte, ist nicht ersichtlich. Die Einigungsniederschrift bezog sich auch auf den Bau und Betrieb einer Eisenbahnstrecke, so dass die „Bahnnotwendigkeit“ nicht in Frage zu stellen ist. 1999 erfolgte dann die Ausgründung von fünf Geschäftsbereichen aus der Deutschen Bahn AG. Ein Geschäftsbereich (Netz, Umschlagbahnhöfe, Bahnbau) ging an die DB Netz AG die insoweit eine partielle Gesamtrechtsnachfolgerin ist. Diese tritt seither als Vorhabensträgerin für Bahnbauprojekte und als Antragstellerin in Besitzeinweisungs- oder Enteignungsverfahren auf (vgl. den Antrag auf Enteignung vom 26.3.2007, Anlage K 23). Die vorliegend streitige Einigung bezieht sich somit auf Gegenstände, die zum Geschäftsbereich der Beklagten zu 1 gehören.
Dass sich, wie die Kläger meinen, eine der drei Beklagten verbindlich und ausdrücklich als Vertragspartner hätte bestätigen müssen, ist den geschilderten Übergangs- und Ausgliederungsvorschriften nicht zu entnehmen. Faktisch hat überdies die Beklagte zu 1 durch jahrelange Leistung auf die Zahlungspflichten des Vertrags eine solche „Bestätigung“ abgegeben.
Soweit die Kläger die Bahnnotwendigkeit mit dem Argument anzweifeln, dass nur planfeststellungsentsprechend Gebautes bahnnotwendig sein könne, übersehen sie, dass zum einen der derzeitige Bestand Teil des Schienennetzes der Eisenbahn des Bundes ist (BayVGH, U.v. 26.4.2007 – 22 A 07.40008 – juris Rn. 28) und damit die Bahnnotwendigkeit nicht insgesamt in Zweifel gezogen werden kann. Das Rechtsverhältnis kann auch nicht gleichsam quadratmeterweise aufgesplittet werden, weil damit die Einheitlichkeit des Vertrages, auf die sich auch die Kläger bei der Frage der Teilverweisung des Rechtsstreits an die Zivilgerichte berufen haben, nicht beachtet würde. Der Begriff der Bahnnotwendigkeit ist vor dem Hintergrund der Regelungen des Eisenbahnneuordnungsgesetzes für die gesellschaftsrechtliche Zuordnung entscheidend. Da die Einigungsniederschrift den Bau der Strecke überhaupt erst ermöglichte, ist sie insgesamt als bahnnotwendig anzusehen.
Soweit die Kläger auf Haftungsvorschriften verweisen (vgl. die Bezugnahme etwa auf § 9 DBGrG) ist dies unbehelflich, weil diese keine Bedeutung für die tatsächliche Stellung als Vertragspartner haben. Zudem machen die Kläger vorliegend keinen Haftungsanspruch geltend, sondern eine Feststellungsklage bezüglich der Wirksamkeit einer Kündigung. Diese Feststellung kann nur gegenüber dem Vertragspartner erfolgen. Eine Feststellung gegenüber einem Nicht-Vertragspartner, der sich tatsächlich auch nicht als Vertragspartner geriert, macht keinen Sinn.
Dass die Beklagte zu 3 im vorliegenden Fall eine weitere Rechtsstellung als Inhaberin eines Erbbaurechts zu ½ innehat, die jedoch als nicht-bahnnotwendig gerade nicht auf die Beklagte zu 2 übergegangen ist (vgl. die Rücknahme eines Übergabebescheides Anlage K 12), ist ebenfalls entscheidungsunerheblich. Sie mag dann in zivilrechtlichen Streitigkeiten bezüglich dieses Erbbaurechts Partei sein (wie beispielsweise im OLG-Verfahren 15 U 2038/02, Anlage K10, oder im Verfahren 1 U 2466/03, Anlage K 29), ist es aber nicht bei Streitigkeiten über den Fortbestand der Einigung.
Die Beklagten zu 2 und 3 waren daher zum Zeitpunkt der Kündigung nicht Vertragspartner aus der Einigungsniederschrift und daher nicht passivlegitimiert. Die Klage war im Hauptantrag daher insoweit abzuweisen.
b) Soweit die Beklagten zu 2 und 3 etwa in früherer Zeit Vertragspartner gewesen sind (etwa die DB AG bis 1999) hat sich die Einigungsniederschrift in dieser Zeit nicht durch Zeitablauf erledigt. Vielmehr sind diese Beklagten nicht (mehr) Rechtsnachfolger der ursprünglichen Vertragspartnerin (Deutsche Bundesbahn) und berühmen sich auch keiner Rechte aus der Einigung vom 28. Februar 1991. Hinsichtlich des gestellten Hilfsantrags wird auf die Ausführungen oben unter 1.a) bb) verwiesen. Insoweit hat die Klage auch im Hilfsantrag keinen Erfolg.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO (zur Anwendbarkeit bei Feststellungsklagen vgl. Kraft in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 167 Rn. 26) i.V.m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO).
4. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung aufweist, § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.


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