Arbeitsrecht

Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen aus Betriebsprüfung

Aktenzeichen  S 1 BA 50/18

Datum:
12.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 22744
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IV § 7, § 7a, § 14 Abs. 2 S. 2, § 24 Abs. 2, § 28e Abs. 1, § 28p,

 

Leitsatz

1. Verzichtet ein Arbeitgeber bei Unklarheiten hinsichtlich der versicherungs- und beitragsrechtlichen Beurteilung einer Erwerbstätigkeit darauf, die Entscheidung einer fachkundigen Stelle herbeizuführen, lässt sich hieraus bedingter Vorsatz ableiten. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
2. Werden objektiv zentrale arbeitgeberbezogene Pflichten des Sozialversicherungsrechts (Zahlungs-, Melde-, Aufzeichnungs-, Nachweispflichten) verletzt, dann ist ein Beschäftigungsverhältnis illegal mit der Folge, dass eine Nettolohnhochrechnung vorzunehmen ist, sofern der Arbeitgeber (bedingt) vorsätzlich gehandelt hat. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 3.971,42 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die Beklagte hat zu Recht festgestellt, dass der Beigeladene für den Kläger in der Zeit vom 28.11. bis 21.12.2016 und vom 03.01. bis 20.01.2017 im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses tätig war. Der Kläger ist als (ehemaliger) Arbeitgeber verpflichtet, die angefallenen Sozialversicherungsbeiträge in gesetzlicher Höhe nachzuentrichten. Auch die objektiven und subjektiven Voraussetzungen für eine Netto-Brutto-Hochrechnung sowie für die Erhebung von Säumniszuschlägen sind erfüllt.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 09.03.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.08.2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
1. Rechtsgrundlage für den Nachforderungsbescheid ist § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV.
Danach erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe der Arbeitnehmer in der Sozialversicherung gegenüber den Arbeitgebern. Nach § 28e Abs. 1 SGB IV hat der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag für die versicherungspflichtig Beschäftigten zu zahlen.
2. Personen die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, in der sozialen Pflegeversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung der Versicherungs- bzw. Beitragspflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB XI, § 25 Abs. 1 SGB III).
Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV).
3. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann – insbesondere bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zur „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert“ sein.
Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft sowie die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und welche Merkmale überwiegen (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 30.04. 2013, B 12 KR 19/11 R; BSG, Urteil vom 31.03.2017, B 12 R 7/15 R, ständige Rechtsprechung).
4. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Kammer davon überzeugt, dass der Beigeladene im streitigen Zeitraum keine selbständige Tätigkeit, sondern eine versicherungspflichtige, abhängige Beschäftigung ausgeübt hat.
Der Beigeladene hat typische Arbeitnehmertätigkeiten verrichtet, die Leistungen wurden persönlich und im Aussenverhältnis für den Kläger erbracht. Der Beigeladene erhielt eine zeitabhängige Vergütung, er besaß keinerlei unternehmerisches Risiko, hatte keine eigene Betriebsstätte und unterlag bei seiner Tätigkeit dem Weisungsrecht des Klägers.
Ob, wie der Kläger behauptet, von den Beteiligten eine selbständige Tätigkeit gewollt war, spielt im Ergebnis keine Rolle. Entscheidend sind die tatsächlichen Umstände der Leistungserbringung, die eindeutig und zweifelsfrei die Merkmale einer abhängigen Beschäftigung erfüllen. Gegen eine „echte“ selbständige Tätigkeit spricht schon der Stundenlohn von 10 €. Dass die Vergütungshöhe als Abgrenzungskriterium bei der Gesamtwürdigung berücksichtigt werden darf, ergibt sich aus der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 31.03.2017, B 12 R 7/15 R).
5. Die Berechnung der Beiträge ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Werden – wie hier – objektiv zentrale arbeitgeberbezogene Pflichten des Sozialversicherungsrechts (Zahlungs-, Melde-, Aufzeichnungs-, Nachweispflichten) verletzt, ist ein Beschäftigungsverhältnis illegal im Sinne des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV. Damit ist von einer fiktiven Nettolohnvereinbarung auszugehen. Entsprechend dieser gesetzlichen Regelung sind die zu zahlenden Beiträge aus dem hochgerechneten Bruttoentgelt zu berechnen. Das Erfordernis des bedingten Vorsatzes ist bei der gegebenen Fallkonstellation offensichtlich erfüllt.
6. Auch gegen die Festsetzung von Säumniszuschlägen bestehen keine rechtlichen Bedenken. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist zwar bei der Bestimmung des Verschuldensmaßstabes in § 24 Abs. 2 SGB IV auf bedingten Vorsatz abzustellen. § 24 Abs. 2 SGB IV ist jedoch als Ausnahme von der Erhebung von Säumniszuschlägen ausgestaltet, so dass derjenige beweispflichtig ist, der sich auf die rechtsbegründenden Tatsachen der Ausnahme beruft (BSG, Urteil vom 12.12.2018 – B 12 R 15/18 R).
Der Kläger hat nicht glaubhaft gemacht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von seiner Zahlungspflicht hatte. Verzichtet ein Arbeitgeber bei Unklarheiten hinsichtlich der versicherungs- und beitragsrechtlichen Beurteilung einer Erwerbstätigkeit darauf, die Entscheidung einer fachkundigen Stelle herbeizuführen, lässt sich hieraus bedingter Vorsatz ableiten (BSG vom 12.12.2018, a.a.O.)
Die Klage war daher in vollem Umfang abzuweisen.
7. Im Übrigen schließt sich die Kammer in vollem Umfang der zutreffenden Begründung des angefochtenen Bescheides vom 09.03.2018 sowie des Widerspruchsbescheides vom 30.08.2018 an. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird abgesehen (§ 136 Abs. 3 SGG).
8. Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m.§ 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.
Die Höhe des Streitwerts ergibt sich aus der streitigen Forderung.


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben