Arbeitsrecht

Leistungen nach dem SGB II für arbeitsunfähige EU-Ausländer mit Selbständigenstatus

Aktenzeichen  S 13 AS 71/18

Datum:
22.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 40468
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB II § 7 Abs. 2 Nr. 2, § 8
SGG § 193

 

Leitsatz

1 Nach mehr als einem Jahr Tätigkeit bleibt das Recht auf Einreise und Aufenthalt des Arbeitnehmers und selbstständig Erwerbstätigen unberührt bei vorübergehender Erwerbsminderung in Folge von Krankheit oder in Folge unfreiwilliger durch die zuständige Bundesagentur für Arbeit bestätigte Arbeitslosigkeit oder bei Einstellung einer selbstständigen Tätigkeit in Folge von Umständen, auf die der Selbstständige keinen Einfluss hat. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2 Artikel 2 Abs. 3, Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz EU enthält keine Begrenzung des Arbeitnehmerstatus bzw. Selbstständigenstatus. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Jobcenter A-Stadt Stadt vom 15.11.2017, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.01.2018 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 01.12.2017 bis 30.06.2018 Alg II endgültig zu gewähren.
III. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Zu Unrecht hat die Beklagte mit Bescheid vom 15.11.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.01.2018 die Gewährung von Alg II für die Zeit ab 01.12.2017 bis 30.06.2018 abgelehnt.
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II zu. Er ist zwar arbeitsunfähig jedoch erwerbsfähig im Sinne des § 8 SGB II. Er ist unstreitig auch hilfebedürftig. Darüber hinaus ist der Kläger wie zur Überzeugung des Gerichts feststeht, nicht vom Leistungsbezug nach dem SGB II nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen.
Nach dieser Vorschrift sind vom Leistungsbezug lediglich Ausländer ausgenommen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Das Aufenthaltsrecht des Klägers ergibt sich jedoch auch nach § 2 Abs. 3 Freizügigkeitsgesetz EU, falls ein selbstständigen Status vorbesteht.
Nach dieser Vorschrift bleibt das Recht auf Einreise und Aufenthalt des Arbeitnehmers und selbstständig Erwerbstätigen unberührt. Bei vorübergehender Erwerbsminderung in Folge von Krankheit oder in Folge bei unfreiwilliger durch die zuständige Bundesagentur für Arbeit bestätigte Arbeitslosigkeit oder Einstellung einer selbstständigen Tätigkeit in Folge von Umständen auf die der Selbstständige keinen Einfluss hat, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit.
Unstreitig hat der Kläger mehr als ein Jahr gearbeitet, sodass sein Selbstständigenstatus fortbesteht. Zwar hat das LSG in seiner Entscheidung vom 20.06.2016 L 16 AS 284/16 BER ausgeführt, dass das Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz EU nur solange fortbesteht, wie die Arbeitnehmereigenschaft fortbesteht. Dies gelte jedoch nur für zwei Jahre. Das LSG schließt dies aus der Entstehungsgesichte des Artikel 7 Abs. 3 Richtlinie 2004/28/EWG. Zur Begründung des Kommissionsentwurfs der Richtlinie war ausgeführt worden, das die wesentlichen Bestimmungen des L 68/360/EWG übernommen wurden. In Artikel 7 Abs. 2 Richtlinie 68/360/EWG konnte die Gültigkeit der Aufenthaltserlaubnis beschränkt werden, nachdem der Arbeitnehmer länger als 12 Monate unfreiwillig arbeitslos war. Die Beschränkung durfte jedoch 12 Monate nicht unterschreiten. Somit blieb bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach EWG Recht das Aufenthaltsrecht für zwei Jahre erhalten.
Das LSG übertragt diese alten Regelungen auf § 2 Abs. 3 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz EU und schließt daraus, dass die Arbeitnehmereigenschaft für längstens 2 Jahre erhalten bleibt.
Dem kann das erkennende Gericht nicht folgen, denn Artikel 2 Abs. 3, Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz EU enthält eben gerade keine Begrenzung des Arbeitnehmerstatus bzw. Selbstständigenstatus. Eine restriktive Auslegung dergestalt, wie sie vom LSG vorgenommen wird, hält das erkennende Gericht nicht für möglich. Hätte der Gesetzgeber den Arbeitnehmerstatus auf zwei Jahre begrenzen wollen, hätte er dies in § 2 Freizügigkeitsgesetz EU regeln müssen. Eine Anspruchsbegrenzung ohne gesetzliche Grundlage erscheint verfassungswidrig. Möglicherweise wäre es wünschenswert, eine Begrenzung des Arbeitnehmerstatus einzuführen, sie würde sich auch in das Freizügigkeitsgesetz im Hinblick auf § 4 Abs. 1 Satz 1 Freizügigkeitsgesetz (Daueraufenthaltsrecht) gut einordnen. Eine solche Begrenzung gibt es aber nicht. Das BSG (Urteil vom 13.07.2017 B 4 AS 17/16 R Juris) hat es bislang offengelassen, ob eine Begrenzung des Arbeitnehmerstatus möglich ist. Für Einschränkungen von grundsätzlich bestehenden Ansprüchen bedarf es jedoch einer gesetzlichen Grundlage. Die Begrenzung kann nicht durch Auslegung veralteten EWG-Rechts ermittelt werden.
Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte können die angefochteten Bescheide keinen Bestand haben. Die Beklagte war daher zu verurteilen, ab 01.12.2017 bis 30.06.2018 Alg II endgültig zu gewähren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.


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