Arbeitsrecht

Prozesskostenhilfe (2. Antrag), Polnischer Staatsangehöriger, Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt

Aktenzeichen  M 25 K 19.4667

Datum:
20.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 16385
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 166
ZPO § 114 ff
FreizügG/EU § 6

 

Leitsatz

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung des Verlusts seines Freizügigkeitsrechts verbunden mit einem sechsjährigen Einreise- und Aufenthaltsverbot.
Mit Bescheid vom 29. August 2019 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger sein Recht auf Einreise und Aufenthalt verloren habe (Ziffer 1), setzte ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für die Dauer von sechs Jahren fest (Ziffer 2) und forderte den Kläger zur Ausreise – unter Androhung der Abschiebung nach Polen – innerhalb eines Monats nach Bestandskraft des Bescheides auf (Ziffer 3).
Die Beklagte stützte den Verlust des Freizügigkeitsrechts auf § 6 Abs. 1 und Abs. 2 FreizügG/EU, da das Verhalten des Klägers – eine kontinuierliche Begehung von Straftaten in Polen und Deutschland – eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstelle. Die Verlustfeststellung sei zum Schutz der Bevölkerung notwendig und auch unter Berücksichtigung der Belange des Klägers verhältnismäßig. Art. 6 GG und Art. 8 EMRK würden der Beendigung des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet nicht entgegenstehen.
Am 12. September 2019 erhob die Bevollmächtigte des Klägers Klage und beantragte den Bescheid vom 29. August 2019 aufzuheben.
Mit Beschluss vom 28. November 2019 lehnte das Gericht einen ersten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung ab. Die hiergegen eingereichte Beschwerde hatte keinen Erfolg.
Am 6. April 2020 erlitt der Kläger einen Arbeitsunfall, in Folge dessen sein rechter Arm amputiert wurde. Mit Bescheid der Regierung von Oberbayern vom 28. Oktober 2020 wurde ein GdB von 100 festgestellt.
Mit Schreiben vom 13. November 2020 beantragte die Bevollmächtigte des Klägers, 
die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung.
Zur Begründung führte sie aus, dass die Klage aufgrund der schweren gesundheitlichen Beeinträchtigung, der schweren körperlichen Behinderung sowie unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Kindsmutter nun hinreichend Aussicht auf Erfolg habe.
Mit Beschluss des Landgerichts München vom 29. Dezember 2020 wurde die Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt zur Bewährung ausgesetzt. Die Dauer der Führungsaufsicht wurde auf fünf Jahre festgesetzt und mehrere (strafbewehrte) Weisungen wurden erlassen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die vorgelegte Behördenakte sowie den Beschluss vom 28. November 2019 Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung bleibt ohne Erfolg.
Die Klage des Klägers hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, da die Verlustfeststellung und das Einreise- und Aufenthaltsverbot auch weiterhin aller Voraussicht nach rechtmäßig sind. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung ist daher abzulehnen.
Auch unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Beeinträchtigung und körperlichen Behinderung des Klägers sowie der erfolgten Aussetzung der Unterbringung auf Bewährung liegt weiterhin eine den Verlust des Freizügigkeitsrechts rechtfertigende hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch den Kläger vor, welche ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (§ 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 FreizügG/EU).
Die körperlichen und gesundheitlichen Folgen des Arbeitsunfalls führen zu keiner anderen Prognose bezüglich der Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch den Kläger. Der Kläger ist bis zu seiner Inhaftierung mehrfach in Deutschland und Polen strafrechtlich in Erscheinung getreten. Strafrechtliche Verurteilungen und Haftstrafen konnten den Kläger bisher nicht von einer erneuten Straffälligkeit abhalten.
Es ist nicht erkennbar, dass die jetzige körperliche Beeinträchtigung des Klägers diesen Effekt auf ihn haben wird. Hiergegen spricht bereits das Verhalten des Klägers seit seinem Unfall. Der Kläger ist kurz nach seinem Unfall drei Mal (31.5., 11.6., 4./5.7.2020) bezüglich seiner Alkoholabstinenz rückfällig geworden, wobei der letzte Rückfall zum vorzeitigen Abbruch seiner Reha geführt hat. Weiterhin ist er zweimal disziplinarisch in der Entziehungsanstalt in Erscheinung getreten, wobei ein Vorfall eine heftige – zum Teil körperliche – Auseinandersetzung betraf. Da der Kläger u.a. für Körperverletzungsdelikte unter Alkoholeinfluss verurteilt wurde, geht das Gericht davon aus, dass das Verhalten des Klägers gezeigt hat, dass seine körperliche Behinderung die Gefährdung nicht entfallen lässt.
An dieser Einschätzung ändert auch die Aussetzung der Unterbringung auf Bewährung nichts. Der Bewährungsbeschluss enthält eine Vielzahl an Anweisungen, die auf die Alkoholabhängigkeit des Klägers reagieren. Der Kläger darf keinen Alkohol bzw. andere Betäubungsmittel konsumieren, muss dies durch regelmäßige Tests nachweisen, darf sich nicht an Orten aufhalten oder mit Personen treffen, die der Alkoholikerszene zuzuordnen sind und muss seine (sucht) therapeutischen Termine wahrnehmen. Folglich findet die Alkoholabstinenz auch weiterhin in einem eng kontrollierten Rahmen statt. Von einer Bewährung in Freiheit, die mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung schließen lassen würde, kann noch nicht ausgegangen werden. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass die Dauer der Führungsaufsicht und der Bewährungszeit auf fünf Jahre festgesetzt wurde. Von einem Entfallen der Wiederholungsgefahr kann dementsprechend noch nicht ausgegangen werden.
Auch die Stellungnahme der Kindsmutter und die darin angesprochene Beziehung des Klägers zu seiner Tochter begründen keine hinreichende Aussicht der Klage auf Erfolg. Der Kläger hat kein Sorgerecht für seine Tochter und er hat nicht mit ihr über einen längeren Zeitraum in einer familiären Gemeinschaft gelebt. Der Kläger wurde in Untersuchungshaft genommen, als seine Tochter knapp über einem Jahr war. Dementsprechend ist die Tochter bereits an eine Trennung von ihrem Vater und einen auf Besuche und (Video-)Telefonate beschränkten Kontakt gewöhnt, auch wenn sich die persönlichen Besuche in letzter Zeit vermehrt haben. Der Kläger kann, auch nach einer Rückkehr nach Polen, durch moderne Medien oder Telefon Kontakt zu seiner Tochter halten. Weiterhin hat die Beklagte bereits ihre Bereitschaft erklärt, dem Kläger Betretenserlaubnisse zu erteilen. Darüber hinaus ist zu beachten, dass sowohl Mutter als auch Tochter die polnische Staatsangehörigkeit haben und grundsätzlich in der Lage wären, den Kläger nach Polen zu begleiten, falls sie es wünschen.
Um Wiederholungen zu vermeiden, wird im Übrigen auf die Ausführungen in dem Beschluss vom 28. November 2019 verwiesen.
Die Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ergeht kostenfrei; Auslagen werden nicht erstattet.


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